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stundet bekam, habe ich doch unsägliche Mühe und Noth gehabt, mich durchzuschlagen und durch Ertheilung von Unterricht, durch Uebersetzung wissenschaftlicher Abhandlungen u. s. w. mir die Mittel zum Unterhalte zu verschaffen.
Daß ich nach vollendeten! Studium alsbald mein Doktorexamen machen konnte, verdankte ich ganz allein der nimmer endenden, aufopferungsvollen Liebe und Zärtlichkeit meiner Pflegemutter; denn während meiner Studienzeit war ihr Vater gestorben und ihr dadurch ein kleines Kapital zugefallen, welches sie unter allin Entbehrungen so fest hielt, daß auch nicht ein Groschen davon zu einem anderen Zwecke verwendet wurde.
Ein junger livländischer Baron, dessen Bekanntschaft ich gemacht hatte, nahm mich sofort als Arzt auf seine Güter mit. Zwei Jahre später wurde er auf der Jagd durch Fahrlässigkeit erschossen. Ich kehrte nun in die Heimath, froher Hoffnungen voll, zurück. Ich hatte mir eine kleine Summe Geldes erspart und hoffte, mich mit Hilfe derselben an irgend einer Universität habilitiren zu können. Es sollte anders kommen! Der Reisekoffer, in den ich meine Bücher und Instrumente, mein Geld und meine übrige Habe verpackt hatte, wurde mir unterwegs gestohlen. Ich rettete nur, was ich in einer Hutschachtel und einem winzigen Tornister aufbewahrt hatte.
Entblößt von Allem traf ich bei meiner Pflegemutter ein, zeitig genug, um von der auf dem Sterbebett Liegenden den Segen zu empfangen, die Ringe und Medaillons an mich zu nehmen und ihr die Augen zudrücken zu können.
Ihre Hinterlassenschaft reichte eben aus. um die Kosten für die Beerdigung zu decken."
Nachdem ich dem General schließlich noch von der hilflosen Lage, in welche ich nun gerieth, von dem Edelmuth meines Freundes v. d. Nahe und von meiner dermaligen Lage erzählt hatte, sagte er zu mir:
„Sie haben mir da eine eigentümliche Geschichte zum Besten gegeben, mein lieber Herr Doktor. Danke Ihnen bestens für das Vertrauen, das Sie mir damit erwiesen.
Aber nicht verzagen, junger Mann! Kopf hoch, Brust 'raus! Auf Regen folgt Sonnenschein, und die Welt ist rund und muß sich drehen.
Passen Sie auf, Sie kommen auch noch oben auf!"
Die Thüre öffnete sich, die junge Comtesse kehrte zurück von ihrem Spaziergange, einen tüchtigen Strauß der ersten Feld- und Wiesenblumen in der Hand haltend.
„Na, Rexa, wieder da?" rief er der Tochter freundlich entgegen. „Und sehen Sie einmal da, Doktor, eine ganze Karre voll Gänseblümchen und sonstigem grünen Gemüse bringt sie herangeschleppt I War's hübsch draußen, Kind?"
„Prächtig, Väterchen!" sagte das junge Mädchen, indem sie zu dem General trat und ihn zärtlich küßte. „Mach' nur, daß Du auch bald hinaus kommen kannst in den herrlichen Sonnenschein!"
„Hast Recht, Kind," sagte der alte Herr, „halt's nicht länger mehr aus. Wollen 'mal gleich eine Attake auf den Doktor machen und Du kannst mir zum Sukkurs Heranrücken. Reich' mir gefälligst die Krücken her, Rexa; will 'mal dem Doktor einen Parademarsch vorführen!"
Nachdem er mühsam einige Male das Zimmer durchhumpelt hatte, blieb er vor mir stehen und sagte:
„Na, sehen Sie, Doktor, das geht! Und nun gehe ich auch in's Freie — morgen schon, nicht wahr?"
„Nein, Eure Excellenz, nicht daran zu denken!" entgegnete ich trocken. „Acht Tage lang muß ich Sie mindestens noch unter den Augen behalten, bis Sie gründlich ausexercirt sind. Das ist immer noch nur eine Rekrutenleistung."
