NUMMER 18 7

FREITAG, 1. DEZEMBER 1950

digkeit der Bundesrepublik weit weniger scharf stellen. Doch, so wie die Dinge liegen, hat diese Forderung gar nichts mit nationalem Drängen oder Nationalismus zu tun, sondern ergibt sich aus den Anforderungen, die von den Verhältnissen in und um Deutschland an Bonn gestellt werden.

Bonn wird diesen Anforderungen nur ge­wachsen sein und ihnen durch eigene Hand­lungen entsprechen können, wenn das Ver­hältnis zu allen Westmächten, politisch und rechtlich, auf eine stabile Grundlage gestellt wird. Es ist verständlich, wenn die Alliierten, wie die erste Revision des Bcsatzungsstatus bestätigt, nur zu einer sehr allmählichen Nor­malisierung dieses Verhältnisses bereit sind. Die Widersprüche, deren Bestehen damit ver­längert wird, haben jedoch so erhebliche, auch psychologische Auswirkungen, daß es auch für die Alliierten ein Gewinn sein wird, sie zö­gen den notwendigen Strich.

Dr. Veit Ministerpräsident?

CDU zur Mitwirkung bei Regierungsbildung aufgefordert

STUTTGART. SPD und DVP haben Mitte der Woche erneut die CDU aufgefordert, sich an der württemberg-badischen Regierung zu beteiligen, nachdem, wie bereits gemeldet, die CDU-Fraktion am Montag eine Mitwirkung an der neuen Landesregierung abgelehnt hatte.

In einem gemeinsamen Schreiben der beiden Parteien kam zum Ausdruck, der CDU-Be- schluß lasse seinem Wortlaut nach nicht klar erkennen, ob die Partei sich nur jeglicher Ini­tiative enthalten wolle oder ob eine Beteili­gung endgültig abgelehnt werde. Die CDU solle deshalb im Sinne anderer Erklärungen, wo­nach der Eindruck entstanden sei, daß sie zu Verhandlungen bereit sei, Verhandlungsbevoll­mächtigte benennen.

Die SPD hat bei den Koalitionsverhandlun­gen den bisherigen Wirtschaftsminister Dr. Veit als möglichen Ministerpräsidenten vor­geschlagen.

Seit Wochen belogen

Schaffer erneut belastet

BONN. Bundesfinanzminister Schäffer wurde in der Mittwochsitzung desSpiegel- Ausschusses erneut beschuldigt, an Geldzu­wendungen für dieGruppe Donhauser in der Bayernpartei direkt beteiligt gewesen zu sein.

Nach Aussage des Abg. Volk holz (Bay- empartei) hat sein Fraktionskollege Aumer Ende vorigen Jahres in Gegenwart Schäffers 32 000 DM zur Abdeckung von Wahlschulden der Gruppe Donhauser erhalten. Volkholz rief erregt aus:Eigentlich gehört die CSU hier auf die Anklagebank.

In der Dienstagverhandlung wurden die wi­derspruchsvollen Aussagen des BP-Abg. Frh. v. A r e t i n behandelt. Aretin hatte in frühe­ren Vernehmungen erklärt, er habe von Au­mer keinen Pfennig erhalten. Später gab er einige tausend Mark zu. Ausschußmitglied Dr. Arndt (SPD) stellte fest:Sie (Aretin) haben den Ausschuß seit Wochen in der fürch­terlichsten Weise belogen.

Dochalte Kämpferin

Ilse Koch:Abgesprochene Verschwörung

AUGSBURG. Im weiteren Verlauf des Pro­zesses gegen Ilse Koch bestritt dieKom- mandeuse von Buchenwald erneut, jemals unmenschliche Behandlungen im Buchenwälder KZ gesehen zu haben. Sie gab lediglich zu, drei Häftlinge der Lagerleitung gemeldet zu ha­ben, die als Kalfaktoren für ihre Wohnung eingeteilt waren und sich schlecht benommen hätten.

Entgegen ihrer unter Eid ausgesagten Be­hauptung vor dem amerikanischen Tribunal gab Ilse Koch jetzt zu, schon 1932 der NSDAP beigetreten zu sein. Durch Zeugenaussagen ehemaliger KZ-Häftlinge wurde die Ange­klagte schwer belastet. Die Koch erklärte, all diese Aussagen seien erlogen und das ganze sei eineabgesprochene Verschwörung ge­gen sie.

