NUMMER 18 7
FREITAG, 1. DEZEMBER 1950
digkeit der Bundesrepublik weit weniger scharf stellen. Doch, so wie die Dinge liegen, hat diese Forderung gar nichts mit nationalem Drängen oder Nationalismus zu tun, sondern ergibt sich aus den Anforderungen, die von den Verhältnissen in und um Deutschland an Bonn gestellt werden.
Bonn wird diesen Anforderungen nur gewachsen sein und ihnen durch eigene Handlungen entsprechen können, wenn das Verhältnis zu allen Westmächten, politisch und rechtlich, auf eine stabile Grundlage gestellt wird. Es ist verständlich, wenn die Alliierten, wie die erste Revision des Bcsatzungsstatus bestätigt, nur zu einer sehr allmählichen Normalisierung dieses Verhältnisses bereit sind. Die Widersprüche, deren Bestehen damit verlängert wird, haben jedoch so erhebliche, auch psychologische Auswirkungen, daß es auch für die Alliierten ein Gewinn sein wird, sie zögen den notwendigen Strich.
Dr. Veit Ministerpräsident?
CDU zur Mitwirkung bei Regierungsbildung aufgefordert
STUTTGART. SPD und DVP haben Mitte der Woche erneut die CDU aufgefordert, sich an der württemberg-badischen Regierung zu beteiligen, nachdem, wie bereits gemeldet, die CDU-Fraktion am Montag eine Mitwirkung an der neuen Landesregierung abgelehnt hatte.
In einem gemeinsamen Schreiben der beiden Parteien kam zum Ausdruck, der CDU-Be- schluß lasse seinem Wortlaut nach nicht klar erkennen, ob die Partei sich nur jeglicher Initiative enthalten wolle oder ob eine Beteiligung endgültig abgelehnt werde. Die CDU solle deshalb im Sinne anderer Erklärungen, wonach der Eindruck entstanden sei, daß sie zu Verhandlungen bereit sei, Verhandlungsbevollmächtigte benennen.
Die SPD hat bei den Koalitionsverhandlungen den bisherigen Wirtschaftsminister Dr. Veit als möglichen Ministerpräsidenten vorgeschlagen.
„Seit Wochen belogen“
Schaffer erneut belastet
BONN. Bundesfinanzminister Schäffer wurde in der Mittwochsitzung des „Spiegel- Ausschusses erneut beschuldigt, an Geldzuwendungen für die „Gruppe Donhauser“ in der Bayernpartei direkt beteiligt gewesen zu sein.
Nach Aussage des Abg. Volk holz (Bay- empartei) hat sein Fraktionskollege Aumer Ende vorigen Jahres in Gegenwart Schäffers 32 000 DM zur Abdeckung von Wahlschulden der Gruppe Donhauser erhalten. Volkholz rief erregt aus: „Eigentlich gehört die CSU hier auf die Anklagebank.“
In der Dienstagverhandlung wurden die widerspruchsvollen Aussagen des BP-Abg. Frh. v. A r e t i n behandelt. Aretin hatte in früheren Vernehmungen erklärt, er habe von Aumer keinen Pfennig erhalten. Später gab er „einige tausend Mark“ zu. Ausschußmitglied Dr. Arndt (SPD) stellte fest: „Sie (Aretin) haben den Ausschuß seit Wochen in der fürchterlichsten Weise belogen.“
Doch „alte Kämpferin“
Ilse Koch: „Abgesprochene Verschwörung“
AUGSBURG. Im weiteren Verlauf des Prozesses gegen Ilse Koch bestritt die „Kom- mandeuse von Buchenwald“ erneut, jemals unmenschliche Behandlungen im Buchenwälder KZ gesehen zu haben. Sie gab lediglich zu, drei Häftlinge der Lagerleitung gemeldet zu haben, die als Kalfaktoren für ihre Wohnung eingeteilt waren und sich schlecht benommen hätten.
Entgegen ihrer unter Eid ausgesagten Behauptung vor dem amerikanischen Tribunal gab Ilse Koch jetzt zu, schon 1932 der NSDAP beigetreten zu sein. Durch Zeugenaussagen ehemaliger KZ-Häftlinge wurde die Angeklagte schwer belastet. Die Koch erklärte, all diese Aussagen seien erlogen und das ganze sei eine „abgesprochene Verschwörung“ gegen sie.
