zählt: Auf einer der Reisen, die er, um sich zu unterrichten, incognito mit dem General Jungbluth unternahm, war er eines Tages in Potsdam, und als er sich zum Bahnhof begab, bemerkte er, daß der Wartesaal mit Pflanzen und Fahnen wundervoll dekoriert war. Zu seinem Begleiter meinte der Prinz, man erwartet zweiffellos irgend eine hochgestellte Persönlichkeit; die beiden betraten den Bahnsteig und rnischten sich unter die Menge. Als die Zeit zur Abfahrt herankommt, nehmen sie Platz in einem Abteil, aber der Zug wartet immer noch. Schließlich steigt der Prinz wieder aus und fragt nach dem Grund der Verspätung. „Wir erwarten noch eine hohe Persönlichkeit", lautet der Bescheid. „Wen denn?" „Seine königliche Hoheit, den Prinzen Albert von Belgien", sagt der Stationsvorsteher. „Nun", meint der Prinz, „da er augenscheinlich nick^ kommt, so können wir doch abfahren." „Unmöglich, mein Herr, ich habe meine Befehle!" „Ja, das ist etwas anderes. Also — ich bin der Prinz Albert." „Wie!" ruft der Stationsvorsteher und sieht die beiden einfach gekleideten Reisenden sehr von oben herab an. „Sie wollen sich einen Spaß mit mir erlauben!" Erst nach langem Hin- und Herreden ließ sich der Beamte überzeugen, daß er wirklich den erwarteten Prinzen vor sich hatte.
Aachen, 17. Dez. Das ehemalige Besitztum der Prinzessin Luise von Belgien (der Tochter des Königs Leopold von Belgien), die Villa Schneemann, ist dieser Tage unter den Hammer gekommen. Die mit fürstlichem Luxus ausgestattete Villa, die den Erbauer fast eine Million gekostet hat, ging für 274000 Mark im Wege der Zwangsversteigerung in den Besitz der Berliner Versicherungsgesellschaft Phönix über. Dieser Bettag stellt die erste Hypothek dar, die zugunsten der Aachen-Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft eingetragen war, während der Phönix selbst 250000 Mark auf 2. Hypothek hatte.
Brüssel, 22. Dez. König Leopold II. schläft nunmehr seinen ewigen Schlaf in den Laekener Königsgräbern, aber sein Name wird in den kommenden Wochen, Monaten und vielleicht Jahren noch oftmals in den Räumen der Gerichtshöfe widerhallen, in denen sich die zahlreichen Erbschaftsprozesse - seiner Erben abspielen werden. Die einleitenden Schritte sind schon getan, indem die Rechtsanwälte der 3 Königstöchter die Sperrung des gesamten Vermögens der Vaughan beantragt und zum Teil auch durchgesetzt haben. Sie wollen beweisen, daß die Favoritin dem alten König die übertriebenen Geldgeschenke, die er ihr machte und deren Wert auf 50 Millionen veranschlagt ist, durch allerhand Künste herausgelockt hat, und wollen sie zwingen, den größeren Teil wieder herauszugeben. Weiter haben die 3 Rechtsanwälte die Nichtigerklärung aller vom König zum Zweck der Enterbung seiner Töchter unternommenen Scheingeschäfte beantragt und gleichzeitig die Strohmänner, die dem Monarchen dabei behilflich waren, auf persönlichen Schadenersatz angeklagt. Unter den neugebackenen Baronen ist denn auch schon ein derartiger Schrecken eingerissen, daß sie nach allen Windrichtungen auseinanderstieben. Die jüngste diesee Schwindelgesellschaftrn, deren Statuten das Amtsblatt am Todestage ihres Gründers veröffentlichte, und welche die letzten Grundstücke des Königs für 12 400 000 Franken „übernahm", hat sich in aller Eile schon von selbst aufgelöst. Auf der andern Seite strengt die Vaughan durch ihren hiesigen Rechtsanwalt Picard einen Gegenprozeß gegen die Königstöchter an und erbietet sich zum Beweise, daß ihre Ehe mit Leopold II. in allen Punkten rechtsgültig, ihre Nachkommenschaft daher mit den Prinzessinnen gleich erbberechtigt ist. Damit ist die Vaughan aber noch keineswegs zufrieden. Sie hat verschiedene Staatsrechtslehrer Belgiens, Frankreichs, Deutschlands und Englands um die Abgabe eines Gutachtens darüber ersucht, ob ihr ältester Sohn Lucien nicht zur Thronfolge in Belgien berechtigt ist, falls die Rechtsgültigkeit ihrer Ehe von den belgischen Gerichten anerkannt wird. Auf die Ausübung der ihr „zukommenden" Regentschaft verzichtet sie großmütig, und gedenkt sich bloß mit dem bescheidenen Titel einer Königin-Witwe
zu begnügen. Alle diese Prozesse werden die seltsame Hofgesellschaft beleuchten, die Leopold II. in den letzten Jahren seiner Regierung um sich versammelte, aber auch dem neuen König Albert, der an diesen Skandalen ganz unschuldig ist, die erste Regierungszeit verbittern.
