8. Jahrgang
FREITAG, 27. OKTOBER 1950
Nummer 167
Nun die Vollversammlung
Keine Einigung über Nachfolge Lies
LAKE SUCCESS. Der Sicherheitsrat gab am Mittwochabend seine Bemühungen, einen Nachfolger für den UN-Generalsekretär Tryg- ve Lie zu finden, auf und überwies diese Frage an die Vollversammlung. Vorher hatte der amerikanische Delegierte Austin angekündigt, die USA würden notfalls von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um die Ernennung eines anderen Kandidaten als Trygve Lie zu verhindern, während noch früher die UdSSR bereits ihr Veto gegen die Wiederwahl Trygve Lies zur Anwendung gebracht hatte. In der Vollversammlung kann die Verlängerung der Amtszeit Trygve Lie durch Mehrheitsbeschluß erfolgen.
Der sowjetische UN-Delegierte M a 1 i k erklärte, er sei mit dem Vorschlag, Präsident Trumans einverstanden, den Atomenergieausschuß und den Ausschuß für herkömmliche Rüstungen zusammenzulegen, damit ein Abrüstungsprogramm aufgestellt werden könne.
Besiimmunsen gelockert
Einreiseerlaubnis für festgehaltene Deutsche
NEW YORK. Die Hälfte der etwa 240 Deutschen, die auf Grund der verschärften Einreisebestimmungen auf der Einwandererinsel Ellis Island festgehalten worden sind, ist am Dienstag freigelassen worden und hat eine Sondererlaubnis erhalten, sich sechs Monate in den USA aufzuhalten.
Anscheinend werden jetzt alle geringfügigeren Fälle, wie eine frühere Mitgliedschaft bei der Arbeitsfront, der HJ, dem BDM und eine als Mitläufertum gewertete Mitgliedschaft in der NSDAP oder ' Wehrmachtszugehörigkeit nicht mehr zu einem Daueraufenthalt auf der Insel führen.
Das amerikanische Hohe Kommissariat teilte mit, das Einwanderungsgesetz werde nicht so ausgelegt oder angewandt, daß frühere deutsche Wehrmachtsangehörige unter das Gesetz fallen.
Noch n»cht reif?
Neuer Protest gegen sowjetische Uebergriffe
WIEN. Der neue amerikanische Hohe Kommissar in Oesterreich, Walter J. Donnelly, erklärte nach seinem Antrittsbesuch bei Bundespräsident Renner am Mittwoch, die Zeit sei noch nicht reif, um die Frage des Staatsvertrags mit Oesterreich vor die UN zu bringen. Die USA hofften auf eine baldige Eini-
Auf Artilleriesdraß weite
PJOENGJANG. Die erste südkoreanische Division hatte sich nach Angaben des Hauptquartiers der 8. amerikanischen Armee am Donnerstag bis auf Artillerieschußweite der mandschurisch-koreanischen Grenze genähert.
Auch die UN-Truppen haben ihren Vormarsch an allen Fronten fortgesetzt. Fünf Panzerkeile stoßen in den schmalen, den Kommunisten noch verbliebenen Gebietsstreifen vor und nähern sich in Eilmärschen der mandschurischen Grenze. Die Reste der nordkoreanischen Armee fliehen in voller Auflösung nach Norden. Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, daß das kommunistische Oberkommando im zerklüfteten Bergland vor der mandschurischen Grenze eine „Linie des letzten Widerstandes“ aufbauen will.
Bei dem größten Landungsunternehmen seit Beginn des Koreakrieges sind am Mittwoch 50 000 Mann UN-Truppen in der Nähe von Wonsan, etwa 250 km südlich der mandschurischen Grenze, an Land gegangen, um den letzten Widerstand der noch auf nordkoreanischem Gebiet operierenden intakten kommunistischen Einheiten zu zerschlagen.
Seit der Wiedereroberung Seouls sind in der südkoreanischen Hauptstadt 10 000 Personen verhaftet worden, denen Zusammenarbeit mit den Kommunisten vorgeworfen wird.
gung in der Oesterreichfrage mit der Sowjetunion.