Niemöller heftig angegriffen
Landessynode von Hessen und Nassau
FRANKFURT. Um die Haltung des hessischen Kirchenpräsidenten D. Martin Nie- m ö 11 e r entspann sich auf der Landessynode von Hessen und Nassau in Frankfurt eine erregte Debatte, in deren Verlauf Niemöller heftig angegriffen wurde. Der Kirchenpräsident sprach bei der Auseinandersetzung von der Möglichkeit, daß er sich bei neuen Angriffen auch eine Gemeinde „im Osten“ suchen könne.
Frh. von H e y 1 warf Niemöller vor, er beschwöre die Gefahr herauf, daß Amerika sich von der Bundesrepublik abwende. Er sei zu einem kirchlichen Wanderredner geworden, den man nur kraft seiner Aemter wichtig nehme. Von anderer Seite wusde Niemöller erklärt, daß auch zur Politik Sachkenntnis gehöre. Unter dem Beifall der Versammlung erklärte ein Diskussionsredner, man würde es lieber sehen, wenn der Kirchenprfisident seine seelsorgerischen Aufgaben an die erste Stelle setze.
In seiner Entgegnung führte Niemöller aus, wenn die Kirche zu politischen Dingen nicht Stellung nehme, verleugne sie den Auftrag Gottes. Sie habe die Aufgabe, das Gewissen
kritisiert den Kirchenpräsidenten
der Nation zu sein. Die Kirche sei die große Klammer, die Ost und West noch verbinde. Er sehe den Versuch, uns Waffen in die Hand zu drücken, als ein Unglück größten Ausmaßes“ an. Dies zu verhindern, würde er alles wagen. Er stehe unter dem Zwang seines Gewissens und werde reden, solange noch Zeit sei.
Wenn die Synode der Meinung sein würde, er solle sein Amt niederlegen, so könne er sich genau so gut eine Gemeinde im Osten suchen. Er erwäge ernstlich, dies als Konsequenz aus künftig gegen ihn errichteten Schritten der Synode zu ziehen.
Die Synode beschloß schließlich, einen Ausschuß zu bilden, der sich mit dem gesamten Fragenkomplex beschäftigen soll.
Zum Abschluß der Synode wurde eine Entschließung angenommen, in der die „Erwartung“ zum Ausdruck kam, daß „alle Amtsträger der Kirche in ihren Aeußerungen um ihres Dienstes am Evangelium willen in der Form möglichste Zurückhaltung üben, unnötige Schärfen vermeiden und sich des brüderlichen Rates bedienen“.
„Unerläßliche Vorbedingung“
SPD gewinnt Betriebsrätewahlen im Ruhrgebiet
BERLIN. Der Vorstand der SPD forderte am Mittwoch nach zweitägigen Besprechungen in einem Kommunique erneut Bundestagsneuwahlen, die eine „unerläßliche Vorbedingung“ für die Entscheidung in der Frage einer deutschen Remilitarisierung seien. Gleichzeitig wandte sich der SPD-Vorstand gegen die „wahrheitswidrige Darstellung Dr. Adenauers über seinen Standpunkt und den Dr. Schumachers in Sache des deutschen militärischen Beitrages“. Außerdem wurde in dem Kommunique nachdrücklich „gegen die dauernden und unerträglichen Einmischungen von westalliierter Seite in die deutsche Innenpolitik“ protestiert und für eine Verminderung der Besatzungskosten sowie die Abschaffung aller überflüssigen alliierten Kontrollen eingetreten.
Ein Sprecher der amerikanischen Hohen Kommission äußerste zu der vom SPD-Partei- vorstand erhobenen Forderung auf Kürzung der Besatzungskosten, deutscherseits seien seit Kriegsende für die US-Zone rund 8 Milliarden DM an Besatzungskosten bezahlt worden.
Demgegenüber hätten die USA jedoch rund 17 Milliarden DM für die von ihnen besetzte Zone ausgegeben. Die SPD solle dieses Verhältnis bedenken, wenn sie eine Kürzung der Besatzungskosten fordere.