Niemöller heftig angegriffen

Landessynode von Hessen und Nassau

FRANKFURT. Um die Haltung des hessi­schen Kirchenpräsidenten D. Martin Nie- m ö 11 e r entspann sich auf der Landessynode von Hessen und Nassau in Frankfurt eine er­regte Debatte, in deren Verlauf Niemöller hef­tig angegriffen wurde. Der Kirchenpräsident sprach bei der Auseinandersetzung von der Möglichkeit, daß er sich bei neuen Angriffen auch eine Gemeindeim Osten suchen könne.

Frh. von H e y 1 warf Niemöller vor, er be­schwöre die Gefahr herauf, daß Amerika sich von der Bundesrepublik abwende. Er sei zu einem kirchlichen Wanderredner geworden, den man nur kraft seiner Aemter wichtig nehme. Von anderer Seite wusde Niemöller erklärt, daß auch zur Politik Sachkenntnis ge­höre. Unter dem Beifall der Versammlung er­klärte ein Diskussionsredner, man würde es lieber sehen, wenn der Kirchenprfisident seine seelsorgerischen Aufgaben an die erste Stelle setze.

In seiner Entgegnung führte Niemöller aus, wenn die Kirche zu politischen Dingen nicht Stellung nehme, verleugne sie den Auftrag Gottes. Sie habe die Aufgabe, das Gewissen

kritisiert den Kirchenpräsidenten

der Nation zu sein. Die Kirche sei die große Klammer, die Ost und West noch verbinde. Er sehe den Versuch, uns Waffen in die Hand zu drücken, als ein Unglück größten Ausma­ßes an. Dies zu verhindern, würde er alles wagen. Er stehe unter dem Zwang seines Ge­wissens und werde reden, solange noch Zeit sei.

Wenn die Synode der Meinung sein würde, er solle sein Amt niederlegen, so könne er sich genau so gut eine Gemeinde im Osten suchen. Er erwäge ernstlich, dies als Konsequenz aus künftig gegen ihn errichteten Schritten der Synode zu ziehen.

Die Synode beschloß schließlich, einen Aus­schuß zu bilden, der sich mit dem gesamten Fragenkomplex beschäftigen soll.

Zum Abschluß der Synode wurde eine Ent­schließung angenommen, in der dieErwar­tung zum Ausdruck kam, daßalle Amts­träger der Kirche in ihren Aeußerungen um ihres Dienstes am Evangelium willen in der Form möglichste Zurückhaltung üben, unnötige Schärfen vermeiden und sich des brüderlichen Rates bedienen.

Unerläßliche Vorbedingung

SPD gewinnt Betriebsrätewahlen im Ruhrgebiet

BERLIN. Der Vorstand der SPD forderte am Mittwoch nach zweitägigen Besprechungen in einem Kommunique erneut Bundestags­neuwahlen, die eineunerläßliche Vorbedin­gung für die Entscheidung in der Frage einer deutschen Remilitarisierung seien. Gleichzeitig wandte sich der SPD-Vorstand gegen die wahrheitswidrige Darstellung Dr. Adenauers über seinen Standpunkt und den Dr. Schuma­chers in Sache des deutschen militärischen Bei­trages. Außerdem wurde in dem Kommuni­que nachdrücklichgegen die dauernden und unerträglichen Einmischungen von westalliier­ter Seite in die deutsche Innenpolitik prote­stiert und für eine Verminderung der Besat­zungskosten sowie die Abschaffung aller über­flüssigen alliierten Kontrollen eingetreten.

Ein Sprecher der amerikanischen Hohen Kommission äußerste zu der vom SPD-Partei- vorstand erhobenen Forderung auf Kürzung der Besatzungskosten, deutscherseits seien seit Kriegsende für die US-Zone rund 8 Milliarden DM an Besatzungskosten bezahlt worden.

Demgegenüber hätten die USA jedoch rund 17 Milliarden DM für die von ihnen besetzte Zone ausgegeben. Die SPD solle dieses Ver­hältnis bedenken, wenn sie eine Kürzung der Besatzungskosten fordere.

