* Berlin, 26. Mai. In heutiger Sitzung er­ledigte das Haus die Besoldungsvorlage und die Nachtragsetats in zweiter Lesung. An der Besoldungs­vorlage selbst wurden nur geringfügige Aenderungen vorgenommen. Betreffs der vom Abg. Rickert (fr. Vgg.) gewünschten Abänderung des Kautionswesens erklärte Schatzsekretär Graf Posadowsky, daß die Reichsregierung mit der preußischen in Verhandlungen bezüglich des Kautionswesens eingetreten sei, und, falls eine Einigung erzielt sei, schon im nächsten Jahre einen Gesetzentwurf einbringen werde. Auf eine An­frage des Abg. Werner (Antis.) bezüglich der Stellung der Postassistenten erklärte der Schatzsekretär, daß jene den Stationsassistenten nicht gleichgestellt werden könnten. Die Abgg. Lieber (Zentr.) undWerner (Antis.) machten namens ihrer Parteien von der Be­willigung der Gehaltsaufbesserung der Postassistenten die Annahme des ganzen Gesetzes abhängig. Der Schatzsekretär v. Posadowsky stellte denn auch für die dritte Lesung ein Entgegenkommen der Regierung in Aussicht. Die Resolutionen zum Besoldungsetat wurden ohne wesentliche Debatte angenommen und dann noch eine Anzahl Petitionen erledigt. Darauf vertagte sich das Haus bis Dienstag, 22. Juni.

Württembergischer Landtag

Kammer der Abgeordneten.

* Stuttgart, 26. Mai. (138. Sitzung.) Schluß. Tagesordnung: Eisenbahnetat, Fortsetzung der Generaldebatte. K. Haußmann (V. P.) be­zeichnet die Zuschläge auf den Lokalbahnen als prinzi­piell falsch und legt dem Minister eine Verbilligung des Stückguts ans Herz. Das Kilometerheft sei mcht vollkommen. Bei den Reformen dürfe man nicht klein­mütig sein. Unsere Landeskarten seien ein voller Be­weis dafür, daß Verkehrserleichterungen auch Verkehrs­steigerungen im Gefolge haben. Wir, die den Ver­kehr nicht haben wie Preußen, wir müssen uns dem Verkehr anzupassen suchen. Sehr zu denken gebe, wenn man von Berlin komme und lange nachts in Bruchsal an und komme dort auf den Bummelzug. Unser Bauernvolk und unsere kleineren Gewerbetreibenden sind sparsam und durch eine Verbilligung des Tarifs werden weite Kreise zum Entschluß gelangen von der Eisenbahn einen größeren Gebrauch zu machen. Es liegt ferner kein Grund vor, welcher uns abhalten könnte, die Tarisfrage in das Gebiet der Gesetzgebung hereinzuziehen. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Mittnacht: Als vor 2 Jahren hier die Frage der parlamentarischen Kontrolle der Tarife zur Sprache kam, sei sie als unthunlich bezeichnet worden und nie­mand sei weiter auf die Frage eingegangen. Auch in der Adreßdebatte war davon nicht die Rede und in der Kammer ist noch niemals ein Beschluß gefaßt worden, daß die Tarife gesetzlich festgelegt werden sollen. Erst in neuester Zeit ist dieser Wunsch auf­getaucht. Nachdem der Minister die Frage in Ver­bindung mit der Reichsverfassung gebracht, spricht er seine Meinung dahin aus, daß die gesetzliche Regelung der Maximaltarife ein größeres praktisches Bedürfnis nicht ist. Tarifmaßregeln durchzuführen ist schwieriger als eine Organisation des Nahverkehrs. Ich möchte der Anregung des Berichterstatters, den Ständen in irgend einer Form größeren Raum bezüglich der Fest­

setzung der Tarife zu gewähren, nicht direkt entgegen­treten. Mit der Verantwortlichkeit der Stände wird es dabei nicht weit her sein und die Verantwortlich­keit an der Regierung hängen bleiben. Er wolle, wenn es gewünscht werde, jedem Etat eine Uebersicht bei­legen über die hauptsächlichsten Tarifänderungen und er sei auch gerne bereit bei Tarifänderungen von Be­lang den Ständen vorher Mitteilung zu machen.

