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Anzeiger und Unterhaltungs-Blatt für Wildbad und Umgebung.

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Die Schreckenstafle von Catania.

Schwere, schreckliche Tage sind über Sicilien und Catania hereingebrochen. Die furchtbare, totbringende Krankheit, die seit vier Jahren alljährlich wiederkehrt und die blühende Insel entvölkert, hat sich wieder eingefunden und verbreitet namenlose, allgemeine Angst über ganz Sicilien und Italien. Allnächtlich durch­wandern wieder die Leichenträger, die Cechini, die Straßen der Stadt und holen sich aus den verödeten, verlassenen Häusern ihre un­heimliche Last, die Opfer der Cholera.

Während des Tages so schreibt Camilla Mülleck imWiener Tagblatt" scheint Catania wie ausgestorben; glühend heiß liegt es über der unglücklichen Stadt, kein Hauch, kein Lüftchen weht vom Meere her und bringt die ersehnte Kühlung. Vereinsamt ist der Hafen, nur wenige kleine Barken, von ihren Matrosen verlassen, zerren an den langen Uferketten, als ob sie sich losreißen wollten von dem verseuchten Gestade. Die anderen, größeren Schiffe sind hinausgesegelt, viele Meilen vom Lande weg, um dem Todeskeime zu entfliehen, der von Catania ausgeht.

Unbeweglich, wie fest gewurzelt, liegen die Schiffe dort draußen auf der Rhede und jedes Leben scheint auf denselben erstorben zu sein, wie in der Stadt. Nur dann und wann, wen» ein neugieriger Catanese es wagt, ffich den Fahrzeugen zu nähern, taucht ein sonn­verbranntes, bartumrahmtes Antlitz über die Schiffsbrüstung empor. Heiseren Tones schallt dem verwegenen Fischer ein drohendeskm- ma!" entgegen und der in den Sonnenstrahlen blitzende Lauf einer Büchse senkt sich langsam gegen das Boot nieder und giebt dem War­nungsrufe des Matrosen größeren Nachdruck. Nur einige wenige Fischernachen durchkreuzen die spiegelglatte, von keinem Windhauche bewegte Meeresfläche; der Hunger hat die Fischer Hinausgetrieben auf die hohe See und die gräßliche Angst vor dem bevorstehenden, unvermeidlichen Tode, den die Cholera ringsum verbreitet. Aber um der Seuche zu entfliehen, giebt es kein Mittel, keinen Weg; denn überall, wo sich ein Catanese nur zeigt, empfangen ihn Schreckensrufe unv Drohworte, und die Furcht vor dem sicheren Tode, der ihm durch die Kugel droht, zwingt ihn, zurückzukehren zu bem gemiedenen Seuchenherde, nach Catania.

Die Stadt selbst bietet den Anblick eines verlassenen, von den Menschen gemiedenen Ortes. Die Läden der Geschäfte sind gesperrt, bie Fenster sind dicht verhängt, .die Thüren der Häuser verschlossen. Vergebens ertönt der Klopfer an denselben, dem Besucher wird nicht aufgethan, denn er könnte ja die schreck­liche Krankheit in sich tragen und den An­steckungskeim von Haus zu Haus verpflanzen. Die schmutzigen, engen Gassen sind noch

Mittwoch, den 10. August

schmutziger als gewöhnlich und menschenleer geworden; selbst die Kinder, die früher unter Geheul und Geschrei sich auf dem Straßen­pflaster herumwälzten, sind verschwunden, auch sie hat die Furcht vor der Cholera in die Häuser gebannt; sie hocken trübselig in den dumpfen, niederen Stuben und wagen es kaum, den Fenstern sich zu nähern und einen Blick auf die Straße zu werfen Jeder Verkehr, jeder Handel ist abgebrochen; Catania scheint tot, ausgestorben zu sein und nichts verrät, daß Tausende, geängstigte, schreckerfüllte Men­schen noch immer die Stadt bewohnen und mit immer mehr schwindender Hoffnung auf die Erlösungsstunde harren, wo die schreckliche Krankheit den schwer heimgesuchten Ort ver­lassen wird.

Nur in die Kirchen drängt sich noch das glaubensstarke Weibervolk der Hafenquartiere. Unermüdlich knieen die zerlumpten, elenden Gestalten vor den staubedeckten Heiligenbildern. Die knochigen, schmutzigen Finger umfassen krampfhaft dicke, gelbe Wachskerzen, den Hei­ligen geweiht, deren trübe Flammen im Luft­hauche hin- und herflackern, und die farblosen, verwelkten Lippen der geängstigten Beterinnen stammeln unablässig ihr inbrünstiges^.iuto, aiuto, Santa Naria!" Aber selbst die Gott geweihten Stätten werden von der Seuche nicht verschont, gar oft schon trieb das Stöhnen und Aechzen einer plötzlich erkrankten Beterin die Gläubigen wehklagend aus dem Gottes­haus, Andächtige und Priester flohen erschreckt von den Altären der Heiligen, die vor der Ansteckung und dem Tode nicht bewahren konnten und einsam und verlassen lag dann durch Wochen hindurch die Kirche da, in der der Todesengel seinen Einzug gehalten hatte.

