die erste Lesung des Etat pro 1884/85 auf der Tagesordnung.

Als der Reichstag in seiner für Freitag Mittag anberaumten Sitzung in die dritte Be- rathung der Gewerbeordnungsnovelle eingetreten und eine Abstimmung nothwendig geworden war, erwies sich das Haus als beschlußunfähig, indem (von 399) nur 166 Mitglieder anwesend waren. Infolge dessen wurde für 2 Stunden später eine neue Sitzung anberaumt. Nach Er­öffnung derselben beantragte der Abg. Dirichlet sogleich die Vertagung, weil den Abgeordneten nicht zuvor die gedruckte Tagesordnung zuge- gaugen war. Zwar wurde der Vertagungsan- trag abgelehnt; Abg. Richter-Hagen nahm den­selben aber wieder auf und bezweifelte zugleich die Beschlußfähigkeit des Hauses. Der hier­durch veranlaßte Namensaufruf ergab die An­wesenheit von nur 185 Mitgliedern, worauf der Präsident die Sitzung abermals schließen mußte.

Württembergischer Landtag.

Kammer der Abgeordneten.

Stuttgart, 1. Mai. (31. Sitzung.) Ein k. Resciipt theilt dem Hause die Ernennung des Staatsraths v. Sarwey zum lebenslänglichen Mitgliede der erstenKammer mit. Eine Petition der Wittwen- und Waisenkafse von Gemeinde- und Korporationsbeamten bittet um Zuweisung der Sporteln bei Bestellung von Amts-, Kor- porations- und Gemeindedienern. Fortsetzung der Etatsberathung. Kap. 19 u. Departement der ausw. Angelegenheiten. Abtheil, der Ver- kehrsanstalten M. 35140 resp. M. 33750. An­genommen. Kap. 118. Eisenbahnen. Ttt. 1. Aus dem Personen- und Gepäckverkehr unter Zugrundelegung eines Kilometerertrags von M. 6350 je M. 9 734 550. Tit. 2. Aus dem Güterverkehr unter Zugrundlegung eines Kilo­meterertrags von M. 10 500 je M. 16 096 500. Berichterstatter Ramm schlägt zur Hebung der Erträgnisse der Eisenbahnen Abschaffung der Retourbillets vor, resp. Gewährung einer Er­mäßigung von nur 10°/o auf dieselben. Die Steuerzahler würden dann nicht mehr genöthigt sein, jährlich 2 V 2 Millionen zur Verzinsung der Eisenbahnschuld beizutragen. Wüst bedauert den geringen Antheil der Einnahmen aus dem direkten und Transitverkehr an den Einnahmen unserer Eisenbahnen. Frhr. E. v. Ow meint, die Voranschläge bei den Eisenbahneinnahmen pro 1883/85 seien zu niedrig gegriffen. Lang gegen die Funktionszulagen an die höheren Be­amten. Man solle lieber die niederen Beamten bedenken. Haug gibt dem Eisenbabnbeirath Schuld, daß man den letzten Zug von Ulm nach Aalen auf eine zu frühe Stunde verlegt hat. Minister v. Mittnacht betont die Richtigkeit der Voranschläge und stellt bei dieser Gelegenheit noch eine Nachexigenz für einen allgemein anzu­strebenden Zweck in Aussicht. Ec warnt vor einer Aenderung des Retourbilletverkehrs; Würt­temberg könne sich in der Frage überhaupt nicht von den Nachbarstaaten trennen. Eine Aenderung

im Ramm'schen Sinne werde keine Erhöhung der Einnahmen herbeiführen. Redner will der von Wüst angeregten Frage seine volle Aufmerk­samkeit schenken, muß aber aus Rücksicht auf die Nachbarstaaten darauf verzichten, sich im Detail darüber zu äußern. Frhr. v. Wöllwarth äußert sich zu den Retourbilleten im Sinne Ramm's; ferner findet derselbe unser Wagen- material zu schwerfällig, was Mohl bestreitet. Man nimmt die Titel 1 und 2 an. Ebenso Tit. 3 Vergütung für Ueberlaffung von Bahn­anlagen und für Leistungen zu Gunsten Dritter 776 920 M. resp. 764445 M.; Tit. 4 Ver­gütung für Ueberlaffung von Betriebsmitteln 415000 M. resp. 425 000 M.; Tit. 5 Erträge aus Veräußerungen vom Betriebsmaterial je 535000 M. und Tit. 6 verschiedene sonstige Einnahmen je 485 000 M. Bei den Tit. 131 handelt es sich um Gehalte an Beamte und Bedienstete. Für eine ganze Reihe von Beamten sind höhere Gehalte exigirt worden; es handelt sich dabei um ein Mehr von 62 000 M. gegen­über dem letzten Etat. v. Wolfs für Aufbesser­ung der Gehalte der Eisenbähnsekretäre. Min. v. Mittnacht vertröstet den Vorredner auf den nächsten Etat. Nußbaumer bedauert, daß die Stationsmeister so wenig Urlaub haben. Mohl weist auf den 16stündigen Dienst der Weichen­wärter hin. Min. iv. Mittnacht weist darauf hin, daß die Weichenwärter auf den größeren Bahnhöfen nur einen Dienst von 12 Stunden mit darauffolgender 8stündiger Freizeit haben. Redner behält sich wegen der Weichenwärter, der Stationsmeister und auch wegen der Güter­abfertiger vor, dem Winterlandtag Vorschläge zu machen. Ueber eine Petition von Weichen­wärtern um Gehaltsaufbesserung und eine ähn­liche Petition von Güterabfertigern geht man zur Tagesordnung über. Man kommt bis zu Tit. 23, die sämmtlich nach der Regierungs- exigenz angenommen werden. Nächste Sitzung: Morgen.

