Pax Europeana
Geduld und Selbstüberwindung notwendig
H.Sch. Es hat der Massenopfer und bitteren Erfahrungen zweier Weltkriege bedurft, um eine breitere Plattform für die Annäherung und Verständigung Deutschlands und Frankreichs zu gewinnen, als die die Locarno- Thoiry-Atmosphäre von 1923 bot. Locarno war politisch verfrüht; aber der Geist der Ausgleichspolitik Stresemanns und Briands war gesund und ehrlich europäisch. Damals wurden freilich die begeisterten Vorkämpfer einer Pex Europeana von der nationalen Dynamik der machtstaatlichen Souveränitäten überspielt und mattgesetzt; ihr Gedankengut aber blieb lebendig, weitete sich aus und sucht heute seine überstaatliche Lebensform in der Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa.
Dieser Europaprozeß ist im Reifen, er erfordert Geduld und Selbstüberwindung, Abbau der nationalen Egoismen und Verzicht auf autonome Staatssouveränität, er verlangt konstruktive Phantasie und vor allem Glauben an die Zukunft. Diese Voraussetzungen sind bei den Initiatoren des Schuman-Planes, aber auch bei den deutschen Unterhändlern gegeben. Und trotzdem schreitet die Entwicklung zur Vereinigung Europas nur langsam, allzu langsam fort. Der französische Hohe Kommissar Andre Francois-Poncet hat nun das Beispiel des Deutschen Zollvereines als beachtliche Vorleistung der Reichsgründung angeführt, um zu zeigen, daß vor der politischen Lösung die wirtschaftliche Verständigung stehen kann, um zu fruchtbaren Ergebnissen zu kommen. Und so sollte auch der Arbeit am Sclfuman-PIan größeres Interesse in der breiten Oeffentlich- keit Europas entgegengebracht werden, denn die Chance ist einmalig und die Gefahr drohend, daß Europa ohne Einigung im Ringen der beiden Weltblöcke US-Amerika und Sowjetrußland zugrunde gerichtet wird.
Frankreich hat durch den Monnet-Plan die inneren Voraussetzungen für die Verwirklichung der Schuman-Konzeption geschaffen. In Deutschland war die allgemeine Atmosphäre nie so günstig für die deutsch-französische Verständigung wie heute, wo man die Berechtigung des Europagedankens als einzige Rettung anerkennt. Vor allem die Jugend Deutschlands und Frankreichs zeigt ihren Willen, aus der Enge des nationalstaatlichen Denkens in die Weite europäischen Bewußtseins hineinzuwachsen. Sie hat durch die Demonstration der 5000 jungen Europäer aus einem Dutzend europäischer Nationen der Welt in Straßburg kundgetan, daß sie unbekümmert um Grenzpfähle, Paß- und Visumvorschriften, Zollkontrollen und andere nationale Widerstände Europa bejaht, Europa nun endlich verwirklicht sehen und dazu an ihrem Teil als Träger der abendländischen Zukunft tat-
„Sdieinabtlonen“
Protest gegen „Friedensschutzgesetz"
BONN. Das Bundesjustizministerium hat gegen das neue „Gesetz zum Schutz des Friedens im sowjetischen Besatzungsgebiet" nachdrücklich Protest eingelegt, und es als einen „Versuch, die vom Weltkommunismus ausgehende Kriegsdrohung durch Scheinaktionen zu tarnen", bezeichnet. Die Anwendung des Gesetzes würde bedeuten, daß jeder deutsche Politiker, der sich für die Verteidigung der Bundesrepublik einsetze, mit der Todesstrafe zu rechnen habe, wenn ....
Ein Sprecher der Bundesregierung wies darauf hin, daß dieses Gesetz die Verhandlungen über den Grotewohlbrief „nicht gerade erleichtern oder beschleunigen“ werde. Die Bundesregierung werde das Gesetz eingehend prüfen.
