die durch die Erfahrungen gebotenen Aender- ungen innerhalb des bestehenden Systems vorzunehmen, und daß nicht die Schutzzölle, sondern der Schwindel an den Kornbörsen die traurige Lage der Landwirthschaft herbeigeführt und das Brod des armen Mannes vertheuert habe. — Die Discussion wurde noch in einer Abendsitzung festgesetzt und endete mit der Annahme des Trauben- und Erhöhung des Mehl- zolles.
Tagesneuigkeiten.
Man erinnert sich, daß in der letzten Stuttgarter Schwurgerichtsperiode ein Arbeiter der Degerlocher Ziegelei Namens Fries von Oberdigisheim trotz seines Leugnens zu 15 Jahren Zuchthaus verurthcilt wurde, weil er verdächtig war, einen Kollegen ermordet zu haben. Es soll sich nun der eigentliche Thätcr freiwillig dem Gerichte gestellt haben.
Stuttgart. Die Württemberg. Landeszeitung ist vor einigen Tagen an ein Consor- tium übergegangen und wird sich diese Veränderung nicht blos auf den Besitzer, sondern auch auf die Tendenz erstrecken. In direkter Verbindung damit steht das Eingehen der erst seit vor Kurzem von Frankfurt nach hier verlegten konservativen „Deutschen Reichspost," deren bisheriger Chefredakteur A. Treiber, der früher schon in der W. Landesztg. thätig war, seit gestern bereits in die Redaktion des letztgenannten Blattes wieder eingetreten sein soll. Es verlautet, daß die geringe Abonnentenzahl der „Deutschen Reichspost" ein Forterscheinen derselben unmöglich macht, nachdem die Opferwilligkeit der Aktionäre ihr Ende erreicht zu haben scheint.
Stuttgart. (Engschrift.) Zwei Postkarten von Maximilian Gander, die eine mit 4031, die andere mit 7062 Worten, „Hcine's Lieder" enthaltend, sind im Schaufenster von Autenrieth ausgestellt. Die Karte mit 4031 Worten ist bereits verkauft.
In der Nacht vom 26./27. Mai fand der Polizeidiener in Andels ingen einen Müllerknecht nur mit einem Hemd bekleidet bewußtlos im Hofraum seines Dienstherrn liegend. Derselbe war in angetrunkenem Zustande drei Stockwerke hoch heruntergesallen, ohne eine erhebliche Beschädigung erlitten zu haben.
Von der Jagst, 29.Mai. Von konservativer Seite war auf Freitag eine Versammlung nach Grotzaltdorf, OA. Hall, anberaumt, in welcher Redakteur A. Treiber aus Stuttgart die Nothlage der Landwirthschaft und der Gewerbe besprach. Er sagte u. a., der Landwirth könne seine Produkte nicht mehr so gut wie früher verkaufen, weil er der Konkurrenz des Auslandes beinahe erliege. Der Kornzoll mit 50 Pf. pr. 100 Kilo schütze nur ungenügend. Die Fatirung der Steuer nütze wenig, das sehe man an den zahlreichen Prozessen wegen Steuerdefraudation. Um bessere Zustände herbeizuführen, müßten die Menschen sparsamer, genüg-
Aas Schmuckkästchen.
Novellette von H. Löss.
Bald nahm das Gespräch eine andere Wendung, bis Möller, welcher Wittwer war, sich im Gespräch in die Vergangenheit zurück versetzte. Während er von seiner seligen Frau sprach, malte sich tiefe Wehmuth in seinen Zügen. Mit den beredtsten Farben schilderte er sein geschwundenes Glück. Es war ihm, als ob er die Theure erst gestern verloren hätte. Trübe sinnend sagte er:
„Was habe ich von meinem Reichthum, von all den Glücksgütern, mit denen der Himmel mich vor andern bevorzugt hat? Nichts! ein freudenleeres Dasein. So lange meine Thätigkeit im Geschäfr erforderlich, ist mir wohl; kehre ich aber zurück in die öden Räume meiner Wohnung, dann überfällt mich ein Trübsinn, den ich durch die angestrengteste Philosophie immer wieder von Neuem bekämpfen muß/
„Du wirst Dich wohl erinnern," meinte hierauf Heine, „daß ich Dir nach dem Trauerjahr vorschlug, Beckers Lottchen zu nehmen, sie hätte sicher nicht Nein gesagt. Sie schien sich für Dich zu interessiren."
„Ich merkte es wohl," entgeguete Otto Möller nachdenkend.
„Wenn ich Dir dazu rieth, so war das immer Oel ins Feuer gegossen, darum schwieg ich zuletzt."