Laudesuachrichteu.

Stuttgart. In der Kammer der Stan­desherren gibt sich Herr v. Rieke, der fast all­gemein als einstiger, vielleicht auch baldiger Nachfolger des jetzigen Finanzministers bezeichnet wird, alle Mühe, Herrn v. Renner den Beweis zu liefern, daß gar Manches an der württem- bergischen Finanzlage besser gemacht werden könnte, wenn nur nicht der jetzige Portefeuille- Träger so unerbittlich zähe und renitent wäre. Zwar glaubt auch Herr v. Rieke nicht daran, daß auf andere Weise die Tilgungs-Raten un­serer Staatsschuld gedeckt werden können', als auf dem Wege einer Steuererhöhung. Damit würde sich aber weder die zweite Kammer noch das Volk einverstanden erklären, da man zur Zeit ohnedies schon zahlen genug muß. Das beweist aber das Auftreten des Herrn v. Rieke, der jetzt schon wiederholt Herrn v. Renner ganz entschieden entgegengetreten ist, daß er von der jetzigen Uebung zur Deckung alter Schulden neue

zu contrahiren, unter keinen Umständen wisse» will. Diejenigen aber, welche uns in eine solch! enorme Schuldenlast hineingebracht haben, mögen sich daran erinnern, daß wir durch ihre nationsl- ökonomtsche Prinzipienmacherei nunmehr in die unangenehme Lage versetzt sind, das, was unz Andere eingebrockt auch ausessen müssen.

Stuttgart, 2. Mai. Die Genesung Seiner Maje st ät des Königs hat in der letzten Zeit wieder erhebliche Fortschritte ge­macht ; Appetit und Schlaf sind bester geworden und in entsprechender Weise hat sich der Kräfte­zustand so gehoben, daß heute zum ersten Mal­ern kurzer Gang ins Freie möglich war. Wie schwer der Anfall war, geht ebenso aus den, langsamen Fortschreiten der Erholung, wie auch daraus hervor, daß jetzt noch nicht alle Krank­heitserscheinungen verschwunden sind. Seim Majestät werden daher noch geraume Zeit der größten Schonung bedürfen.

Stuttgart, 2. Mai. Im Laufe dieses Monats werden erstmals die Zinsen des für das Volksbad bestimmt gewesenen Kapitales von 200 000 M. Seitens des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, welcher hierüber zu ver­fügen hat, zur Vertheilung gelangen.

Der Metzger I. I. Vetterle, der in ei­ner Wirtschaft in Gaisburg vor einigen Wochen ein Frauenzimmer die Treppe hinabgeworfen hat, so daß dieselbe kurz darauf starb, ist aus der Arrestzelle des Stuttgarter Katharinen­hospitals ausgebrochen und entflohen. Vetterle hatte eine Eisenstange am Fenster ausgebrochen und sich an zusammengebundenen Leintüchern 2 Stockwerke heruntergelassen. Von dem Ent­wichenen, welcher mit einem Hellen Schlafroik bekleidet war, fehlt bis jetzt jede Spur.

Eßlingen, 1. Mai. Langjährige Dienst­boten gereichen sich selbst und der Dienstherr­schaft zur Ehre; im benachbarten Neuhansen hat eine Magd im Ganzen in der gleichen Fa­milie 39 Dienstjahre; sie wurde von Ihrer Majestät der Königin mit einer Gabe von 30 M. bedacht l

Ludwigsburg, 4. Mai. Vorgestern wurde der Gemeindepfleger Eberle in Benningen 'wegen Unterschlagung amtlicher Gelder verhaftet und hieher eingeliefert.