Der Vorstand der SPD verurteilte das Gesetz als einen weiteren Versuch, den kommunistischen Terror für Gesamtdeutschland zu legalisieren.
kräftig mitwirken will. Der Europarat hat durch diese jungen europäischen Einheitskund- geber einen Vorgeschmack davon bekommen, welches Tempo die Europabewegung vorgelegt wissen will, wenn sie vom „Aufstand der Jungeuropäer“ getragen wird.
Ohne Jugend kein neues Europa! Das hat der Präsident des Europarates, der Belgier Henri Spaak, erlebt, als seine gutgemeinte, aber der Jugend nicht ausreichende Antwort auf das stürmische „Wie-lange-noch“ ein negatives Echo fand!
Not tut angesichts der Korea-Ereignisse der beschleunigte Aufbau einer europäischen Ar
mee, die Einbeziehung eines gleichberechtigten Deutschlands in das europäische Verteidigungssystem, die Heranführung Englands und der skandinavischen Staaten an den europäischen Kem, der durch das deutsch-französische Verhältnis gebildet wird. Dieser Kern ist aber zur Stunde noch nicht so innerlich gefestigt, daß er nicht bei dem schleppenden Fortgang der politischen Organisationsarbeit an der „Pax Europeana“ und bei den unsicheren Regierungsverhältnissen des Kabinetts Pleven der dringenden Beherzigung der Mahnung Francois-Poncets bedürfte: Bringt den Schuman-Plan unter Dach und Fach — Völker Europas, vereinigt euch! Es lohnt sich, Europa zu sichern; denn hier wurden in jeder Weltzeit die Barrikaden der Freiheit, der Gleichheit und des Rechts aufgerichtet. Hier sind die Schöpferkräfte der Ursprungszeit beheimatet.
Keineswegs eine Vertrauensfrage
Der Friedrichshafener Gemeinderat zu dem Ehrenbürgerstreit
FRIEDRICHSHAFEN. Unser Schaubild soll torenbau bereits besitzt, noch weitere 31 Proeine Illustration zu den Friedrichshafener zent zu von der Stadtverwaltung als unan- Ehrenbürgerrechtsverzichten von Dr. Eckener, nehmbar bezeichneten Bedingungen erhält. Dr. Dornier und Dr. Maybach sein. Es läßt Die Stadtväter von Friedrichshafen haben in
Beteiligungen u. a,
Holzindustrie
Medcenbeuxen
Kurgarten-Hotel
GmbH
rri»dridilhaf«n
Zahnradfabrik
Friedrichshafen
80% der Anteile gehören dem Luhtchi’Jbftu Zeppelin
Maybach Motoren GmbH
63% der Anteile gehören deir Luftschiffbau Zeppelin 17% d. Stadt {/eppelinsUftung 20% Dr. Karl Maybach
Zeppelinstiftung
Eigentum der Stadt Friedrichshafen
Luftschiffbau Zeppelin in Liquidation
91% der Anteile gehören der Stadt F.; 8% der Familie Srandensietn-Zeppeltn
auch die für den Außenstehenden schwer verständliche Verflechtung des Zeppelinkonzerns erkennen. Gegenwärtig geht es darum, ob Dr, Maybach vom französischen Liquidator zu den 20 Prozent Anteilen, die er am Maybach-Mo
den letzten Tagen zu der ganzen unliebsamen Ehrenbürgeraffäre erklärt, der Streit drehe sich nur um Geld und Geldeswert und könne ebensowenig wie sonst im geschäftlichen Verkehr zu einer Vertrauensfrage gemacht werden.
Nachrichten aus aller Welt
FREIBURG. Die südbadische Regierung hat am vergangenen Wochenende beschlossen, dem Bundestag einen eigenen Gesetzentwurf über die Neugliederung der Ländergrenzen in Südwestdeutschland vorzulegen. Begründet wurde dieser Schritt damit, daß die Regierung von Württem- berg-Hohenzollem es abgelehnt habe, mit Südbaden gemeinsam eineen Gesetzentwurf einzubringen.