Konrad Haußmann (Volkspartei): Die Zu­sage des Ministerpräsidenten in der Tariffrage sei als ein bedeutender Schritt vorwärts anzusehen.

Präsident v. Balz: Wir werden uns freuen, wenn uns möglichst viel formulierte Anträge zum Eisenbahn­wesen seitens der Kammer vorgelegt werden. Was den Nahverkehr anbelangt, so sei demselben große Auf­merksamkeit zugewendet. Wir werden auch an der Ausarbeitung des Dampswagenverkehrs fortfahren. Wenn Haußmann die Bummelzüge auf den Aussterbe­etat setzen will, so sei zu erwidern, daß für dieselben überall eine Notwendigkeit bestehe. Zur Tarifreform übergehend, erinnert der Redner daran, daß der Minister gestern anerkannt hat, daß die Reform der Personen­tarife geboten ist. Schon 1890 haben wir Stellung dazu genommen und sind zu der Ueberzeugung ge- kommen, daß eine Herabsetzung der Taxen unter Weg­fall der Vergünstigung nötig ist. Als Grundtaxe konnte der Durchschnitt der Vergünstigungssätze ge­nommen werden, etwa 2,5 Pfennige für die 3. Klasse. Wenn aber auch durch Herabsetzung der Preise eine Verkehrssteigerung entstehen werde, so seien doch vier bis sechs Jahre nötig, um die Einnahmen auf die frühere Höhe zu bringen. Der Grundgedanke der Ver­waltung ist der, daß nur durch Herabsetzung der Taxen geholfen werden kann und deshalb werde man es be­greifen, wenn wir mit der Einführung der Kilometer­hefte gezögert haben. Die Perronsperre auf dem Bahn­hof Stuttgart war geboten im Interesse des Dienstes und des Publikums. Das Eisenbahnpersonal sei übrigens angewiesen, dem Publikum mit aller Rücksicht entgcgen- zukommen. Wenn die Bernecker einen Bahnhof haben wollen, so sei den Interessenten, auch der Gutsherr­schaft, Gelegenheit gegeben durch Zeichnung von Bei­trägen den Plan zu verwirklichen. Dem Wunsch der Unterbediensteten stehe die Verwaltung wohlwollend gegenüber. Aber man müsse auch die Konsequenzen für die andern Departements in Betracht ziehen.

LarrdeSrrachricht««.

* Altensteig, 31. Mai. Das Vereinswesen steht auch hier in schönster Blüte. Von den Vereinen, welche sich die Hebung des Wohlstandes der Mit­glieder zur Aufgabe machen, sind in erster Linie zu nennen, der landw. Bezirks-Verein, der Bezirks-Obst- bau-Verein, zu welch beiden Vereinen unser Alten­steig eine ansehnliche Mitgliederzahl stellt, dann die hiesige Genossenschaft der Handwerkerbank, der Privat- Sparverein, Gewerbeverein, Viehversicherungsverein, Schwarzwaldbienenzüchter-Verein, Geflügelzuchtverein; der Pflege der evang. Religion und werkthätiger Nächsten­liebe widmen sich der evangel. Bund, der Missionsverein, Armenverein, Krankenkostverein; für die Hygiene sorgt der homöopathische Verein, für Unterstützung in Krankheitsfällen der Krankenunterstützungsverein; die Bildung, den Gesang, die Geselligkeit, den Patriotis-

Aer wilde Lusch.

Erzählung von Reinhold Gehlhar.

(Fortsetzung.)

Der erste Morgenschimmer des aubrechenden Tages stahl sich um die weinumrangten Fenster des kleinen Försterhäuschens.

In dem großen Himmelbett lag Anna, die alte Tante wachte bei ihr.

Jetzt schlug die junge Frau die Augen auf. Ihre Gedanken begannen müde zu arbeiten. Nur leise und unklar dämmerte in ihr die Erinnerung auf, daß etwas Entsetzliches hinter ihr liege.

Oder war es nur ein Traum gewesen, der sie geängstigt? War alles wieder wie früher? War sie im Vaterhause?

