Beilage zu „Aus den Tannen
Mr. 147.
Menstaig, Samstag den 15. Dezember.
1883.
Feuilleton.
Verurtheilt.
Skizze aus dem Leben von Anrry Wottzs-
Heller Herbstsonnenschein fällt auf einen schmalen Weg, der sich längs eines stillen Wassers dahinzieht. Am Wege steht ein morsches Holzkreuz und dieses hält ein Greis mit zitternden Armen umschlungen. Schneeweiß und silberglänzend ist sein Scheitel, finster und verschlossen die runzeligen Züge seines Angesichts. Hat der Mann Böses gethan, daß er nun hier am Kreuze um Vergebung bittet?
„Vergieb! vergieb! Gordula," schluchzt er auf. Eine heiße, brennende Thräne tropft auf die dürren Hände und dem Mann dünkt es, als wäre es Blut, sein eigenes, heißes Herzensblut. Wie anders erscheint jetzt des Mannes An
tlitz. Aus den großen blauen, tieftraurigen Augen ist aller Groll verschwunden, still blicken sie, wie ein Feierabend, in die verglühenden Sonnenstrahlen und schweifen dann grüßend zur romantisch gelegenen Mühle die seitwärts durch die entlaubten Bäume schimmert.
„Dort ließ ich einst mein Glück zurück," murmelten die farblosen Lippen, „und nie, nie kann ich es wiederfinden."
„Verloren!" stöhnt der Alte schmerzlich. „Das Zuchthaus, dieses entsetzliche Wort, steht zwischen uns, ewig und immer.
Gordula, mein Weib, mein angebeietes, geliebtes Weib, du denkst- wohl nicht mehr des fernen, schuldigen Garten, der fünfzehn lange Jahre fern von dir war, der auf deine schwachen Schultern allein die Sorge für die Erziehung unserer Kinder legen mußte, weil er nicht werth war, dir Gaue und den Kindern Vater zu sein. — Wie mag es all meinen Kindern gehen, die den Va.er kaum gekannt ? Meine älteste, verständige kleine Ella ist gewiß längst zur Jungfrau erblüht; meinen Liebling Dolores hat der Todesengel geküßt, weil das kleine Wesen den Vater und seine Liebe vermißte; mein kleiner Werner ist gewiß ein schmucker Bursch u. Lies, das vor fünfzehn Jahren kaum Geborene, gleicht vielleicht meiner Dolores."
Der alte Mann erschauert leis. — „Und darf ich, der Schuldbeladene, der von der ganzen Menschheit Ausgestoßene, zu meinen unschuldigen .
Kindern treten und sprechen:
Seht hier euren Vater, der fünfzehn lange Jahre im Zuchthause saß und vergebens die Arme nach euch ausstreckte, der für ein Lächeln seiner Kleinen tausendmal sein Leben geopfert Härte, der nach einem Liebesblick seines Weibes lechzte, wie der Dürstende nach Wasser in der Wüste. Werden nicht mein Weib, meine Kinder zurückbeben vor dem Zuchthäusler, der Schmach und Schande über sie gebrach! hat, die er hüten und schützen sollte vor jedem unreinen Hauch?"
Die Brust des Mannes bebt in heißem Schmerz und mit zuckender Lippe spricht er leis vor sich hin: Nur einmal will ich meine Lieben sehen und dann die müden Augen schließen und schlafen gehen — für immer! —
Der Alte wankt der Mühle zu, wir aber werfen einen Blick zurück in seine Vergangenheit.
Doktor Max Günther, dies war der Name des Mannes, lebte vor mehr als fünfzehn Jahren in den glücklichsten Verhältnissen. Er hatte ein liebes, gutes, braves Weib und engelschöne, goldlockige Kinder, die er vergötterte. Sein Wcib und seine Kinder machten sein ganzes Glück aus, bis zu der Zeit, als ein neuer Stern am Gesellschaftshimmel der kleinen Residenz, in der Günther lebte, auftauchte. Dieser Stern, der
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^ItenstuiK, vorombor 1883.
