Nr. 67.
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Lalw.
92. Jahrgang.
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Mittwoch, den 21. März 1917.
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Ein neues französisches Kabinett.
Drr Kabittittswechsel in Frankreich. — Die Lag« im Westen. — Iur russischen Revolution.
Briand, der mit allen Mitteln versucht hat, seine Stellung als Ministerpräsident zu behaupten, der sogar Zuflucht bei seinem Freunde Poincarö gesucht hat, indem er ihn« an- hcimstellte, das Ministerium zu behalten oder womöglich gar die Kammer hcinizuschicken, mutzte gehen, weil ihn selbst der Prüstdent der Republik nicht mehr zu halten vermochte gegen die Opposition. Die wahren Ursachen, warum Briand trotz seiner politischen'Geschicklichkeit und seiner Beredsamleit gleich der eines Schauspielers gehen mutzte, werden natürlich nicht an die Ocssentlichkeit kommen. Die Opposition sprach ihm das Misstrauen aus wegen des Einrcitzens wirtschaftlicher Mihstände, wobei die Regierung nicht genügend Voraussicht bewiesen habe, diese Tatsache hat aber noch den bitteren Beigeschmack, daß darin zugleich auch eine stumme Kritik gegen England zum Ausdruck kommt, das nicht genügend Entgegenkommen gegenüber den wirtschaftlichen Bedürfnissen Frankreichs gezeigt haben dürfte. ZweiscNos aber hängt der Sturz Briauds auch mit der Salonikisrage zusammen. Briand wird als der Vater des Gedankens der Salonikierpedition bezeichnet. Als es sich vorigen Herbst um die Aufgabe dieses Unternehmens handelte, hat Briand sich Mit aller Macht sür Fortsetzung eingesetzt, im Hinblick auf das Ansehen Frankreichs auf dem Balkan und wahrscheinlich auch mit der ausgesprochenen Hoffnung, Griechenland durch Unterstützung der Vcnizelistcn doch noch zum Anschluß zu bringen. Die Folge des Bestehens auf dieser Unternehmung war die Frankreich zugeschriebene Verstärkung dieser Front. Die Hoffnungen auf einen Umschlag in Griechenland gingen aber fehl, und der gerade im Mittclmeer mit besonderer Schärfe gehandhabte U-Bootkrieg hat das ganze Unternehmen jetzt in die heikelste Lage gebracht, wenn auch die Franzosen jetzt noch so energisch sich dort einsetzen. Ihre Verpflegung ist gefährdet. In beiden Fällen also, der schlechten Versorgung Frankreichs lind der Salonikierpedition wird dem gestürzten Ministerpräsidenten ungenügende Vertretung der Interessen Frankreichs vorgemorfcn. Die neuen führenden Männer stellen eigentlich ein richtiges Gesthäftriilltlisterium dar, sie verraten kein ausgesprochenes Programm. Ribot, der neue Ministerpräsident, ist 78 Jahre alt, er gehört seit Ausbruch des Kriegs der Regierung als Finanzminister an, er entspricht eigentlich nicht der Anschauung der radikalen Mehrheit der Kammer, sondern darf eher als gemätzigtcr Republikaner angesprochcn werden. Das; man den alten Mann noch a» die Spitze des Staatswesens setzte, kann nur als Verlcgenheitstat ausgelegt werden, weil wahrscheinlich jüngere tatkräftige Männer von politischem Ansehen nicht geneigt waren, die Regierung im jetzigen Stadium des Krieges, wo man sich über die Wirkung des U-Bootkrieges und auch (trotz alles Jubelgeschreis) der russischen Revolution noch nicht klar ist, zu übernehme».