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DÜSSELDORF. Bei den im Ruhrgebiet durchgeführten Betriebsrätewahlen hat die SPD die meisten Stimmen erhalten. Von den 2116 Betriebsräten entfallen auf die SPD 844 (im Vorjahr 750), KPD 420 (529), CDU/Zentrum 378 (372), Parteilose 470 (365), FDP 1 (1), Radi­kalsozialistische Freiheitspartei 3 (1).

Das Ergebnis der Urabstimmung der Me­tallarbeiter über das Mitbestimmungsrecht ist erst heute zu erwarten. Rund 210 000 Arbeiter und Angestellte haben an der Abstimmung am Mittwoch teilgenommen.

In Hannover, hat am Mittwoch die dritte Ge­neralversammlung der Industriegewerkschaft Bergbau, an der 539 Delegierte und viele aus­ländische Gäste teilnehmen, begonnen. Die Ge­neralversammlung befaßt sich hauptsächlich mit dem Mitbestimmungsrecht und der Neu- rdnung der Industrie.

Nachrichten aus aller Welt

HEIDELBERG. Der von amerikanischen Be­hörden verhaftete Deutsche Wilhelm Berger ist jetzt von einem französischen Kommando abge­holt worden. Ueber die Auslieferung des zweiten Verhafteten, Heinrich Bechtel, muß noch ent­schieden werden. Ein britisches Gericht hat am Mittwoch einen polnischen Antrag abgelehnt, zwei angebliche deutsche Kriegsverbrecher aus­zuliefern.

DÜSSELDORF. Der deutsche Gewerkschafts­bund zählt jetzt 5 278 585 Mitglieder. Die stärkste Gewerkschaft innerhalb des DGB ist die IG Me­tall mit über 1,2 Millionen Mitgliedern.

DÜSSELDORF. In den Ländern der Bundes­republik wird voraussichtlich das Schuljahr künf­tig einheitlich an Ostern beginnen. Lediglich Bayern hat den Vermittlungsvorschlag unterbrei­tet, Ostern für die Volksschule und den Herbst für die Höheren Schulen als Schuljahrbeginn fest­zusetzen. Auch die Sommerferien sollen einheit­lich geregelt werden.

DÜSSELDORF. In Nordrhein-Westfalen leben gegenwärtig rund 1,4 Millionen Menschen in Bun­kern, Kellern und überfüllten Wohnungen. In Köln müssen wegen Bereitstellung von Unter­künften für alliierte Truppenverstärküngen 842 Familien neu untergebracht werden.

WUPPERTAL. Das Schwurgericht Wuppertal hat am Mittwochabend in einem Revisionsver­fahren den früheren SA-Sturmbannführer Paul Hufeisen sowie den ehemaligen SA-Obersturm- führer Josef Buchbinder zu lebenslänglichem Zuchthaus und dauerndem Ehrverlust verurteilt. Die beiden hatten 1933 einen KPD-Funktionär erschossen.

GÖTTINGEN. Die Sowjets haben einen ehe­maligen deutschen Kriegsgefangenen in der Ost­zone verhaftet, weil er als Belastungszeuge im Wilimzig-Prozeß auftreten wollte.

HAMBURG. Ein Rechtssachverständiger des Hamburger Senats erklärte, man zerbreche sich gegenwärtig den Kopf, auf Grund welchen Ge­setzes der Hitlergruß gerichtlich geahndet werden könne. Wie erinnerlich, haben vier Mitglieder der Vaterländischen Union am Totensonntag am Hamburger Gefallenendenkmal einen Kranz nie­dergelegt und den Hitlergruß entboten.

SAARBRÜCKEN. Die Vereinigung ehemaliger Legionäre im Saarland kann schnell und zuver­lässig Auskünfte über Einsatzort und Gesund­heitszustand von Fremdenlegionären vermitteln.

STOCKHOLM. Die Ostseeausgänge sowie die südliche Ostsee werden voraussichtlich erst 1958 minenfrei sein. Um die gesamten nordeuropäi­schen Gewässer von Minen zu säubern, sind etwa 30 Jahre erforderlich.

WIEN. Sowjetische Truppenverstärkungen seien zurzeit vor allem im Raume Wien zu beobachten, berichteten am Mittwoch Wiener Regierungs­kreise.

ATHEN. Griechenland und Jugoslawien haben die vollen diplomatischen Beziehungen mitein­ander wieder aufgenommen.

