staate nicht vorgekommen' sein, daß, wie in diesem Falle, eingestandenermaßen revolutionäre Arbeiterorganisationen mit ebenfalls organisierten Staatsbeamten ein Schutz- und Trutzbündnis schließen und den Widerstand mit allen Mitteln gegen Staat, Gesellschaft und Kapital als ihr gemeinsames Ziel bezeichnen. Ein solches Bündnis ist etwas völlig Neues, und damit verliert der französische Staat die 'zweitstärkste Stütze, die er bisher noch den gärenden und umsturzlüsternen unteren Massen entgegenstellen konnte, die Beamteuschast. Wir sind in Deutschland glücklicherweise noch nicht so weit, daß derartige Dinge hier Vorkommen könnten, aber die französischen Vorkommnisse sind von außerordentlicher Wichtigkeit auch für uns, da sie uns, zeigen, wohin die unbeschränkte Koalitionsfreiheit führen kann.
London. Der Chicagoer Getreidespekulant James Patten hat gewaltige Getreidespekulationen unterhalten und, wie es scheint, erfolgreich durchgeführt. Er begann im Frühsommer des Jahres 1908 starke Käufe in Mai-Weizen zu 86 Cents per Bushel und hatte im Herbst einige 30 Millionen Bushel beisammen. Im Dezember war der Preis auf 110 Cents gestiegen, worauf Patten durch Abgabe von 5—10 Millionen Bushel einen Teil seiner Gewinne realisierte, aber den größten Teil seiner Bestände in Erwartung eines Weizenpreises von 125 Cents zurückhielt. In der vorigen Woche schritt die erschreckte Contre- mine zu so ausgedehnten Deckungskäufen, daß am Samstag Weizen mit 122ffs Cents notiert wurde. Seit Samstag hat Patteu den größten Teil seines Weizens verkauft und soll nur noch 5 Millionen Bushel übrig haben. Selbst wenn man Pattens Bestände nur mit 20 Millionen Bushel und seinen Gewinn per Bushel durchschnittlich nur mit 10 Cents annimmt, muß er an acht Millionen Mark verdient haben.
— Nach einer Mitteilung der „Köln. Ztg." ist jetzt nicht mehr daran zu zweifeln, daß unweit Lüderitzbucht Blaugrund, das im englischen Südafrika als Ursprungsstätte der Diamanten geltende Mineral, gefunden worden ist. Der Fund wurde gelegentlich des Suchens eines Brunnenschachtes auf einem im Abbau befindlichen Diamanten-Bergbaufeld gemacht, und es wurde bei dieser Gelegenheit auch das Vorkommen von Diamanten in dem aufgefundenen Blaugrund festgestellt. Der Fund ist von hoher Bedeutung; bisher glaubte man, daß die in Deutsch-Südwestafrika gefundenen Diamanten augetrieben seien.
— Aus Messina wird der „Deutsch. Tagesztg." geschrieben: Der Besuch, den das italienische Königspaar dem vom Erdbeben heimgesuchten Gebiete gemacht hat, ist auch für die Zeituugen ein Anlaß gewesen, wieder einmal systematisch und nach dem Augenschein über die Lage der Dinge zu berichten. Im großen ganzen werden die ungünstigsten Urteile über das, was zur Beseitigung der Not und zur Wiederaufrichtung des Gestürzten bisher geleistet worden ist, mehr bestätigt als die günstigen. Ja, der König selbst hat sich, wie im „Giornale d'Jtalia" zu lesen ist, dahin ausgesprochen, daß Messina heute einen noch fürchterlicheren und entsetzlicheren Eindruck mache wie in den ersten Tagen nach dem Unglück, und hat den örtlichen Behörden und Arbeitsleitern seine geringe Befriedigung über das in den hundert Tagen zu Wege gebrachte, von dem er sich durch genaue, unter Mühen und Unbilden vollzogene Besichtigungen ein vollständiges Bild gemacht hatte, nicht verhehlt. Unter Messinas Trümmern liegen noch an 50 000 Menschenkörper so, wie sie der Tod ereilt hat; die Trümmermassen sind noch so ungeheuerlich und wirr getürmt wie am Unglückstage; die Straßen durch sie sind wenig gangbar geworden. Von den 26 000 Baracken für das gesamte Erdbebengebiet, Messina eingerechnet, sind erst 2617 fertig. Schon jetzt zeigen diese Baracken Risse und andere Schäden, daß man mit Sicherheit darauf rechnen kann, daß bereits etliche Wochen von Regen, Wind und Sonne manche von ihnen vollends zngrunde richten werden. Und bis zu einer Wiederherstellung Messinas ist allen schönen Reden und sogar manchem guten Willen zum Trotz noch so lange hin, daß unsere Kindeskinder sie viel- . leicht knapp erleben.