Zum zweiten Male seit Abschluß der kommunistischen Streikaktion hat die österreichische Bundesregierung Mitte der Woche in einer Note an den alliierten Rat gegen sowjetische Eingriffe in österreichische Angelegenheiten protestiert. Die Note wendet sich dagegen, daß der sowjetische Stadtkommandant von Wien eine Reihe von Disziplinarmaßnahmen gegen Polizeibeamte, die sich wegen der Unruhen Pflichtverletzungen zuschulden kommen ließen, zurückgewiesen und ihre Dienstenthebungen nicht anerkannt hat. Die von der österreichischen Regierung suspendierten Polizeichefs im sowjetischen Sektor
Wiens hatten auch am Mittwochmorgen ihre Büros noch nicht verlassen, und arbeiteten mit sowjetischer Einwilligung und Unterstützung weiter.
Dänischer Regierungsrücktritt
KOPENHAGEN. Der dänische Ministerpräsident Hans H e d t o f t gab am Donnerstag nach einer stürmischen Parlamentsdebatte über die Butterrationierung den Rücktritt seines sozialistischen Kabinetts bekannt. Gleichzeitig teilte er mit, er werde dem König vorschlagen, eine neue Regierung zu bilden, zusammengesetzt aus der Agrarpartei, den Konservativen und der Georgspartei.
Die Kabinettskrise wurde von der Georgspartei hervorgerufen, die die sofortige Aufhebung der Margarine- und Butterrationierung verlangte. Die sozialistische Minderheitsregierung hatte es jedoch abgelehnt, irgendwelche feste Zusagen zu machen.
Für klare Stellungnahme
Scharfe Worte gegen Niemöller
HANNOVER. Vor der Synode der evangelischen Landeskirche Hannover forderte Bundesminister Heinr. Hellwege am Dienstag, die evangelische Kirche müsse zum Fall Niemöller klar Stellung nehmen. Es gehe um die Frage, ob Niemöller berechtigt sei, Männer zu beleidigen, die sich aus christlicher Verantwortung für den Aufbau der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt hätten. Die Synode beschloß, einen Ausschuß mit der Prüfung der Frage Niemöller zu beauftragen.
In der Diskussion gab Landesbischof D. Dr. L i 1 j e zu bedenken, daß sich die Kirche nicht nur mit der Person Niemöllers, sondern in der Verantwortung vor dem gesamten Kirchenvolk, vor allem mit dem Problem der Remilitarisierung selbst befassen könne.
Auch die evangelische Landeskirche in Bayern hat sich am Mittwoch von den Erklärungen des Kirchenpräsidenten Niemöller distanziert. In einer von Landesbischof Dr. Hans M e i s e r Unterzeichneten Erklärung heißt es, daß diese Aeußerungen nicht im Auftrag und nicht im Sinn der Kirche geschehen seien.
Clay bei Heuß
BONN. Der ehemalige amerikanische Militärgouverneur in Deutschland, General Lucius D. C1 p y, besuchte am Mittwoch Bundespräsident Prof. Heuß auf der Viktorshöhe. Anschließend wurde er vom Bundeskanzler Adenauer im Palais Schaumburg empfangen. An dem anschließenden Essen nahmen auch der amerikanische Hohe Kommissar John Mc- Cloy und der britische Hohe Kommissar Kirk- patrick teil. Auch die Bundesminister und der Führer der Opposition, Dr. Schumacher, sowie die anderen Fraktionsvorsitzenden mit Ausnahme der Kommunisten waren Gäste des Bundeskanzlers.
In einer Pressekonferenz beantwortete General Clay Fragen der deutschen Wiederaufrüstung ausweichend. Die letzte Entscheidung, so meinte er, werde beim deutschen Volk liegen. Clay kündigte an, daß weitere amerikanische Truppenverstärkungen in wenigen Wochen in Westdeutschland eintreffen werden.
„Umformung der Sleuergeselze“
BONN. Bundeswirtschaftsminister Prof. E r- h a r d kündigte vor dem „Wirtschaftsverband für VersicherungsVermittlung“ in Bonn eine Umformung der Steuergesetze an. Das Ziel der Maßnahme solle eine Regeneration des Kapitalmarktes sein. Die Steuergesetze sollten so umgebaut werden, daß die Selbstfinanzierung zugunsten des Kapitalmarktsparens zurückgedrängt wird. Erhard wandte sich erneut gegen eine schrankenlose Gewerbefreiheit, betonte aber, daß eine Einschränkung nicht auf Kosten des Leistungswettbewerbs gehen dürfe.