KAIRO. Bei einem Protestmarsch von rund 2000 Studenten zu den Botschaften Großbritan­niens und der Vereinigten Staaten kam es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei, wobei 25 Polizisten und über 30 Studenten verletzt wurden.

'Liebenswürdige Worte

Schumacher und Adenauer überbieten sich

BERLIN. Bundeskanzler Dr. Adenauer hat am Dienstag auf einer CDU-Wahlkund- gebung die Haltung der SPD in der Verteidi­gungsfrage eineungeheure Gefahr für Deutschland genannt. Die SPD wage weder ein Ja noch ein Nein und ihre Bedingungen würden in den USA nur ein Lachen auslösen. Die sozialdemokratische Agitation seiden Goebbelschen Methoden nicht unähnlich. Die Forderung der SPD auf Neuwahlen des Bun­destages seien ein direkter Verfassungsbruch. Dr. Adenauer teilte mit, er sei erneut an die Außenminister der drei Westmächte heran­getreten, das Besatzungsstatut durch einen Si­cherheitspakt zu ersetzen.

In der bisher größten Wahlkundgebung Ber­lins mit etwa 11 000 Teilnehmern richtete der SPD-Vorsitzende Dr. Schumacher in sehr scharfer Form Angriffe gegen die Bonner Re­gierungskoalition. Die Rede Dr. Adenauers am Abend zuvor bezeichnete erals Eruption eines Gift und Galle speienden Hügelchens. Die CDU alsklerikale Unternehmerpartei be­finde sich in einer schweren Krise. Schuma­cher prophezeite für Berlin einen Sieg der SPD.

Nach der Wahlansicht von Bundesjustiz­minister Dr. Dehler (FDP) ist Dr. Schuma­cher dasUnglück für Deutschland. Schuma­cher sei einverantwortungsloser Schwätzer und Hetzer.

HB. Der amerikanische Psychiater Drews ist erschüttert: Intensive wissenschaftliche Un­tersuchungen ließen ihn zu der schmerzlichen Erkenntnis gelangen, Politiker seien geistig krank.

Wer sich die oben festgehaltenenAus­drücke, mit denen sich Führer großer Par­teien Deutschlands bedacht haben, auf das par­teilich nicht abgestumpfte Gemüt wirken läßt, braucht nicht die Wissenschaft zu bemühen.

Vor Wahlen muß geredet werden, viel und heftig. Das ist politischer Brauch. Wem es an sachlichen Argumenten gebricht, muß eben se­hen, wie er den gefährlichen Mitkonkurrenten um des Volkes Gunst (bis zum Wahltag!) aus­stechen kann.

Viel Erfolg!

Absdiied von Bonn

Dr. Baumgartner will BP-Landtagsfraktion übernehmen

MÜNCHEN. Dr. Josef Baumgartner, der Vorsitzende der Bayernpartei, will sein Bundestagsmandat niederlegen, um die BP- Fraktion im neuen bayerischen Landtag über­nehmen zu können.

Zu den Landtags wählen erklärte Baumgart­ner, sie könnten für das bayerische Volk nicht als echt bezeichnet werden. Hunderttausende von Heimatvertriebenen, die auf Grund des Flüchtlingsaustausches längst in anderen Län­dern wohnen müßten, sowie Zehntausende von Evakuierten hätten ihre Stimmen abgeben können. Die Bevölkerung sei durch die ge­samte Lizenzpresse, die sich in den Händen der CSU und der SPD befände, sowie durch den bayerischen Rundfunk, der nur von Nord­deutschen besetzt sei, einseitig beeinflußt wor­den.

Der SPD-Landesvorsitzende, Waldemar v. Knöringen, sagte, die CSU müsse *als stärkste Fraktion mit den Verhandlungen über die Regierungsbildung in Bayern beginnen. Nach Ansicht von Staatsrat Dr. Högner (SPD) müssen die Sozialdemokraten die Ini­tiative zur Regierungsbildung ergreifen.

Die Leitung des Nürnberger Wahlamtes be­schäftigt sich zurzeit damit, Unstimmigkeiten bei der Auswertung der Stimmzettel in Nürn­berg zu untersuchen. Bei einer Anzahl von Stimmzetteln soll ein zweites Kreuz nachträg­lich eingetragen worden sein.

STUTTGART. Der württemberg-badische Land­tag hat sich verjüngt: 43 der 100 neugewählten Abgeordneten sind unter 50 Lebensjahren; im alten Landtag waren es nur 28. Der älteste Ab­geordnete ist 80, der jüngste 31 Jahre alt.

