NUMMER 208
FREITAG, 29. DEZEMBER 1950
Lebensmittelkarten für 4 Monate
Schweizerische Vorbereitungen für eine Kriegswirtschaft
(lid) BERN, im Dezember Eine rechtzeitige Vorbereitung des kriegswirtschaftlichen Apparates wurde auf einer Mitgliederversammlung der Schweizer Zentralstelle der Nahrungs- und Genußmittelwirtschaft gefordert. Die Schweiz könne in Schwierigkeiten geraten, auch wenn keine direkten kriegerischen Ereignisse in Europa stattflnden würden. Bereits jetzt seien organisatorische Vorbereitungen der Kriegswirtschaft so weit getroffen worden, daß Lebensmittelkarten für vier Monate im voraus gedruckt seien und bei
den Kantonen bereitlägen. Ferner beschäftigen sich verschiedene Fachkommissionen mit der Organisation kriegswirtschaftlicher Transporte, Sicherung der Zufahrtswege aus dem Ausland, Vermehrung der unter Schweizer Flagge fahrenden Schiffe, Sicherstellung von Vermögenswerten usw. Mit den schweizerischen Reedereien wurde ein Abkommen getroffen, wonach zusätzlich 80 000 t Laderaum beschafft werden.
Die Vorräte, die die Schweiz für den Ernstfall anlege, seien bereits bis zur Grenze des
Möglichen bedacht. Mit Brotgetreide sei die Schweiz ausreichend versorgt. Das Kapitel Roh- und Betriebsstoffe dagegen sei noch nicht befriedigend gelöst. Zum Teil müsse die schweizerische Wirtschaft bereits seit fünf Monaten von den Vorräten leben, da viele Rohstoffe, wie etwa Buntmetalle, Textilfasern, Gummi, Schwefel und andere chemische Grundstoffe nicht mehr frei erhältlich oder nur mit Phantasiepreisen zu beschaffen seien, Es müsse alles darangesetzt werden, diese schon angegriffenen Vorräte durch vermehrte Einfuhren wieder zu ergänzen. Die Vorratshaltung von flüssigen Treib- und Kraftstoffen gestalte sich durch mangelnden Lagerraum sehr schwierig.
Bereits im Jahre 1948 wurde ein Tankbau
Hohe Preise machen Sorgen
Nicht die politische Lage
Dr. Sch., LONDON, im Dezember
Gleichsam als ob sich die englische Insel auch äußerlich mit Europa solidarisch erklären wollte, hat sie sich in Schnee und Eis gehüllt. So wenig aber sind die Engländer darauf eingestellt, daß es fast unmöglich ist Skier aufzutreiben. Nur ein oder zwei Läden verkaufen sie, und zwar zu unerschwinglichen Preisen. Selbst Schlitten sind unerhört teuer, während das Schlittschuhlaufen in England vorwiegend auf künstlichen Eisbahnen das ganze Jahr über und eher im Stile der Tanzdielen als des Wintersports betrieben wird.
Politiker und Diplomaten gönnen sich Ferien. Das Parlament hat sich bis Ende Januar vertagt. Ob bis dahin, wie das häufig um die Jahreswende der Fall ist, Veränderungen in der Regierung stattflnden werden, ist nicht bekannt. Daß die Außenpolitik sich unter dem drohenden Schatten des Weltkonfliktes keine Ruhe gestatten kann, daß Konferenzen statt-
Sdiwlerige KHppe
lieber» leht franz. Regierung Budgetdebatte?
PARIS. Die französische Nationalversammlung hat in der Nacht zum Donnerstag bis in die frühen Morgenstunden das zusätzliche Verteidigungsbudget dfir Regierung für 1951 in Höhe von 355 Milliarden Francs beraten.
Die Debatte über die Regierungsvorlage wird noch fortgesetzt, mit einer Abstimmung ist nicht vor Samstag zu rechnen, da die Regierung mit der Annahme des Budgets das Vertrauensvotum verbunden hat. Auf Antrag des Verteidigungsministers Moch versucht der Verteidigungs- und Finanzausschuß des Plenums die bestehenden Meinungsverschiedenheiten beizulegen.