Rottweil, 4. Mai. Zwei im kräftig­sten Alter stehendearme Reisende", ein Schnei­der Franz Xaver Betting von Denkingen und ein Bäcker Johann Michal Hemminger von Nagold, benützten das gestrige Himmelfahrts­fest um in Stetten deredlen Fechtkunsff obzuliegen. Vom Polizetdiener betroffen und auf das Rathhaus vorgeführt, ließ sie das Schult­heißenamt wegen des Feiertags vorläufig ini Ortsarrest unterbringen; auf dem Wege dahin blieb Hemminger stehen und wollte nicht wei­ter und als ihn der Polizeidiener am Arm füh­ren wollte zog er sein Messer und versetzte ihi» zwei kräftige Stiche auf den Kopf und in den rechten Arm; die durch den ersten Stich bei­gebrachte Wunde gieng bis auf den Knochen.

Unter der Grde.

Eine Erzählung aus dem australischen Golbgräberleben.

(Fortsetzung.)

Man munkelte schon damals von einer großen Revolution der Dig­gers, und einige besonders schlechte Subjekte sprachen auch von der Plünder­ung der Banken. Wenn ich nun aber mein Gold in Grundbesitz anlegte und der Revolution, wie so Viele, nur als Zuschauer beiwohnte, sie schweigend billigte, so hätte es schlimm hergehen müssen, wenn ich in meinem Besitz nicht verblieben wäre.

Ich sollte nun erwähnen, daß ich meine Schätze in einer Wand verbor­gen hatte, welche aus einem Erdsturz hervorragte, und daß ich zu dem­selben nur gelangen konnte, indem ich über jenen finstern Spalt ein Brett legte, welches ich jedesmal vor meinem Aufstieg sicher verbarg. Die früheren Digger hatten zu jeder Seite jenes Absturzes ein Brettchen ange­bracht, welches weiß auf schwarzem Grunde die beiden WorteVorsicht! Bodenlos!" trug. Ich hatte auch gar keine Lust, die gähnende Tiefe näher zu erforschen, blickte nicht einmal hinab, wenn ich, wie eben jetzt, darüber hinging.

Im Begriff, mein Brett zurückzuziehen und zu demselben hinabgebeugt, erhielt ich von rückwärts einen Stoß, der mich kopfüber in die Tiefe stürzte. Ich hatte niemand gesehen, war ganz ahnungslos; aber das teuflische, hier unten taus-ndfach nachhallende Lachen meines feigen An greisers sagte mir, daß Harry Dogstone mich da zum Teufel geschickt hatte, wie man sagt. Ich stürzte und stürzte furchtbar schnell und fast schwanden mir die Sinne."

Der Alte hielt inne und trocknete den Schweiß von seiner Stirn, der, wohl von der Aufregung, in dicken Tropfen hervorgebrochen war, dann murmelte er etwas wie einen Fluch zwischen den Zähnen, that einen riefln Zug, schnalzte mit der Zunge und fuhr dann fort:

Im Fallen schlug ich plötzlich auf etwas auf. Es war eine weit vorspringende Felskante, die ich mit der ganzen Angst des Todes und übermenschlicher Kraft umklammerte. So hieng ich nun über dem als bodenlos bezeichnten Abgrunde, Nacht um mich her, und in meine»! Herzen Furcht, Wuth, Rachedurst und Verzweiflung. Ach! Die Ver­zweiflung, Sir, das ist das Schlimmste; so lange sie einem noch fernbleibt, hat man Hoffnung, und so lange man hofft, lebt man. Ich hatte also aufgehört zu leben, wie ein Mensch zu leben; ich war nur noch ei» athmendes Etwas, das, wie die zertretene Blume, sich noch einmal auf­richtete, um dann zu verwelken. Zertreten war mein Leben, mein Lieben, meine Zukunft, und ich ausgelöscht auf immer aus dem Gedächtniß der Tausende, die mich da oben gekannt hatten.

Die Leute kamen und giengen damals hier auf den Dtggings, ungefragt woher, ungefragt wohin; sie waren eben da und waren wieder fort. Ein beliebiger Name genügte, wie man einen Haufen Pallete num­meriert, um jedes einzelne wieder herausfinden zu können. Viele wäre» Aristokraten, die sich Brown oder Williams nannten, viele entlaufene Sträflinge, Galeerensklaven, die sich mit einer der vielen bekannten Adels­familien daheim in Alt-England liirten. Ich würde nun eben an der Oberwelt auch nur als fortgegangen gelten, vor Mary aber als Schurre und Betrüger dastehen; und das. Sir, das ließ mich nicht ruhig sterben. Aber die heftigste Gemüthsbewegung, die höchste Anspannung aller geistigen Kräfte unterliegt schließlich phistschen Gesetzen und so konnte auch ich m diesem Wurm am Herzen die zunehmende Ermattung meiner Kräfte nicht mehr aufhalten.

Im Begriff, mich von dem letzten Halt am Leben loszulösen, ver­nahm ich über mir ein Donnern, welches mich den Einsturz des ganze« Schachtes vermuthen ließ. Noch klammerte ich mich an. Eine dunkle