*
DÜSSELDORF. Bei den im Ruhrgebiet durchgeführten Betriebsrätewahlen hat die SPD die meisten Stimmen erhalten. Von den 2116 Betriebsräten entfallen auf die SPD 844 (im Vorjahr 750), KPD 420 (529), CDU/Zentrum 378 (372), Parteilose 470 (365), FDP 1 (1), Radikalsozialistische Freiheitspartei 3 (1).
Das Ergebnis der Urabstimmung der Metallarbeiter über das Mitbestimmungsrecht ist erst heute zu erwarten. Rund 210 000 Arbeiter und Angestellte haben an der Abstimmung am Mittwoch teilgenommen.
In Hannover, hat am Mittwoch die dritte Generalversammlung der Industriegewerkschaft Bergbau, an der 539 Delegierte und viele ausländische Gäste teilnehmen, begonnen. Die Generalversammlung befaßt sich hauptsächlich mit dem Mitbestimmungsrecht und der Neu- rdnung der Industrie.
Nachrichten aus aller Welt
HEIDELBERG. Der von amerikanischen Behörden verhaftete Deutsche Wilhelm Berger ist jetzt von einem französischen Kommando abgeholt worden. Ueber die Auslieferung des zweiten Verhafteten, Heinrich Bechtel, muß noch entschieden werden. Ein britisches Gericht hat am Mittwoch einen polnischen Antrag abgelehnt, zwei angebliche deutsche Kriegsverbrecher auszuliefern.
DÜSSELDORF. Der deutsche Gewerkschaftsbund zählt jetzt 5 278 585 Mitglieder. Die stärkste Gewerkschaft innerhalb des DGB ist die IG Metall mit über 1,2 Millionen Mitgliedern.
DÜSSELDORF. In den Ländern der Bundesrepublik wird voraussichtlich das Schuljahr künftig einheitlich an Ostern beginnen. Lediglich Bayern hat den Vermittlungsvorschlag unterbreitet, Ostern für die Volksschule und den Herbst für die Höheren Schulen als Schuljahrbeginn festzusetzen. Auch die Sommerferien sollen einheitlich geregelt werden.
DÜSSELDORF. In Nordrhein-Westfalen leben gegenwärtig rund 1,4 Millionen Menschen in Bunkern, Kellern und überfüllten Wohnungen. — In Köln müssen wegen Bereitstellung von Unterkünften für alliierte Truppenverstärküngen 842 Familien neu untergebracht werden.
WUPPERTAL. Das Schwurgericht Wuppertal hat am Mittwochabend in einem Revisionsverfahren den früheren SA-Sturmbannführer Paul Hufeisen sowie den ehemaligen SA-Obersturm- führer Josef Buchbinder zu lebenslänglichem Zuchthaus und dauerndem Ehrverlust verurteilt. Die beiden hatten 1933 einen KPD-Funktionär erschossen.
GÖTTINGEN. Die Sowjets haben einen ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen in der Ostzone verhaftet, weil er als Belastungszeuge im Wilimzig-Prozeß auftreten wollte.
HAMBURG. Ein Rechtssachverständiger des Hamburger Senats erklärte, man zerbreche sich gegenwärtig den Kopf, auf Grund welchen Gesetzes der Hitlergruß gerichtlich geahndet werden könne. Wie erinnerlich, haben vier Mitglieder der „Vaterländischen Union“ am Totensonntag am Hamburger Gefallenendenkmal einen Kranz niedergelegt und den Hitlergruß entboten.
SAARBRÜCKEN. Die Vereinigung ehemaliger Legionäre im Saarland kann schnell und zuverlässig Auskünfte über Einsatzort und Gesundheitszustand von Fremdenlegionären vermitteln.
STOCKHOLM. Die Ostseeausgänge sowie die südliche Ostsee werden voraussichtlich erst 1958 minenfrei sein. Um die gesamten nordeuropäischen Gewässer von Minen zu säubern, sind etwa 30 Jahre erforderlich.
WIEN. Sowjetische Truppenverstärkungen seien zurzeit vor allem im Raume Wien zu beobachten, berichteten am Mittwoch Wiener Regierungskreise.
ATHEN. Griechenland und Jugoslawien haben die vollen diplomatischen Beziehungen miteinander wieder aufgenommen.
KAIRO. Bei einem Protestmarsch von rund 2000 Studenten zu den Botschaften Großbritanniens und der Vereinigten Staaten kam es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei, wobei 25 Polizisten und über 30 Studenten verletzt wurden.
