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In Wonte-tzarlo hat sich dieser Tage ein vornehmer junger Japaner namens Jjuin getötet. Er feuerte zuerst 3 Revolverschüsse gegen sich ab, worauf er, als die durch die Schüsse allarmierte Nachbarschaft ins Zimmer eilte, sich durch das Fenster auf die Straße hinabstürzte. Er hatte in Monte-Carlo in einer Woche 1,300,000 Franks verloren.
Aus Warschau wird gemeldet: Die Stadt Ludw ipol, Gouvernement Wolhynien, wurde durch Brandstiftung am 19. Nov. gänzlich eingeäschert. 4 000 Menschen, meist Juden, sind obdachlos.
Lokales.
ZSildöad, 24. Nov. Heute Vormittag gelangte das von Hrn. A. Roth um 150 000 Mark angekaufte Hotel Frey, im zweiten Aufstreich zum Verkauf. Dasselbe wurde samt Einrichtung und zugehöriger Remise, Keller, Lustgarten, Baumacker re. von Hrn. Wilh. Großmann z. „Löwen" um die Summe von 190 000 Mark käuflich erworben.
Unikchalikndks.
Me Tochter imVerjMlien
Von C. Marold.
(Nachdruck verboten).
1.
O lieb', so lang Du lieben kannst!
O lieb', so lang Du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde naht.
Wo Du an Gräbern stehst und klagst.
Freiligrath.
Es war ein klarer Tag im September. Die Strahlen der Sonne drangen durch die blanken Fensterscheiben des alten Kaufmannshauses in der norddeutschen Handelsstadt; sie blitzten zurück vor den glänzenden Messinggriffen der alten Kommode, flimmerten breit auf der welßen Diele und schienen bis in die entferntesten Ecken des geräumigen Zimmers. Aber nirgends mehr fanden sie ein Stäubchen.
Mit zufriedenem Kopfnicken legte der alte Diener das Staubtuch zusammen und begann den Kaffee zu bereiten. Schon lange brodelte das Wasser in dem kleinen Messingkessel auf dem kleinen Tische und die alte Kuckuksuhr zeigte an, daß der kleine Vogel bald siebenmal sein neugieriges „Kuckuk" erschallen lassen werde. Langsam goß Friedrich das kochende Wasser auf den Kaffee, er holte die Tassen aus dem altmodischen Büffet, und während er sie auf den Tisch setzte, sagte er vor sich hin: „Ob Fräulein Asta heute kommen wird? Wie würde der Herr sich freuen!"
Eben schlug die Uhr sieben und durch die Thür des Nebenzimmers trat Herr Wilhelm Dalburg, der zeitweilige Inhaber der Firma des alten Hauses. Es mar eine stattliche Persönlichkeit von ungefähr 56 Jahren, sein gutes Gesicht besaß einen energischen Ausdruck, der zu dem schwermütigen Zuge um den Mund einen seltsamen Gegensatz bildete.