Grüne Uniformen
Reorganisation deutscher Arbeitskominandos
BIELEFELD. Der sogenannte „Civil Mixed Watchmen Service“ innerhalb der in alliiertem Dienst stehenden deutschen Arbeitsgruppe GSO (German Service Organisation) soll künftig bewaffnete Wachdienste übernehmen, die bisher von Wachkommandos der heimatlosen Ausländer ausgeübt worden sind. Das deutsche Kommando soll mit Karabinern ausgerüstet werden.
Nach amerikanischem Vorbild werden die britischen Besatzungsbehörden eine Reorganisation ihrer deutschen Arbeitskomman los durchführen. Die rund 35 000 Mitglieder der GSO werden grüne Uniformen sowie Dienstgrade erhalten. Außerdem sollen gewisse Disziplinarbestimmungen, wie beispielsweise die Grußpflicht (rechte Hand an die Kopfbedeckung) eingeführt werden.
Der Leiter der GSO erhält den Rang eines Vorstehers. Außerdem gibt es Direktoren, stellvertretende Direktoren, Juniorengruppenabteilungsleiter, Hauptvormänner, Vormänner, Junioren vormänner und Wachmänner bzw. Kraftfahrer.
„Geld ohne politische Bindung“
Schäffer vor dem ».Spiegel-Ausschuß“
BONN. Vor dem „Spiegel-Untersuchungsausschuß“ des Bundestages wurde Bundesfinanzminister Schäffer über die Verwendung eines Wahlfonds befragt. Er sagte aus, daß er Geldzuwendungen aus diesem Fonds an den ehemaligen Bayemparteiabgeordneten Don- h a u s e r befürwortet habe. Donhauser sollte damit seine Wahlschulden bezahlen. Eine Bindung politischer Art sei nicht verlangt worden. Das ganze habe sich nach der Abstimmung über den Bundessitz abgespielt.
Der Fonds sei von bestimmten Wirtschaftsverbänden für eine Gruppe von Parteien zur Verfügung gestellt worden, die nach ihrer Einstellung zum Staat und seiner Wirtschaftsform ausgewählt worden seien. Er selbst, sagte Schäffer, habe auf diesen Fonds keinen Einfluß gehabt. Er habe lediglich die an ihn ge-
Nachriditen aus aller Welt
TÜBINGEN. Am Dienstag traf eine Kommission von sieben amerikanischen Sachverständigen unter Leitung von Mr. Sonne und sieben deutschen Sachverständigen in Württemberg-Hohen- zollern ein, um sich über die Aufnahmefähigkeit des Landes für industrielle, landwirtschaftliche und handwerkliche Ansiedlung von Heimatvertriebenen sowie über den Wohnungsbau zu unterrichten.
MÜNCHEN. Etwa 750 Polizisten, Kriminalbeamte und Beamte der Zollfahndung führten am Mittwoch auf Anordnung des Bundesfinanzministeriums in der Möhlstraße — dem Schwarzmarktzentrum von München — die größte Razzia nach dem Kriege durch. Aus 75 Läden und 8 Gaststätten wurden Genußmittel, die vermutlich unverzollt waren, abtransportiert. 12 Personen, die sich nicht ausweisen iMnnten, wurden vorläufig festgenommen.
GARMISCH. Die vier geflüchteten Fahrer der Lkws, die in der Nacht zum Dienstag versucht hatten, 120 Zentner Kaffee über die Grenze zu schmuggeln, sind in der Nähe von Greinau verhaftet worden. Vermutlich handelt es sich bei den Festgenommenen, die britische Uniformen trugen, um Oesterreicher.
