Vertagung der Sofort-Programme

Arbeitslosenversicherung «nL Landwirtschaft.

TU Berlin, 17. Juni. Nachdem die Verhandlungen der Regierungsparteien über das Sosort-Programm für die Reform der Arbeitslosenversicherung gescheitert sind, liegt die Entscheidung hierüber nunmehr wieder in den Händen der Regierung, insbesondere des Reichsarbeits­ministers Wissel und des Reichsfinanzministers Hilferding. Wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, wird sich der Neichsarbeitsminister zunächst damit begnügen, eine kleine Vorlage zur Abstellung einiger weniger wichtiger Mißstände von nicht grundsätzlicher Bedeutung einzubringcn, und im übrigen die Angelegenheit bis zum Herbst zu vertagen. Un­ter diesen Umständen dürfte aber auch das Schicksal des landwirtschaftlichen Sofort - Programms zweifelhaft werden. In Kreisen einiger Regierungsparteien besteht die Tendenz, die Angelegenheit der Arbeitslosenver­sicherung bevorzugt zu behandeln, und da die Anträge der Deutschnationalen aus Beschleunigung des Landwirtschaft­lichen Programms ohnehin bereits unter Hinweis auf die Kürze der Taguirgszett auf Schwierigkeiten gestoßen waren, wird jetzt verschiedentlich geltend gemacht, baß das Verhalten einiger an den Verhandlungen über das Arbeitslosen-So- fort-Programm Beteiligter eine Beschleunigung der land­wirtschaftlichen Fragen nicht mehr möglich gemacht habe. Es handelt sich hierbei natürlich um das Ansspielen parteitakti­scher Gesichtspunkte. Auf jeden Fall aber wird man damit rechnen müssen, baß die Reichstagsmehrheit auch das land- wirtschaftliche Sosort-Programm bis zum Herbst vertagen wird.

Der Reichsbahntarifantrag

Berlin, 17. Juni. Der angekündigte Tariferhöhungs­antrag der Reichsbahn ist jetzt bei der Reichsregierung ein. gegangen. Es wird vorgeschlagen, diejenigen Tarife, die im vorigen Jahre geschont worden sind, zur Erzielung von Mehreinnahmen heran» zuziehen, also eine Reihe von Gütersätzen und im Per­sonenverkehr die Tarife für die zweite Klasse, während die Preise in der dritten Klaffe unverändert blei­ben. Im einzelnen sollen, wie' versichert wird, die Er- höhungsjätze mäßig sein, da insgesamt nur die infolge der Lohnerhöhungen benötigten 58 Millionen aufgebracht wer­den sollen. Di« Hauptverwaltung der Reichsbahn habe ausdrücklich betont, daß sie der Regierung für ede andere Lösung der Finanzfrage dankbar sei.

Die Geldnot des Reiches

Sozialversicherungen «md Ultimogeldbedarf des Reiches.

TU. Berlin, 17. Juni. Infolge des schlechten Zetchnungs- ergebnisses der Reichsanleihe ist das Reichsfinanzministe­rium wieder gezwungen, zur Deckung des Ultimo-Juni zu erwartenden Geldbedarfs nach den verschiedensten Richtun­gen hin Verhandlungen zu führen. Nachdem man kürzlich noch vor allem über Bestrebungen sprach, im Ausland Ueberbrückungskredtte zu erhalten, hört man jetzt, dem Deutschen Handelsdienst zufolg« in Finanzkreisen wie­der von anderen Lesarten. So wird erklärt, daß die Neichspöst einen größeren Betrag für den Juni-Ultimo zur Verfügung gestellt habe. Dies« Lesart wird dem Deut­schen Handelsdienst jedoch auf Anfrage als unrichtig bezeich­net. Eine weitere Lesart will von Verhandlungen mit den Sozialversicherungen wissen. Der Gedanke liegt an sich nahe, daß die Sozialversicherungen, die ja über große Kapitalbeträge verfügen, einsprtngen, um dem Reich aus seiner finanziellen Bedrängnis zu helfen. Die Verhandlun­gen scheinen aber noch nicht abschlußreif zu sein und werden jedenfalls dem Deutsche» Hanüelsdienst gegenüber vorerst noch aus Kreisen der Sozialversicherungen selbst bestritten. Ganz allgemein kann gesagt werden, daß sämtliche bisher umlaufenden Gerüchte unrichtig oder verfrüht find, da die Bemühungen des Reichsfinanzmtntsteriums fortdauern und vor ihrem Abschluß erklärlicherweise von dieser Seite keine Mitteilungen über die Art der Verhandlungen gemacht wer- den können.