„Wieder allein," murmelte er, „wie lange doch Eberhard immer schläft! Ich wünschte, er wäre pünktlicher!" Er setzte sich und sah zu den Bildern seiner Eltern hinauf, die über dem altmodischen Sopha hingen. Alle Morgen gilt ihnen sein erster Gruß und wie oft gedenkt er dann der Zeit, wo sie beide noch auf dem alten Sopha saßen. Hier die sanfte, zärtliche Mutter, daneben der strenge, pflichttreue Vater. Und hier hatte er gesessen und zwar mit seiner Schwester Christine stets mit dem Glockenschlag sieben auf der Thürschwelle gewesen. Wollten doch beide gern den freundlichen Blick des Vaters erhaschen, der sic für ihre Pünktlichkeit belohnte. Dort war Christi
nens Platz; dort stand sie, eine liebliche Mäd- chcnblüte, und bereitete mit Sorgfalt für die Ihrigen den Kaffee. Dalburg fuhr sich mit der Hand über die Stirn. — Wie lange war das schon her! Wohl 30 Jahre, und was hatten sie gebracht? Vater und Mutter waren tot; sie hatten noch mit stolzer Genugthuung die Vermählung ihres Sohnes mit der Gräfin Amalie Hochheim gesehen, die den Bürgerlichen heiratete, weil er ihre verschuldete Familie vor dem Ruin bewahrte. Einige Jahre hindurch hatte den jungen Kaufherrn das Bewußtsein durch diese Heirat zu dem Glanze seiner Familie beigetragen zu haben, getröstet über manche ihm ungewohnte und unsympathische Ansicht seiner Gattin; dann waren sie einander allmählich gleichgültig geworden. Und jetzt, er seufzte tief. Jetzt führte er seit Jahren ein einsames Leben und sah die Sei- nigen fast nur bei den Mahlzeiten. Und wieder gingen seine Gedanken in die Vergangenheit zurück, eine namenlose Sehnsucht ergriff ihn plötzlich nach der Schwester, der einzigen Verwandten, die ihm noch geblieben war. Aber war nicht auch sie ihm verloren? Mußte sie es nicht sein, seit jenem unglücklichen Tage, an dem sie es gewagt hatte, den stolzen Namen seiner Eltern, den seinigen in den Staub zu ziehen? Er schüttelte energisch den Kopf, als wollte er ebenso alle unliebsamen Gedanken von sich abwehren. „Du thatest recht, Vater," sprach er laut, „lieber kein Kind, als ein mißratenes.
Der Eintritt Friedrichs, der auf silberner Platte einige Briefe krackte, entriß ihn seinem Grübeln; ec fing an, diese durchzusehen und bei jedem Schreiben sofort die nötigen Notizen zu machen. Nun hatte ec einen Brief erbrochen und blickte verwundert auf die wenigen Zeilen, die von einem Newyorrer Advokaten unterzeichnet waren. Er las: „Im jAuftrage der verstorbenen Frau Christine Hermes, geb. Dalburg, der wir gestern das letzte Geleite gegeben haben, teile ich Ihnen, hochgeehrter Herr, mit, daß die Verblichene eine Tochter hinterlassen hat, die sie Ihrer Fürsorge empfiehlt. Da die Waise hier vollständig fremd ist, auch ganz mittellos dasteht, so nehme ich es bei Ihrer nahen Verwandtschaft mit ihr für zweifellos an, daß Sie dieselbe nach Europa kommen lassen werden. Anfangs des nächsten Monats fährt ein Schiff von hier nach Hamburg ab und das junge Mädchen könnte unter dem Schutze einer mir bekannten Familie die Reise nach dorten machen. Sollten Sie andere Verfügungen zu treffen für geeignet halten, so bitte um telegraphische Benachrichtigung. Ergebenst Henry Cläre, Advokat."
Erschüttert legte Dalburg das Blatt hin. Also darum hatte er heute immer an die ferne Schwester denken müssen, darum ihr liebes Antlitz vor sich gesehen. Hatte sie ihn mahnen gewollt, ihr Kind nicht zu verlassen?
Dalburg stützte sein Haupt in die Hände und heiße Thränen rollten über seine Wangen. Dort an dem altertümlichen Schrank mit den großen Messingbeschlägen hatte ihr alle Morgen die Mutter die Arbeit zuerteilt, die Christinens, Finger dann zu einem wahren Kunstwerk machten. Er trat an das Fenster und berührte sanft mit der Hand den kleinen Nähtisch, ihren Nähtisch, der unbenutzt geblieben war seit dem schrecklichen Tage, als sie zum letzten Male an ihm gesessen hatte, und den doch die Mutter nicht missen wollte, . den er selbst nicht hatte Hinausweisen mögen. Wie gut waren sich Bruder und Schwester stets gewesen ! Und doch, doch war er auf die Seite des Vaters getreten, doch hatte sich sein tugendstolzes Patrizierblut empört, als die Schwester
so ohne Bedenken jenen Mann ihnen Allen vorzog. Jahrelang hatte er gegrollt und immer die Handlungsweise seines Vaters, der die Tochter verstieß, gut geheißen, und nun war sie tot, und alle ihre Fehler waren vergessen, weggewischt von dem lieblichen Bilde, wie er es in der Erinnerung trug.
