Ehard wieder Ministerpräsident
Koalition CSU-SPD-BHE
Das Land tut sein Möglichstes
MÜNCHEN. Der am 26. November neugewählte bayerische Landtag hat am Montag den CSU-Vorsitzendeh und bisherigen Regierungschef, Dr. Hans Ehard, mit 131 von 204 Stimmen erneut zum Ministerpräsidenten gewählt.
Nach seiner Vereidigung schlug Dr. Ehard fünf der sieben neuen Minister vor. In ihrem Amt bestätigt wurden: Justizminister Dr. Josef Müller, Wirtschaftsminister Dr. Hanns Seidel und Landwirtschaftsminister Dr. Alois Schlögel, sämtliche CSU. Zum Innenminister und stellv. Ministerpräsidenten wurde Staatsrat Dr. Wilhelm H ö g n e r, zum Arbeitsminister Ministerialdirektor Dr. Rieh. Öchsle (beide SPD), und zum Staatssekretär für das Flüchtlingswesen der BHE-Vorsitzende Prof. Theodor Oberländer ernannt. Gegen die Ministerliste stimmten die Bayernpartei und die Deutsche Gemeinschaft, während die FDP sich der Stimme enthielt.
Den Nachfolger für Dr. Aloys H u n d h a m- mer als Kultminister, den die CSU stellen wird, sowie den neuen Finanzminister, der der SPD angehören soll, wird Dr. Ehard noch Vorschlägen.
Der Beschluß, eine große Koalition von CSU, SPD und BHE zu bilden, wurde bereits am Sonntag gefaßt.
Appell an Attlee
DÜSSELDORF. Der Vorsitzende des Betriebsrats der Dortmund-Hörder Hüttenverein AG, K e u n i n g (MdB), richtete am Dienstag im Namen von 8000 Arbeitern an Premierminister Attlee telegraphisch den dringenden Appell, die 10 000-t-Schmiedpresse des Werkes in Deutschland zu belassen. Attlee wird in dem Telegramm gebeten, der wirtschaftlichen Vernunft zum Siege zu verhelfen. Die letzte große Schmiedepresse der Bundesrepublik könne der westeuropäischen Zusammenarbeit am besten dienen, wenn sie in Deutschland verbleibe.
470000 Bauvorhaben genehmigt
Zugang 1950: 250 000 Wohnungen
BONN. In den ersten zehn Monaten des Jahres sind 197 000 neue Wohnungen von der Baupolizei im Bundesgebiet registriert worden, teilte das Bundes-Wohnungsbauministe- rium am Dienstag mit.
Der Wohnungszugang bis Ende des Jahres wird auf über 250 000 geschätzt. Genehmigt wurden seit Jahresbeginn 470 000 Bauvorhaben.
Die Zementerzeugung, die bis Ende des Jahres 11 Mill. Tonnen erreicht, übersteigt die Produktion von 1936 um mehr als ein Viertel. Ein Sprecher de: Ministeriums erklärte hierzu, im kommenden Jahr würden an die Zementproduktion in der Bundesrepublik im Hinblick auf den zu erwartenden amerikanischen Bedarf für den Bau von Rollbahnen und ähnlichen Anlagen noch größere Anforderungen gestellt werden.
100 Prozent für Stalin
MOSKAU. Die Wahl der örtlichen Sowjets, die am vergangenen Sonntag in neun von 16 Sowjetrepubliken abgehalten wurde, erbrachte überall dort, wo Stalin und seine engsten Mitarbeiter sich als Kandidaten für die Kommunalvertretungen aufstellen ließen, eine ,,100- prozentige Stimmabgabe“. Allgemein betrug die Wahlbeteiligung über 95 Prozent.
Die sowjetamtliche „Prawda“ bezeichnete Präsident Trumans Rede zur Proklamation des Nationalen Notstandes als „einen neuen Ausbruch der Kriegshysterie“. Truman gebe sich den Anschein, als stünde ein feindliches Heer an den Grenzen der Vereinigten Staaten. Er versuche die Verkündung des nationalen Notstandes mit einer „angeblichen schweren Gefahr, die das Haus jedes einzelnen Amerikaners bedrohe“, zu rechtfertigen. „In Wirklichkeit weiß jedes kleine Kind, daß niemand die Sicherheit der USA bedroht hat.“
rorUetxung voo Seite 1
mat, d. h. Arbeit und Wohnung zu geben, was auch von den Umsiedlern durchweg anerkannt worden sei.