Kleine politische Nachrichten

Bertagnng der Beratung der SonkordatSvorlage durch den Staatsrat? Die dem preußischen Staatsvat zugegangen« Vorlage zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag -wi- schen dem preußischen Staat und dem Heiligen Stuhl (Kon- kvrdatsvorlage) wird voraussichtlich heute die Vollsitzung des Staatsrates beschäftigen. Die Fraktion der Arbeitsge­meinschaft des Staatsrates hat indessen, wie ans Abgeorb- netenkreisen verlautet, die Absicht, eine Vertagung der Be­ratung zu beantragen, damit inzwischen entsprechende Ver­handlungen mit der evangelischen Kirche aufgenormnen werden können.

Heilsarmee-General Booth f. Nach einer Meldung aus London ist der frühere General der Heilsarmee, William Booth, der einen heftigen Rückfall seiner Krankheit erlitt, gestorben.

Schnldenrückzahlung oder Abbruch der diplomatische« Beziehungen. Der Republikaner Hastings überrascht« das Repräsentantenhaus mit dem Antrag, Amerika solle di« diplomatischen Beziehungen zu Frankreich abbrechen, bis «in Abkommen erreicht sei, durch das -te Schuldenrückzahlung Ihre endgültige Regelung finde«.

Annahme der neue« Einwanderungsguote« im ameri­kanischen Senat. Bei der Abstimmung über den Widerruf tes neuen amerikanischen Einwanderungsgesetzes, wonach r. a. die Zahl der deutschen Einwanderer um etwa die Hälfte herabgesetzt wird, fielen im Senat alle Unterschiede der Par­tien. DieIVOprozentigen Amerikaner* siegten mit einem Stimmenverhältnis von 48:87, während di« Senatoren a«S tem Osten und Mittelosten mit dem Ergebnis sehr mrzu- xiederr waren.

-ZUM ueverM auf Luracao

Dieser Tage hat sich im Antillenmeer, 4L Seemeilen von der Küste des südamerikanischen Festlandes entfernt, eine Episode abgespielt, die man in unserem nüchternen Zeitalter kaum noch für möglich gehalten hätte. VenezolanischeNatio­nalisten* eroberten die holländische Insel Curaxao, setzten den Gouverneur gefangen und zogen friedlich wieder ab, nachdem sie alle auf der Insel befindlichen Waffen und die gesamte Munition an sich gebracht hatten. Wie sie selbst er- klärten, brauchten sie diese, um eine kleine Revolution in

Venezuela in Szene zu setzen, was später auch tatsächlich ein­trat, ohne daß jedoch die Aufständischen sonderlich vom Glück begünstigt gewesen wären. In Willemstad, dem Hauptort der Insel, den unser VW zeigt, ist inzwischen das Kriegs­recht verhängt worden. Eine Flottille holländischer Kriegs- schiffe ist unterwegs, um die verletzte holländische Souver- änität wieder herzustellen, und man darf gespannt sein, welche ernsten Folgen dieses harmlose Kriegsspiel noch zei­tigen mag.

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Niederlage der Ansstäu-ischen in Venezuela.

Der venezuelanische Kriegsminister gab nach Meldungen aus Carracas bekannt, daß die Aufständischen, die in der Provinz Falcon gelandet waren, nunmehr vollständig ge- schlagen seien und in die Berge zurückgeworfen wurden. Die Regierungstruppen haben die Verfolgung ausgenommen. Der Führer der Rebellen, General Urbino, bezeichnet als Grund für seiften Vorstoß auf Willemstal den Mangel an Waffen und Munition. Im Hinblick auf die völlige Leere der Kaffen sei ihm nichts anderes übrig geblieben als sich

die notwendigen Waffen aus dem angegriffenen Fort zu ver­schaffen.

Noteuwechsel zwischen Holland und Venezuela. Zwischen den Regierungen Holland und Venezuela hat in der Frag« des Ueberfalles in Willemstad ein Notenaustausch statt­gefunden. Die Holländische Regierung gibt in ihrer Note ihrem Bedauern darüber Ausdruck, daß die Revolution in Venezuela ihren Ursprung in Curacao genommen habe. Sie hofft, daß die Regierungen der beiden befreundeten Staa­ten gemeinsam den Kampf gegen den Feind der zivilisierten Staaten aufnehmen werden.