MÜNCHEN. Die bisherigen Vernehmungen zur Feststellung der Herkunft der in der vergangenen Woche beschlagnahmten Nachlaßsachen Hitlers haben ergeben, daß ein Schweizer Staatsbürger für den Inhalt des Koffers 100 000 DM geboten hat.
MÜNCHEN. In Bayern sind sowohl die SPD als auch die CSU bereit, sich an einer großen Regierungskoalition zu beteiligen.
BONN. Der britische Hohe Kommissar Sir Ivone Kirkpatrick hat am vergangenen Wochenende die vorläufige Einstellung der Demontagen in Watenstedt-Salzgitter angeordnet.
BONN. Die polnische Regierung hat ihre konsularischen Vertreter aus der britischen Besatzungszone zurückgezogen. Die polnischen Konsulate waren zur Rädmung aufgefordert worden, weil die polnischen Vertretungen trotz Aufforderung sich bei der alliierten Kommission nicht hatten akkreditieren lassen.
BONN. Das Bundesvertriebenenministerium teilte mit, daß alle Berichte über die angebliche Auszahlung von 300 Mill. Dollar aus Arbeitsverdiensten ehemaliger deutscher Kriegsgefangener in den USA nicht zutreffen. Hierüber hätten noch keine Verhandlungen mit den USA stattgefunden und es lägen auch nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vor, daß eine derartige Auszahlung beabsichtigt sei.
BONN. Bundespräsident Prof. Heuß hat seinen Dienstsitz von der 20 Kilometer von Bonn entfernten Viktorhöhe in die Villa Hammerschmidt verlegt.
GÖTTINGEN. Nach eineinhalbmonatiger Verhandlung wurde der ehemalige Leiter des deutschen Kriegsgefangenenlagers Kyran (Ural) Regierungsrat a. D. Dr. Walter Wilimzig wegen Kameradenmißhandlung in 21 Fällen zu 4 Jahren 6 Monaten Gefängnis verurteilt.
.. LONDON., Am vergangenen Wochenende hat in den meisten westeuropäischen Ländern der Winter mit Schnee und Frost seihen Einzug gehalten. In Großbritannien und Frankreich tobten schwerste Schneestürme. An der französischen Westküste gerieten zehn Schiffe in Seenot.
WINTERTHUR. Die Schweizer Polizei verhaftete am Samstag einen führenden Angestellten der „Krankenfürsorge Winterthur“, der im Laufe der letzten Jahre 650 000 Schweizer Franken unterschlagen und damit eine Exportfirma gegründet hat.
CATANIA. Nach vorübergehender Beruhigung hat der Aetna am Sonntag erneut eine gewaltige Flut heißflüssiger Lava ausgeworfen.
BOLOGNA. Ein wildes Pistolengefecht zwischen Banditen und Polizei in den Straßen Bolognas forderte am Samstag 5 Todesopfer.
CARACAS. Eine Maschine der venezolanischen Luftverkehrsgesellschaft mit 28 Studenten an Bord, ist am Sonntag in den Anden abgestürzt. Einige der Insassen sollen die Katastrophe überlebt haben.
SAIGON. Der französische Minister für die assoziierten Staaten, Letourneau, und der neuernannte Hohe Kommissar und Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Indochina, General De Lattre de Tassigny,. trafen am Sonntag in {Saigon ein.
Die Auslandssdiulden
Adenauer bei Kirkpatrick
BONN. Bundeskanzler Dr. Adenauer traf am Samstag mit dem britischen Hohen Kommissar Sir Ivone Kirkpatrick vor dessen Abreise nach Brüssel zusammen. Politische Kreise nehmen an, daß Fragen der Verkündung der ersten Revision des Besatzungsstatuts besprochen wurden. Adenauer soll darauf hingewiesen haben, daß die Bundesregierung zunächst auf Grund eines Kabinettsbeschlusses noch vor Beginn der Brüsseler Außenministerkonferenz eine formelle Anerkennung der deutschen Auslandsschulden vollziehen werde, die später vom Bundestag und Bundesrat zu ratifizieren wäre. Da die Anerkennung der deutschen Schulden nach alliierter Ansicht eine Voraussetzung für die Verwirklichung der New Yorker Außenministerbeschlüsse ist und günstig auf die Atmosphäre der Brüsseler Konferenz wirken soll, wird angenommen, daß Adenauer die formelle Anerkennung heute aussprechen wird.
