6. Jahrgang
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Die Scicflunbc
Nummer 160
$elegcamme in ben öimmel
Von Anton Coolen
Hundert Spiele, den ganzen Sommer lang! Man muß die rechte Zeit wissen, um sie zu betreiben: Reifen, Kreisel, Murmeln. Der Zeitpunkt des Drachensteigens ergibt sich von selbst, das war seit Menschengedenken so. Wenn das Korn gemäht ist, und der Wind über die Stoppeln fegt, kommen die Kinder eines Tages mit kleinen Drachen heim. „Guck mal, Vater!“ Es sind Reklamedrachen, ein Stückchen senkrecht, ein Stückchen in der Quere, ein Papierchen, mit einem lachenden Mondgesicht darüber. Nein, da hatten wir natürlich ganz andere Drachen, früher! Wie wir unsere Drachen machten? Keine so dünnen Stückchen, sondern feste Holzstäbe nahmen wir. Dann befestigten wir die Stäbe mit ein paar kleinen Nägeln aus einer Zigarrenkiste, und banden noch einen Faden kreuzweise darum. Danach machten wir an den vier Enden des Kreuzes Einschnitte, und dann spannten wir einen Faden an diesen Enden entlang. Und über den Fadenring klebten wir dann ein leichtes aber festes Papier. Zuletzt probierten wir, ob der Drache auch schünes Gleichgewicht hat.
Ist der Drache nun gut im Gleichgewicht, dann hängt man den Schwanz daran. An den Schwanz kommt dann noch ein Flatterbusch. „Flattert er dann?“
„Nein, dann flattert er eben nicht! Dazu ist er da. Und dann ein ganz langer Faden.“ „Tausend Meter?“
„Tausend Meter.“
„Geht der Drache dann in die Wolken?“
„Bis über die Wolken.“
„Ganz in den Himmel?“
„Ganz in den Himmel!“
„Wirklich?“
„Wirklich.“
Und an dem Bindfaden entlang schickt man dann kleine Briefchen nach oben, ein Stückchen Papier, zuerst reißt man es etwas ein, legt es um den Faden und klebt es dann wieder zusammen.
„Mit Stärke?“
„Nein, mit Spucke.“
Und diese Papierchen gleiten dann am Faden in die Hühe, das sind dann Telegramme. „Was sind das: Telegramme?“
„Das sind Nachrichten, die durch einen Draht kommen wie diese Papierchen am Faden.“
Am nächsten Tag stehen die ‘Buben voller Erwartung da, die neuen selbstgebastelten Drachen in der Hand, und betteln, und ob der Vater nun mitgeht? „Ja, Vater?“
Sie rennen voraus. Und dann sind wir auf dem Feldweg. Die Knaben reden von hohen
Dingen, von „ganz im Himmel“ und von „den Wolken“. Es weht ein steifer Wind aus Südwest. Keine Bange! Wir haben drei feste_ Drachen, einen roten, einen blauen und einen grünen. Und dreimal tausend Meter Faden! Nach eifrigem Rennen und Herumprobieren stehen drei Drachen am Himmel und steigen „tausend Meter“ empor, bis an die Wolken. Sie sind ganz klein, weil sie so hoch stehen und machen kleine jähe wiegende Bewegungen, als ob sie den Kopf schüttelten. Es
Grüßen, lieber Drache, und mit der Frage, wie es dort oben bei dir geht, und du sollst nicht so den Kopf schütteln und nicht so stark ziehen. Die Telegramme rutschen am Faden hinan, zuerst in einem Hui, dann bedächtiger, bis sie wieder einen Rutsch machen und aufwärtsgleiten bis dorthin, wo der Faden in einem weiten Bogen wie ein Sack herabhängt, dort reist das Papierchen langsamer. Jetzt sieht allmählich auch der Drache es ankommen! Und er schüttelt sich aufgeregt und tanzt aus purer Neugier auf .und nieder. Wir wollen ihm noch ein Telegramm schicken und ihn bitten, doch noch hüher zu steigen, und ihn fragen, ob es etwa regnet dort oben in der
Tage im Oktober
Von D. H. Sarnetzki
Nun erheben sich die Tage schwerer aus den Nächten und sinken früher in den Abend, mit leisen und gedehnten Uebergängen, und ihr Licht hat Mühe, sich durchzuringen und sich zu behaupten. Die Tage erwachen morgens wie Blinde, mit einer dichten, feuchten Nebelmaske vor dem Gesicht, die Augen im Dämmergrau verschleiert, und Himmel und Erde scheinen durch den Dunstwall, der den atmosphärischen Raum erfüllt, zusammengeschmolzen. Es ist totenstill; wie eine kühle Lähmung liegt es über dem Lande, und wenn ein Windzug aufkommt, trägt er in seinen Wellen den bittersüßen Duft von Ueberreife, von Welken und beginnendem Moder. Das Jahr' hat sich vollendet, der Kreis ist geschlossen, die gläserne Helle des September ist erloschen, die große Verschwendung des Herbstes hat sich erschöpft. Nicht ganz: noch ist ein Rest in seinen müder werdenden Händen, noch blühen, von fallenden Blättern überweht, die Astern und Dahlien und eine verspätete Rose, und in den Weinbergen hängen im gilbenden Laube noch volle gelbliche Trauben, der letzten Süße entgegenzureifen. Die Traube, der Wein, der würzige Duft von den Hängen und aus den Kellern der Weindörfer, das ist noch ebensosehr das Wesen des Oktobers wie die Weite der umgebrochenen schwarzen Aecker, der sich manchmal wie Wolken herabsenkende Blätterfall, als die Schwermut, die zwischen Licht und Dunkel dahinfließt mit dennoch hellhörigen Lebensgeistern. Drum ist auch Weinmond sein krönender Ehrenname, ist es so sehr, daß im Buche der Bücher ihn Luther nicht anders benennt, und auch Wieland und Platen und Novalis ihn, den Monat der spürbaren Zeitenwende, nur mit diesem Namen romantisch verklären.