Allmählich erkannte sie's ja, sie war zu Hause, im Vaterhause. Das waren die alten blumigen Bett­gardinen, das war das alte liebe Zimmer, dort saß im alten Lehnstuhl die alte Tante.

Der Vater," fragte sie mit schwacher Stimme, wo ist der Vater?"

Die alte Tante regte sich, gab aber keine Antwort.

Noch einmal fragte Anna.

Weißt du's denn nicht?"

Nein. Wo ist er?"

Im Gefängnis."

Da richtete sich Anna mit energischem Ruck auf, ihre Augen erweiterten sich und starrten halb ver­ständnislos, halb entsetzt auf die Tante. Jetzt öffnete sich leise die Thür, und Karl spähte vorsichtig durch

die Spalte er kam, trotz seiner schmerzhaften, not­dürftig verbundenen Brandwunden, die alte Frau von ihrem Wachdienst abzulösen. Als er Annas Aufregung wahrnahm, trat er schnell näher.

Karl, sagen Sie mir alles, ich weiß ja von nichts was ist mit meinem Vater?"

Umsonst versuchte er sie zu beruhigen, ihre Auf­regung stieg, da erzählte er.

Der alte Förster befand sich in Untersuchungshaft unter der Anklage des Meineids. Er hatte Wilhelm der Wilddieberei angeklagt und seine Aussage mit dem Zeugeneid beschworen. Er war seiner Sache so sicher und gewiß, daß er jede Möglichkeit eines Irrtums für ausgeschlossen erklärte. Er wollte seinen Schwiegersohn auf das bestimmteste erkannt haben. Den Gefährten Wilhelms hatte der Alte nicht erkannt. Wilhelm hatte auf ihn geschossen, die Kugel war dicht an des Alten Kopf vorübergepfiffen. Da gab er auch selber Feuer. Seine Kugel traf des andern Mannes Mütze, daß sie ihm vom Kopf flog, uttd mußte auch ihn selber ver­wundet haben; denn an der Kopfbekleidung zeigten sich Blutspuren. Die Mütze, von der Art, wie sie vielfach in der Gegend getragen wird, konnte keinen Anhalt zur Ermittlung ihres Besitzers geben.

So hatte der Förster seinen eigenen Schwieger­sohn angezeigt. Was er auch dabei gelitten, er war nicht einen Augenblick im Zweifel, was er zu thun hatte.

Aber auf einmal sollte sich der Spieß umkehren. Wilhelm brachte einen Alibibeweis ein, wie er glän­zender nicht sein konnte. In jener Nacht, in der er nach des Försters eidlicher Aussage im Stadtforst ge-

mus oder die Aesthetik zu fördern bestreben sich: der Leseverein, evangel. Arbeiterverein, Jünglingsverein, Liederkranz, Kirchenchor, Familienkranz, Kriegerverein, Turnverein, Radfahrerverein, Schießklub, Schwarzwald­verein, Alb-Verein und periodisch macht sich auch das Bedürfnis geltend, daß sich die künftigen Vaterlands­verteidiger zusammenscharen zur Beratungwichtiger Bereinsangelegenheiten," nämlich der Rekruten-Verein, das sind in Summa 27 Vereine. Hoffentlich gelingt es diesen Vereinen, das vorgesteckte Ziel voll und ganz zu erreichen und dadurch den Beweis zu liefern, daß unser liebes Städtchen Altensteig auf der Höhe der Zeit steht.

* Alten steig, 31. Mai. Bei der Baiermühle verunglückte Freitag nachmittag der Knecht des Guts­besitzers Matthäus Keppler von Ueberberg, Namens Rapp, indem er von einem Sägklotz getroffen wurde, der ihm einen Fuß abschlug. Eine bedauerliche Füg­ung des Schicksals ist es, daß die Gebrüder Rapp schon mehrmals von schweren Unglücksfällen betroffen wurden, namentlich mag daran erinnert werden, daß ein Bruder beim Langholzführen in Calmbach vor etwa einem Jahre einen jähen Tod fand.