Verschiedene Schwierigkeiten, betonte der Minister, hätten aber dazu geführt, daß die rechtliche Umsiedlung von 2250 Flüchtlingen hätte vorläufig abgestoppt werden müssen. Die Verhältnisse in den drei angeführten Lagern Hechingen, St. Johann und Bad Niedernau hätten zu Unzuträglichkeiten geführt, die, aber bei jeder Ueberfüllung auf engstem Raum zwangsläufig seien. Die sanitären Anlagen, die Heizung, die Winterfestigkeit aller drei Lager wären ausreichend. Die Renten für Heimatvertriebene seien nicht gesperrt gewesen, wie es in der Anfrage der KPD geheißen habe, sondern hätten nur bei den kurzfristig in den Lagern Untergebrachten vorübergehend geruht. Mit Beschwerden allein könne mtan den Flüchtlingen nicht helfen, sondern man müsse bessere Vorschläge machen (Zwischenruf von Abg. Acker: „Das ist eine billige Argumentation. Wer ist verantwortlicher Minister, Sie oder Abg. Wieland? Vielleicht ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, da ein anderer Minister an Ihrer Stelle steht!“).
Abschließend stellte Minister Renner fest, die Regierung habe alles getan, was sie zu tun in der Lage gewesen wäre.
In der Diskussion schilderte Abg. Pfänder (CDU) Härtefälle bei der Unterbringung der Umsiedler und kritisierte den guten Willen der beteiligten Stellen und der einheimischen Bevölkerung. Auf die sittlichen Gefahren im Lager Niedernau wies Abgeordneter Schneider (CDU) hin. Dann nahm Abg. Kalbfell (SPD) zu den Umsiedlungsproblemen Stellung und betonte, der Reut- linger Gemeinderat habe rechtzeitig darauf hingewiesen, daß die Wohnungsunterbringung von Umsiedlern nicht im vorgesehenen Rahmen vor sich gegangen sei. Er führte Beispiele an, wie schwierig es ist, selbst mit Polizeigewalt Wohnraum zu requirieren. Man könne heute nicht mehr wie 1946 Wohnraum beschlagnahmen. Wörtlich sagte Abg. Kalbfell: „Jetzt bauen wir Kasernen, anstatt die ordinären Verhältnisse in den Lagern zu beseitigen.“ Er befürchte, daß das geplante Wohnbauprogramm nicht durchgeführt werden könne. Im Namen der FDP stellte Frau Dr. Bosch fest,
daß das Land Württemberg sich bei der Flüchtlingsumsiedlung übernommen habe.
Er habe sich persönlich von den Mißständen im Lager Hechingen überzeugt, sagte Abg. Dreher (CDU) und insbesondere das Fehlen von Oefen bemängelt. Er schlug vor, eine Landtagskommission solle die Lager untersuchen. Abg. Wieland (KPD) warf dem Abg. Kalbfell vor, die Flüchtlinge für Wahlen zu mißbrauchen. Wieland schlug vor, die Regierung solle Mittel zur Verfügung stellen, um die größten Mißstände in den Lägern zu beseitigen.
Abschließend nahm Innenminister Renner noch einmal zu den in der Diskussion erörterten Fragen Stellung und wies auf die schwierige Wohnbeschaffungslage hin. Er forderte den Abg. Wieland auf, wenn er sich stark genug fühle, einen Mißtrauensantrag zu stellen, da ja nach der Ansicht Wielands die Behörden entscheidend versagt hätten. Die ganze Angelegenheit sei aufgebauscht worden.
Der Entwurf des vierten Gesetzes über finanzielle Maßnahmen zur Förderung des Wiederaufbaues und der Wohnraumbeschaffung wurde von Innenminister Renner begründet. In dem Gesetz ist vorgesehen, im Staatshaushaltplan 1951 als erste Rate den Betrag von 12,6 Millionen DM einzuzahlen. Die Einzahlung einer zweiten Rate in Höhe von 8,4 Millionen DM bleibt Vorbehalten. Soweit die Vorbereitung des Wohnungsbauprogramms für das Baujahr 1951 es erfordert, können die bereitstehenden Mittel schon vor dem Inkrafttreten des Staatshaushaltplans 1951 auf die Kreise und unmittelbaren Kreisstädte aufgeteilt werden.