'„Liebenswürdige“ Worte
Schumacher und Adenauer überbieten sich
BERLIN. Bundeskanzler Dr. Adenauer hat am Dienstag auf einer CDU-Wahlkund- gebung die Haltung der SPD in der Verteidigungsfrage eine „ungeheure Gefahr für Deutschland“ genannt. Die SPD wage weder ein Ja noch ein Nein und ihre Bedingungen würden in den USA nur ein Lachen auslösen. Die sozialdemokratische Agitation sei „den Goebbel’schen Methoden nicht unähnlich“. Die Forderung der SPD auf Neuwahlen des Bundestages seien ein direkter Verfassungsbruch. Dr. Adenauer teilte mit, er sei erneut an die Außenminister der drei Westmächte herangetreten, das Besatzungsstatut durch einen Sicherheitspakt zu ersetzen.
In der bisher größten Wahlkundgebung Berlins mit etwa 11 000 Teilnehmern richtete der SPD-Vorsitzende Dr. Schumacher in sehr scharfer Form Angriffe gegen die Bonner Regierungskoalition. Die Rede Dr. Adenauers am Abend zuvor bezeichnete er „als Eruption eines Gift und Galle speienden Hügelchens“. Die CDU als „klerikale Unternehmerpartei“ befinde sich in einer schweren Krise. Schumacher prophezeite für Berlin einen Sieg der SPD.
Nach der Wahlansicht von Bundesjustizminister Dr. Dehler (FDP) ist Dr. Schumacher das „Unglück für Deutschland“. Schumacher sei ein „verantwortungsloser Schwätzer und Hetzer“.
HB. Der amerikanische Psychiater Drews ist erschüttert: Intensive wissenschaftliche Untersuchungen ließen ihn zu der schmerzlichen Erkenntnis gelangen, Politiker seien geistig krank.
Wer sich die oben festgehaltenen „Ausdrücke“, mit denen sich Führer großer Parteien Deutschlands bedacht haben, auf das parteilich nicht abgestumpfte Gemüt wirken läßt, braucht nicht die Wissenschaft zu bemühen.
Vor Wahlen muß geredet werden, viel und heftig. Das ist politischer Brauch. Wem es an sachlichen Argumenten gebricht, muß eben sehen, wie er den gefährlichen Mitkonkurrenten um des Volkes Gunst (bis zum Wahltag!) ausstechen kann.
Viel Erfolg!
Absdiied von Bonn
Dr. Baumgartner will BP-Landtagsfraktion übernehmen
MÜNCHEN. Dr. Josef Baumgartner, der Vorsitzende der Bayernpartei, will sein Bundestagsmandat niederlegen, um die BP- Fraktion im neuen bayerischen Landtag übernehmen zu können.
Zu den Landtags wählen erklärte Baumgartner, sie könnten für das bayerische Volk nicht als echt bezeichnet werden. Hunderttausende von Heimatvertriebenen, die auf Grund des Flüchtlingsaustausches längst in anderen Ländern wohnen müßten, sowie Zehntausende von Evakuierten hätten ihre Stimmen abgeben können. Die Bevölkerung sei durch die gesamte Lizenzpresse, die sich in den Händen der CSU und der SPD befände, sowie durch den bayerischen Rundfunk, der nur von Norddeutschen besetzt sei, einseitig beeinflußt worden.
Der SPD-Landesvorsitzende, Waldemar v. Knöringen, sagte, die CSU müsse *als stärkste Fraktion mit den Verhandlungen über die Regierungsbildung in Bayern beginnen. Nach Ansicht von Staatsrat Dr. Högner (SPD) müssen die Sozialdemokraten die Initiative zur Regierungsbildung ergreifen.
Die Leitung des Nürnberger Wahlamtes beschäftigt sich zurzeit damit, Unstimmigkeiten bei der Auswertung der Stimmzettel in Nürnberg zu untersuchen. Bei einer Anzahl von Stimmzetteln soll ein zweites Kreuz nachträglich eingetragen worden sein.
STUTTGART. Der württemberg-badische Landtag hat sich verjüngt: 43 der 100 neugewählten Abgeordneten sind unter 50 Lebensjahren; im alten Landtag waren es nur 28. Der älteste Abgeordnete ist 80, der jüngste 31 Jahre alt.