Während der teilweise lebhaften Debatte wurde die Regierung wegen der vorgesehenen Steuererhöhungen von zahlreichen Abgeordneten scharf angegriffen. Links- und rechtsradikale Abgeordnete wandten sich gegen die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und forderten eine Politik der „aktiven Neutralität".
Bombenabwürfe eingestellt
Jetzt 6 „Invasoren“ auf Helgoland
HAMBURG. Die Bombenabwürfe auf Helgoland werden vorläufig eingestellt. Eine entsprechende Anordnung hat das britische Luftfahrtministerium In London am Donnerstag erlassen, nachdem am Mittwoch die beiden Heidelberger Studenten kurz vor Ihrer Verhaftung ln Cuxhaven zusammen mit dem zweiten Vorsitzenden des Vereins der Helgoländer sowie zwei Journalisten erneut auf die Insel zurückgekehrt sind.
Am Donnerstag hat sich die Zahl der „waffenlosen Invasoren“ durch den Leiter der „Deutschen Aktionen", Hubertus Prinz zu Löwenstein, auf sechs Mann erhöht.
Nach Auskunft des britischen Landeskommissariats für Niedersachsen wollen die britischen zivilen Verwaltungsstellen nichts gegen die Helgoland-Invasoren unternehmen, das sei Sache der militärischen Dienststellen.
finden oder vorbereitet werden sollen, kümmert dasVolk hierzulande erstaunlich wenig. Es ist überraschend, wie geruhsam die Engländer — mit Ausnahme der politischen Oberschicht — an den weltpolitischen Ereignissen vorbeileben. Die hohen Preise, das sind die eigentlichen Sorgen dieser Tage... •
Programm aufgestellt, das zum Teil durchgeführt ist, was bombensichere Lager anbetrifft, aber noch mehr als ein Jahr Zelt erfordere. Inzwischen seien als Notlösung über tausend Kesselwagen gemietet und auf Nebengeleise gefüllt abgestellt worden. Auch die Ersatz- stoflindustrie sei wieder in Betrieb genommen worden. Weiter heißt es in den Ausführungen der Zentralstelle, daß die offene Ackerfläche der Schweiz unverzüglich wieder auf 300 000 Hektar gesteigert würde, falls die Schweiz von den auswärtigen Zufuhren abgeschnitten würde.
Zuerst Hebung des Wohlstands
Länderchefs zum Jahreswechsel / Böckler: Mitbestimmung und -Verantwortung
TÜBINGEN. „Um Frieden und Sicherheit fördern zu können, muß man sie zuerst schaffen. Der Friede beginnt nicht, wenn der Krieg aufhört, sondern der Krieg hört auf, wenn der Friede beginnt“, stellte Staatspräsident Dr. Gebhard Müller im Rahmen der Umfragen der in der Bundesrepublik tätigen Nachrichtenagenturen zum Jahreswechsel fest. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung hätten die schwere Aufgabe, zunächst die politischen und militärischen Voraussetzungen für einen dauernden Bestand des Friedens und damit der Sicherheit zu schaffen. Um ihnen die Lösung dieser Aufgabe zu ermöglichen, müßten die Landesregierungen mit einem hohen Maß von Takt und Disziplin die Bundesregierung unterstützen. „Ein Volk gibt sich auf, wenn es nicht bereit ist, in der Notwehr Frieden und Freiheit auch mit dem letzten Einsatz zu verteidigen“; zuvor müsse aber durch unablässige tägliche Arbeit der Wohlstand der Bevölkerung gehoben werden.
