Lebenserwartung, d. h. das Lebensalter, da? ein neugeborenes Kind der Wahrscheinlichkeit nach errercht, ganz erheblich gestiegen ist und zwar bei Männern von 35,6 auf 40,6, bei Frauen von 38,4 auf 44 Jahre. Diese günstige Veränderung ist zu einem kleinen Teile auf die verminderte Säuglingssterblichkeit im ersten Lebensjahre, in der Hauptsache aber auf die Abnahme der Sterblichkeit in den späteren Altersklassen zurückzuführen.
Berlin, 4. Jan. Zu Castros Operation meldet noch die „Vossische Ztg.": Die Operation betraf die Beseitigung eines Blasenleidens. Sie begann um 10 Uhr. Ein Nierenleiden bestand nicht, wohl aber ausgedehnte Eiterungen im Bauchfellraum. Castro erklärte nach der Operation, er wäre zufrieden, daß er operiert worden sei, denn dadurch erfahre die ganze Welt, daß er nicht nach Europa gekommen sei um sich seiner Verantwortung zu entziehen. Während der Operation waren die Gattin und die Schwester Castros sowie drei venezolanische Aerzte in der Klillik anwesend.
— Von den neuen Dreimarkstücken wurden bis 31. Dezember 15 Millionen ausgeprägt. Eine Prägung von weiteren 15 Mill. wird sich alsbald anschließen. Von den Fünfmarkstücken ist für das Jahr 1909 eine Prägung nicht in Aussicht genommen, da es nichts ausgeschlossen ist, daß diese Münzen durch die Ausgabe der Dreimarkstücke vom Verkehr abgestoßen werden und sich in den Kellern der Reichsbank ansammeln, wie dies auch früher in reichlichem Umfange bei den alten Talern der Fall war.
Rom. Der Minister des Innern sandte 100 000 Lire für die Notleidenden in Sizilien und Calabrien, die gleiche Summe die Sparkasse von Bologna. Die Gemeinde-Verwaltung von Rom zeichnete vorläuffg 30 000 Lire. Ministerpräsident Giolitti erließ einen Aufruf an die Nation zur Unterstützung der Bevölkerung der heimgesuchten Gegenden.
— Messina brennt noch immer, trotz des Regens der letzten Tage, der am Nachmittag wieder einsetzte. Reihenweise und in Scharen liegen die Toten da. Die Soldaten haben die Rolle der Totengräber übernommen. Der Leichengeruch ist furchtbar, man befürchtet den Ausbruch von Epidemien und ruft immer neue Hilfskräfte herbei. Viele Tausende liegen unter den brennenden Trümmern,j die wohl verbrannt sein dürsten; andere Tausende gräbt man unter Schutt und Geröll hervor. Ganze Berge von Rümpfen und Gliedmaßen liegen hochaufgeschichtet. Plötzlich zucken mieder irgendwo Flammen auf. Mauern stürzen ein, und die Helfer müssen sich zurückziehen. Dabei herrscht der größte Mangel > an Speise und Trank, aber die Genügsamkeit, speziell der Soldaten, ist bewundernswert. Die Katastrophe selbst und den Eindruck können Worte nicht schildern. Es genügt, zu sagen, daß die Stadt von 160 000 Einwohnern bis auf den letzten Ziegelstein zerstört ist. Mehr als 100 000 Menschenleben sind verloren. An die aufgestapelten Leichen schleicht sich Raubgesindel heran. Es herrscht aber Kriegszustand, und nach Kriegsgesetz werden die Schuldigen sofort erschossen.
San Francisco. Der Unterstützungs- verein, der sich in San Francisco nach dem großen Erdbeben gebildet hatte, ist am Samstag, 19. Dez. in aller Form aufgelöst worden. Dem Verein waren aus allen Teilen der Welt nach dem furchtbaren Unglück Geldmittel zugeströmt, sodaß er im ganzen an die Opfer des Erdbebens die respektable Summe von 9 500000 Dollars (mehr als 40 Millionen Mark) verteilen konnte.