Der Vorsitzende der SPD, Dr. Schumacher wandte sich am Samstag gegen die Anerkennung der deutschen Auslandsschulden „unter Ignorierung des Parlaments“. Der Bundeskanzler sei zu einem solchen Schritt „moralisch und politisch“ nicht legitimiert.
Steuerkraft nicht berücksichtigt
Horizontaler Finanzausgleich abgclehnt TÜBINGEN. Der Finanzausschuß des Landtags von Württemberg-Hohenzollern versagte in seiner letzten Sitzung dem Antrag eines Regierungsvertreters, im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs eine erste Rate an Schleswig-Holstein zu überweisen, seine Zustimmung. Der Finanzausgleich, der die Zahlung von 2,3 Mill. DM an die Länder Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein verlangt, berücksichtige nicht die Steuerkraft des 1945 gegen den Willen der Bevölkerung gebildeten finanziell nicht lebensfähigen Landes. Der Ausschuß sehe sich daher nicht in der Lage, die parlamentarische Verantwortung für die Ueberweisung zu übernehmen.
Noch vor der Abstimmung verließen die CDU-Abgeordneten des Ausschusses den Raum. Danach waren die Abgeordneten der anderen Parteien nicht mehr bereit und in der Lage, über den Antrag abzustimmen. Von Ausschußmitgliedern wurde erklärt, daß diese Haltung keineswegs ein Mißtrauensvotum gegen den Staatspräsidenten und Finanzminister Dr. Gebhard Müller darstelle.
„Nicht anfechtbar“
Sitzung des Kiehn-Ausschusses BEBENHAUSEN. Nach eingehender Erörterung von Verfahrensfragen erklärte am vergangenen Freitag der vom Landtag von Württemberg-Hohenzollern eingesetzte Ausschuß, der die Aufgabe hat, die Gewährung des Staatskredits von drei Millionen DM an den Industriellen Fritz K i e h n in Trossingen zu untersuchen, die organischen Beziehungen zwischen Öfen Efka-' und den Chiron-Werken >'für „nicht anfechtbar“.
Nach Angaben des Vorsitzenden des Aus- ’ Schusses stellt der frühere Zwangsverwalter der Chiron-Werke, Richter, noch Ansprüche an den Staat in Höhe von 1,2 Mill. DM, Der Kredit wurde, wie der Ausschuß feststellte, nur für die Chiron-Werke gegeben. Die Endabrechnung über die Verwendung der Gelder sei geprüft und anerkannt worden. Eine Gefährdung des Kredits bestehe zurzeit nicht, da 500 000 DM bereits vorzeitig zurückgezahlt worden seien und für die noch verbleibenden 2,5 Mill. DM die Chiron-Werke, die Efka- Werke und Kiehn persönlich hafteten.
BERLIN. Der Ostzonen - Nationalpreisträger Johannes R. Becher verteidigte auf einer Pressekonferenz in Ostberlin das Ostzonengesetz „Zum Schutz des Friedens“, das Strafen bis zur Todesstrafe bei Verstößen gegen die kommunistische Friedensterminologie vorsieht, mit dem Argument, man solle doch mit ihm durch Gefängnisse der Sowjetzone gehen und ihm sagen, wie viele zuviel eingesperrt seien. Im Bundesgebiet seien viel zuwenig eingesperrt.