Bayerns Staatschef, Dr. Hans E h a r d, sagte: „Gefahrvolle Zeiten erfordern es, daß man
in der Wirklichkeit steht.“ Die Angst vor dem Osten, die Angst vor dem Krieg sei groß: „Was uns not tut, ist innere Sicherheit. Sicherheit des Herzens, des Gemütes und des Verstandes, gepaart mit einem festen Glauben an die eigene Sache und einer klaren, unbeirrbaren Haltung zu den entscheidenden Daseinsfragen.“
„Die internationale Situation ist ernst“, erklärte Ministerpräsident Arnold (Nordrhein- Westfalen), „niemand kann seine Augen davor verschließen, aber die wichtigste Aufgabe für uns bleibt trotzdem, unsere Kräfte auf die Beseitigung der bitteren Not weiter Volkskreise zu konzentrieren und eine Politik sozialer Gerechtigkeit durchzuführen.“
Der Kampf um die Mitbestimmung und die Mitverantwortung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft ist nach Ansicht des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dr. Böckler, die dringendste und verpflichtendste Aufgabe der Gewerkschaften im kommenden Jahr. Diese würden die Gewerkschaften gegen jeden Widerstand durchsetzen.
Nachrichten aus aller Welt
FREIBURG. Komponist Professor Dr. Julius Weismann ist dieser Tage kurz vor Vollendung des 72. Lebensjahres in Singen gestorben.
ROSENHEIM. Der Kriminalpolizei in Rosenheim gelang es am Mittwoch, einen in der Strafanstalt Bernau inhaftierten 2fljährigen Volksdeutschen 90 schwerer Einbrüche zu überführen. Der 91. war ihm zum Verhängnis geworden. Der Einbrecher hätte ln den letzten drei Vierteljahren die Landbevölkerung des Kreises Rosenheim schwer unter Druck gesetzt.
BAMBERG. Der wegen Kameradenmißhandlung angeklagte 42jährige Josef Erlwein, der als Kompanie- und Lagerführer in verschiedenen Gefangenenlagern sich an Kameraden vergangen haben soll, hat sich am Mittwoch im Gefängnis erhängt, Von seinen Mitgefangenen wurde er der „Henker von Briansk“ genannt.
ERLANGEN. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion schreiben wieder: In den Weihnachtstagen traf aus verschiedenen Lagern Kriegsgefangenenpost ein, teilweise von Gefangenen, die seit mehreren Jahren nicht geschrieben hatten.
NÜRNBERG. Ein Methylalkoholgelage im Valka-Lager bei Nürnberg hat insgesamt sechs Todesopfer (tschechische DP’s) gefordert.
GELNHAUSEN. Der älteste Deutsche und vermutlich einzige deutsche Ueberlebende des deutsch-französischen Kriege» von 1870/71, Karl Glöckner, wurde am Donnerstag 105 Jahre alt.
KÖLN. Der deutsche Ausschuß für UNESCO- Arbeit empfiehlt in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung, keine Veit-Harlan-Filme mehr erscheinen zu lassen, „um die Wirkungsmöglichkeiten des deutschen Films nicht zu belasten“.
SANTANDER (Spanien). Zwölf Arbeiter wurden am Mittwoch unter den Trümmern eines sechsstöckigen Neubaus begraben, der kurz vor seiner Fertigstellung eingestürzt ist. Nur zwei der Verschütteten konnten lebend geborgen werden.
ROM. Hartmann Lauterbacher, der frühere deutsche Reichsjugendführer und Gauleiter, soll — wie von gutunterrichteter Seite verlautet — au» dem Lager Le Fraschette bei Rom entflohen sein.
CATANIA. Die Eruptionstätigkeit des Aetna scheint endgültig vorüber zu sein. Am Mittwoch waren fast alle Lavaströme erstarrt und zum Stillstand gekommen.
BELGRAD. An der rumänisch-jugoslawischen Grenze kam es am Mittwoch erneut zu einem Zwischenfall: ein rumänischer Soldat wurde beim Grenzübertritt von jugoslawischen Grenzwachen erschossen, nachdem er Anrufe und Warnschüsse nicht beachtet hatte,
BOMBAY. Wie jetzt bekannt wird, hat das schwere Erdbeben, das im August Nordostindien heimsuchte, 1526 Tote gefordert und einen Sachschaden von insgesamt 200 Millionen DM artgerichtet.