Er strich sich mit der Hand über seine nassen Augen. „Friedrich", sagte er leise. Befremdet hatte der alte Diener das Benehmen seines Herren mit angesehen; jetzt trat er näher und blickte erschreckt in das verstörte Antlitz desselben.
„Eine schlechte Nachricht, Friedrich", sagte Dalburg stockend. „Schwester Christine ist gestorben."
Friedrich stützte sich schwer auf die Lehne eines Stuhles. „Mein Gott", stöhnte er dann, „gestorben, ohne daß sie noch einmal hieher zürückkam! O Herr Kommerzienrath, wir durften zu Lebzeiten des Herrn und auch nachher nie ihren Namen nennen, aber vergessen konnte ich Fräulenr Christine nicht.
Immer »och sehe ich ihr bleiches Gesicht, wie sie vor dem Herrn Vater stand, und wie sie bei seinen harten Worten zu seinen Füßen zusammenbrach und vergebens durch die Thränen und Bitten fein Herz erweichen wollte. Und wie dann die Frau Mutter — (Fortsetzung folgt.)
Vermischtes.
— Ein milder, feuchter Winter soll wie ein bewährter Wetterprophet in der „C. Z." ankündigt, uns diesmal bevorstehen. Es heißt da: Man weiß, daß unser Mitbürger Hr. D. alljährlich gewisse Erscheinungen an den Reben und Bäumen beobachtet und aus ihnen Schlüsse zieht auf die Witterung, welche während des Winters eintreten wird. Seit mehreren Jahren sind seine Vorhersagungen mit einer absoluten Genauigkeit eingetroffen, man kann deshalb annehmen, daß er auch für dieses Jahr das Richtige ankündigen wird.
— Das Londoner Bankhaus Baring Brothers, die in harte Bedrängnis geratene „große historische Firma", ist deutschen Ursprungs. Mitte des vorigen Jahrhunderts wanderte ein Sohn des Bremer Pastors Baring in England ein und errichtete ein Tuchgeschäft; dessen Söhne gründeten 1770 ein Haus in London, das einen außerordentlichen raschen Aufschwung nahm. Schon 1790 war das Vermögen des Hauses auf 2 Mill. Pfd. Sterling geschätzt. Ein Baring wurde schon 1793 zum Baronet ernannt; seitdem haben mehrere Mitglieder des Hauses im öffentlichen Leben eine Rolle gespielt und gehören der hohen Aristokratie an. Als Familie sind die Barings wohl die interessantesten unter den Handelsfürsten Englands. Keine zweite hat so viele Charakterköpfe aufzuweiscn und vielleicht war das eben ihr Unglück. Die Barings galten von jeher als sehr freigebig! es gab keine Sammlung, bei der sie nicht in der ersten Reihe der Gebenden gestanden hätten. Zur Zeit der irischen Hungersnot (1845/46) gab die Firma 5000 Pfund, Alexander Baring (Lord Ashburton) für seine Person 30 000 Pfund (ca 600 000 Mark!) Thomas und Alexander waren unermüdlich in Wohlthun und Geben, dabei aber als echte Vollblut«Engländer mehr als exzentrisch. Thomas liebte es, Hundertpfandnoten armen Familien, die unterstützungsbedürftig waren, selbst in das Haus zu bringen: aber wehe Denen, die ihm dankten oder ihn später auch nur mit einem Gruß belästigten! Als er Keinmal beim Eintreten in die elende Stube einer armen Familie seinen Hut an der Thüre an-