Paris, 9. Septbr. Nach amerikanischer Art zog gestern ein in einer Wahlversammlung wegen ungebührlicher Unterbrechungen zur Ruhe ermahnter Boulangist plötzlich einen Revolver, wurde aber noch, ehe er ihn benutzen wollte, entwaffnet.

Algier, 9. Sept. Beim Empfange der Offiziere der Landtruppen durch den Komman­danten des Mittelmeer-Geschwaders, Admiral du Petit-Thouars, erinnerte dieser an den Krim­krieg und bemerkte, damals hätten die Fran­zosen mit einem ritterlichen Gegner gekämpft, dem sie nach dem Kampf die Hand loyal ge­reicht hätten und den sie heute zu ihren Freun­den zählten.

Mom, 9. Sept. Unter großer Teilnahme aller Volksvereine, welche diverse Musikkorps und 130 Fahnen mit sich führten, ward gestern Mittag die Büste Cairolis auf einem Trauer­wagen nach dem Kapitol gebracht und dem Sindaco übergeben, der sie im städtischen Ehren­saal aufstellte. Der Sindaco und Menotti Garibaldi hielten Reden. Während der Feier ward die österreichische Botschaft von Gendar­merie bewacht. Die Feier auf dem Kapital verlief durchaus würdig, obschon mehrfache Hoch­rufe aus Triest erschollen.

Konstantinopel, ö. Sept. Aufsehen er­regt die Anhäufung großer russischer Truppen- Massen an der armenischen Grenze; es sollen über 200 000 Mann, meist Polen, dort ver­einigt sein. Es heMcht allgemein die Ansicht, daß eine Aktion gegen das armenische Gebiet der Türkei in kurzer Zeit bevorsteht.

Mewyorst, 6. Sept. Einer Meldung aus Honolulu zufolge hat das englische Kriegs­schiffEspiegle" die zur Manihikigruppe ge­hörigen Inseln Humphrey und Rierson annec- tiert und ist nach dieser Mission am 28. Aug. nach Honolulu zurückgekehrt.

Zanfibar, 9. Sept. Von deutscher Seite ist strenge Blokade gegen Saadani, wo näch­stens ein Kampf erwartet wird, proklamiert worden. Der englische Konsularagent Portal machte den indischen Kausleuten bekannt, daß es den Dhows bei Strafe der Wegnahme ver­boten sei, nach Saadani zu fahren.

Tnikrhalikndes.

Der Mantelkragen.

Das Exemplar, von dem hier die Rede sein soll, war von einem eigentümlichen, sehr kostbaren Pelzwerk u. gehört zu einem weiten, alt­modischen Mantel vom feinsten Brabanter Tuch, einem Gewebe, das ohne besondere Ver­änderung Generationen überdauern kann. Der Besitzer war Herr van Lursn, ein holländi­scher Kaufmann; derselbe hatte in Batavia sein schon ansehnliches Vermögen durch glück­liche Unternehungen noch um ein beträchtliches vermehrt und galt nun selbst in dem reichen Amsterdam mit Recht für eine Finanzgröße. Der Mantel mit dem Pelzkragen gehörte als unzertrennliches Attribut zu seiner äußern Erscheinung; er trug ihn zu jeder Jahreszeit, denn der langjährige Aufenthalt in Batavia hatte den würdigen Herrn für das rauhe Amsterdamer Klima so empfindlich gemacht, daß er die wärmende Hülle nie entbehren mochte; so kam es denn, daß alle Welt beim Anblick des wohlbekannten Mantels und Pelz­kragens, auch wenn beide leer am Nagel hingen, sogleich an Herrn van Lursn dachte.