Unser Kommentar
Ohne Rücksicht
LH. In Dortmund-Hörde hat man keine fröhlichen Weihnachten feiern können, nachdem einen Tag vor dem Heiligen Abend mit der Verladung der demontierten Zehntausend- Tonnen-Schmiedepresse des dortigen Hüttenvereins begonnen worden ist. 400 Arbeitern droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Die Briten, die den Befehl zur Demontage und zum Transport des Stahlgiganten nach England gegeben haben, zeigten sich bisher allen Bitten und allen auf die europäische Solidarität abgestellten Argumenten gegenüber taub.
Auch für die Interessen der von Konkurrenzangst erfüllten Briten sollen Deutsche wieder Soldaten werden. Die Fortsetzung der Demontagen ist dazu keine Ermunterung. Wenn man uns jetzt die Remilitarisierung mit Vernunftgründen schmackhaft machen will, sollte man zuerst Vernunft in der Erhaltung des deutschen Wirtschaftspotentials beweisen. Fachleute haben den Briten schon längst erklärt, daß die Dortmund-Hörder-Schmiede- prasse, die größte in Europa, in England gar nicht mehr aufgestellt werden könne, weil sie nur noch Schrottwert besitze, wenn sie nach England verschickt werde. Allenfalls in zwei Jahren könnte man die Teile wieder so ergänzen, daß die Presse in England arbeitsfähig wäre. Schon jetzt besteht aber in Europa ein empfindlicher Mangel an Walzwerkerzeugnissen, vor allem an Blechen, nicht etwa, weil es an Rohstoffen fehlt, sondern weil an verschiedenen Plätzen der Bundesrepublik demontierte Walzwerkanlagen lagern, anstatt sie zur Ueberwindung des Engpasses wieder aufgestellt werden.
Das alles heißt dann in der Sprache der Politiker „europäisches Bewußtsein“, das alles läuft unter der Firma „Gemeinsame Anstrengungen für die Verteidigung der westlichen Kultur“. Man weiß wirklich nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über die Unbekümmertheit, mit der hier die wirtschaftliche und politische Vernunft vergewaltigt wird, oder über den Mut, uns Deutsche in Nadelstichmanier immer wieder merken zu lassen, daß man mit uns nach Belieben umspringen kann. Diese Rechnung dürfte aber ln der gegenwärtigen Situation nicht aufgehen.
Fieberhafte Sudie
„Scone-Stein“ schon ln Schottland?
LONDON. Die britische Polizei sucht fieberhaft nach dem — vermutlich von schottischen Nationalisten — gestohlenen „Scone- Stein“ (Krönungsstein der englischen und schottischen Könige). Alle Straßen nach Schottland sind gesperrt. Die Grenze ist hermetisch abgeschlossen. Flugplätze und Wasserwege werden scharf überwacht.
Nach den letzten Meldungen ist zu vermuten, daß sich der wertvolle Stein vielleicht schon in Schottland befindet.
Inzwischen hat die Polizei auch den zweiten Krönungsstein der bei der Thronbesteigung der angelsächsischen Könige verwendet wurde und jetzt auf dem Marktplatz Kingston an der Themse steht, unter Bewachung gestellt, da schottische Patrioten im letzten März drohten, auch diesen Stein nach Schottland zu entführen, da er ebenfalls schottisches Eigentum sei.
Max Beckmann f
NEW YORK. Der Maler und Graphiker Max Beckmann ist am Mittwoch in New York einem Herzschlag erlegen. Die Werke Beckmanns, der am 12. Februar 1884 in Leipzig geboren wurde, stempelte das „Dritte Reich“ zu „entarteter Kunst". Der Verfolgung durch das NS-Regime konnte er sich 1937 durch die Flucht nach den USA entziehen. Von den Kritikern der „Neuen Welt“ wurde Beckmann als einer der größten zeitgenössischen Maler gefeiert.