-n. Nagold, 29. Mai. Der hiesige Männer­gesangvereinLiederkranz" kehrte heute von einer Sängerfahrt an den Rhein wohlbehalten zurück. Die Gesellschaft, bestehend aus 40 Sängern und mehreren passiven Mitgliedern des Vereins, besuchte während der Reise Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt a. M., Mainz und das Niederwald-Denkmal im Taunus.

* Bei Schönbronn, OA. Nagold, ist am 23. d. M. abends der dreijährige Knabe des Schmieds Schwarz in einer Wasserpfütze von keinem Quadratmeter Umfang und einer Tiefe von nur etwa 30 ein er­trunken, als er mit einem zehnjährigen Kameraden Blumen suchte. Der letztere sah dem Ertrinkenden zu, ohne ihm zu helfen, da er bald ruhig geworden sei. Auf dem Heimwege teilte er einigen ihm begegnenden Personen mit, dort drinnen liege einer. Eine er­wachsene Person scheint keine Verschuldung zu treffen.

A Calw, 28. Mai. Gestern fand das II. Kreis- sängersest des allgemeinen Sängerbundes deutscher Zunge in der Turnhalle hier statt. Dieser Sänger­bund ist eine im Jahre 1879 ins Leben gerufene Ver­bindung von gegenwärtig 14 500 Sängern christlicher Gesangschöre, die auf dem Boden evangelischer Al- lianze gemeinschaftlich den christlichen Gesang zu heben versuchten. Der Bund zerfällt in große Vereinigungen und diese wieder in kleinere Kreise. An der Auf­führung. die aus Solis, Duetten, Quartetten, gemischten und Männerchören bestand, beteiligten sich 250 Sänger und Sängerinnen aus dem Kreis Karlsruhe, besonders aus Pforzheim, Karlsruhe, Neuenbürg, Calw und Um­gebung. Das Programm enthielt außer Gesängen, auch Gebete, Begrüßungswort und eine Ansprache von Prediger Walz in Pforzheim. Zur Aufführung hatten sich 500 Personen, meist Methodisten eingefunden.

8 Rottweil, 28. Mai. In der Duttenhoferschen Angelegenheit ist vom Gemeinderat eine Adresse an ihn (Duttenhofer) und den Generaldirektor Heidemann in Köln abgegangen, in welcher um Verbleib der Pulver­fabrik in Rottweil gebeten wird. Die Antwort hierauf wird Morgen veröffentlicht; inzwischen befehden sich die Parteien in offenen Briefen in der Schwarzwälder Bürg^rzeitung.

wilddiebt haben sollte, saß er im Gefängnis. Zu einem Gerichtstermin, welchen er in einer Beleidigungs­sache als Angeklagter hatte, war er in völlig betrunkenem Zustand erschienen und hatte sich so ungebührlich und frech gegen den Gerichtshof benommen, das er sofort auf vierundzwanzig Stunden in Haft genommen wurde. Das war allerdings ein überzeugender Beweis.

Der Alte war wie vom Donner gerührt, als der Prozeß diese Wendung nahm, aber seine Ueberzeugung blieb unerschüttert, daß Wilhelm der Wilddieb gewesen. Er stellte sich selbst dem Gericht und hoffte, daß die Untersuchung Licht schaffen und seine Unschuld erweisen würde. Die Richter schüttelten die Köpfe und was sollte den alten pflichttreuen, verdienten Mann zu einem leichtfertigen Eidschwur veranlaßt haben? Da kamen die unglücklichen Familienverhältnisse zur Sprache, wie der Alte gedroht hätte mit seinem Schwiegersohn ab­zurechnen, und was noch alles sonst zu berichten war ja dann, freilich! Nun war's ja erklärlich, der Haß des Alten war ein genügendes Motiv freilich, freilich, zugetraut hätte man es ihm nicht! Es konnte nichtzweifelhaftsein, wiederUrteilsspruch ausfallenwürde.

Und heute," schloß Karl,ist Termin; ich muß selber hin, bald ist die Entscheidung."

Mehr und mehr in sich zusammensinkend, hatte Anna zugehört, ein qualvolles Stöhnen kam von ihren Lippen.

Mein Vater, mein armer Vater! Ist denn keine Rettung mehr?"

Wenn nicht ein Wunder geschieht, seine Unschuld zu beweisen-" (Schluß folgt.)