Wandlungen.

!.LL(^OLÄ^

11 .

1d^

M-!

RSMMW

MW

Esl

AM'

SM2

Novelle

von

Adolph Katsch.

(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)

Zu welch' grausamer Härte für manchen Unschuldigen könnte die Verfolgung meines Rechtes bei etwaigen Erbansprüchen nicht führen?" erwiederte ich.Ich ängstige mich bei diesem Gedanken, Eure Excellenz, und ich verzichte daher lieber auf jegliche nähere Kenntniß meiner Herkunft."

Hm! Wie Sie wollen! Tausend Andere würden darüber nicht so denken!" sagte der General kurz, legte die beiden Ringe und Me­daillons schweigend in die kleine Schachtel und steckte dieselbe in die Brusttasche seines Rockes. Dann zu mir sich wendend sprach er mit großem Ernste:Ich habe von Ihnen eine Geschichte gehört, die wie die Erfindung eines Romanes klingt und dennoch Wahrheit ist. Bitte, fahren Sie fort, mir zu erzählen, was weiter mit Ihnen geschah."

Dann muß ich Ihnen zuerst die Leute schildern, Eure Excellenz, unter denen ich aufwuchs.

Da war zuerst der alte Bauer, Michel Schneeweiß, dessen Frau schon seit Jahren todt war. Das Besitzthum desselben war nicht be­deutend, hatte aber die fleißigen Leute bisher reichlich ernährt. Jetzt aber war die Noth groß. Das Haus war eine Ruine, die Scheuer war mit dem Segen der Ernte eingeäschert, die Stallung verbrannt, das Vieh geraubt, das Hausgeräth zerschlagen und verwüstet; aber glücklicherweise waren ein paar Hundert Thaler baaren Geldes gerettet, die man im Walde vergraben gehabt hatte.

Mit diesen geringen Mitteln mußte man jetzt wieder von vorn anfangen, und es ging im Hause gewaltig knapp her. Der Knecht und die Magd, welche sich ein paar Tage später wieder einfanden, wurden entlasten; man hätte sie nicht ernähren können. Der Vater aber und die beiden Söhne gingen wacker an die Arbeit, und die beiden Töchter schassten unverdrossen mit, im Hause und auf dem Felde.

Die älteste Tochter Lisbeth war es, welche sich nieiner mütterlich angenommen hatte. Sie war eine verheiratete Frau und durch die Kriegsverhältniste veranlaßt worden, an den väterlichen Herd zurück­zukehren. Sie hatte einige Jahre vorher einen jungen Mann kennen gelernt, einen Preußen, der aus Potsdam gebürtig war und in einer bedeutenden Druckerei zu Leipzig als Setzer arbeitete. Nachdem Beide sich verheiratet hatten, war sie ihm in seine Vaterstadt gefolgt, wo­selbst seine Eltern ein kleines Häuschen besaßen. Dort zogen auch die jungen Eheleute ein, und der junge Mann arbeitete weiter in seinem Geschäfte. So verstrich nahezu ein Jahr; da erschien der Aufruf Friedrich Wilhelm's HI.: ,An mein Volk!' Den jungen Mann hielt es nicht länger mehr hinter seinen Setzkästen, die allgemeine Begei­sterung hatte auch sein Herz entflammt, und obwohl er in wenigen Monaten die Aussicht hatte, ein glücklicher Vater zu werden, riß er sich dennoch los von den klagenden Eltern, dem innig geliebten Weibe, »nd stellte sich freiwillig.

Als Lisbeth sah, daß weder ihre Bitten, noch ihre Thränen ihn bon dem gefaßten Entschlüsse zurückhalten konnten, da flehte sie ihn an: -Laß mich zurückkehren in mein Vaterhaus, ich würde hier unter den sremden Leuten vor Gram vergehen! Wenn Du zurückkommst aus dem Kriege, dann hole mich dort, oder schreibe mir. daß ich komme. Bitte, bitte, laß mich ziehen, ich habe Sehnsucht nach den Meinen in dieser schrecklichen Zeit. Dort will ich Gott bitten bei Tag und bei Nacht, daß er Dich in seinen gnädigen Schutz nehme und bald gesund wieder heimkehren laste zu Deinem armen Weibe und Kinde!'

Lisbeth kehrte heim zu den Ihren, um dort sowohl des Weibes höchstes Glück kennen zu lernen, als auch des Lebens höchste Bitter­keit zu erdulden. Sie wurde Mutter eines schönen, lieblichen Knaben, um denselben zwei Monate später unter den schwersten Schrecknisten des Kriegselendes wieder zu verlieren. Noch waren ihre ersten Schmerzens- chränen nicht versiegt, da fand sie mich und legte mich an ihre Brust, um nimmer wieder von mir zu lasten. Möge Gott ihr vergelten, was

sie an mir gethan. Ich habe es leider nicht gekonnt, wie ich es als mein höchstes Glück gewünscht hätte!