In der Begründung wies Minister Renner darauf hin. daß der Umfang des Wohnungsbauprogrammes des Landes im Jahr 1951 etwa rund 12 000 Neubauwohnungen vorsieht. Der Wohnungsbedarf wird im besonderen durch folgende Faktoren bestimmt:, Wiederaufbau kriegszerstörten Wohnraums, Schaffung von Wohnraum für die Ausgewiesenen sowie Ersatzbauten für die Bevölkerungskreise, die ihre Wohnung durch Requisition seitens der Besatzungsmacht verloren haben. Große Anstrengungen seien zu machen, betonte Minister Renner, um eine Senkung der Baukosten zu erreichen.
Nadiriditen aus aller Welt
TRIER. Der hohe Schnee und starke Schneeverwehungen haben in der Eifel in den Wäldern und an den elektrischen Leitungen teilweise schwere Schäden verursacht. Die Hauptverkehrsstraßen konnten streckenweise nicht vom Schnee freigehalten werden, so daß es zu Verkehrsstok- kungen kam.
KASSEL. Die deutsche Bundesbahn wird vom 22. bis 24. Dezember auf den Hauptstrecken täglich bis zu 50 Sonderzüge einsetzen, um den zu erwartenden starken Weihnachtsverkehr zu bewältigen.
BONN. Die Zahl der Arbeitslosen im Bundesgebiet ist in der ersten Dezemberhälfte um rund 165 300 auf 1 481 000 gestiegen.
ÜLZEN. Seine eigene Todeserklärung legte ein Flüchtling aus der Ostzone, der 1945 aus der russischen Kriegsgefangenschaft entkommen war, vor, um seine Aufnahme in die Bundesrepublik zu beantragen. Die Frau des Flüchtlings hatte bis vor kurzem nichts von ihrem Mann gewußt und ihn für tot erklären lassen.
RATZEBURG. Um eine Tollwutepidemie im schleswig-holsteinischen Kreis Lauenburg zu bekämpfen, wurden sämtliche Arzneimittellager irq Bundesgebiet in den letzten Tagen auf Bekämpfungsmittel der Tollwut durchgekämmt. Bisher wurden 25 Einwohner von tolwütigen Hunden gebissen.
BERLIN. Die drei alliierten Kommandanten haben am Dienstag 200 000 DM als Weihnachtsgabe für bedürftige Westberliner Kinder gestiftet.
WIEN. Auf seiner Reise nach der Sowjetunion passierte der Generalsekretär der kommunistischen Partei Italiens, Togliatti, am Montagvormittag Wien.
CATANIA. Seit Sonntag fließen wieder verstärkt Lavamassen aus dem Aetna die Ostab
hänge des Vulkans herab und bedrohen erneut Fornazzo und Renazzo.
WARSCHAU. Der Präsiden* der Ostzonenrepublik, Wilhelm Pieck, Außenminister Dertinger und der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Loch (Ost-LDP) sind am Montag auf Einladung des polnischen Staatspräsidenten Boleslaw Bierut zu einem offiziellen Besuch in Warschau eingetroffen.
WARSCHAU. Wegen Beihilfe zur Flucht wurde der frühere britische Luftattachä Hauptmann Turner am Montag zu l*/t Jahren Gefängnis verurteilt.
JAKARTA. Zu einer wilden Schießerei, die fünf Tote und zahlreiche Verwundete zur Folge hatte, kam es am Sonntag auf einem Fußballplatz in Bandung, als sich etwa 100 indonesische Soldaten gewaltsam Zutritt zum Spielfeld zu verschaffen suchten.
MARAKESCH. Winston Churchill, der seinen Weihnachtsurlaub in Marokko verbringt, hat am Montag seine Staffelei und seine Palette ausgepackt und sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, der Malerei, zugewandt.
NEU DELHI. Unter den Massen der Heilungssuchenden, die zu einem 12jährigen „göttlichen“ Kräuterwunderdoktor an der indischen Ostküste gepilgert sind, ist die Cholera ausgebrochen. 500 Menschen sind der Epidemie bisher zum Opfer gefallen.
SAIGON. Beim Zusammenstoß zweier Junkersflugzeuge der französischen Luftstreitkräfte in Indochina kamen am Montag 30 Personen, größtenteils französische Offiziere, ums Leben.