Newyork. Claus Spreckles, der sogenannte Zuckerkönig, starb am Samstag, 19. Dez. in San Francisco und .hinterließ ein Vermögen, welches aus über 200000000 Mk. berechnet wird. Spreckles begann seine Karrierre als Lehrling in einem Viktualrengeschäft. Ohne einen Pfennig in der Tasche zog er von Deutschland nach Amerika. Er war damals noch nicht 20 Jahre alt und hatte bis dahin für ganz geringen Lohn in Magdeburg gearbeitet. Innerhalb eines Jahres nach seiner Ankunst war er schon glücklicher Besitzer eines kleinen Viktua-
lienladens. Er erkannte damals, daß mit der' Zuckerrübenkultur ein großes Geschäft zu machen sei und kehrte deshalb nach Europa zurück um den Prozeß der Produktion des Rübenzuckers zu studieren. In Magdeburg arbeitete er wieder eine Zeit lang gegen geringen Lohn in einer Zuckerfabrik. Dann ging er nach Amerika zurück und dort gründete er gleich nach seiner Ankunft ebenfalls eine Zuckerfabrik, die sofort großen Erfolg hatte. Sie entwickelte sich schnell zur größten Zuckerfabrik der Welt. Der amerikanische Zuckertrust versuchte Spreckles Fabrik aufzukaufen, aber er weigerte sich und nach bitterem Kamps, gewann er die Oberhand über den Trust. Außerdem erwarb er sich ein Mo- nopel über die Rohzuckerprodukte von Hawai. Außerdem hatte er bedeuteude Interessen an amerikanischen Eisenbahn- und Dampferlinien und ihm gehörten die wertvollsten Privat-Ge- schäftshäuier in San Francisco.
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Langenbrand, 4. Jan. Wie erst jetzt berichtet wird, ereignete sich hier am 27. Dez. v. Js. eine Bluttat. Bei einer Weihnachtsfeier im „Grünen Baum" geriet der ca. 30 Jahre alte verheiratete Emil Eberhardt mit dem in den zwanziger Jahren stehenden Goldarbeiter Jakob Fischer und dem gleichaltrigen Zimmermann Chr. Bischofs wegen der Bezahlung von gewonnenem Likör, den die 3 zusammen getrunken hatten, in Streit, in dessen Verlauf die beiden letzteren in die Wirtsküche flüchteten, da die beiden Brüder des E. diesem beistanden. Trotzdem Fischer und Bischofs aus dem Heimwege dem Eberhardt auszuweichen suchten, gelang es diesem, sie zu überfallen. Eberhardt, der hinter einem Baum stand, versetzte plötzlich dem Fischer einen Dolchstich in den Rücken, der die Lnnge traf. Bei den Bemühungen, seinem gestürzten Freund wieder auszuhelfen, erhielt auch Bischofs von E. 2 Dolchstiche in den Rücken, die jedoch, da sie aus Knochen trafen, weniger schwerer Natur sind. An dem Aufkommen Fischers wird gezweifelt. Der Täter ist geständig und sitzt im Amtsgefängnis.
— Infolge der im September und Oktober l. I. abgehaltenen Staatsprüfung für Feldmesser hat u. a. der Kandidat Hugo Clement von Pfinzwe'iler, Gde. Feldrennach OA. Neuenbürg, die Berechtigung erlangt nach Maßgabe der K. Verordnung vom 21. Oktober 1895 Regierungsblatt, S. 301, als öffentlicher Feldmesser beeidigt und bestellt zu werden.
MnLei Haltendes.
Der schwarze Koffer.
Autorisierte Uebersetzung aus dem Englischen von Emmy Becher.
(Nachdruck verboten.) (Forts.)
„Die Anklage gegen Fräulein Simpkinson und ihre Mutter ist ja geradezu abgeschmackt," suhr Herr Harvey nun zu mir gewendet fort, „und doch müssen wir einräumen, daß wir die Opfer der alleraußerordentlichsten Verhältnisse sind. Als ich gestern abend die Depesche erhielt, die mich hierher berief, wußte ich nicht, was ich zu erwarten hatte — aus dies war ich sicherlich nicht vorbereitet — und nun weiß ich weder, was ich glauben soll, noch was geschehen wird."
„Die Damen wurden festgenommen, weil sie nichts Geringeres als einen Leichnam bei sich führten. Dieser Leichnam war in einem schwarzen Koffer versteckt. Die erste Frage ist nun: gehört dieser Koffer Fräulein. Simpkinson?"
„Ja," versetzte die Dame rasch, etwas zu rasch, wollte mich bedünken.
„Meine liebe Edith," begann der Geistliche, aber sie gebot ihm durch eine heroische Bewegung zu schweigen.
„Ich sage dir, daß es mein Koffer ist, Austin. Frage doch Susanne. Es hat nicht den leisesten Wert, darüber noch einmal zu streiten. Wem sollte er denn gehören?"