De. )Ha6um lefgfo» Sjüd

Romaninet Dämons von Norbait Jacques

55] Copyright by Hoffmann und Camp» Varlag, Hamburg

In seinem Laboratorium ging Born zwischen den Apparaten mit wilden, wie auf einen fer­nen Horizont zueilenden Schritten auf und ab. Sein Kopf reckte sich hoch, sein Hirn arbeitete wie eine Maschine.

Was ihn in diesem Augenblick innerlich so erhob, war die kühne Tat der Lara; er konnte es nur als das Wunder seiner hochgesteigerten Liebe empfinden. Aber als solches fand er es wieder ganz natürlich. Es mußte jedem ein­leuchten, daß seine Liebe etwas Gewaltigeres war als die Liebe anderer Leute. Er war nicht nur Born, der große Psychiater, er war auch Mabuse, wenn er Mabuse sein wollte. Ver­stand es sich nicht von selbst, daß seine Liebe eine Frau zu ungeahnten Taten steigern konnte, nein: mußte?

Ja, die Lara, die berühmte Tänzerin, hatte ihn mit ihrer Vergangenheit, mit ihrem geni­alen Einfall gerettet. Wieviel neue Kraft ihm das jetzt gab! Wie es seinen Willen neu be­lebte! Nun ging es nur noch darum, den Ver­folgern zu entkommen, sie endgültig und für immer hinter sich zu lassen.

Im Grunde hatte er das von langer Hand vorbereitet, ohne es eigentlich je bewußt ge­wollt zu haben.

Wie folgerichtig zeigte sich jetzt, wo es darauf ankam, seine Entwicklungsreihe vom Professor Born über den Chemiker Dr. Rausch­mann (welch ein Name!) zu einer wirklichen innersten und letzten Identität dem Dr. Mabuse. Es ging auf wie eine mathematische Konstruktion, die von Anfang an diese Ereig­nisse vorausgesetzt hatte. Er würde alles aufgeben, was einmal gewesen war. Verschwin­

den wird der Professor Born. Aber weiter­ieben wird an der Seite des'blonden Geistes in der Hülle des Chemikers Rauschmann der Dr. Mabuse.

Er riß aus der Mappe, die das Testament Dr. Mabuses enthielt, aufs Geratewohl ein Blattbündel heraus und schwenkte es wie eine Fahne hoch in die Luft dieses Raumes, den er aus sich selber und für sich allein geschaffen hatte, ohne die Hilfe eines anderen Gottes. Ein Rausch durchwirbelte sein Blut. Das Wag­nis des kommenden Spieles erfüllte ihn mit einem dämonischen Glück.

In seiner jetzigen Verwandlung erst, das spürte er, war er Er selbst. Eine unbezwing­bare Macht war in seine Hände gelegt. Er würde die Welt beherrschen. Oh, er würde sie ihr zu Füßen legen, ihr, die durch ihre ver­wegene Tat bewiesen hatte, daß sie mehr wert war als die ganze Welt, für ihn mehr wert war. Was bedeutete schon die Welt, sie würden sich eine neue aufbauen, auf den Trümmern der alten. Und er würde die alte zertrümmern, es stand in seiner Macht. Aber mitten in die­sen ekstatischen Wahn fiel auf einmal ein Bedenken ... als stimme etwas nicht.. . als schließe ein Glied nicht, als habe er vielleicht etwas versäumt, etwas, was gegenüber dem Flug seiner Phantasie so unbedeutend war!... Oder war es doch vielleicht nicht so bedeu­tungslos, obschon es nur ein Schlüssel war, der draußen an der Haustür, und zwar nach der Hofseite hin im Schloß steckte?... ver­gessen von ihm in der Eile, das bergende und rettende Haus zu erreichen. Er hatte den Schlüssel da draußen sozusagen in den Händen der Öffentlichkeit, die ihn verfolgte, stecken lassen.

Unvermittelt nahm diese Tatsache die Be­deutung von etwas Sinnbildlichem an, von etwas schicksalhaft Beschworenem... Mit ei­nem Schlag gerann das kochende Ueberschäu- men seiner Phantasie zu einem Klotz aus Eis. Von der Stelle aus, an der das Bewußtwerden seines Vergessens ihn festgehalten, sah er in

den Flur, zu dem er die Tür offen gelassen hatte. Und durch diesen Flur auf die Haustür und auf das Verhängnis, das in dem kleinen Schloß Gestalt zu gewinnen drohte.