„Sapperlot, Doktor!" rief er. „Ich muß aber fort! Da sehen
Z. de Swert. (S. 4t)
Sie nur einmal die Haufen von Kondolenz-, Freundschafts- und Dienstpapieren, die da rings umher aufgestapelt liegen! Meinen Sie denn, daß ich die sammt all' dem Plunder, der noch hinzukommen wird, hier schriftlich beantworten soll? Soll ich vom Schreiben auch noch so lahm werden an den Händen, wie ich's an den Beinen bin? Nein, mündlich muß das abgemacht werden, und darum fort, fort, fort von hier! Nicht wahr, Rexa?"
„Ei nun, Väterchen," entgegnete die junge Dame, „es ist zwar ganz hübsch hier, aber in Berlin könnte es mir auch einmal zur Abwechslung wieder recht gut gefallen, und der Herr Doktor wird sicherlich nicht solch' ein arger Unmensch sein, mich die Reise allein machen lassen zu wollen, um Dich hier reglementsmäßig ausexercircn zu können."
Ich verneigte mich und sprach: „Gnädigste Comtesse, ich habe Seiner Excellenz schon früher gesagt, ich lasse mir nichts abhandeln; wenn aber auch Sie sich auf das Markten verlegen, so will ich versuchen, wie weit ich nachgeben kann. Eure Excellenz sind ein geduldiger, ruhiger und gehorsamer Patient gewesen, das muß ich rühmend anerkennen, und die Fortschritte, welche Sie gemacht haben, haben mich
überrascht. Von einer Abreise morgen oder übermorgen kann in keinem Falle die Rede sein. Zeigen sich aber während dieser Zeit derartige Fortschritte, wie ich sie wünsche, so mögen Excellenz am Tage darauf die Reise antreten. Ist das aber nicht der Fall, so würde ich es Vor Ihnen und vor mir selbst nicht verantworten können, meine Einwilligung dazu zu geben. Jedenfalls bitte ich indeß darum, daß Eure Excellenz mir gestatten, in Ihrem Reisewagen diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die ich für die Schonung des kranken Fußes als noth- Wendig erachte; und daß Sie weiterhin mir versprechen, pünktlich den Anordnungen Folge zu geben, welche ich während der Dauer der Reise für unumgänglich nothwendig halte. Nachher mag Ihr Hausarzt das Weitere anordnen."
„Punktum, Doktor, soll ein Wort sein!" rief der General vergnügt. „Morgen und übermorgen will ich Fortschritte machen, daß Ihnen vor Verwunderung die Haare zu Berge stehen sollen! Lassen Sie den Wagen Herrichten, wie es Ihnen gut dünkt, und Ihre letzten Weisungen sollen mit militärischer Pünktlichkeit befolgt werden!"
Am dritten Morgen halfen wir denn auch dem General, herzlichsten Worten von mir
den
der seelenvergnügt war und mit Abschied nahm, in seinen Wagen.
„Sobald Sie nach Berlin kommen, erwarte ich Sie bei mir, Doktor!" rief er mir noch zu, als die Rosse anzogen; und seine Tochter, die mir freundlich Lebewohl gesagt hatte, grüßte noch einmal zum Schlage hinaus und ließ ihr Taschentuch wehen.
Lange stand ich und sah wehmüthig dem schnell sich entfernenden Wagen nach. Es war mir, als ob er einen Theil meines Selbst entführe. Der vertrauliche Umgang mit dem alten Herrn hatte mich tiese Einblicke in Verhältnisse thun lassen, die bis dahin mir fern gelegen hatten, und meinen Gesichtskreis für Welt und Leben erstaunlich erweitert; während das Zusammensein mit seiner Tochter, in seiner wahrhaft geschwisterlichen Einfachheit, mein Herz und meine Gefühle wohlthuend angeregt und auf neue, höhere Bahnen hingeleitet hatte. Ich fühlte eine unendliche Leere in mir, wie ich dem Wagen nachschaute.
Als ich endlich mein Zimmer wieder betrat, fand ich auf dem Tische ein versiegeltes Schreiben, dessen Adresse die krästigen, charakteristischen Schristzüge des Generals trug. In wahrhaft rührenden Worten bedankte er sich bei mir für die Sorge, die ich um ihn getragen, und