„Allerdings, wem?" wiederholte Harvey mit so verblüfftem Gesicht, daß es ganz komisch war.
„Die zweite Frage ist," fuhr ich fort, „wer ist die Ermordete? Bis heute ist das noch nicht festgestelll."
„Diese Frage kann ich beantworten," sagte Harvey, und es legte sich wie ein dunkler Schatten über sein angenehmes Gesicht, „obwohl es mir lieber wäre, ich könnte es nicht. Auch Fräulein Simpkinson hätte sie beantworten können uüd ich glaube, sie hat unklug gehandelt, indem sie den französischen Behörden nicht sofort jeden erwünschten Ausschluß erteilte. Ja, Edith, das ist wieder ein Punkt, über den unsre Ansichten zu meinem Leidwesen weit auseinandergehen."
„Ja, aber wer ist es denn?" rief ich in stürmischer Ungeduld.
„Nach dem, was meine Vraut mir sagt, bleibt nicht der leiseste Zweifel übrig, daß der entseelte Leib der einer Tante von mir ist," versetzte der Pastor und ging, um seiner Bewegung Herr zu werden, mit heftigen Schritten im Zimmer aus und ab, „und.so peinvoll die Sache für mich ist, werde ich der Polizeibehörde mitteilen, was zu wissen sie ein Recht hat.
Fräulein Simpkinson stand auf und trat zu ihm.
„Um Gottes willen," rief sie leidenschaftlich, „Hab' Erbarmen mit uns- allen und tue das nicht!"
„Edith," sagte der junge Mann sehr weich und zärtlich, indem er ihren Arm durch seinen zog. „Du bist im Irrtum, Liebste. Du bist im Irrtum. Es gibt Augenblicke im Leben, wo wir zaudern, aber in der Regel vermögen wir es nur allzudeutlich zu erkennen, wo der Weg der Pflicht liegt. Es ist durchaus notwendig, daß ich die Wahrheit melde, und überdies, wenn ich auch schweigen wollte, so würden andere reden."
Er sah mich an.
„Wie lang wird die französische Polizei brauchen, um ohne meine Hilfe den Namen ausfindig zu machen?"
„Man hat die Anfangsbuchstaben," erwiderte ich, „kennt den vermutlichen Wohnort der Dame, sowie die Nummer ihrer Uhr und die Adresse des Fabrikanten, überdies haben sie ihre Kleider und ihre Börse — in drei Tagen, dächte ich, können sie über die Person im klaren sein."
„Diesen Zeitverlust kann ich den Herrn ersparen. Meine Tante hieß Elisabeth Ray- nel, sie war unverheiratet nnd wohnte in Haverstock Hill, Nr. 13 Upper Norton Crescent. In letzter Zeit hatte sie sich ihrer Gesundheit halber in Southend aufgehalten und dort —" seine Stimme zitterte — „muß der Tod sie ereilt haben."
Fräulein Simpkinson sank aufs Sofa und verhüllte ihr Gesicht mit den Händen.
„Ich glaube, daß Sie sehr wohl daran tun, der Polizei in jeder Hinsicht Vorschub zu leisten, mein Herr. Es hat gar keinen Wert, Tatsachen, die sich früher oder später doch Herausstellen müssen, zu verschweigen, und diese Handlungsweise könnte höchstens verschlimmern, was schon jetzt, entschuldigen Sie, weun ich es ausspreche, eine ungemein bedenkliche Lage ist."
Ich ärgerte mich gründlich über Fräulein Simpkinsons unverständiges, ungeschicktes Betragen.
„DaS weiß ich," sagte sie, die Hände vom Gesicht entfernend.
„Der Mord ist- in Southend begangen worden," fuhr ich fort, „so viel wußte ich schon, ehe ich hierher kam. Was sind die Motive der Tat?"
Tiefes Schweigen. Das Brautpaar sah sich fragend an.
„Was berechtigt Sie, uns einem Verhör zu unterwerfen?" sagte Fräulein Simpkinson gereizt.
„Nichts," erwiderte ich, mich rasch erhebend, „und ich habe auch gar kein Verlangen danach.
Ich dachte nur. Sie würden sich vielleicht gerne meiner Hilfe bedienen. Es handelt sich um Mord, mein Fräulein, und irgend jemand wird die Strafe zu erleiden haben — ich wünsche von ganzem Herzen, daß Sie es nicht sein mögen."