„Ich konnte mich nicht entschließen." Bei diesen Worten erhob sich Möller, ging zu einem Wandschrank, schloß ihn auf und nahm ein Kästchen heraus, öffnete dasselbe und hielt es dem Freunde mit den Worten hin:
„Ist es nicht jammerschade, daß diese Kostbarkeiten so unbenutzt in einem Winkel verborgen daliegen? Aber Du kannst es glauben, daß ich sie seit dem Tode meiner Frau nicht wieder berührt habe."
„Kaum getraue ich mir den Schmuck anzusehen, denn da wird sie wieder wie lebend vor meinen Blicken daüchen in ihrer blendenden Schönheit, wie sie sich den weißen vollen Hals, die runden, schön geformten Arme damit schmückte, und damit sollte sich je
Bayern.
Kempten, 29. Mai. Gestern Nachmittag IV» Uhr sollten fünfzehn Mann von unserem Jägerbataillon i beim sogenannten „Härtnagel" auf der erst vor kurzem zur Benutzung übergebenen Fähre (einer „Plätte") zum Schieß- und Exerzierplatz über die Iller gesetzt werden als sich — die Fähre war etwa in der Mitte des hochgehenden Flusses angekommen — der am rechten Ufer befindliche Ständer, woran das Drahtseil befestigt war, aus dem Grunde hob, was die Vernichtung der Leitung und das Sinken der Fähre zur Folge hatte. Die Soldaten suchten sich zu retten, so gut es ging, was auch den meisten gelang. Drei unserer braven Jäger aber fanden leider den Tod in den Fluthen. Kein Rettungsmittel blieb unversucht, doch unter den obwaltenden Umständen war alles vergeblich.
(Gefährlichkeit des Oleanders.) In Traunstein riß ein einem Schmied gehöriges, werthvolles Pferd von einem Oleanderstock, welcher sich als Zierde vor einem Hause befand, einige Zweige ab und fraß dieselben. Nach einigen Stunden schon waren Krankheitserscheinungen eingetreten und trotz sofort ein- geleiteter ärztlicher Behandlung erlag das Thier am andern Tage der Vergiftung.
Preußen.
Berlin. Die drückende Schwüle des Sommers und das politische Unbehagen lastet schwer auf dem Reichstage. Heftig Platzen die Geister auf einander, mühsam wälzen sich die Geschäfte vorwärts, an denen Niemand rechtes Gefallen findet, da sie Niemanden befriedigen, dem Einen zu weit, dem Andern nicht weit genug gehen. Die gehaltenen Reden sollen oftmals zugleich als Wahlreden ins Land Hinaushallen, da mit dem 31. Juni sämmtliche Reichstagsmandate erlöschen und der Wahlkampf neu entbrennt. Die Pfingstferien, sonst so sehr ersehnt, werden diesmal als unliebsame Störung empfunden, die die Arbeiten, an denen man doch keine rechte Freude hat, nur hin- zögeri.
Berlin, 1. Juni. Bismarck empfing trotz seines Unwohlseins den Besuch des Reichskanzlers Gortschakow, welcher gestern Abend nach Petersburg weitcrgereist ist.
Berlin, 1. Juni. Die Vorarbeiten zu einer Vorlage über Arb eiteral ters-Ver- sorgung sind thatsächlich eingeleitet und die Einbringung der Vorlage ist für die nächste Session wahrscheinlich.
Mainz, 31. Mai. Ein schändliches Verbrechen ist heute Nacht in einer obskuren Wirthschaft auf der hintern Bleiche verübt worden. Nach 11 Uhr begab sich in diese Wirthschaft ein Schutzmann, um Feierabend zu bieten. Kaum war aber der Polizist in das Lokal getreten, als er mittels eines Beiles einen Hieb auf den Kopf erhielt, der den Schädel spaltete. Auf das Hilfegeschrei kamen noch zwei Schutzleute hinzu, und wurde dem einen
eine Andere schmücken ? Nimmermehr! Fort damit, ich kann ihn nicht sehen, mag einst nach meinem Tode damit glänzen, wer da will!"
Mit einer Hast, als hätte er glühende Kohlen in den Händen, stellte er das Kästchen wieder an seinen alten Platz.
Bald erschienen mehrere Frennde, wodurch die Unterhaltung eine andere Wendung nahm. Der Abend war bereits herein gebrochen; bei dem lebhaften Gespräch und der zunehmenden Dunkelheit hatte niemand die Veränderung in Heine's Antlitz bemerkt. Aus seinen Augen leuchtete ein unheimliches Feuer. Er schnellte von seinem Sitze empor und ging in heftigen Schritten auf und ab, als könne er hiedurch dem Dämon entfliehen, der ihn gepackt.
Otto Möller befahl, Lampen nach dem Garten zu bringen und das Abendessen im Pavillon aufzutragen, um später noch den schönen Abend zu genießen.