WIESBADEN. Der hessische Landtag hat am Mittwoch das seit vier Jahren in Arbeit befindliche Sozialisierungsgesetz mit 41 gegen 41 Stimmen abgelehnt. — Der Bezirksvorstand hat den hessischen Minister für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft, Albert Wagner, wegen parteischädigenden Verhaltens aus der SPD ausgeschlossen. Die Differenzen zwischen Wagner und dem Bezirksvorstand sind darauf zurückzuführen, daß Wagner im Gegensatz zur SPD-Bundestags- fraktion und den Gewerkschaften die Einführung des Konsumbrotes befürwortete.
HAMBURG. Vertreter der Angestellten aus 10 europäischen Nationen haben in Hamburg die allgemeine Einführung einer Fünftagewoche mit 40 Arbeitsstunden und zwei aufeinanderfolgenden freien Tagen gefordert.
KIEL. Die Arbeit des früheren niedersächsischen Landwirtschaftsministers Dr. Gereke im BHE sei untragbar, wurde in einer Konferenz der Kreisverbände Niedersachsens des BHE beschlossen. Dr. Gereke wurde aufgefordert, aus der BHE auszuscheiden.
richtete Frage bejaht, ob für Wahlschulden Donhausers Geld bezahlt werden solle. Einen bayerischen Wirtschaftler, der die Bayempar- tei finanziell unterstützte, habe er dringend gebeten, keinen Druck auf die Bayernpartei auszuüben, ihren Mißtrauensantrag gegen ihn zurückzuziehen.
Der Abg. Etzel (Bayernpartei) hatte behauptet, daß Zuwendungen an die Bayernpartei mit der Bedingung verknüpft worden seien, in mehreren Wahlkreisen zugunsten der CSU auf eigene Kandidaten zu verzichten und ihren Mißtrauensantrag gegen Schäffer zurückzuziehen. Beides habe die Partei abgelehnt. Etzel sagte ferner aus, daß Schäffer gegenüber dem Abg. Aretin (Bayernpartei) gewisse Bedingungen an finanzielle Zuwendungen geknüpft habe.
FLENSBURG. Der 22jährige Landstreicher Ewald Rönnau wurde wegen 12facher Brandstiftung und Vernichtung von 17 Gebäuden mit einem Gesamtwert von 657 000 DM von einem Flensburger Schwurgericht zu acht Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt.
LONDON. Das neuerrichtete britische Unterhaus ist am Mittwoch von einem Herrn in grauem Mantel und „Derby“-Hut besichtigt worden: Es war der englische König, der incognito mit der Königin und seiner Mutter dem Hause einen Besuch abstattete. Nach der ungeschriebenen britischen Verfassung ist es dem König untersagt, das Unterhaus zu betreten.
PARIS. Der ehemalige französische Militärgouverneur in Deutschland, General König, wird bei den französischen Parlamentswahlen im Herbst nächsten Jahres für die gaullistische Sammlungsbewegung in Straßburg kandidieren.
BERN. Vor einem schweizerischen Militärgericht hat am Mittwoch ein Prozeß gegen fünf Offiziere und zwanzig Bausachverständige begonnen. Die Angeklagten werden beschuldigt, im letzten Kriege schweizerische Befestigungsanlagen mit schlechtem und fehlerhaftem Material gebaut zu haben. Die Anklage lautet bis zur Sabotage und Landesverrat.
MAILAND. Domenico Leccisi, der Mussolinis Leiche gestohlen hat, wird am 13. November wegen faschistenfreundlicher Haltung vor Gericht stehen. Leccisi war wegen des Leichendiebstahls schon zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden, doch wurde das Urteil in höherer Instanz wieder aufgehoben.
ROM. Das Erscheinen der 21jährigen Tochter Mussolinis, Anna Maria, auf einem internationalen Studentenkongreß löste am Dienstag turbulente Demonstrationen aus, die die Polizei veranlaßten, Anna aus dem Saal zu entfernen. Studenten hatten, als die Tochter Mussolinis den Raum betrat, den Arm zum faschistischen Gruß erhoben und die Giovinezza gesungen. Als Anna den Saal verließ, wurden „Achsenlieder gesungen, daß das Dach wackelte“.
NEW YORK. 700 Detektive haben bei einer überraschenden Razzia 210 New Yorker Rowdies festgenommen, von denen man Störungen des Wahlkampfes zu den am 7. November stattfindenden Kongreßwahlen befürchtet.