Konstantins pel, 16. April. Nach zuverlässigen Berichten wurden in der gestrigen geheimen Sitzung der Kammer mehrere Depeschen aus der Provinz verlesen, die eine Beunruhigung der Bevölkerung und Armen, sowie die Furcht vor der Revolution ausdrücken und erklären, daß man, wenn die Verfassung in Gefahr sei, auf die Hauptstadt losmarschieren werde. Die Kammer beschloß die Veröffentlichung einer Proklamation,daß die Verfassung nicht in Gefahr sei.
Saloniki, 16. April. Die Stadt ist ruhig, aber das Komitee der Jungtürken weigert sich, die neue Regiernng anzuerkennen und organisiert erbitterten Widerstand. Eine große öffentliche Versammlung billigte die Haltung des Komitees.
Wien, 19. April. Nach einer Extra-Ausgabe der „Neuen Freien Presse" wird in Konstantinopel eine Proklamation verbreitet, welche sich auf den Verzicht Abdul Hamids auf den Thron und auf den Uebergang des Thrones an Refchad Effendi beziehen soll.
Paris, 19. April. Nach einer Meldung der „Agence Havas" geht in Konstantinopel das Gerücht, der Sultan sei geflohen.
— Dieser Tage ging aus Baku der Post- und Passagierdampfer „Zessarewitsch" ab. An Bord war ein Geldtransport von 3 Millionen Mark. Kurz vor Ausfahrt des Dampfers erschien der Polizeimeister Hauptmann Scherwud an Bord und erteilte dem Kapitän Order, nicht früher Anker zu lichten, bis sämtliche Passagiere untersucht wären. Ein genügendes Polizeiaufgebot folgte dem Stadthauptmann. Die Untersuchung dauerte einen ganzen Tag und förderte Sonderbares zutage. Ueber 20 Personen wurden verhaftet, denen man 20 Revolver abnahm. Sämtliche Herrschaften erwiesen sich als Mitglieder einer Räuberbande, die während der Fahrt auf offenem Meere die drei Millionen Mark rauben wollten. Die Bande bestand aus Angehörigen aller Nationalitäten; der Anführer war Fürst Matschawariani, ein früherer Polizeibeamter von Baku. Unter den Verhafteten befinden sich auch einige längst gesuchte Anarchisten, ja sogar einige Personen der Bakuer Gesellschaft.
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Wildbad, 20. April. Am letzten Sonntag beschloß der hiesige Schützenverein seine Schießsaison durch das übliche „Schluß- und Nachbarschaftsschießen." Ziemlich zahlreich erschienen dazu die auswärtigen Schützenbrüder von Neuenbürg und Hirsau, unter letzteren auch der Nestor beim Feste, Herr Böhri, der trotz seiner 67 Jahre als treuer Gast Heuer zum 20. Male anwesend war. Schon um die Mittagsstunde entwickelte sich auf dem Windhos ein reges Treiben, und Punkt 1 Uhr begann das Schießen, bei welchem sich die auswärtigen und hiesigen Schützen in heißem, ehrlichem Kampfe maßen. Um 4 Uhr wurde die Ehrenscheibe (von Herrn Ackermann-Höfen sehr hübsch gemalt) aufgezogen, die, wie die Königsscheibe. wieder von Hrn. G. Toussaint jun. erschossen wurde. Kurz vor 7 Uhr wurde das Schießen eingestellt und fand die Verteilung der Ehrenpreise an sämtliche Schützen, sowie der Geldpreise an die Herren E. Rometsch- Wildbad, Claußer-Neuenbürg und Bopp- Wildbad, welche die höchsten Serien erreicht hatten, statt. Nachher war man noch im Gasthof zum „Löwen" gemütlich beisammen, und nur ungern trennten sich die fremden und hiesigen Schützenbrüder, die mit Recht auf den Verlauf des Festes stolz sein dürfen.
Wildbad, 19. April. Bei den gestern stattgehabten Neuwahlen zur Freiw. Feuerwehr wurden die bisherigen Offiziere und Unteroffiziere wiedergewählt. Für den ausgetretenen Unteroffizier des 7. Zugs wurde Schneidermeister G. Fritz gewählt.