Und merkwürdiger Weise ging das Ministerium Vrirnd auch in demselben Augenblick, in dem sich nach Anschauung der Franzosen doch der „Sieg" an die Fahnen des französischen Heeres zu heften beginnt, weil die Deutschen „unter dem Druck" des Gegners täglich mehr Gelände prelsgcben müssen. Wir sind ja unterrichtet über die „Erfolge" der Franzosen zwischen Arras und Aisnc, und wissen, datz sie dazu gekommen sind, wie der Blinde zu einer Ohrfeige, denn es hat Tage gebraucht, dis sie es gemerkt haben, datz ihr „glänzender" Vormarsch lediglich gegen deutsche Nachhuten geführt worden war. lieber die Tragweite des freiwilligen deutschen Rückzugs wird man sich klar, wenn man bedenkt, datz die Franzosen und Engländer nun alle Mühe und Arbeit, die sie auf die Vorbereitungen zur Bekämpfung der >stteu deutschen Stellungen verwendet hatte», umsonst getan haben, «ud ein Gelände „erobert" haben, das sie vollständig neu wieder in Ordnung bringen müsse», wobei sic allein eine»
Das neue französische Kabinett.
(WTV.) Paris. 2V. März. Die Agence Havas meldet: Das neue französische Ministerium ist wie folgt gebildet worden: Vorsitz und Aeusseres: Ribot; Justiz: Vioiani; Krieg: Painb'vö; Marine: Lacaze; Vewaffnnngswesen: Thomas; Finanzen: Thierry; Inneres: Malvy; öffentlicher Unterricht: Ste§g; öffentliche Arbeiten: Desplas; Handel: Elemente!; Ackerbau: Fernaird David; Verpflegung: Violette; Arbeit und soziale Fürsorge: Bourgeois; Kolonien: Magi not; Unterstaatssekretär des Flugwesens: Daniel Vincent.
großen Zeitraum daraus werde» verwenden müssen, die neuen Stellungen in Verbindung mit den Versorgungsstellen zu bringen. N"f englisch«» Gebiet sollen dazu allein 200 WO Mann verwendet werden. Die weitere strategische Bedeutung des deutschen Vüchugs wird vv.i rer neuiralen Fachp.esse als ein feiner Schachzug Hiudendut'üs bezeichnet, der wahrscheinlich dadurch freien Raum znm Enischeidungsschlag gewinnen wolle. Jedenfalls wird die glänzend durchgcführte Rückverlegung der -eurschen Front als eine Probe aus das Excmpel augeschcn, wer die besseren Nerven hat, denn mit einem moralisch geschwächten Heer läßt sich natürlich eine solche Operation nicht ohne die Gefahr der Rückwirkung aus den Geist der Truppen durchführen. An der Siegeszuversicht unserer Heere wird die Ausgabe unserer alten Stellungen also nichts zu ändern vermögen.
Was aber die so offensichtlich zur Schau getragene Siegeszuversicht unserer Feinde anbclangt, so dürfte sic gerade jetzt sich als Bluff erweisen, wo die Entwicklung der Dinge in Ruhland einen Verlauf zu nehmen droht, der keineswegs im Programm der Entente vorgesehen ist. Die „Erleichterung",'mit der Lloyd George kürzlich fcststcllen zu können glaubte, datz infolge des Sieges der Revolutionäre die euer gische Wetterführung des Krieges gesichert sei, ist der erneuten Befürchtung gewichen, datz doch nicht alles so geht, wie es England gewünscht hatte. Die russischen Sozialisten, die Vertreter der Volksniassen, denen das Stillen des Hungers vor der Erfüllung der allslavischcn Pläne geht, mit denen sie nichts zu tun haben wollen, scheinen der neuen Regierung bezüglich ihrer imperialistischen Kricgspläne energischen Widerstand entgegensetzen zu wollen. In der Regierung sitzt vorläufig noch der Sozialist Krrensly, der der Partei und ihren Anhängern als Garantie dafür dienen soll, datz baldmöglichst Frieden geschlossen wird, was schon daraus hervorgeht, datz die Sozialisten die Rückgängigmachung der Ernennung des Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch durchgesetzt haben, in dem sie mit Recht die Seele der kricgswiitendcn Militärpartei erblicken. Kcrenski hat noch im Februar in einer Rede in der Duina sich gegen die «topistischcn Kriegsziele der Panslavisien (Konflantinopel usw.) ausgesprochen und daraus hingewiescn, datz die Kriegsstimmung im russischen Volk in unendlichem Fortschrcitcn sinke. Die Anwesenheit dieses sozialistischen Vertreters in der Regierung bedeutet also den Massen, welche Nahrung und politische Freiheit wollen, ein Programm, und daß sie sich gegen eine Fortführung des Krieges für Englands Interessen wehren, das geht aus der gestrigen Erklärung von Lloyd George hervor, daß die „Gefahr" noch nicht vorüber sei, d. h., die Gefahr, datz die neue Regierung mit ihren Kriegspläne» durchdringt. Auch das neue Manifest der Negierung, in dem sie dem Volk Berge von Glück und Wohlfahrt «nd politischer Freiheit verspricht, und die alte Regierung verdammt, wett sie, in Schande und Laster verstrickt, der Zukunft des Vaterlandes gleichgültig gegenüber gestanden sei, wird nichts daran zu ändern vermögen. Und tvcnn die in dem Manifest cmgelün
digte Ausrcchterhaltung der Bündnisse nicht mit der allgemeinen Volksstimmung der Herbeisiihrung des Friedens iibcreinstilnmt, so wird es der neuen Regierung wohl schwer fallen, sich ihren neuen Widersachern entgcgenzustcmmcu trotz Englands Hilfe. 0. K.