KAMPF UM DEN
SIEGER
ROMAN VONW. JÖRG LÜDDECKE All« Richte Heiilichi Verl»|iiniult G. m. b. H, [14
Direktor Bollmann, ein Mann, der wußte, daß die Dinge reifen müssen, winkte lächelnd ab. „Als Mensch und als Geschäftsmann, dessen außerordentliche Fähigkeiten ich schätzen lernte. Leider aber — Sie verstehen. Mir liegt ja eben an einer Kapitalseinlage. Wenngleich si» nicht einmal sehr hoch zu sein brauchte, Ihre Verhältnisse würde sie wahrscheinlich doch übersteigen,“
ln diesem Augenblick schnappte Asmus Pätsch sichtbar ein. Draußen vor der Tür stand das Totoglück. Wink des Schicksal»! Wie — wenn die von Herrn Bollmann benötigte Summe nicht höher war als dreißigtaugend Mark? Das war viel, viel Geld. Auch für ein Unternehmen, wie „Bollmanng Erben“. Er, Asmus Pätsch, konnte das übersehen.
Er goß schweigend die Gläser wieder voll. Nebel wogten in seinem Gehirn auf und nieder. Welch ein Tag! Welche Fülle von widersprechenden Ereignissen ln so kurzer Zeit! Der Totogewinn — Sieg über Bollmann, das Schwelnchen. Rausschmiß und bange Furdit — und nun am Horizont der leuchtende Stern.
Bollmann & Pätsch! So war da» Leben. Nur packen mußte man es. Nur fest daran glauben.
„Tja. Ehe wir da ln die Details gehen, lieber Herr Direktor Bollmann, wollen wir uns doch noch ein wenig stärken. Ihr Wohl!“
„Ja eben. Schnaps ist das einzige, was uns in dieser Misere hilft. Prost mein Lieber, Aah, ein angenehmer Tropfen. Uebrlgens — was für Details?“
Asmus Pätsch, jeder Zoll ein gleichberechtigter Verhandlungspartner, spielte nach Art des Herrn Direktor Bollmann lässig mit seiner Uhrkette. Sie war aus Nickel. Noch war sie aus Nickel! „Die Sache ist die“, sagte er, „daß ich zunächst einmal Wissen müßte, welche Summe der Firma über die zu erwartende Klippe hinweghelfen könnte —“
Der Gast machte eine leichtwegwerfende Handbewegung. „Im Grunde gar keine Angelegenheit, aber Sie wissen ja, wie rar Bargeld in diesen Zeiten ist. Mit fünfundzwanzigtausend würden wir schon recht beruhigt in die Zukunft blicken können.“
„Und Sie würden einen Mann mit dieser Summe als Kompagnon ln den Betrieb aufnehmen?“
„Sicher würde ich — wenn ich einen hätte.“
„Und mich — mich würden Sie eventuell auch... ?“
Direktor Bollmann, Ex-Schweinchen und Kompagnon in spe hob mit einem Seufzer die Schultern und ließ sie wie ermattet wieder fallen. „Mein Lieber, guter Pätsch. Sie lieber als jeden anderen, Sie sind vertraut mit dem Geschäft, sind gewissermaßen seine Seele. Aber wie wollen Sie zu einer Summe etwa dieser Größenordnung kommen?“
Sternstunde des Asmus Pätsch. Er erhob sich. Er trat an Direktor Bollmann, an seinen Freund Arno Bollmann heran. Das Auge umflort in Glückseligkeit und Freundestreue gleichermaßen.
„Wir beide, Herr Bollman — Sie und ich — wir bringen das Geschäft durch den Winter. Ich bin ihr Mann.“
„Sie, Herr Pätsch?" Weit öffneten sich die kleinen Schweinsäugelein. „Ja, haben Sie denn Geld?"
„Ich habe! Und es ist mein fester Wille, bei Ihnen mit 23 000 einzusteigen. Zu einem Unternehmen wie dem Ihrigen kann man nur Vertrauen haben. Dafür bürgt die Persönlichkeit des Firmeninhabers.“
Direktor Bollmann machte eine verbindlich dankende Verbeugung und begab sich innerlich bereits auf den Heimweg. Bock tot
— Jagd aus.