nach allen Seiten versengende Gluth ausstrahlte, war die Gräfin Ada von Reichenheim. Die ganze Männerwelt lag ihr zu Füßen und Max Gümher, damals ein schöner kraftvoller Mann, war förmlich berauscht, von Adas Schönheit. Nicht daß er seine Gordula weniger liebte, sie erschien ihm noch immer als die erste aller Frauen und füllte sein ganzes Herz aus, aber Gräfin Ada nahm all seine Sinne gefangen. Wo ihr rothgolden schimmerndes Köpfchen austauchte, da zog es auch ihn hin; er konnte kaum ohne Ada leben. Gleichzeitig mit Max bewarb sich auch ein Herr v. Kardorf eifrig um Adas Gunst, doch schien es, als ob sie denselben nur vorzog, um dadurch Günther zu gewinnen. Letzterer war fast täglicher Gast bei Ada, ohne die Gefahr zu ahnen, die diese Besuche für ihn in sich bargen. Gordula, feine sanfte Gattin, wurde von Tag zu Tag Wer, bis es ihm endlich auffiel und er eingehend nach ihrer Be- trübniß forschte.
Unter Thräuen gestand sie ihm, daß sie fürchte, sein Herz verloren zu haben und Las Gefühl, daß sein Weib nicht so ganz Unrecht hatte, wenn er den Verkehr mit Ada fortsetzte, machte ihn fast rasend. Er stürmte fort, um Ruhe und Sammlung im Freien zu finden. — Das blasse Bild seines Weibes wollte nicht seinem innern Auge entschwinden und je mehr er sann und sann, desto mehr ward ihm klar, daß nur sein Weib sein Alles war und Ada nur ein böser Dämon, der sich bemühte, ihn vom Pfade der Pflicht zu reißen, auf dem er wandeln wollte fein Leben lang.
Unbewußt war er vor Adas Wohnung angelangt, und er stieg nun die breite Marmortreppe hinan, um Ada zu sagen, daß er nie mehr ihr Haus betreten wollte. Er ließ sich melden und schon nach wenigen Minuten vernahmen die Diener einen heftigen Wortwechsel aus der Gräfin Zimmer, das Doktor Günther nach einer kleinen Weile mit hochrothem Gesicht und in heftiger Aufregung verließ. — Als nach etwa einer halben Stunde ein Diener in Adas Zimmer trat, lag diese bleich mit entfielben Zügen auf einem Ruhebett. Ein blitzender Dolch hatte ihr Herz durchbohrt und ihr lasterhaftes Leben geendet. Niemand anders als der Doktor konnte der Mörder sein, es war Niemand nach ihm bei Ada gewesen, und er war in großer Aufregung und nach einem heftigen Wortwechsel von ihr gegangen.
Der Doktor wurde verhaftet und die Untersuchung gegen ihn eingeleitet. Was nützte es ihm, daß er seine Unschuld betheuerte, er konnte nicht leugnen, daß er kurz vor der That bei Ada gewesen, ja nicht einmal beweisen, daß die todtbringende Waffe nicht sein Eigenthum, trotzdem er behauptete, dieselbe sei ihm vor länger als Jahresfrist abhanden gekommen. Das Urtheil lautete auf fünfzehn Jahre Zuchthaus.
Was nützte es Max, daß er sein elendes Leben verwünschte, daß er Alles aufbot, seine Unschuld zu beweisen? Die Umstände waren alle wider ihn und ein Jeder glaubte an seine Schuld. Diejenigen, die sich erst um seine Gunst drängten, waren am ersten von seiner Schuld überzeugt und beweisen konnte er seine Unschuld nicht. Nur sein Weib, seine Gordula, streckte ihm die erst wenige Wochen alte Lies zum Kusse entgegen und sagte in leisem vibrirendcn Herzenstone: „So wie ich das Leben dieses Kindes von Gott erbitte, so bin ich immer und ewig, was auch zwischen uns tritt, nichts als Dein treues Weib. Und nun, mein Herzensmann, geh mit Gott, er gebe Dir Muth und Kraft."
Mit diesem Segensspruch war er ausgezogen, ein langes jammervolles Leben zu beginnen. Oft, wenn er zusammensinken wollte unter der