KAMPF UMDEN IU1U SIEGER
ROMAN VON W. JÖRG LÜDDECKE Alle Rechte Hcjjijchc Vcil<t>anittlt G. m. b. H. [9
„Es Ist das Geld Ihres Sohnes.“
Das also war es. Frau Grete begann plötzlich zu lachen! Erst einmal, stoßartig. Dann wurde es eine Lachkaskade. Die Leute blieben an der geöffneten Ladentür stehen und lachten mit. Aber sie kamen nicht auf ihre Kosten. Denn ebenso schnell wie er gekommen war, versiegte der Strom. Wie ein Karpfen klappte Frau Pätsch den Mund zu, öffnete ihn dann wieder und sagte mit sehr viel Würde, aber eiskalt: „Idiot“. Und dann etwas milder aber doch in einem Ton, den der Abstand zwischen einer Toto-Siegerin und einem Toto-Annahmestellenleiter erfordert: „Kann ich mal telefonieren.“
Der Widersacher zuckte mißmutig die Achseln. „Bitte.“
XI.
Dieser Montag begann für Herrn Pätsch sehr mißlich. Herr Direktor Bollmann war bereits vor ihm im Büro und beantwortete seinen respektvollen Gruß mit der bedrohlichen Bemerkung: „An sich sollten die Angestellten in gehobenen Stellungen den Jüngeren ein gutes Beispiel geben.“ Er blickte auf die Uhr. „Acht Uhr elf, Herr Pätsch.“
Asmus Pätsch ging leicht in die Knie. „Die Linie 18 war wieder überfüllt“, murmelte er. „Ich mußte zwei Bahnen fahren lassen.“ Direktor Bollmann feist und gereizt über den Korridor segelnd: „Interessiert mich nicht, ich verlange Pünktlichkeit.“
Damit, wie gesagt, begann der Tag. Eine Stunde- später bereits stand der Buchhalter Pätsch zum zweiten Male vor dem Gewaltigen. Er ahnte, was der Grund sein würde.
Der Abschluß für die Firma Neumann & Barth war Samstag fällig gewesen. Eine Kleinigkeit hur, die noch fehlte. Asmus Pätsch hatte beabsichtigt, sie während der Mittagspause dieses Tages in Ordnung zu bringen. Aber Herr Direktor Bollmann hatte die Akte bereits verschleppt. Sie lag in diesem Augenblick geöffnet vor ihm. Die dicken Wurstfinger durchblätterten die einzelnen Seiten, wobei der kleine Finger der rechten Hand seitwärts gespreizt war wie bei sehr feinen Leuten, wenn sie Kaffee trinken. Es verging eine Minute, es vergingen zwei Minuten, die Stille war beängstigend. Buchhalter Pätsch entschloß sich in seiner tiefen Verzweiflung, den Stier bei den Hörnern zu nehmen. Harmlos und obenhin sagte er: „Da fällt mir übrigens ein (Sie werden es wahrscheinlich schon bemerkt haben), ich muß da noch ein paar letzte Additionen bei Neumann & Barth vornehmen, wenn ich mir die Akte nachher noch für einige Minuten ausbitten dürfte ...“
Herr Direktor Bollmann blickte auf. Das war noch einmal ein Blick! Davon konnte sogar Grete lernen!
Der Buchhalter Pätsch sank in sich zusammen. „Jawohl Herr Doktor.“ „Was — jawohl?“
„Ich meine nur so. Schlechthin, wenn ich mir sozusagen erlauben darf.“
Herr Direktor Bollmann schnaubte. Dumpf, gereizt, bedrohlich.
Buchhalter Pätsch stand vor ihm, winzig klein und in größer Angst. Es war die zusammengeballte Ausgabe jener Vorgesetztenangst, die er vom ersten Tag seiner kaufmännischen Lehre an nie los geworden war, der er immer wieder unterlag. Dänn ging der Stier zum Angriff über. Daß er dabei das Gebaren eines Schweinchens an den Tag legte, das auf den Hinterbeinen ein Menuett tanzt, minderte dabei in keiner Weise die Gefährlichkeit.
Direktor Bollmann war aufgestanden und schritt im Zimmer hin und her. Dazu summte
er eine alberne Melodie und spielte mit der dicken, goldenen Uhrkette. Den dicken Schweinskopf hatte er in den feisten Nacken gelegt, seine kleinen wässrigblauen Augen suchten unablässig die Zimmerdecke ab. Dreimal durchmaß er zierlichen Schrittes den langen Raum. Eine stumme Wanderung, die Herrn Pätsch ungeheure Qualen bereitete. Dann plötzlich vollführte er auf leiser Gummisohle einen halben Bogen und stand, — eine choregraphische Meisterleistung — genau vor seinem Buchhalter.