PHILADELPHIA. Die gesamte Polizei Philadelphias ist seit Sonntag alarmiert, um einen .Wahnsinnigen aufzugreifen, der bisher sieben Menschen angeschossen hat.
Stabsgefreiter a. D.
cz. Auf die Frage, welches der Bundesländer wohl das fortschrittlichste ist, wird man künftig getrost antworten dürfen: Hessen. Hat doch SPD (^-Innenminister Zinnkamm angeordnet, daß die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen ab jetzt wieder ihren früheren Dienstgrad führen dürfen und Beschwerden über den „Herrn Hauptmann a. D.“ nicht mehr zu bearbeiten seien.
Titel sind Titel, und in Deutschland geht es nun einmal ohne solche einfach nicht. Da die Zeit sowieso nicht mehr fern ist, da wir die Hände wieder an die Hosennaht anlegen dürfen, wollen wir die damit gegebenen „Vorübungsmöglichkeiten“, wieder in der Verwendung militärischer Anredeformen fit zu werden, freudig begrüßen. Aeltere Stabsgefreite, die hoffentlich gleichfalls nicht versäumen, ihr ,.a. D.“ auf Briefköpfen und Visitenkarten anzubringen, könnten da Unwissenden sachgemäßen Unterricht erteilen.
Was man schon wieder kann, braucht man sich schon nicht mehr zu errobben.
Neue Nationalhymne
An Silvester erstmals zu hören
BONN. Am Silvesterabend wird zum erstenmal die Nationalhymne der Bundesrepublik über alle westdeutschen Rundfunksender erklingen, gab ein Sprecher der Bundesregierung am Montag bekannt.
Die Hymne, die vom Bundespräsidenten aus einer Fülle von Einsendungen ausgewählt worden sei, werde im Anschluß an die Neujahrsansprache von Bundespräsident Heuß von einem gemischten Chor vorgetragen werden. Ueber Dichtung und Komposition sei zwischen dem Bundespräsidenten, dem Kabinett und den Leitern der Fraktionen volle Uebereinstimmung erzielt worden.
Vom Bundespräsidenten wurde dazu festgestellt, es treffe nicht zu, daß der Bundespräsident beabsichtige, eine „neue Nationalhymne anzuordnen“.
Vielmehr ist der Bundespräsident der Auffassung, daß ein Lied erst dann zur Nationalhymne werden kann, wenn es von weitesten Volkskreisen freiwillig getragen wird.
Wegen „Spionage“
Sechs Ostzonendeutsche zum Tode verurteilt
BERLIN. Ein Militärtribunal der sowjetischen Besatzungstruppen hat sechs Ostzonendeutsche zum Tode durch Erschießen und 15 weitere — darunter ein Mädchen — zu Gefängnisstrafen von 10 bis 25 Jahren verurteilt.
Laut dem sowjetisch lizenzierten ADN fand die Verhandlungen in der 1. Dezemberhälfte statt. Sämtliche Angeklagten hätten „gestanden“, „Spione des amerikanischen Nachrichtendienstes“ gewesen zu sein. Die „Spione“ seien mit Funksendern und Geheimschriftmitteln ausgerüstet gewesen.
Am 4. Verhandlungstag des Solvay-Prozesses in Bernburg wurden wiederum nur Belastungszeugen vernommen. Die Zeugen beschuldigten die Angeklagten, Verbindung zum Westen gehabt zu haben.
Im Käfig verhungert
Ilse Koch noch nicht wieder verhandlungsfähig
AUGSBURG. Im Schwurgerichtsprozeß gegen die „Kommandeuse von Buchenwald“ sagte am Montag ein Zeuge aus, Ilse Koch habe jeden Morgen absichtlich mit entblößtem Oberkörper auf einem Balkon Frühsport getrieben. Wer trotz aller Warnungen hingesehen habe, wäre aufgeschrieben und auf dem Bock ausgepeitscht worden. Ein anderer Zeuge schilderte, daß die Angeklagte es mit angesehen habe, wie Häftlinge in einem Käfig verhungerten oder erfroren.
Nach Ansicht der Psychiater ist die Koch noch nicht wieder verhandlungsfähig. Mit der Vernehmung von rund 50 weiteren Zeugen in der 4. Verhandlungswoche wird die Beweisaufnahme abgeschlossen.