Die Revolution in Rußland.
Die Umtriebe gegen die neue Regierung.
Berlin. 21. März. Laut „Berliner Lokalanzeiger" nimmt die anarchistische, gegen den Krieg gerichtete Agitation in Petersburg immer gefährlichere Formen an. Ueberall auf Strassen und Plätzen werden Reden für die sozialistische Arbeiter- Politik und gegen die vorläufige Regierung gehalten. Die Stimmung der Massen wird täglich mehr gegen die Dumaleute aufgewiegelt. Die Polizei ist grösstenteils durch Studenten ersetzt, die bei den Volksmassen keinerlei Autorität besitzen. — Laut „Vosstscher Zeitnirg" besteht zur Zeit keine Möglichkeit, objektive Pressdcpeschen aus Petersburg nach dem neutralen Auslände abzusenden. Nur ein Londoner und ein Pariser Vertreter besitzen eine Art Monopol für die Absendnng von Pressdepeschen, die unter Miljukows Redaltion hergestellt werden. — Die Pariser Presse bringt sich vollständig widersprechende Depeschen aus Petersburg. Noch ihnen scheint der Widerstand der Armee gegen die neue Regierung noch nicht ganz gebrochen, während andererseits schwere Kämpfe gegen allzu begehrliche Sozialisten bevorstehen.
Erzwungene Zugeständnisse der neuen Regierung an die Sozialisten.
(WTV.) London, 20. März. Die „Times" melden aus Petersburg: Die provisorische Regierung war gezwungen, der Stimmung der Revolutionäre Zugeständnisse zu machen. Als der Zar abdankte, ernannte er den Grossfürsten Nikolai zum Oberbefehlshaber. Trotz dessen Volkstümlichkeit hielt es die provisorische Negierung sür notwendig, die Ernennung anszuheben, um der böswilligen Propaganda ein Ende zu machen, und durch einen Erlass anzuordnen, dass der Oberbefehl nicht in den Händen eines Mitgliedes der Familie Romanow ruhen dürfe.
Peinliche Zweifel in England wegen der Gegenrevolution.
(WTB.) London. 20. März. Reuter meldet aus dem Unterhaus«:: Lloyd George erklärte, soweit die englische Regierung unterrichtet sei. sei die russische Revolution mit geringem Blutvergiessen durchgeführt worden. Die neue Regierung habe die Unterstützung des ganzen Landes, der Armee und der Marine erhalten. Es sei befriedigend, zu wissen, dass die neue Negierung für den ausdrücklichen Zweck gebildet worden fei. den Krieg mit vermehrtem Eifer weiterznführeu. Die englische Regierung sei überzeugt, das russische Volk werde finden, datz sich Freiheit mit Ordnung selbst in Revolutionszeiten vereinigen lasse, und dass freie Völker die besten Verteidiger ihrer eigenen Ehre seien.
(WTV.) Amsterdam. 20. März. Der Petersbur ger Korrespondent der „Times" meldet, dass man wegen der Gefahr einer Gegenrevolution damit unzufrieden sei. dass dem Zaren gestaltet wurde, nach Livadia z« gehen. Die neue Regierung verfolge aber die vernünftige Taktik des amerikanischen Cowboy, der. wenn er mit einer durchgehenden Viehherde zu