„Mein lieber Pätsch. Wie alt sind Sie eigentlich?“
Eine heiße Welle stieg in Asmus Pätsch auf. Genau so hatte dieser Bollmann in seiner Gegenwart den Angestellten Kemmeier gefragt, um ihm eine Minute später mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns zu entlassen. „Zweiundfünfzig, Herr Direktor.“
„Wie bitte? Sie müssen lauter sprechen, Pätsch. Frei heraus. Oder sind Sie krank?“ „Zweiundfünfzig, Herr Direktor.“
„Aaaha-.“ Das Schweinchen nahm den Tanz wieder auf. Setzte zierlich Fuß vor Fuß und sang das alberne Liedchen. Einmal durch das Zimmer, zweimal durch das Zimmer. Wendung — und genau auf dem gleichen Fleck. Das mußte gekonnt sein!
„Sie lassen nach, Pätsch. Haben Sie sich je mit dem Gedanken getragen, daß Sie in all den Jahren aufopferungsvoller Tätigkeit in meiner und anderen Firmen — und das nicht zuletzt im Krieg und Nachkriegszeit — langsam Ihren Tribut zollen müssen?“
„Herr Direktor, ich fühle mich noch sehr frisch. Vielleicht, daß. die Sommerhitze ein wenig lähmt, hähä, aber das empfinden wir ja wohl alle.“ 1
„.Ich nicht.“ '
„Gewiß, Herr Direktor. Sie sind aber auch ein außergewöhnlich‘leistungsfähiger Mensch, ' ein Asketentyp, wenn ich so sagen darf. Hart gegen sich selbst...“
„Warum sind Sie nicht auch hart?“
„O, ich kann es sein. Sehr sogar.“
„Na und?“
Buchhalter Pätsch wand sich wie ein getretener Wurm. Da war wieder diese widerliche Art, Fangfragen zu stellen.
„Herr Direktor, ich bemühe mich unablässig um das Wohl der Firma.“
Direktor Bollmann deutete mit dem massigen Kinn leicht in Richtung der Akte Neumann & Barth.
„Ich sehe.“
„In diesem Fall, Herr Direktor ...“
Eine ungeduldige Handbewegung schnitt das weitere Wort ab. Gottlob, denn viel wußte der Buchhalter Pätsch zu seiner Entschuldigung nicht anzuführen.
„Dieser Fall ist klar. Klar wie manches andere. Ich beobachte Sie schon längere Zeit, Herr Pätsch. Wie bereits erwähnt, Sie lassen nach.“
Asmus Pätsch schloß einen flüchtigen Moment die Augen. Jetzt kommt es, dachte er. Jetzt fliegst du raus. Er duckte sich innerlich wie zum Sprung, Dann, dachte er, dann kann er was erleben. Dann gehe ich los! Wenn nichts mehr zu retten ist, dann haue ich ihn um. Er öffnete die Augen und schielte nach dem Schreibtisch. Das Holzlineal, dachte er. Das haue ich ihm um die feisten Backen.
Aber der Todesstoß kam nicht. Direktor Bollmann nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz, reichte die Akte Neumann & Barth abgewandten Gesichts ins Zimmer und sagte: „Bemühen Sie sich in Zukunft. Es wäre bedauerlich, zumal Sie ja eine große Familie haben.“
Asmus Pätsch haschte die Akte im Sprung und zog sieh wortlos mit -mehreren Verbeugungen gegen die Tür zurück.
Zehn Minuten saß er dann auf seinem Arbeitsplatz und war gu keiner Handlung fähig. Das fade Fräulein Schöler, das ihm gegenüber die Registratur bearbeitete, wand sich vor Neugier und platzte schließlich.
„Hat’s Krach gegeben?“ (Fortsetzung folgt)