Der so mit irdischen Gütern gesegnete Mann war aber auch ein sehr glücklicher. Die sanfteste und liebreichste Gattin machte sein

Heim behaglich, ein reizendes Töchterchen bildete den Stolz und die Freude seines Herzens. Leider ging er in der Liebe zu diesem Kinde so weit, daß er es auf unverantwortliche Weise vor der Welt und namentlich vor Münneraugen abschloß. In strenger Zurück­gezogenheit, ohne die unschuldigen Zerstreu­ungen der Jugend, ohne den frohen Verkehr mit Altersgenossinnen, blühte die Mädchen­knospe zur Rose auf und fast schien es, als sollte sie ebenso ungekannt und ungeliebt dahin­welken. Aber Cupido ist ein schlauer Bursche, der selbst über die Wachsamkeit eines Vaters mit seiner List triumphiert; vor ihm sollte auch vnn Lursrw Vorsicht und Strenge nicht standhalten.

Die großen Plantagen, die der Handels- Herr in den Kolonien besaß und deren Pro­dukte er empfing, machten eine rege Korre­spondenz notwendig, und so mußte er, außer stände, sie allein zu bewältigen, einen Korre­spondenten annehmen. Der als sehr solide und zuverlässig empfohlene junge Mann, namens Meticke, erhielt seinen Platz in einem durch eine ganze Flucht von Räumen von der Familienwohnung getrennten Zimmer, das sogar einen besonderen Ausgang nach dem Hinteren Flur hatte; somit schien alles sicher und mit wirklicher Genugthuung sah van lZuron, wie der zweite Gefangene seines Hauses in strenger Klausur, nur vom Chef zeitweise besucht, mit rühmlichem Fleiße seine Korre­spondenz erledigte. Sein Vertrauen zu dem jungen Manne wuchs bald soweit, daß er ihn bei dem täglichen Gange nach der Börse mit­nahm, eine Funktion, die stets der bevorzugte Kommis oder Beamte seines Geschäfts zu ver­sehen hatte. Wie ward nun dem strengen Vater zu Mute, als er eines Tages das Com- toir des Korrespondenten betrat und daselbst seine Tochter fand. Kaum vermochte er in seiner Wut und Bestürzung die Frage zu bilden, wie sie an diesen verbotenen Ort ge­kommen; auch die harmlose Erklärung, sie habe ein wenig Bindfaden gebraucht und hier zu finden gehofft, beruhigte ihn wenig; weit rauher und heftiger, als er je mit seiner Tochter ge­sprochen, wies er sie hinaus und sorgte nun durch verdoppelte Wachsamkeit, daß der Besuch im Comptoir keine Wiederholung erfuhr.

Es blieb in der That bei dem einen, aber dieser hatte auch genügt, um den jungen Leuten die Ueberzeugung zu geben, daß sie zu einander gehörten. Beim ersten Anblick des holden Mädchens, das so plötzlich, so unerwartet ivie eine Fee auf dem traurigen Schauplatze seiner einförmigen Thätigkeit erschien, hatte Meticke alle Wonne und Qual der ersten Liebe em­pfunden, unv auch Maria, das unerfahrene, einsam erzogene Kind, empfing einen mächtigen Eindruck von dieser ersten Begegnung mit einem hübschen, liebenswürdigen Manne, dessen Augen so deutlich von Bewunderung und Ent­zücken sprachen. Von den Blicken kam es zu Worten, man beriet über Mittel und Wege, diese so reizende Bekanntschaft foctzusetzen, und gerade, als der Vater im Comtoir erschien, war es gelungen, ein Auskunftsmittel zu finden. Ein persönliches Zusammentreffen verbot sich in Zukunft, das wußten die Liebenden; auch durch die Post war kein Verkehr möglich, aber die beiden wußten anderen Rat, der ge­strenge Vater selbst sollte ihr Liebesbote sein. Als van Lursn sich am nächsten Tage an­schickte, zur Börse zu gehen, war das Töch­terchen schnell zur Hand, ihm den Mantel um­zugeben; in der Vorhalle der Börse nahm Meticke, ebenso dienstbereit, ihm denselben ab, um ihn an seinen Platz am Garderobenhalter zu hängen, und bei der Rückkehr war wieder

Maria bei der Abnahme des Kleidungsstückes behilflich. Es schien dies eine ganz natürliche Pflicht der Kindesliebe und Höflichkeit; wer sich aber die Mühe genommen hätte, unter den Pelzkragen zu schauen, würde entdeckt haben, daß daselbst ein Briefchen von Mariens Hand zur Börse und eins von der Hand Metickes nach Hause im sichern Versteck trans­portiert wurde.

