424

renreich zu vernichten. Oesterreich-Ungarn, die Türkei, Rumänien und Bulgarien sollen dabei helfen. Damit sich Frankreich nicht cinmischt, sind Italien, England, Belgien und Holland angewiesen, dies in Schach zu halten. Und das Alles wird nicht etwa als Jux, sondern mit heiligen Ernst vorgetragen.

In der französischen Kammer ist der Antrag auf Besteuerung S>s Avels ein­gegangen. Für das einfachevon" sollen jährlich bezahlt werden 500 Francs., für den TitelRitter" 1000,Baron" 5000, den Vicomte" 10,000, denGrafen" 20,000, denMarquis" 30,000 Fr., denHerzog" 50,000, denFürsten" 100,000 Fr., den TitelHoheit" dazu 200,000 Fr. u. s. w. Für seine Frau soll der Adelige, der den Titel beibehalten will, die Hälfte und für jedes minderjährige Kind 25 Proz. mehr zah­len. Ein teurer Spaß!

Aelgrad, 14. Nov. Der Orientex­preßzug ist bei Neusatz entgleist. Achtzehn Tote und Verwundete werden gemeldet.

London, 14. Nov. Die Times beginnt heute im Aufträge Stanleys die Veröffent­lichung der urkundlichen Schriftstücke, betr. die Nachhut desselben mit der eidlichen Aussage des in Kairo vernommenen Dolmetschers Assad Farran, welcher in Kairo von Stanley ver­nommen wurde. Darin sind die Leiden der Nachhut ausführlich geschildert und wird auch der vorgekommene Fall von Kannibalismus bestätigt. Bonny erklärte einem Vertreter der Times, Jameson habe ihm selbst diesen Fall cingestanden.

London, 13. Nov. Die Admiralität hat festgestellt, daß sich an Bord des gescheiterten SchiffesSerpent" im Ganzen 176 Perso­nen befunden haben, von denen sich nur 3 Matrosen durch Schwimmen retteten. Die Ka­tastrophe fand um Mitternacht im tiefsten Dunkel statt und ging so schnell vor sich, daß die Schiffsmannschaft nicht einmal Zeit hatte, die Rettungsbote herabzulaffen. Es herrscht all­gemeine Entrüstung über das Verfahren der Admiralität, weil sie das amtlich für seeun­tüchtig erklärte Fahrzeug in der stürmischen Jahreszeit nach der Westküste Afrikas aus­sandte.

Die grotze Entdeckung Rob. Kochs

bildet augenblicklich den Hauptgesprächs-Stoff der ganzen ärzlichen Welt. Es ist, so sagte einem Berliner Berichterstatter der Allg. Ztg." eine medizinische Autorität ersten Ranges, ein Ereignis, wie es seit den Tagen des Hippokrates keines gegeben hat auf dem Felde der Medizin, ein Triumph der Wissen­schaft, und zwar der deutschen, dem nichts an die Seite gestellt werden kann, was an prak­tischen Ergebnissen zum Besten der Menschheit je, geleistet worden ist. Das Interesse, welches die ganze Angelegenheit erregt, ist schwer zu beschreiben. Kaiser Wilhelm soll es als eine ganz besondere Gunst der Vorsehung bezeich­net haben, daß unter seiner Regierung und im deutschen Reiche der Welt diese Wohlthat erwiesen- worden ist; der Kultusminister, alle medizinisch-wissenschaftlichen Autoritätenund was sonst herangezogen wird, wenn es sich um große Dinge" handelt, haben Gelegenheit ge­habt, sich davon zu überzeugen, daß man hier unbestreitbaren Thatsachen gegenübersteht, deren nächste Folge wohl eine Völkerwanderung nach Berlin sein wird, wie man ähnliches nie erlebt hat. Man hat berechnet, daß von den 50 Millionen Deutschen des Deutschen Reiches mindestens 50 Proz. erblich mit Schwindsucht belastet sind, das macht 2 500 000 Kranke,