Paris, 21. Dez. Der „Eclair" bezeichnet das Vermögen des Königs Leopold mit 148 Millionen Francs. Vor 10 Jahren betrug sein Vermögen 80 Millionen. Aus dem Gewinn der Kongogesellschaft im Jahr 1901 kaufte der König 95 Häuser in Brüssel und Laeken und 21 Häuser in Ostende. Diese Gebäude besaßen einen Gesamtwert von über 18 Millionen.
London, 23. Dez. Newyorker Blätter haben laut heutigen Telegrammen dem Dr. Cook nachgerechnet, daß er insgesamt 150000 Dollar mit dem Polarschwindel verdient habe. Cook hatte besonders viele Anhänger in den Maklern der Effektenbörse in Newyork, wo sein Bild mit dem Sternenbanner geschmückt aufgehängt war. Als aber die Nachricht eintraf, daß der Forscher in Kopenhagen nicht anerkannt worden ist, rissen die Makler das Bild von der Wand und zerstampften es mit den Füßen. Der Präsident der Börse hielt eine Rede, in der Dr. Cook als der Meisterlügner der Welt gebrandmarkt wird. Cook hat sich nach Frankreich begeben.
Petersburg,21.Dez. Das aus Japan soeben zurückgekehrte Reichsratsmitglied Gleßmer hielt in Gegenwart vieler Generäle, des Admirals Dubasfow, des Grafen Witte und des Kanzleidirektors des Ministeriums des Aeußern einen Vortrag über Japan und machte sensationelle Enthüllungen über Kriegsvorbereitungen Japans an der russisch-chinesischen und an der russisch-koreanischen Grenze. Nach offiziellen Daten, die Gleßmer mitteilte, kann Japan schon jetzt eine Armee von 1700000 Mann ins Feld stellen.
Söul, 22. Dez. Premierminister Ai Wan Aong wurde während einer Ausfahrt in einem kleinen japanischen Wagen von einem zwanzigjährigen Koreaner durch Dolchstiche in den Unterleib und in die Lungen tödlich verletzt. Er wurde in das Hospital verbracht, ebenso der Wagenführer, der bald darauf starb. Der Täter wurde verhaftet. Er heißt Titschim und hat früher in Amerika gelebt. Als Mordwaffe verwendete er ein Küchenmesser. Er gestand, einer geheimen politischen Gesellschaft anzugehören. Der Mord ist das Ergebnis einer politischen Verschwörung.
Lokakes.
— Seine Majestät der König hat dem Oberreallehrer Steurer an der Oberrealschule in Reutlingen die Oberreallehrersstelle an der Realschule in Wildbad übertragen.
Wildbad, 29. Dez. Eine angenehme Unterbrechung unseres stillen Winterlebens bilden alljährlich die Weihnachtsfeiern der hies. Vereine. So hatte auch der Liederkranz am Christes! seine Mitglieder und zahlreiche Ehrengäste zu einer Feier im Lindensaal eingeladen, und die stattliche Zahl der Erschienenen — das geräumige Lokal war bis auf den letzten Platz besetzt — bewies wieder aufs neue, welches Interesse man den Veranstaltungen dieses Vereines entgegenbringt; mit besonderer Genugtuung und Freude wurde auch das Erscheinen unseres verehrten Stadtvorstandes mit seiner Gemahlin begrüßt. Eingeleitet wurde die Feier durch die Wiedergabe des preisgekrönten neuen Wahlspruchs des schwäb. Sängerbundes, der durch die imposante, wuchtige Kraft der Worte wie der Musik gleich eine mächtige Wirkung ausübte; er sei in seinem Wortlaut hier erwähnt: Das Herz voll Lieder froh und frei.