Aus aller Welt

Todcsstnrz einer Fallschirm-Pilotin.

Die Fallschirmpilottn Nelly Tußmar aus München ist in Chu tödlich verunglückt. Sie beteiligte sich an einem vom Unteroffizierverein in Chur veranstalteten Flugtag. Der erste Absprung von einem Flugzeug gelang. Von-starkem Winde abgetrieben, landete sie 1000 Meter vom Flugplatz entfernt. Bei einem zweiten Absprung wurde die Pilottu wieder vom Winde abgetrieben und landet« mitten auf dem Rhein. Sie wurde von der Strömung fortgeriffen und er­trank, ehe Hilfe herbeieilen konnte.

Unglück bei Kanalisationsarbeite«.

In Marktheidenfeld ereignet« sich bei KanalisationSar. beite» ein schweres Unglück Ein 3 Meter tiefer Grabe» stürzte ein und die Erdmassen begruben fünf Arbeiter unter sich. Vier Arbeiter wurden als Leichen geborgen, der fünfte erlitt lebensgefährliche Verletzungen.

Gprengstoffattentat in Hannover.

In Hannover ereignete sich an dem Hause der Vorschuß- Vereinsbank in der Kanalstraße eine offensichtlich durch Sprengkapseln verursachte Explosion, durch die au dem Hause ein Loch von etwa 15 Zentimeter Breite entstand, und di« Glasscheiben der Haustür sowie mehrere Scheibe» des gegen­überliegenden Fleischerinnungshause in Trümmer gingen. Mehrere Gäste eines benachbarten Lokals eilten sofort au den Ort der Tat, doch konnte der Urheber der Explosion nicht gesichtet werden. ES scheint, daß politische Beweggründe in Frag« kommen. Dieser Auffassung ist auch der Leiter des Unternehmens.

Opfer eines ««geschützten Bahnübergangs.

AuS Schwerin wird berichtet: 2 Motorradfahrer a«S Ahrensboek bet Lübeck, die sich auf dem Weg« zum Gau­turnfest in Laage in Mecklenburg befanden, verunglückten bet dem ungeschützten Bahnübergang in der Nähe -er Ort­schaft Kronskamp bei Laage. Der Fahrer raste mit seiner Maschine unmittelbar in den aus Richtung Rostock kom­menden Personenzug hinein. Er wurde zwischen Lokomo­tive und Kohlenwagen eingekeilt und furchtbar verstümmelt. Sein Mitfahrer wurde ins Krankenhaus überführt, wo er seinen Verletzungen erlag.

Eisenbahnunglück in Frankreich.

Der Esspreßzug Limoges-Paris entgleist« in der Nähe des Bahnhofs St. Cyr en Val. Die drei vordersten Wage«, ein Postwagen und zwei Personenwagen, gerieten aus den Gleisen und legten sich gegen die Telegraphenstangen am Rande des Bahnwegs. 12 Personen, die sich in den nmge- stürzten Wagen befanden, sind zum Teil schwer verletzt. Der Unfall wird darauf -«rückgeführt, daß das Meis bc. schädigt war.

Heftiges Unwetter über Brüssel.

Ein äußerst schweres Gewitter mit wolkenbruchartigen Regengüssen ging über Brüssel und einem großen Teil Bel­giens nieder. Das Unwetter richtet« großen Schaden auf den Feldern und in -en Obstgärten am, auch wurden viele Häuser beschädigt.

1222 Flngzengnnfälle, S84 Tote.

Nach der jetzt veröffentlichten amtlichen Statistik wurden 1928 bei 1223 Flngzengunfällen in de« Vereinigten Staaten im ganzen 884 Personen getötet.

