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durman mit Lupton Bey und Slatin Bei). Letzterer hat ein Mädchen aus Darfur geheirathet. Emin Bey, der Oesterreicher Dr. Schnitzler, war südwärts gezogen, aber man hatte seit längerer Zeit nichts mehr, von ihm gehört. Der Mahdi hat 150 Witt- wen hinterlassen, von denen 86 schwanger sind. Hunderte von Kindern des Mahdi sind noch am Leben.
Sofia, 21. Nov. Nach Mitteilungen des Fürsten an die Regierung über die Kämpfe bei Slivnitza wurden die Serben auf der ganzen Linie verfolgt und gezwungen, sich auf die Anhöhe links vom Dragomanpaß zurückzuziehen. Die nach dem Passe führende Chaussee ist in den Händen der Bulgaren. Bei dem Gefechte in der Umgegend von Golombootzi wurde die serbische Truppenabteilung, welche den linken Flügel der bulgarischen Position bei Slivnitza angreifen wollte, vollständig geschlagen. Unter den verwundeten Bulgaren befindet sich Marinoff, Flügel-Adjutant des Fürsten. Nach Berichten aus Slivnitza kämpften die Bulgaren (15000 Mann) am 19. ds. mit außerordentlichem Mut gegen eine doppelt so große Streitmacht. Die Serben dürften genötigt sein, ihren rechten Flügel zu verstärken. Der Sanitätsdienst ist mangelhaft.
Sofia, 24. Nov Aus Slivnitza wird unterm 22. Novbr. gemeldet: Die Serben hatten die Höhen und das Defilee vnn Dragoman in der Frühe noch besetzt, an verschiedenen Punkten Schanzen aufgeworfen und dieselben mit Artillerie besetzt. Nach längerem Kampfe vertrieben die Bulgaren mit Bajonettenangriff die Serben aus ihren Stellungen und biwakirten auf den eroberten Positionen. Die Dragoman-Anhöhe ist von den Serben verlassen.
Belgrad, 24. Nov. Die Serben zogen sich von Slivmtza gegen Zaribrod zurück, deshalb ging auch die Moravadivision zurück; nach dem Eintreffen der schnell vorrückenden Timokarmee soll die Offensive wieder ausgenommen werden.
ZZelgad, 25. Nov. Es giebt bereits über 3000 Verwundete, 1500 gefangene Bulgaren sind hier eingetroffen. Mangel an Aerzten macht sich bemerkbar. (Nach einer Wiener Depesche der „Fr. Ztg." bat die Königin von Serbien telegraphisch den Kaiser von Oesterreich, er möge gestatten, daß Aerzte von den österreischischen und ungarischen Gesellschaften des Roten Kreuzes nach Serbien geschickt werden. Der Kaiser sandte eine zustimmende Antwort und Professor Mosetig reist heute mit fünf Assistenten nach Belgrad und Sofia ab. Die Timokarmee bewegt sich südwärts zur Vereinigung mit der Hauptarmee. Dieselbe verdrängte die Bulgaren bei Belgradschik und entsandte ein Streifkorps in das Lom-Gebiet.
Konfiantinopek, 20. Nov. Ueber die türkischen Konferenzvorschläge verlauten folgende Angaben: Außer der Entsendung eines türkischen Kommissars, der einstweilen die Verwaltung in Ostrumelien zu besorgen, dort die Ordnung wieder Herstellen und die öffentliche Ruhe aufrecht erhalten soll, schlägt die Türkei im Einklang mit dem Berliner Vertrage die Besetzung der Balkanpässe zur Verbürgung des bulgarischen Tributs vor. Man spricht sogar davon, von den Bulgaren eine kleine Kriegsentschädigung zu fordern. Endlich soll die Türkei die Trennung der mohame- danischen Dörfer im Rhodopogebirge und der Pomakendörser von der autonomen Provinz vorschlagen. Die Verwaltung der konsolidierten Schuld hat die Pforte gebeten, die Frage der Pflicht Bulgariens, zur türkischen Schuld beizusteuern, vor die Konferenz zu bringen.
Konfiantinopek, 21. Nov. Die Botschafter traten gestern zusammen, um den Wortlaut der Mitteilung, welche die Konferenz an den Fürsten von Bulgarien richten soll, zu beraten, und die Protokolle zu unterzeichnen. Die Pforte beschloß, Diem- det und Filibe als Kommissäre an Stelle des promsorischen Gouverneurs nach Rumelien zu senden.
Petersburg, 21. Nov. Die Newa begann sich mit Eis zu bedecken. Die Kronstädter Rhede füllt sich mit Treibeis. Wir haben fünf Grad Kälte.
Lima, 21. Nov. Die Regierungstruppen siegten bei Jauja über Caceres; sie machten 500 Gefangene. Sie selber hatten unbedeutende Verluste.
Tnierhslikndts.-Ms
Dev Schein trügt.
Novelle von Alfred Friedman«.
(Fortsetzung.)