von denen etwa 10 Prozent die Mittel haben! werden, sofort nach Berlin zu kommen, um! sich dort sich dort Rat und Hilfe zu holen. Aber wie sollen wir Raum schaffen für 250 000 Kranke, wo sind die Hotels zu fin­den, die für ihr Unterkommen sorgen, die Aerzte, die im Stande wären, den Andrang zu bewältigen? (Andererseits heißt es bekannt­lich, daß die Behandlungsweise Kochs bald allen Aerzten bekannt gegeben werde, so daß die Kranken nicht nötig Härten, nach Berlin zu reisen.) Der einzige Grund, der die An­kündigung des feststehenden Erfolges der Koch'schen Entdeckungen noch zurückhält, ist die nicht abzuwehrende Notwendigkeit, einiger­maßen für den bevorstehenden Andrang ge­rüstet zu sein. Wie man es machen wird, ist schwer zu sagen. Da die Bereitung des Me­dikaments unter Konirole geschehen muß, ist nicht daran zu denken, daß ein Rezept in die Welt posaunt wird, das jedem Arzte die Mög­lichkeit giebt, danach zu heilen. Die Verhält­nisse liegen jedenfalls so, daß zunächst wenig­stens die Heilung der Schwindsucht auf Berlin konzentrirt bleibt. Während seither diese Heilung lediglich auf dem Wege des Einnehmens ver­sucht worden ist, wird das Koch'sche Heilver­fahren, wie bereits berichtet, in sog. subkutanen Injektionen, d. h. in Einspritzungen unter die Haut zur Anwendung kommen. Dadurch kommt das Mittel auch schneller zur Wirkung, als wenn es seinen Weg durch den Magen nehmen müßte. Eine geringe Anzahl von Einspritzungen genügt, um die Heilung in einer überraschent kurzen Zeit zu bewirken. In den erkrankten Teilen der Lunge oder den sonstigen Teilen des Körpers, in welchen un­zählbare Millionen der Schwindsuchtsbazillen sich befinden, wird bald eine ständige und augenfällige Abnahme derselben bemerkbar, die weitere Zerstörung der erkrankten Teile wird gehemmt und ihre Funktionsfühigkeit wird ge­hoben. Allerdings ist ausgeschlossen, daß bereits zerstörte Gewebeteile neu entstehen und es werden deshalb weit vorgeschrittene Krank­heitsfälle, wenn auch zum Stillstand, doch kaum zur Heilung kommen. Ist auch die Zahl der von Koch bis jetzt geheilten Schwindsuchts­fälle noch nicht übergroß, so steht doch zweifel­los fest, daß sich die Koch'sche Heilmethode bei ihnen vollkommen bewährt hat. Möge der große Forscher unserem Vaterland noch lange erhalten bleiben, damit seine Forschungen, die sich auf das ganze Gebiet der ansteckenden Kankheiten, wie Cholera, Typhus, Diphterie u. s. w. erstrecken, der Menschheit noch eine Befreiung von den schlimmsten Plagen bringe, welche die Natur über sic verhängt hat.

Ucber die Erhaltung des Mittelstaudes

hielt Herr I)r. Fränkel aus Weimar einen interessanten Vortrag im Nagolder Gewerbe­verein:Viele, so führte der Redner etwa aus, wollen diesem Stande sein gänzliches Aufhören für .die Zukunft sicher prophezeien. In Folge der Ausbildung von Maschinentech­nik und kapitalistischer Großindustrie werde es bald nur noch wen'geMilliardäre" und durch eine unendliche Kluft von diesen geschie­den, die Massen der unselbstständigen Arbeiter geben. Dann sei nach dem Zukunftstraum der Sozialdemokraten nur noch das Letzte zu thun, es erübrige nur noch, dieseExpropria­teure zu expropriieren," den Wenigen das Viele auch noch abzunehmen, was diese selbst ihren Mitmenschen zuvor abgenommen haben. Das goldene Zeitalter der allgemeinen Gleich­heit, ob auch Brüderlichkeit? könne dann beginnen! Redner erklärte, daß er nicht