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I Roman ainos Dämons von Norbert Jacques I
35] Copyright by Hoffmonn und Camp* Vsrltg, Hamburg
„Das ist es eben“, sagte Kent düster und kam langsam auf Helli zu. „Wenn Sie das so sagen: wir helfen... und: wir haben schon oft ... Nein, dann habe ich schon genug. Ich war zweimal auf Ihrem Wohlfahrtsamt, und das genügt mir. Ein drittes Mal gehe ich nicht hin. Ihre Regierungsrätin ist sicher eine ganz reizende Dame, im Privatleben ..., aber dienstlich habe ich genug von ihr. Natürlich geht in solch einem Amt alles nach Schema F, Akten, Auskünfte, Nachfragen ... nein, ich will nicht mehr, ich habe es satt! bis obenhin. Lassen Sie mich so, wie ich bin, es ist gut genug für midi. Und offen gestanden, ist mir die Kriminalpolizei sympathischer als ein Wohlfahrtsamt.“
Helli war fest entschlossen, nicht nachzugeben, sich nicht mit seiner grausamen Verbitterung abzufinden und ohne jeden Erfolg wegzugehen.
„Dann mache ich Ihnen einen anderen Vorschlag“, sagte sie sachlich.
„Ach lieber nicht. Es hat keinen Zweck.“
„Warum denn nicht. Bilden Sie sich doch nicht ein, daß Sie immer alles vorher oder besser wissen! Wollen Sie meinen Vorschlag wenigstens anhören?“
„Bitte, Fräulein Born.“
Helli atmete tief und seufzend aus Verlegenheit, denn sie ahnte, daß Kent wieder vor Entrüstung explodieren würde, wenn er ihren Vorschlag gehört hatte.
„Ich schlage Ihnen folgendes vor“, begann sie. „Ich melde meiner Dienststelle, daß Sie jede Hilfe ablehnen, und gebe Ihre Akten einfach zurück.“
„Großartig. Ich bin einverstanden!“
„Statt dessen, Herr Kent, erlauben Sie mir, daß ich ohne jede Verbindung mit dem Amt, rein als Privatperson, Ihren Fall weiterbehandle, selbstverständlich immer in Verbindung mit Ihnen, immer mit ihrem Einverständnis. Ich habe nämlich gute private Beziehungen, oder vielmehr: mein Vater hat sie, was aber praktisch auf dasselbe herauskommt. Und ich bin sicher, daß ich in ein paar Wochen eine Stellung für Sie finde, außerhalb Berlins am besten... irgendwo weit weg, wo niemand Sie kennt. Und selbstverständlich wird niemand etwas aus Ihrer Vergangenheit erfahren, was Sie in Verlegenheit setzen könnte.“
„Hab’ ich richtig verstanden?“ sagte Kent mißtrauisch. „Ohne Ihr Amt? Ganz als Privatperson wollen Sie mir ...?“
„Sie haben ganz richtig verstanden. Es ist, in Ihrem Falle, wirklich das beste. Ich begreife, daß eine Bghördenbetreuung einen empfindlichen Menschen wie Sie verletzt.“
„Aber erlauben Sie!“ fiel ihr Kent ins Wort. „Das mag ja alles sein, Fräulein Born ... nur: warum sollten Sie das für mich tun? Beziehungen aus dem Privatleben Ihres Vaters spielen lassen ... für mich ... Briefe schreiben, Empfehlungen ... für mich? Warum? Warum sollten Sie das tun? Es könnte doch leicht sein, daß ich Sie enttäusche, daß ich bei einem Freund oder Bekannten Ihres Vaters wieder Geld unterschlage ...“
„Darauf lasse ich’s ankommen“, entgegnete Helli lächelnd. „Ich weiß, daß Sie so etwas nie wieder tun werden ... und daß Sie es ganz bestimmt dort nicht tun werden, wohin ich Sie empfohlen habe.“
„Nun gut, vielleicht nicht. Aber warum sollten Sie mich überhaupt jemanden empfehlen, da Sie doch nur Schlechtes von mir wissen? Welchen Grund haben Sie ... hören Sie, Fräulein Born: Haben Sie das schon mal getan, daß Sie einen, der zum Wohlfahrtsamt kommt und auf die sogenannte Betreuung verzichtet... daß Sie dem dann privat geholfen haben? Oder bin ich etwa der erste?“
„Natürlich sind Sie der erste“, gab Helli zu und schaute auf die leere Tischplatte.