Aus Württemberg

Vorbereitungen für die Welffahrt -esGraf Zeppelin*. TU. Friedrichshafen, 17. Juni. Wie der Sonderbericht­erstatter der Tel.-Nnion erfährt, find nunmehr die Unter­suchungen -er Motoren abgefchlosse». Wie verlaute^ sinh

für die Störungen, die auf der letzten Fahrt eintraten, di« Spiralfederkupplungen verantwortlich zu machen, die jetzt abgeändert werden und in ihrer abgeäuderten Form selbst­verständlich erst sehr eingehen- ausgeprobt werden. Die Amerikafahrt ist vorerst abgesagt worden, da voraussichtlich erst di« Welffahrt unternommen werden wird. Diese hofft man etwa am 15. Jult antreten z« können. Die Vorberei­tungen hierfür find restlos getroffen und können nicht mehr ohne mit ganz erheblichen Kosten verbundene Um- -isponiernngen abgeändert werden.

Weltkriegslehre« für die akademische Jngend. wp. Im Festsaal der Neuen Aula in Tübingen sprach Generalleutnant a. D. Dr. h. c. v. M ofer über das Thema: Der Weltkrieg und die akademisch« Jugend -er Nach­kriegszeit*. Der Redner warf vier Fragen auf: 1. Welches sind Li« großen strategische» Ereignissen des Weltkrieges?; 2. welches die großen politischen Zusammenhänge?; S. war­um haben wir Deutschen trotz aller Heldentaten unserer Truppe» den Krieg so katastrophal verloren, daß mir uns dem versklavende« Versailler Friedensdiktat beugen muß. ten? und 4. was muß die akademische Jugend der Nach­kriegszeit von Len Erfahrungen und Lehren des Weltkrie­ges wissen, «m für das Aeußerste der Zukunft, etneu deut­schen Abwehrkrieg um Sein oder Nichtsein, geistig gewapp­net zu sein? Di« beiden ersten Fragen beantwortete der General durch ein« knappe Darstellung der Sriegshand- lungen der Lenffchen Heerführer in den viereinhalb KriegS- jahren und des Einflusses, den die vier deutschen Reichs­kanzler auf den strategisch-politischen Gang des Weltkrieges tatsächlich ausgeübt haben und den sie hätten anSüben kön- nen und sollen. Ein lehrreiches aber trauriges Weltkriegs, kapital für «ns Deutsche. Die Antwort aus die dritte Frag« lautete, wir haben -en Krieg nicht verloren aus den heut« fast schon landläufig gewordenen Etnzelgründen:Ueber- zahl der Gegner, verlorene Marneschlacht, Hölle von Ver­dun, Versagen unserer Bundesgenossen, Dolchstoß in de» Rücken des Heeres* obgleich an jedem dieser Gründe etwas Wahres ist; wir haben ihn verloren: erstens weil unsere diplomatische Kriegsvorbereitung kläglich und unsere mili­tärische so ungenügend war, daß uns nn August 1914 eine halbe Million tatsächlich vorhanden gewesener, aber wicht ansgebildeter bzw. nicht eingestellter Wehrpflichtiger für -en großen Ansangssteg fehlte, zweitens wegen der mangeln­den politische« Schulung unserer führenden General« und noch mehr wegen der mangelnden strategischen Schulung unserer Staatsmänner, aber auch unserer Parlamentarier und unserer gebildeten Volksschichten. Und drittens wegen des sich daraus ergebenden Unvermögens der deutschen Reichsleitung, -i« großen deutschen militärische» Erfolge und Sieg« nutzbar, h. zu politischen zu machen. Aus alle­dem folgt als Antwort auf die vierte Frage: Die akade­mische Jngend -er Nachkriegszeit muß wissen, daß der Krieg des SO. Jahrhunderts ein Volkskrieg ist, an dem jeder Deutsche mit allen seinen Kräften, de» körperlichen und gei­stigen, teilnehmen muß; letzteres kann er aber nur dann, wenn an sie dereinst im reiferen Mannesalter -er Ruf des Vaterlandes ergehen muß und er wird ergehe« müssen -er Zuschauer-, Kassandra, und TherfiteS-Roll« entgehen, di« während des Weltkrieges zu chrem tiefste« Leidwesen und zum großen Schaden für das Vaterland so viele« hochgebildeten und hochpatriotffchen Akademiker« -er 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts beschieden war. Die Hingabe -es Körpers an das Vaterland tm Jünglings- nn- ersten Mannesalter versteht sich für den vaterlandsliebende« Akademiker wie früher so auch jetzt und in all« Zrrkrnst von selbst; neu ist und für dt« Zukunft -ringen- notwendig die Hingabe des zur Mithilfe und Mit- arbett planmäßig geschulte» Geistes auch tm höhere» Man­nesatter,