KAMPF UM DEN 1 U 1 USIEGER
ROMAN VON W. JÖRG LÜDDECKE
Alle Rechte Hessische Verlagstnsttlt G. m. b. H. [10
Asmus Pätsch verzog geringschätzig das Gesicht. „Krach? Sie meinen wohl eine geringfügige Unterschiedlichkeit in der Auffassung!“ Nun endlich hatte er sich wieder in der Gewalt. Er richtete sich auf und warf strafende Blicke um sich. Sechs Köpfe beugten sich sofort hastig über die Akten und Schreibmaschinen. Hier war Buchhalter Asmus Pätsch der Herr! Und war er auch kein eben sehr strenger Herr, so forderte er doch den schuldigen Respekt und niemand war. der ihm den verweigert hätte. Nur war in diesem Raum nicht die Angst die Triebfeder, sondern eben die Hochachtung vor Leistung, Alter und Stellung.
Das Telefon klingelte. Herr Pätsch nahm den Hörer ab. Es war Frau Grete. Das Gespräch, das die beiden miteinander führten, mußte von äußerster Dramatik sein. Die Angestellten der Firma Bollmann Erben hörten und sahen zwar nur den einen Gesprächspartner. aber es genügte dies um klarwerden zu lassen, daß Außerordentliches geschehen war. Und dieses sind die historischen Worte, die der Buchhalter Asmus Pätsch in die schwarze Muschel flüsterte, sprach, rief und schrie:
„Ja. Selbst am Apparat. Muß das sein? Du weißt, ich habe zu tun. — Was sagst du? — Ach bitte, laß doch den Unsinn. Hallo. Sag mal, du hast doch nicht etwa getrunken? Grete, mach bitte keine Witze. Also was ist los? Nein, das glaube ich nicht.“ Herr Pätsch riß sich den Schlips vom Hals und öffnete den Hemdkvagen. Die Stimme in der Leitung wurde dringlicher. „Ist das wirklich Dein
Ernst?! Und wieviel sagst Du? Sag das nochmal.“
Herr Pätsch schluckte und verdrehte die Augen wie ein betrunkenes Huhn.
„Ein Irrtum, meinst du, ist ausgeschlossen. Hör zu: Du mußt deiner Sache ganz sicher sein, weil ich unmittelbar im Anschluß an unser Gespräch Entscheidungen fällen werde. Gut. — Nein, das überlaß nur mit. Keine Sorge. — Also zum letztenmal: Ein Irrtum ist ausgeschlossen? — Gut. Das trifft sich günstig.“
Buchhalter Asmus Pätsch erhob sich. Er war zweieinhalb Meter groß und wog drei Zentner. Alle sahen es mit Staunen. Eine Sensation lag in der Luft, als dieser Riese mit dröhnenden Schritten auf die Tür von Herrn Direktor Bollmann zuwuchtete. Jedoch — es geschah zunächst nichts. Der Riese kehrte zu seinem Platz zurück, setzte sich krachend nieder und begann zu frühstücken. Zu frühstücken, mitten in der Arbeitszeit! Das fade Fräulein Schöler blickte verstohlen auf die Uhr. Der Riese, gutmütig, wie Riesen bisweilen sind, lächelte und aß. Langsam und genüßlich. Die Akte der Firma Neumann & Barth diente ihm dabei als Unterlage. Vier belegte Doppelschnitten verschwanden hinter dem Gehege der Zähne.
Die Belegschaft der Firma Bollmann Erben war vor Neugier dem Platzen nahe. Und der Jüngste, der Ostern eingestellte Lehrling war es schließlich, der es nicht mehr mit an- sehen konnte.'
„Herr Pätsch, haben Sie vielleicht geerbt?“
„Nein“, sagte der Riese. „Ich habe nicht geerbt.“
Dann wischte er lässig die Krümel von der Akte Neumann & Barth und erhob sich abermals. Er maß jetzt schon fast drei Meter und wog vier Zentner.
Wie ein Schrank bewegte er sich auf die gewisse Tür zu und öffnete sie. Oeffnete, ohne anzuklopfen. Direktor Bollmann blickte auf.