„Und warum ich?“
Darauf gab es natürlich keine Antwort, so gründlich Helli auch nachdachte.
„Was wollen Sie eigentlich auf solch eine Frage hören?“ sagte sie ein bißchen ungehalten. „Sehen Sie nicht, daß ich Ihre Frage als peinlich empfinden könnte?“
„Ja, ich sehe es jetzt. Verzeihen Sie mir, ich habe es zu spät bemerkt. Ich danke Ihnen, Fräulein Born, für Ihre Bemühungen. Für die dienstlichen, meine ich, und für die gute Absicht, die in Ihren privaten liegt. Ich möchte beide nicht in Anspruch nehmen... und mein Leben so weiterleben, wie es offenbar sein soll. Noch einmal: verzeihen Sie mir ... und vielen Dank.“
Helli war aufgestanden und konnte mit Mühe die Tränen zurückhalten. „Guten Abend“, sagte sie.
„Guten Abend.“
Er öffnete ihr die Zimmertür, brachte sie über den Flur und machte ihr an der Wohnungstür eine stumme Verbeugung.
Als sie gegangen war, eilte Kent in sein Zimmer zurück, riß den Brief aus der Tasche, öffnete ihn und las, nahe beim Fenster stehend:
„Freitag 11 Uhr nachts.
Dr. Mabuse,"
Grimmig biß Kent die Zähne zusammen. „Ich werde es euch zeigen!“ murmelte er, „das ist euer letzter Befehl...“
Er warf sich auf sein Bett, starrte zur Decke hinauf und sah in der Erinnerung Hellis Augen. Wie zwei einsame klare Sterne leuchteten sie. Wenn er die Lider schloß, sah er ihre Augen noch deutlicher.
*
In den Montagsblättern, die in der Nacht vom Sonntag auf Montag erschienen, stand eine Mitteilung, die Aufsehen und Bestür
zung erregte, obschon man in dieser Zeit mit ganz schlimmen Nachrichten kommen mußte, um aufrüttelnd zu wirken. Einer der bekanntesten Wirtschaftsführer des Landes, Dr. Ihnen, der Generaldirektor des Textilstoff- Konsortiums, "hatte sich das Leben genommen. Zugleich meldete New York, das Konsortium habe seinen großen Prozeß verloren.
In diesem Prozeß "handelte es sich um zwanzig Millionen Dollar, die von der Gesellschaft als Entschädigung für die Benutzung ihrer Patente und. Einrichtungen in den Vereinigten Staaten während des Krieges verlangt wurden.
Diese Meldung kam sehr überraschend, weil bisher die prozessuale Lage für die Gesellschaft als sehr günstig gegolten hatte.
An die Mitteilung des „Selbstmordes Ihnen“ waren Bemerkungen über den Zusammenhang mit dem New Yorker Telegramm und der allgemeinen finanziellen Lage geknüpft.
Die an der Börse interessierten Kreise hatten ein schlechtes Erwachen an diesem Montag. Man war darauf gefaßt, daß einem in ein paar Stunden etwas verlorengehen würde. Schon seit mehreren Tagen machte sich ohnehin an der Börse ein leises Schwanken der Kurse bemerkbar. .
Willkürliche Käufe und Abstoßungen unerkannt bleibender Spekulanten hatten eine Atmosphäre geschaffen, die das_ Schlimmste befürchten ließ, wenn einmal ein Einbruch käme.
Was aber dann an den Börsen geschah, hatte niemand erwartet. Es begann damit, daß gleich am Anfang ein so großes Paket Aktien des Textilstoff-Konsortiums angebo- boten wurde, wie man es nicht in einer Hand vermutet hatte. Und zwar wurden diese Papiere sofort mit fünfundzwanzig Prozent unter dem letzten Kurs feilgeboten. Eine Bank kaufte 9 ie im Auftrag eines Kunden, der ungenannt blieb.
(Fortsetzung folgt)