De. )Ha6um lefgfo» Sjüd
Roman •inet Dämons von Norbait Jacques
55] Copyright by Hoffmann und Camp» Varlag, Hamburg
In seinem Laboratorium ging Born zwischen den Apparaten mit wilden, wie auf einen fernen Horizont zueilenden Schritten auf und ab. Sein Kopf reckte sich hoch, sein Hirn arbeitete wie eine Maschine.
Was ihn in diesem Augenblick innerlich so erhob, war die kühne Tat der Lara; er konnte es nur als das Wunder seiner hochgesteigerten Liebe empfinden. Aber als solches fand er es wieder ganz natürlich. Es mußte jedem einleuchten, daß seine Liebe etwas Gewaltigeres war als die Liebe anderer Leute. Er war nicht nur Born, der große Psychiater, er war auch Mabuse —, wenn er Mabuse sein wollte. Verstand es sich nicht von selbst, daß seine Liebe eine Frau zu ungeahnten Taten steigern konnte, nein: mußte?
Ja, die Lara, die berühmte Tänzerin, hatte ihn mit ihrer Vergangenheit, mit ihrem genialen Einfall gerettet. Wieviel neue Kraft ihm das jetzt gab! Wie es seinen Willen neu belebte! Nun ging es nur noch darum, den Verfolgern zu entkommen, sie endgültig und für immer hinter sich zu lassen.
Im Grunde hatte er das von langer Hand vorbereitet, ohne es eigentlich je bewußt gewollt zu haben.
Wie folgerichtig zeigte sich jetzt, wo es darauf ankam, seine Entwicklungsreihe vom Professor Born über den Chemiker Dr. Rauschmann (welch ein Name!) zu einer wirklichen innersten und letzten Identität — dem Dr. Mabuse. Es ging auf wie eine mathematische Konstruktion, die von Anfang an diese Ereignisse vorausgesetzt hatte. Er würde alles aufgeben, was einmal gewesen war. Verschwin
den wird der Professor Born. Aber weiterieben wird an der Seite des'blonden Geistes in der Hülle des Chemikers Rauschmann der Dr. Mabuse.
Er riß aus der Mappe, die das Testament Dr. Mabuses enthielt, aufs Geratewohl ein Blattbündel heraus und schwenkte es wie eine Fahne hoch in die Luft dieses Raumes, den er aus sich selber und für sich allein geschaffen hatte, ohne die Hilfe eines anderen Gottes. Ein Rausch durchwirbelte sein Blut. Das Wagnis des kommenden Spieles erfüllte ihn mit einem dämonischen Glück.
In seiner jetzigen Verwandlung erst, das spürte er, war er Er selbst. Eine unbezwingbare Macht war in seine Hände gelegt. Er würde die Welt beherrschen. Oh, er würde sie ihr zu Füßen legen, ihr, die durch ihre verwegene Tat bewiesen hatte, daß sie mehr wert war als die ganze Welt, für ihn mehr wert war. Was bedeutete schon die Welt, sie würden sich eine neue aufbauen, auf den Trümmern der alten. Und er würde die alte zertrümmern, es stand in seiner Macht. Aber mitten in diesen ekstatischen Wahn fiel auf einmal ein Bedenken ... als stimme etwas nicht.. .• als schließe ein Glied nicht, als habe er vielleicht etwas versäumt, etwas, was gegenüber dem Flug seiner Phantasie so unbedeutend war!... Oder war es doch vielleicht nicht so bedeutungslos, obschon es nur ein Schlüssel war, der draußen an der Haustür, und zwar nach der Hofseite hin im Schloß steckte?... vergessen von ihm in der Eile, das bergende und rettende Haus zu erreichen. Er hatte den Schlüssel da draußen sozusagen in den Händen der Öffentlichkeit, die ihn verfolgte, stecken lassen.
Unvermittelt nahm diese Tatsache die Bedeutung von etwas Sinnbildlichem an, von etwas schicksalhaft Beschworenem... Mit einem Schlag gerann das kochende Ueberschäu- men seiner Phantasie zu einem Klotz aus Eis. Von der Stelle aus, an der das Bewußtwerden seines Vergessens ihn festgehalten, sah er in
den Flur, zu dem er die Tür offen gelassen hatte. Und durch diesen Flur auf die Haustür und auf das Verhängnis, das in dem kleinen Schloß Gestalt zu gewinnen drohte.