Den . . . Juni (Es war der Sterbetag des Alten.) „Welch ein Entsetzliches ist doch das Alter! kaum bin ich noch der Schatten dessen, der ich war. Die Federn meiner Glieder,
durch die Thorheiten der Jugend und der Länge des Daseins abgenützt, versagen mir den Dienst. Täglich vermehrt sich die Zahl meiner Leiden, vermindert sich die meiner Kräfte und sie lassen mich Tag und Nacht in fürchterlichen Leiden verbringen, von denen sich nichts auf der unzerstörbaren Maske meines Gesichtes wiederspiegelt. Meine Füße, meine Beine, einstmals der Neid meiner Genossen, das Ergötzen meiner Tänzerinnen, sind unbeweglich auf ihrem Schemel. Ich bin schwach und habe doch nicht das Gefühl, als sollte es endlich mit mir zum Sterben kommen. Ich habe nicht nur die Kraft verloren, Vergnügen zu empfinden, ich habe den Geschmack an der Freude, den Begriff des Wohlbehagens eingebüßt. Ich bin in den Augen der Welt ein sich in seine Bestandtheile auflösendes Geschöpf, und weit davon entfernt, mich über die Einsamkeit zu beklagen, in der man mich läßt, möchte ich, daß es mir möglich wäre, mir selbst zu entfliehen.
Das ist ein Teil meiner Leiden, gegründet auf den zerfallenden Körper. Sollte ich aber nicht eine Seele haben, da mich Seelenleiden quälen? Mich beherrscht eine furchtbare Angst vor dem Tod. Ich lebe in beständiger Todesangst. Ich fittre gegen meine bessere Ueberzeugung vor einem Etwas, das mich bedroht, und das zu leugnen, zu verneinen ich alle meine Kräfte anstrenge. Ich empfinde eine unklare Verzweiflung, welche mich mehr als einmal daran denken ließ, willentlich meine so elenden Jahre früher, als bestimmt zu enden. Aber, wenn meine Hand zur Vollstreckung dieses drängenden Wunsches bereit ist, so weiche ich furchtsam zurück. Mein Herz wird zu Eis vor Entsetzen. Ich erschrecke vor einem unbekannten Etwas, vor einer Zukunft, die ich Hunderte von Malen lächerlich gefunden oder gemacht, die ich als Kinderschreck betrachtet! Was denn nur erzeugt meine Verwirrung? Ist es die Ungewißheit? Was nur soll ich von jener schrecklichen Zukunft denken? Gibt es Glück, gibt es Seligkeiten, auf die ich kein Anrecht habe? Oder was furchtbarer wäre, hätte ich irgend ein Unglück, dessen Vorahnung mich schon außer mich bringt, erst noch zu erwarten?
Elender, der ich bin. Ich verliere mich in ein Wirrsal von Gedanken, und Gefühlen. Und Du, der Du dereinst dies lesen wirst, bist vielleicht dem Tode ebenso nahe und scheinst ihm ohne Furcht in's Auge zu sehen! Warum bist Du so ruhig? Weil Du immer nach den Vorschriften der Ehre, der Rechtlichkeit gehandelt? Weil Du nie Dein Wort gebrochen, nie Deines Nebenmenschen Wohl in Wehe — oder Schlimmeres verwandelt, weil — nun ja, weil Du nach dem Gesetz Deiner uneigensten Natur und Persönlichkeit gehandelt!
Die Fackel der Vernunft ist angezündet, um uns zu leuchten; meine Vernunft und mein Verständnis der Dinge war ein Irrlicht und hat mich getäuscht. Trauriges Geständniß, das die Wahrheit mir entreißt. Ich habe gefehlt, und meine Vernunft war ohne Zweifel hilflos, als es galt, die Bahnen meines Daseins zu umzirken, wie sie nun zu schwach ist, mich gegen die Schrecken des Todes zu schützen.
Soll ich sagen: was ich that war wieder die Vernunft? Aber es war doch meine Vernunft, die mich handeln ließ. Es blieb alles »»entdeckt, nur meine Gewissensbisse machen mich seit Jahren elend. Es bleibt mir nur noch ein kurzer Lebensrest und den vergällen mir die nagenden Skorpionen. Ich war wohl- thätig, ich habe gesühnt — „nein, kann ich an tausend Fremden gut machen, was ich . . .
O mein Gott! Ist es noch Zeit, die Augen zu Dir aufzuschlagen? Hörst Du? Siehst Du? Bist Du?
Es ist ein Unding, nach einem System leben zu wollen, nach welchem man nicht sterben möchte."
Das waren des guten Herford letzte Worte gewesen.
Lag hier ein Verbrechen vor?
Stimmte Herford's Aeußeres zu seinem Innern?
Es ließ Wiegand keine Ruhe.
Er nahm das Tagebuch von Anfang vor und las:
Herford's Tagebuch.
Spät im Alter unternehme ich es meine Vergangenheit wachzurufen. Ja, sie hat einen Augenblick, den ich Jahre nannte, geschlafen, nun aber giebt > s kein Mittel, sie wieder zu narcotisiren.
Ich habe mich vor geraumer Zeit in dies Häuschen zurückgezogen, weil es mir gefiel, obwohl ich Paläste haöen kann. Hier gedenke ich weniger Aufmerksamkeit zu erregen. All' meine Rcich- thümer, meine Schätze, wenn diese Blätter vollgeschrieben sind, all' meine Erinnerungen, ruhen innerhalb dieser vier Wände. — Ich habe lange nachgesonnen über Gut und Böse. Ich war ein entsetzlicher Verbrecher und doch nie, was man einen bösen Menschen nennt. Ziehet eine Uhr auf und schreit: Sie ist böse!" — so lange sie lauft! — ist dar- nicht ein Unding?