l zu denjenigen gehöre, welche den Mittelstand ! so pessimistisch als einen totkranken Mann ari­schen, zumal in Deutschland nicht, wo im Gegensatz zu dem ganz modernen Nordamerika gerade dieser Stand seine guten, festen Wur­zeln im Laufe der Jahrhunderte weithin durchs ganze Volksleben gezogen habe. Es wäre auch ein schweres Unglück, wenn die Mittelstufen zwischen der kleinen Spitze und der breiten Grundlage derPyramide" ab- bröckeln würden, wenn kein lebenskräftiges Mittelglied mehr die Höchsten mit den Niedern und Niedersten verbinden würde, wenn der Stand absterben sollte, in welchem die politische Freiheit und die sittlichen Kräfte eines häus­lichen Familienlebens bisher vorwiegend ihren Hort und ihre Stütze gefunden haben. Hoff­nungslos aber brauchen wir lange noch nicht sein. Wohl arbeite die Maschine im allge­meinen schneller und billiger als die menschliche Arbeitskraft. Niemals aber werde es der toten Naturkraft gelingen, die menschliche Hand zu ersetzen, die im Dienste des Geistes und eines freien Willens stehe bei Fertigung aller der Dinge, die nicht blos praktisch und nütz­lich, sondern auch geschmackvoll sein sollen. Auf die so gar verschiedenen und so rasch wechselnden Richtungen des Geschmacks der Zeit einzugehen, sei die Aufgabe des Hand­werks, das somit immer mehr und mehr Kunsthandwerk werden müsse. Gewerbevereine sollen den strebsamen Handwerkern gute und praktische Musterzeichnungen zugänglich machen. Schon die Ausbildung der Lehrlinge sollte deshalb den Formensinn viel mehr wecken und pflegen, als dies meist geschehe. Der Unter­richt im Zeichnen sei unerläßlich und nicht hoch genug anzuschlagen. Der Besuch der Fort­bildungsschule sollte dem Zwange unterliegen. In Sachsen habe man gerade die allerbesten Erfahrungen gemacht. Lehrlingsprüfungen würden wohl am besten nicht von der Fach­zunft vorgenommen werden, sondern von einer gemischten Prüfungskommission der Handwerker­und Gewerbevereine. Im allgemeinen wünscht- Redner keineswegs die Wiederbelebung des alten Jnnungs- und Zunft-Wesens mit all dem Bann und Zwang, den diese korporativen Einrichtungen des Mittelalters ausübten. Heute ist gottlob jeder, der überhaupt arbeitet, im Besitze seiner vollen bürgerlichen Rechte und er ist den Quälereien einer zünfrigen, oft sehr beschränkten und selbstsüchtigen Genossenschaft für immer enthoben. Innungen auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit aber seien mit Freuden zu begrüßen. Ueberhaupt verspricht sich der Redner das Beste für den darnieder­liegenden Handwerkerstand davon, daß das von Schultze - Delitzsch eingeführte Genossen­schaftswesen mehr und mehr ausgebildet werde: gemeinschaftlicher Einkauf, gemeinschaftliche Verkaufs- und Ausstellungsräume, wie solche die hiesigen Kunst-Schreiner planen und hoffentlich mit Unterstützung von von verschie­denen Seiten bald auszuführen im stände sein werden, ja schließlich gar Arbeiterproduktiv Genossenschaften; dieser Weg der Selbsthilfe des freiwilligen Zusammenschlusses sei der Weg der Zukunft. Das sei der berechtigte und der ausführbare Kern des Sozialismus. Frei­lich müsse hiezu, abgesehen von der heiklen Frage des Kredits, viel mehr Gemeinsinn und Selbstbescheidung bei den Arbeitern vorausge­setzt werden, als sich bis jetzt dort meist finde. Endlich machte Redner auch darauf noch auf­merksam, daß die Fortschritte der Elektrotechnik nicht unwahrscheinlich in absehbarer Zeit auch den mittleren und kleineren Handwerkern den elektrischen Strom als voll genügende und spottbillige Arbeitskraft in seine Werkstätte