Viele Wochen war so der ehrwürdige Mantelkragen der Träger eines nichts weniger als kaufmännischen Briefwechsels, als plötzlich eines morgens Maria und gleichzeitig der Kor­respondent vermißt wurde. Ein zurückgelassener ^ Brief der Tochter belehrte die trostlosen Eltern, !daß das Paar schon am Abend vorher zu­sammen abgereist war, um sich von einem geist­lichen Freunde Metickes, der schon vorher für die Sache gewonnen war, in der am Morgen zu erreichenden Stadt trauen zu lassen. In rührend kindlichen Worten flehte Maria um Vergebung, indem sie hervorhob, daß sie auf gewöhnlichem Wege ja nie den Segen des Vaters zu diesem Bunde erlangt hätte, einem Bunde, von dem ihr Glück, ihr Leben und das des Geliebten abhing. Auch einige Zeilen Metickes lagen dabei, in denen er gleichfalls die Bitte um Vergebung aussprach und mit denselben Gründen unterstützte, die Art des brieflichen Verkehrs verriet, jedoch noch hinzu­fügte, daß, ehe irgend jemand die Flüchtigen erreichen könnte, die Trauung vollzogen sein werde; so möge also der Vater dem tllit nv- Lompli gegenüber gute Miene zum bösen Spiel machen und willig und vertrauensvoll sein Kleinod den Händen dessen überlassen, der alles daran setzen werde, das geliebte Wesen glücklich zu machen. Es ist kaum möglich, die rasende Empörung zu schildern, in die vsu 6nrsn durch das Ereignis versetzt wurde. Sein Kind, sein Stolz, sein alles war ihm entrissen, entfremdet durch diesen kecken Räuber und er selbst war der postillon ck'arnour gewesen. Vergebens suchte die Mutter, die über das Geschehene nachsichtiger dachte, ihn zu besänf­tigen ; er erklärte, daß die Undankbare, Pflicht­vergessene fortan aus seinem Herzen und Leben gestrichen sei, verbot, auch nur ihren Namen oder den des Entführers vor ihm zu nennen, irgend eine Mitteilung des Paares vor ihn zu bringen, und traf sofort die Anstalten zur endgiltigen Lösung jeden Verkehrs, die Flüch­tige mit ihrem noch immerhin ansehnlichen Pflicht-Erbteil ein- für allemal abzufinden.

Jahr auf Jahr verstrich und fast schien es, als habe van Uuron nie eine Tochter besessen, so war jede Spur ihres Daseins im Eltern­hause verwischt. Wohl waren in der ersten Zeit viele Briefe aus ihrem Wohnort gekommen, Briefe voll leidenschaftlichen Flehens um Ver­gebung, Briefe, in denen die Geburt eines Kindes angezeigt wurde und von schwerer Erkrankung der Mutter die Rede war, van Uursn hatte sie nie gelesen, ja, beim Anblick des ersten war er in so maßlosen Zorn geraten, daß man ihm die folgenden nicht mehr einzuhändigen wagte, sondern sogleich vernichtete. Marie schien zu Hause vergessen, wer aber ihre alten Eltern beobachtete, konnte sehen, daß ein Geheimer Gram an ihrer Lebenkraft zehrte. Das war nicht mehr der frühere rüstige Handelsherr, das war nicht mehr die frische Matrone, die so hell und heiter sonst aus ihren Augen geschaut; beide waren auf merkwürdige Weise verändert, und die tiefe Verstimmung ihres Gemüts, die> heim­liche Sehnsucht nach der Tochter erklärten sie sich in seltsamer Selbsttäuschung durch allerlei körperliche Leiden und Gebrechen, von denen sie sonst nie etwas gewußt. Ein Arzt wurde