Von ihrem Manne kamen aus Frankreich nur spärliche Nach­richten. Sie lauteten tröstlich über sein Befinden, aber seine Wieder­kehr verschob sich von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Da floß manche stille Thräne der Wehmuth und des Kummers, und unter diesen Thränen bin ich stark und kräftig herangewachsen bis in mein drittes Jahr.

Dann trat eines Tages gegen das Ende des Jahres 1815 ganz unverhofft ein prächtiger, hochgewachsener, blühender Kriegsmann in unsere Thüre, dem Lisbeth jauchzend und weinend an die Brust flog, und wenige Tage später trug mein Pflegevater mich auf seinen kräf­tigen Armen hinaus vor die Thüre und hob mich in einen Planwagen, in welchem Lisbeth saß, wir fuhren davon und den alten Groß­vater, seine beiden Söhne und die liebe Tante Minna sah ich niemals wieder.

Ich weiß nicht, um wie viele Tage später wir dann in Potsdam ankamen und dort wieder die frühere Wohnung meiner Pflege-Eltern bezogen; jedoch erinnere ich mich dunkel noch der beiden Eltern des Pflegevaters, welche ein Jahr oder anderthalb nach unserem Einzuge starben. Das ist die früheste Erinnerung, welche ich an irgend eine Persönlichkeit mir bewahrt habe.

Aber die Großeltern waren es nicht allein, welche erkrankten und starben. Auch mein Pflegevater, der doch so stark und kräftig aus dem Kriege zurückgekommen war, fing bald zu kränkeln an, wurde immer schwächer und schwächer, so daß er endlich das Bett nicht mehr ver­lassen konnte. Er starb, als ich gerade sechs Jahre alt geworden war.

Auch er hatte mich zärtlich geliebt und sich viel mit mir beschäf­tigt bis zu den letzten Tagen seines Lebens hin; und als er gestorben, war ich soweit schon im Lesen, Schreiben und Rechnen vorgeschritten, daß ich nicht mehr eine Vorbereitungsschule zu besuchen brauchte, son­dern sogleich in die Sexta des Gymnasiums ausgenommen werden konnte.

Der gute alte Rektor Büttner wies mich zuerst ab, weil ich noch viel zu jung sei. Als aber die Mutter in ihrer Trauerkleidung gar nicht abließ, ihn zu bitten, mich doch nur ein ganz klein wenig exami- niren zu wollen, entschloß er sich endlich doch dazu. Und je mehr er fragte, und je mehr ich antwortete, um so häufiger klopfte er mir bei­fällig mit der Hand auf Kopf und Schultern und sagte: ,Bravo, mein Söhnchen, bravo mein Söhnchen!'

Dann aber klingelte er dem alten Pedell Neutöber und beauftragte ihn, den Herrn Konrektor Bauer und den Herrn Subrektor Schmidt herbeizurufen, und als die beiden Herren erschienen waren, begann die Prüfung von Neuem. Darauf traten die drei Herren zusammen zu leiser Berathung, und das Resultat ihrer Besprechung war, daß ich angenommen wurde und als wohlbestallter Sextaner an der Hand meiner vor Freude weinenden Pflegemutter wieder nach Hause schritt.

Was soll ich aber nun weiter noch von meinem Schul- und Uni­versitätsleben sagen? Durch die Krankheiten und Todesfälle war das kleine Häuslein so tief verschuldet worden, daß die Mutter dasselbe ver­kaufen mußte. Sie saß Tag und , Nacht emsig bei der Näharbeit, ich aber studirte fleißig. Als ich bis nach Quarta gekommen war, begann ich schon damit, einigen meiner Mitschüler, namentlich solchen aus den unteren Klaffen, Nachhilfe zu ertheilen. Damals bekam ich freilich nur einen Silbergroschen für die Stunde, später zwei und einen halben, und als Primaner sogar fünf. Das war allerdings nicht viel, aber ich that es gern und freute mich über den Verdienst, den wir gar nöthig brauchten. Als Urimus omntam verließ ich die Schule, mit einein ausgezeichneten Zeugnisse versehen, um in Berlin Medicin zu studiren.

Der Direktor und die Lehrer, welche mir sämmtlich Wohl wollten, hatten unter den angesehensten Leuten der Stadt für mich gewirkt, so daß mir für jedes Studienjahr eine Unterstützung von einhundert Thalern zugesichert werden konnte. Ich war erst wenig über sechzehn Jahre alt, und einhundert Thaler erschienen mir noch als ein großes Vermögen. Obschon ich aber fast sämmtliche Collegia frei oder ge-