Neuenbürg. (Aus der Bezirksratssitzung vom 16. April 1909.) Ein Gesuch des Kochs Richard Weber in Wildbad um die Erlaubnis zum Betrieb der Weinwirtschaft des Konditors Rometsch daselbst wird in nächster Sitzung öffentlich verhandelt werden, falls das Gesuch nicht zurückgezogen wird. Das namens einer Frauenvereinigüng Neuenbürgs eingereichteGesuch der Frau Fabrikdirektor Loos um die Er
laubnis der Veranstaltung einer Lotterie im Anschluß an den am 18. ds. Mts. hier stattfindenden Bazar wird genehmigt.
Neuenbürg, 16. April. In Grunbach hat sich der ledige Goldarbeiter Bohnenberger, ein stiller ruhiger Mann, während seine Eltern zu Mittag aßen, in der Küche erschossen. Der Grund des Selbstmords ist selbst den Angehörigen unbekannt.
Dobel, 19. April. Heute früh gelang es Hofrat Huber aus Stuttgart, im hiesigen Revier ein seltenes Prachtexemplar von Auerhahn zur Strecke zu bringen.
— Infolge der am 22. Februar ds. Js. und den folgenden Tagen abgehaltenen Prüfung ist u. a. Wilhelm Pfeiffer von Rotensol zur Versetzung von Handelslehrerstellen für befähigt erklärt worden.
Wnter. Hmktenöes.
Er soll dein Herr sein.
Erzählung von C. Aulepp-Stübs.
(Nachdruck verboten.)
1. Kapitel.
An der Haustür der großen Kinderheilanstalt des Geheimrats Helm wurde auf den Knopf der elektrischen Klingel gedrückt.
„Mein Name ist Paulus, Doktor Herbert Paulus. Ich werde erwartet, melden Sie mich."
Der das dem öffnenden Portier sagt, ist ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit dunklem Haar, dunklen Augen und starkem Schnurrbart. Raschen Blickes mustert er das Helle, einfach gehaltene, aber geschmackvolle Treppenhaus.
Der Portier verbeugt sich in ehrerbietigster Dienstbeflissenheit. Die imposante Erscheinung, der Metallklang der Stimme haben den alten Karl eingeschüchtert, so daß er ganz gegen seine Gewohnheit gar nicht wagt, sich den Fremden näher anzusehen. Er führt ihn in das Wartezimmer, schlägt eine dunkelbraune Portiere zurück, öffnet die dahinter liegende Tür und tritt mit einem tiefen Bückling zur Seite.
Vor des Doktors Augen liegt ein mäßig großes, in vornehmer Einfachheit gehaltenes Gemach. Zwischen den breiten Fenstern ein Schreibtisch von Eichenholz, dessen grüne Tuchplatte mit Büchern, Büchsen und Fläschchen bedeckt ist. An der einen Wand ein Jnstru- mentenschrank, an der andern eine Chaiselongue von dunkelbraunem Plüsch. Darüber hängt ein herrliches Gemälde von Professor Neumann, ein Seestück, in der diesem Maler eigenen, meisterhaften Ausführung. Doktor Paulus sieht sich interessiert um. Das ist also das Reich seines nunmehrigen Chefs? Er hatte sich immer gewünscht, der Assistent dieses berühmten Kinderarztes zu werden und sich von Cincinati aus, wo er ein Jahr weilte, darum bemüht. Wie freute er sich, als der Geheimrat ihm schrieb und er die Stelle des zweiten Assistenten erhielt. Das Studienjahr in Amerika hatte ihn so manches gelehrt, was er glaubt, unter der Leitung dieses peinlich gewissenhaften Mannes gut verwerten zu können. Er atmet tief auf. Vor sein geistiges Auge tritt Cincinati mit seiner dicken, staubigen Luft, mit seinem alles beschmutzenden Ruß und den rastlos arbeitenden Menschen aller Nationen. Manch armer Kranker zählte dort im Fieberwahn seine Pfennige zusammen und rechnete, rechnete, rechnete. Halb kran! noch, flehte er um seine Entlassung, und wenn ihm diese gewährt wurde, stürmte er fort, ohne Dank, nur bestrebt, die verlorene Zeb wieder einzuholen. Der Dokter nickte mit dein Kopf. Das war ein Leben dort gewesen " gut zwar für sein Studium und seine Menschenkenntnis, aber eine Oede, eine Leere)» ihm zurücklassend, die er fast wie einen körperlichen Schmerz empfand — und er hatte doch gemeint, gerade kein Uebermaß von Gemüt zu besitzen. .
Eine Tür geht, er wendet sich um uns sieht euren schlanken, jungen Mann von etiv» vierundzwanzig Jahren eintreten. Mit einer höflichen Verbeugung deutet derselbe auf eine» Sessel am Fenster.