Abends, wenn die Sonne hinter den Hügel­ketten verschwunden ist, die langsam empor­steigend zum Aetna hinaufführen, wenn vom Meer her der schwache Abendwind der fast verschmachtenden Stadt etwas Kühle bringt, dann beginnen die Leichenträger ihres schreck­lichen Amtes zu walten. In Gruppen zu vier und vier durchstreifen sie mit ihren un­heimlichen Truhen die Gassen der Stadt und nur dort, wo die offene Hausthüre, die ge­öffneten Fenster ihnen anzeigen, daß der Tod hier sein Opfer gefunden, halten sie still und dringen geräuschvoll in das von den Bewoh­nern meist verlassene Haus. Ohne Furcht schleppen sie die oft noch warme Leiche hinaus auf die Straße und werfen sie in die geöffnete Truhe zu den anderen, nachdem sie vorher noch die Taschen des Leichnams gründlich durchsucht und unbekümmert um die Ansteck­ungsgefahr alles, was nur des Nehmens wert schien, zu sich gesteckt. Teilnahmslos sehen die Umwohnenden von ihren Fenstern aus dem wüsten Treiben der diebischen Gesellen zu; Niemand wagt es, den Leichenräubern zu

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wehren, denn mehr noch als das lange, scharfe Messer in ihrem Gürtel, schützt sie die unsäg­liche Angst vor der Cholera gegen jeden Wider­stand. So machen diese verworfenen, berauschten Männer allnächtlich durch zwei Stunden in den Straßen Catanias ihre Runde, bis die große Truhe ganz gefüllt ist. Dann ziehen sie hinaus mit ihrer unheimlichen Bürde auf den Cimeterio, den Friedhof, und ohne Sang und Klang, ohne Priestergebet und Glocken­geläute werden die armen Opfer an einem abgelegenen Winkel, den Jeder flieht. Jeder meidet, in die Erde verscharrt.

Draußen vor der Stadt flackern die Wacht­feuer, tönen durch die stille Nacht laute Kom­mandorufe und wirbeln lärmend die Trommeln, denn vor der furchtbaren Seuche sind die Truppen der Garnison von Catania feige ge­flohen und haben weit außerhalb des Weich­bildes unter freiem Himmel ihr Lager aufge­schlagen. Am Monte Bocchio halten zwanzig Schritte von einander entfernt Posten Wache, das Gewehr geschultert, die Bajonnette auf­gepflanzt, als gälte es einen heranschleichenden Feind abzuwehren. - Wehe dem armen Sol­daten, den die Sehnsucht nach seinem Liebchen, das drinnen in der Stadt weilt, getrieben hat, das Lager heimlich zu verlassen, und der es nun versuchen würde, zurückzukehren. Un­nachsichtig wird er von den Wachposten zurück­gewiesen und am nächsten Tage entscheidet das Kriegsgericht über den Deserteur. Unv trotz­dem blieb auch das Barackenlager vor der Stadt von der Cholera nicht verschont. Auch dort wütet die Seuche in fürchterlicher Weise, tagtäglich werden auch dort Dutzende von Leichen still und ohne Aufsehen zu Grabe getragen und im provisorischen Spital, das im Lager errichtet werden mußte, liegen un­gezählte totkranke Krieger.

Schreckliche Tage sind schon über Catania hinweggegangen, aber noch schrecklichere, noch furchtbarere stehen der unglücklichen Stadt bevor. Schon beginnt sich in den Quartieren des Hafens der zügellose Pöbel zu regen; schon scheint die Wut der Verzweiflung sich der Armen und Aermsten zu bemächtigen. Den unabwendbaren Tod in jeder Gestalt vor Augen, keine Hilfe, keine Rettung in naher Aussicht, schwindet allmählig die Furcht vor den Gesetzen und langsam aber stetig bricht sich das Gefühl in den unteren Schichten der Bevölkerung Bahn, daß, wenn das schreckliche Ende schon unabwendbar erscheint, man den Tod im Ueberfluß und Genuß erwarten solle.

Drunten in Santa Lucia ist die Not aufs Höchste gestiegen. Allnächtlich rotten sich die Hafenarbeiter zusammen und verlangen nach Fleisch und Brot. Mit gezückten Messern dringen sie in die Bäckerläden und in die Fleischbuden ein und raffen dort alles zusam- !men, was ihnen in die Hände fällt. Müßig