Kaum wurde Heine, der gute Gesellschafter, da vermißt, als er auch schon erschien; aber er war ganz gegen seine Gewohnheit einsilbig, sah auffallend erregt aus und schien zerstreut. —-
Am andern Tage herrschte in Möllers Hause große Aufregung.
Der Herr, gewohnt früh aufzustehen und einen Gang durch den Garten zu machen, war heute anS Zimmer gefesselt; es hatte in der Nacht geregnet und wieder hing der Himmel voll drohender schwerer Wolken. Er war daher aufs Haus beschränkt.
Mürrisch zündete er seine Meerschaumpfeife an, um sich dann auf das Comptoir zu begeben, da fiel sein Blick wie zufällig nach dem Wandschränkchen, es schien offen zu sein.
»Ich fange an, zerstreut zu werden!" sagte er vor sich hin. „So etwas ist mir bis jetzt noch nicht passirt, solchen Werthgegenstand in einem Hause voll fremder Menschen offen stehen zu lassen. Ja, ja, mein Hannchen fehlt mir überall!" klagte er.
Aber ein Blick genügte, um zu sehen, daß der Raum leer, das Kästchen fort war. Möller, unangenehm überrascht, suchte im Zimmer umher, als müsse er es irgendwo entdecken; es konnte nicht fortsein, er mußte es in der Zerstreutheit irgendwo hingestellt
samer und solider werden. Schwer zu beklagen sei die fortwährende Schaffung neuer Gesetze, so daß das Volk oft nicht wisse, was als Gesetz gelte. Bei den Gewerben sei der kleine Meister von der Macht des Kapitals überholt worden. Dem Großkapital dürften nicht alle Rechte eingeräumt werden. Bezüglich des Aktiengesetzes müsse eine Aenderung geschaffen werden, damit nicht das Geld der Aktionäre verkracht werden kann. Soll es besser werden, so müsse in der Familie Zucht und Ordnung, in Gemeinde, Schule und Kirche sittlich religiöse Erziehung und im Staate die Autorität hoch gehalten werden. Bessere Gesetze und bessere Menschen werden bessere Zustände erzeugen.
Aus Alts Hausen wird rnitgetheilt, daß dort sämmtliche 8 Schulen geschloffen sind, wegen des heftig grasfirenden Scharlachficbers, welchem täglich 3 bis 4 Kinder erliegen sollen.
(Unglücksfälle und Verbrechen.) In Burgrieden (Laupheim) wurde letzten Sonntag bei einer Schlägerei einem Mann die Nase aus dem Gesicht herausgeschlagen; dieser liegt lebensgefährlich darnieder. — In Hirsau ist ein zweijähriges blühendes Kind, Knabe des Restaurateur Jäger, hart vor seiner Hausthüre durch ein Langholzfuhrwerk derart überfahren worden, daß ihm wörtlich der Kopf vom Rumpfe getrennt wurde. Den Fuhrmann, welcher dort angehalten hatte, trifft keine Verschuldung, denn er war beim vorderen Wagen, um die Pferde anziehen zu lassen, als das Kind einen kleinen Moment vorher aus der zu ebener Erde gelegenen Wirthsstube entwischt, und unbemerkt unter den Hinteren Wagen gcrathen war. Eine breite Blutlache bezeichnte die Unglücksstätte und die jammernde Mutter erhielt ein enthauptetes Kind, während den geschäftlich verreisten Vater erst später die Hiobspost erreichen wird. — Am Sonntag Abend hatte ein Kutscher von Michelbach, welcher die Turner des dortigen Vereins von Crailsheim aus nach Hause fuhr, das Unglück, daß ein Revolver, welchen er bei sich führte, losging und ihm die Hand durchschoß. — In Stuttgart wurden an dem Neubau der Allgemeinen Baugesellschaft die zwei Grabarbeiter Gottlob Christian von Gaisburg, 42 Jahre alt, Vater von 7 Kindern, und der 24 Jahre alte ledige Heinrich Kühnle von Cannstatt, durch einen Erdrutsch verschüttet; elfterer erhielt hiebei einen Bruch des rechten Oberschenkels, letzterer dagegen wurde getödtet und konnte erst nach einstündiger Arbeit unter der Erde hervorgeschafft werden.
Baden.
Mannheim, 28. Mai. (Die Judenhetzen inRußland) ziehen, wie ein hiesiges Blatt schreibt, in ihrer Folge auch den hiesigen Platz in Mitleidenschaft. Ein "größeres Fabriketablissement hat nämlich aus Kiew, Odessa u. s. w. eine Anzahl Briefe erhalten, worin die betr. Geschäftsleute in Folge der jüngsten Ereignisse um Stundung ihrer Verpflichtungen ersuchen.