„Nanu?“ sagte er, „der Herr Pätsch?“ Und
nach einer kleinen Pause: „Sollte ich das Klopfen überhört haben?“
Der Riese, dessen schütteres Haar fast die Decke berührte, lächelte auf eine vertrackte Art. „Ich habe gar nicht geklopft, Herr Bollmann.“
„Nicht geklopft?“ kam es leicht, fast heiter zurück. „Wieso das?“
Mit zwei langen Schritten war Asmus Pätsch an den Schreibtisch getreten. Er beugte sich dicht zu Direktor Bollmann herunter und feixte ihm ins Gesicht.
„Schweinchen!“ sagte er und kniff mit spitzen Fingern den Chef der Firma Bollmann Erben in die Backe. Die Reaktion blieb aus. Nur ganz leicht hatte der Mann den Mund geöffnet und in seinen Augen war ein Ausdruck blödsinnigen Erstauntseins.
Asmus Pätsch kniff ein zweites Mal. „Schweinchen! Wach auf, Schweinchen.“
Immer noch keine Reaktion, von einem dumpfen, kaum hörbaren Stöhnen des Entsetzens abgesehen.
Der Riese langte sich das Holzlineal. „Bollmann“, sagte er, „Sie werden alt.“ Und klatsch, klatsch hatte Herr Direktor Bollmann zwei Watschen weg. Er kreischte vor Entsetzen wild auf, wie ein Papagei, dem man die Schwanzfedern ausreißt. Hintef dem Riesen wurde die Tür aufgerissen und an der Schwelle drängten sich schreckensbleich die Angestellten. Asmus Pätsch wandte sich flüchtig um und winkte herrisch. ..Raus. Hier gibts nichts zu gaffen.“
Die Tür schloß sich behutsam, der Buchhalter wandte sich wieder dem Mann zu, der blauroten Gesichts vor ihm hockte. Er legte das Lineal aus der Hand und drohte schelmisch mit dem Finger. „Bollmännchen, Boll- männchen. Reißen Sie sich zusammen.“
Herr Bollmann war keines Wortes fähig. All dies war so furchtbar, so grauenhaft! Dieser Mann mußte wahnsinnig geworden sein. Und jedes Kind weiß ja, welch ungeheuren Kräfte
Wahnsinnige besitzen. Man durfte ihn nicht reizen. Um Gotteswillen, nicht reizen!
Direktor Bollmann verzog das Gesicht zu einem jämmerlichen Lächeln.
„Mein lieber Pätsch“. wisperte er. „Wir wollen doch wegen dieser kleinen Sache von vorhin nicht streiten! Wegen Neumann & Barth. Ich bitte Sie, das ist doch eine schlechte Firma. Sie sind erregt, mein Bester. Bitte, nehmen Sie'Platz. Man kann das ja alles in Ruhe besprechen.“
Der riesige Buchhalter rutschte vor Schreck bis auf zwei Meter zwanzig zusammen. Alles andere hatte er erwartet, nur das nicht. Er hielt ihn ja wohl für wahnsinnig. Der hatte einfach Angst, er würde umgebracht. Und später würde er ihn anzeigen. Man kam ins Gefängnis •— oder gar in die Irrenanstalt! Aufpassen, Asmus Pätsch! So was kann leicht ins Auge gehen. Jetzt war er schon kaum noch zwei Meter groß.
Herr Direktor Bollmann, ein Menschenkenner von hohen Graden, bemerkte wohl, wie die Kreatur, die ihm entlaufen war, langsam zusammenschrumpfte.
„Das sind böse Dinge, die Sie da treiben, verehrter Pätsch“, sagte er vorsichtig.
Der andere trat einen Schritt rückwärts. „Sie selbst sind an meiner Erregung schuld!“
„Gewiß, gewiß. Ich sehe ein. Aber diese Form, ich weiß nicht, Herr Pätsch, hm.“
Einen Meter und achtzig war der Buchhalter Pätsch noch groß und sein Gewicht überstieg das Normalgewicht nur um wenige Pfund. Er trat noch zwei Schritte zurück, starrte verlegen zu Boden, und als er wieder aufblickte, in die kalten wässerigen Schweinsaugen seines Direktors, war er wieder ganz der Alte. Buchhalter Asmus Pätsch, zweiundfünfzig Jahre alt, unablässig um das Wohl der Firma bemüht.
Er tastete mit der Hand nach der Türklinke. „Entschuldigen Sie. Herr Direktor. Ich war etwas verwirrt. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich gern kündigen möchte.“ (Forts, folgt.)