Dem Staufenbanner ewig treu:
So stehn wir ein in Freud und Leid Allzeit für Deutschlands Herrlichkeit. Hierauf folgten in reicher Abwechslung Männerchöre, Quartette und Solls; besondere Erwähnung unter den ersteren verdienen der „Festgesang an die Künstler" von Mendelssohn-Bart- holdy, dessen Wiedergabe die Erinnerung an die vor einigen Wochen begangene Feier des 150. Geburtstages Schillers wach rief, und bei der Herr Lehrer Gruhler m höchst liebenswürdiger und dankenswerter Weise die Klavier-
begleitung übernommen hatte; ferner der Schultz- , 'sche Chor „Es liegt eine Krone im grünen Rhein". Beide Chöre stellen an die Sängerschar nicht geringe Anforderungen, aber ihre glänzende Wiedergabe bewies, daß der Verein unter der tüchtigen und umsichtigen Leitung seines Dirigenten, Herrn Lehrer Lächele, sich herz- ! Haft an der derartige schwierige Werke heranwagen Parf. Der Vorstand, Hr. H. Großmann, erfreute ' durch einewohlgelungeneDeklamation „DerWeih- nachtsabend," die tiefen Eindruck auf die andächtig lauschenden Zuhörer machte. Aber auch der Humor kam gründlich zu seinem Rechte. Die Gesangsszene „Ein genialer Gaunerstreich," von den Herren Großmann, Fritz Hammer, Schweizer und Seyfert aufgeführt erregte stürmische Heiterkeit, wie auch die von den beiden letztgenannten Herren zum besten gegebenen Solovorträge freundlich ausgenommen wurden. Den Höhepunkt der dramatischen Darbietungen bildete aber wohl die Aufführung des Schwegelbauerschen schwäbischen Volksstücks ,,D' Stöfflere vom Klemmerleshof," durch die sich die Damen Frl. Anna und Elise Luz, sowie die Herren Fritz Hammer, Karl Lächele, Assistent Merkle und Reallehrer Schweizer ein besonderes Verdienst erwarben. Wie fast alle Schwegelbauerschen Stücke beschäftigt sich auch dieses mit dem schwäbischen Bauernleben und läßt uns Blicke tun in das Interieur einer Albbauernstube. Treffliche Charaktere hat der populäre Dichter darin gezeichnet; denken wir nur an die grundguten Menschen, die er im Kapperlesbauern, in der Bauerntochter, in der Bauernmagd zu uns reden läßt, an d.»n alten, eigensinnigen Blöckles- bauer, an den tölpischen, viereckigen Bauernburschen, sowie an den leichtsinnigen und deshalb auch zum Knecht heruntergekommenen früheren Hofbauern. Wem hätte nicht das Herz im Leibe gelacht, wenn er die urwüchsige, oft derbe Sprache dieser Albler hörte wenn er die natürlichen, tief aus dem Leben gegriffenen Bilder an seinem Auge vorüberziehen ließ! Ja, so sind sie, unsere Albbauern, ein grundguter, grundehrlicher und gerade durch seine Schlichtheit und Einfachheit Achtung gebietender und Verehrung heischender Menschenschlag! Die Kostüme waren durchweg echt, und die Aufführung verdiente um so mehr Anerkennung als fast sämtliche Mitwirkenden damit zum erstenmal die Bühne betreten hatten. Zwischen dem 1. und 2. Teil des Programms fand der Verkauf der Lose statt, die reißenden Absatz fanden, mußte einen doch der reich be- deÄe Gabentisch dazu verlocken, Fortunas Gunst tüchtig auf die Probe zu stellen. Nach der Abwicklung des Programms wurden dann die Gaben an die glücklichen Gewinner ausgehändigt, und den Schluß bildete das von manchem schon längst und sehnlichst herbeigesehnte Tanzvergnügen, das die heitere Gesellschaft noch bis in die frühen Morgenstunden beisammenhielt. Nicht vergessen wollen wir, der sowohl in Hinsicht auf Speisen als auch Getränke trefflichen Bewirtung von seiten des Herrn Krimmel anerkennende Erwähnung zu tun; bildet doch diese mit ein Moment, um die Gäste in Stimmung zu versetzen und zu erhalten. Und darüber, daß von Anfang bis zu Ende eine heitere, festesfrohe Stimmung geherrscht hat, wird wohl keiner derer im Zweifel sein, die an der durchweg wohlgelungenen Feier tellgenommen haben. Ja, einen glänzenden nicht durch die geringste Disharmonie getrübten Verlauf nahm die Weihnachtsfeier des Liederkranzes, auf die der Verein wie jedes einzelne seiner Mitglieder mit Stolz und Befriedigung zurückblicken darf.
):( Wildbad, 27. Dez. In der festlichen Schmuck tragenden Turnhalle fanden sich am letzten Sonntag Abend die Angehörigen des Militärvereins Wildbad „Königin Charlotte" ein, um miteinander Weihnacht zu feiern. Wie in jedem Jahr, so war auch Heuer die geräumige Halle unten und oben dicht besetzt und frohe Stimmung herrschte allenthalben. Daß sich die Kameraden immer gerne und vollzählig bei dieser Feier einfinden, nimmt nicht Wunder. Einerseits ist es das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das die Kameraden leitet, andererseits ist es die Eigenart der Veranstaltung, die große Anziehungs