Er stand wie festgebannt. Mit gelähmtem Willen starrte er in den Flur hinaus und auf die Klinke der Haustür, auf die das Licht aus dem Arbeitsraum wie eine erregende Lockung fiel. Gespenstisch erhob sich neben ihm die Drohung, daß sich jetzt diese Klinke nieder- drücken, daß sich die Tür öffnen würde...
Diese Vorstellung und Erwartung gewannen eine solche Kraft in ihm, daß er sie nicht mehr auszuhalten vermochte. Um zu versuchen, ob er ihr entgehen könnte, schloß er die Augen. •
Im selben Augenblick hört er das Aufklinken des Schlosses und das Oeffnen der Tür. Im selben Augenblick auch wurde alles um ihn und in ihm zu einer entsetzensvollen Leere, und durch diese Leere hörte er donnernde Schritte herankommen.
Er zuckte mit den Schultern und er duckte den Kopf an die Brust. Dann kam die erwartete Stimme:
„Setzen wir uns. Ich' habe mit Ihnen zu sprechen, Professor Born.“
Lohmann schloß die Tür des Arbeitsraumes hinter sich.
„Ich nehme an, daß Sie es für überflüssig halten zu leugnen“, fuhr er fort. „Sie haben da in Ihrer Hand das Testament des Doktor Mabuse, das Sie vermutlich zu den Taten getrieben hat. derentwegen ich Sie verfolgen muß.“
Born stand noch immer mit geschlossenen Augen da. Er mußte auf einmal, wie ein Ertrinkender, mit Atemnot kämpfen. Alles um ihn war in eine Sturzflut geraten. Aus dem Untergang tauchte noch einmal, zwischen Leben und Tod verfließend, auf dem obersten Kamm der Brandung eine menschliche Gestalt auf. Es war eine Frau. Fast besinnungslos von einer Angst, die ihn zu erwürgen drohte, schrie er; „Lara!..
„Sie haben sich selber“, sagte Lohmann, ungerührt von dem verzweifelten Ruf, „und mit Ihnen ein Dasein von Erfolg, Bedeutung und Wert für die Menschheit zerstört.“
„Wo ist sie? Ich will wissen, wo sie ist!“
„Tot“, anwortete Lohmann ruhig.
Born sackte unter dem Schlag dieses kleinen Wortes auf dem Stuhl zusammen, den Lohmann ihm hingeschoben hatte.
„Sie haben auch die Zukunft Ihrer Tochter aufs Spiel gesetzt...“, fuhr Lohmann fort und legte ihm dabei die Hände auf die Schulter, mild und wie zu einer Beschwörung.
Nun ließ Born den Kopf sinken, während das Grauen und das Erkennen der Katastrophe über ihm zusammenstürzten. Reglos und schweigend kauerte er da. Sein Gesicht zuckte.
So verging eine Weile. Dann hob Born den Kopf. Seine Züge waren entspannt, wirkten aber grenzenlos müde, wie nach einem schweren Rausch. Lohmann sah in Augen hinein, die wie tot waren. Borns Mund ging eine Zeitlang tonlos, bevor sich die Worte, die er sagen wollte, zu Lauten bilden konnten;
„Es ist vorbei..verstand Lohmann schließlich. „Ich weiß es. Ich habe keine Erklärung und keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Eine fremde Macht hatte mich eingefangen. Erst jetzt kommt mir die Erkenntnis...“
Er mußte eine Ohnmacht niederkämpfen, die seine Stimme zu brechen drohte, bevor er fortfuhr;
„Jetzt bin ich frei von der Macht, die mich besaß, und ich habe Ihnen zu danken, daß ich vom Schlimmsten abgehalten wurde. Ohne Sie wären in wenigen Tagen Tausende umgekommen.“
Bom wollte sich erheben, aber ein wildes Zittern, das plötzlich durch seine Glieder lief, hinderte ihn daran.
Lohnrann legte ihm seine Hände beruhigend auf die Arme: „Bleiben Sie sitzen, Doktor Born. Was hier noch zu erledigen ist, das kann ich allein machen.“ (Schluß folgt)