Er stand wie festgebannt. Mit gelähmtem Willen starrte er in den Flur hinaus und auf die Klinke der Haustür, auf die das Licht aus dem Arbeitsraum wie eine erregende Lockung fiel. Gespenstisch erhob sich neben ihm die Drohung, daß sich jetzt diese Klinke nieder- drücken, daß sich die Tür öffnen würde...

Diese Vorstellung und Erwartung gewannen eine solche Kraft in ihm, daß er sie nicht mehr auszuhalten vermochte. Um zu versu­chen, ob er ihr entgehen könnte, schloß er die Augen.

Im selben Augenblick hört er das Aufklin­ken des Schlosses und das Oeffnen der Tür. Im selben Augenblick auch wurde alles um ihn und in ihm zu einer entsetzensvollen Leere, und durch diese Leere hörte er don­nernde Schritte herankommen.

Er zuckte mit den Schultern und er duckte den Kopf an die Brust. Dann kam die erwar­tete Stimme:

Setzen wir uns. Ich' habe mit Ihnen zu sprechen, Professor Born.

Lohmann schloß die Tür des Arbeitsraumes hinter sich.

Ich nehme an, daß Sie es für überflüssig halten zu leugnen, fuhr er fort.Sie haben da in Ihrer Hand das Testament des Doktor Mabuse, das Sie vermutlich zu den Taten ge­trieben hat. derentwegen ich Sie verfolgen muß.

Born stand noch immer mit geschlossenen Augen da. Er mußte auf einmal, wie ein Er­trinkender, mit Atemnot kämpfen. Alles um ihn war in eine Sturzflut geraten. Aus dem Untergang tauchte noch einmal, zwischen Le­ben und Tod verfließend, auf dem obersten Kamm der Brandung eine menschliche Ge­stalt auf. Es war eine Frau. Fast besinnungs­los von einer Angst, die ihn zu erwürgen drohte, schrie er;Lara!..

Sie haben sich selber, sagte Lohmann, ungerührt von dem verzweifelten Ruf,und mit Ihnen ein Dasein von Erfolg, Bedeutung und Wert für die Menschheit zerstört.

Wo ist sie? Ich will wissen, wo sie ist!

Tot, anwortete Lohmann ruhig.

Born sackte unter dem Schlag dieses klei­nen Wortes auf dem Stuhl zusammen, den Lohmann ihm hingeschoben hatte.

Sie haben auch die Zukunft Ihrer Tochter aufs Spiel gesetzt..., fuhr Lohmann fort und legte ihm dabei die Hände auf die Schulter, mild und wie zu einer Beschwörung.

Nun ließ Born den Kopf sinken, während das Grauen und das Erkennen der Katastrophe über ihm zusammenstürzten. Reglos und schweigend kauerte er da. Sein Gesicht zuckte.

So verging eine Weile. Dann hob Born den Kopf. Seine Züge waren entspannt, wirkten aber grenzenlos müde, wie nach einem schwe­ren Rausch. Lohmann sah in Augen hinein, die wie tot waren. Borns Mund ging eine Zeitlang tonlos, bevor sich die Worte, die er sagen wollte, zu Lauten bilden konnten;

Es ist vorbei..verstand Lohmann schließlich.Ich weiß es. Ich habe keine Er­klärung und keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Eine fremde Macht hatte mich eingefangen. Erst jetzt kommt mir die Erkenntnis...

Er mußte eine Ohnmacht niederkämpfen, die seine Stimme zu brechen drohte, bevor er fortfuhr;

Jetzt bin ich frei von der Macht, die mich besaß, und ich habe Ihnen zu danken, daß ich vom Schlimmsten abgehalten wurde. Ohne Sie wären in wenigen Tagen Tausende umge­kommen.

Bom wollte sich erheben, aber ein wildes Zittern, das plötzlich durch seine Glieder lief, hinderte ihn daran.

Lohnrann legte ihm seine Hände beruhigend auf die Arme:Bleiben Sie sitzen, Doktor Born. Was hier noch zu erledigen ist, das kann ich allein machen. (Schluß folgt)