Ein undankbares Luder, dieser Bollmann. Aber wer konnte es ahnen?
Der Mann erhob sich und streckte dem anderen die fünf fetten kleinen Würstchen seiner biederen Rechten entgegen. „Gut, Pätsch. Machen wir das Geschäft. Die Details besprechen wir dann morgen in meinem — pardon
— in unserem Büro.“
„In unserem Büro. Vielen Dank, Herr Direktor Bollmann. Morgen, so pünktlich wie immer, bin ich zur Stelle."
Bollmann, schon Im Gehen, verschenkte, gewissermaßen als Gratiszugabe, noch einen kleinen Scherz. „Falls die Linie 18 nicht überfüllt ist", sagte er und drohte schelmisch mit dem Zeigewürstchen.
Dann ging er, und schon beim Einsteigen in seinen rostroten, leicht angezahlten Volkswagen, überlegte er, wie er diesen Pätsch am besten um sein Geld bringen könne. Er war zufrieden mit der Entwicklung der Dinge und mit sich selbst. Es war schnell und reibungslos gegangen. Ein dreifach Hoch der Diplomatie.
XIV.
Zurück blieb Asmus Pätsch, hart in die Mangel genommen von Frau Grete. Noch als der Gast auf dem Korridor war, stürzte sie aus dem Nachbarzimmer herein und zischelte: „25 000 kommt überhaupt nicht ln Frage. Zehn Ist das Aeußerste.“
Asmus Pätsch antwortete nicht Sogleich. Er stand, von einem überirdischen Glanz, den niemand sehen konnte, umstrahlt, am Fenster und hatte eine Vision mit großer Ausstattung. Frau Grete rüttelte Ihn an den Schultern. „Hast Du gehört, was ich gesagt habe?“ Asmus hatte gehört. Jedoch, es war in diesem Augenblick nicht gut mit ihm zu verhandeln.
Er lächelte zu allem, was an Argumenten an ihn herangetragen wurde, ein fernes, weises Lächeln, das man nur ganz selten sieht. Frau Grete bemerkte es wohl. Und da ohnehin noch nichts Schriftliches abgemacht War, hielt sie es für ratsam, eine gute Stunde abzuwarten.
Von allen Seiten strömte die Familie nun wieder zusammen. Die alte Rangordnung wurde wieder hergestellt, und jetzt, wo es daran ging, den Segen zu verteilen, meldeten alle der Reihe nach Ihre Ansprüche an. Frau Grete war dabei ein Muster an Selbstlosigkeit. Ein Wintermantel, etwas Unterwäsche, ein neuer Hut. Das war alle». Aber Dolores, das gute, arme Kind, sollte endlich einmal wissen, Was Leben ist!
Prompt fing Dolores an zu weinen. „Laßt doch", schluchzte sie. „Was liegt denn an mir! Hauptsache, Ihr kommt auf Eure Kosten.“ Aschenbrödel war wiedererstanden, In schwarzen Bächen floß das traurige Gemisch Von salzigen Tränen und Wimperntusche über die gepuderten Wangen. Ein Anblick, der einen hartgesottenen Finanzbeamten windelweich gemacht hätte. Auch Frau Grete konnte — unter anderem aus taktischen Gründen — nicht widerstehen. Wild warf sie sich über das Kind, umfing es mit beiden Armen und schluchzte die zweite Strophe mit, „Was hat das Kind schon vom Leben gehabt? Nichts! Nichts!"
Dem hatte niemand etwas entgegenzusetzen. Stumm ergriffen wartete der Rest der Familie, bis die Platte abgelaufen war. Dann, die letzten Tränen waren eben erst versiegt und frischer Puder hatte die süße Schönheit renoviert, startete Tino »eine Attacke. Sie war nicht von schlechten Eltern — den Vater und August haute sie sofort um, während die Mutter und Dolores, vielleicht weil sie vorbereitet waren, eisern standen.
Tino sagte: „Für mich Ist jetzt Schluß mit Woölworth. Ich werde Schauspieler."
(Fortsetzung folgt)