sieht aus, als ob sie vor lauter Eifer bei der Anstrengung bis auf die Rippen abmagern, und die Schweife wiegen sich in kurzen, schlängelnden Bewegungen mit.
Man hat beide Hände nütig, um sie fest zu halten. Und man muß sich noch weit hintenüber legen. Telegramme gehen hinauf, mit
Wolke, und ob es ihn Stäre, aber danach fragen wir nur, weil wir gewiß sind, daß sie sich alle nicht davor fürchten, diese kräftigen Burschen!
Die Jungen sind ganz und gar Begeisterung, sie reden von „zehntausend Meter“, und ob der Drache zu den Sternen kommt, wenn wir bis in die Nacht blieben?
ganncs geöermann
Von Joseph Baur
Der „Held“ dieser wahren Geschichte, Hannes Jedermann, ist gar kein Held. Er ist ein sogenannter kleiner Mann, das heißt, sein Anteil an den materiellen Gütern dieser Erde ist gering. Er lebt rechtschaffen „von der Hand in den Mund“, und er erfüllt brav alle seine menschlichen und auch seine staatsbürgerlichen Pflichten (soweit dies müglich
Hrliffen
Von Jo Hanns Rösler
Der neu engagierte Dompteur der berühmten persischen Künigstigergruppe war gerade damit beschäftigt, die Reste seines Vorgängers aus dem Käfig zu räumen, als ein kleines, unscheinbares Männlein mit zwei Hunden die Manege betrat und verlegen fragte: „Verzeihen Sie gütigst —“
„Ja? Was gibts?“
„Der Direktor.“
„Im Büro.“
„Herr Direktor?“
„Sie wünschen?“
„Ich heiße Knud Specht.“
„Na und?“
„Herr Direktor, ich habe eine neue Nummer.“ „Alles schon dagewesen.“
„Das nicht, Herr Direktor, das nicht.“ „Lassen Sie sich lebendig begraben!“
„Das wäre ein alter Trick, Herr Direktor. Meine Nummer ist besser. Ich bin Hundedresseur.“
„Auch das noch!“
„Mein Pudel spielt Klavier.“
„Wie bitte?“
„Mein Pudel spielt Klavier. Klassische Sonaten. Preludes. Etüden. Chopin. Liszt. Hinde- mith. Honneger.“
„Nicht schlecht, Herr Specht! Ein Trick?“ „Nein. Eine Leistung Wollen Sie es hären?“ Und ob es der Direktor wollte!
Die Manege war in Windeseile leergefegt. Vier Männer rollten einen Flügel herein. Der Direktor nahm in der Loge Platz. Knud Specht neben ihm.
„Allez! Hopp!“ befahl er leise.
Der Pudel nickte und begab sich zum
Er
die
„Spielt er auch?“
„Nein. Er singt.“
„Er singt??“
„Sopran.“
Der Direktor war erschüttert. Schade! Sicher würde jetzt die ganze Nummer zuschanden geritten. Der Pudel war großartig. Aber der Spitz? Er sah so nach garnichts aus.
Der Artist war in die Manege getreten und hatte den Spitz auf den Flügel gehoben.
„Die Arie der Toska, Herr Direktor?“
„Vom Hund gesungen?“
„Sie werden es erleben. Wir beginnen.“
Das Wunder geschah. Der Spitz sang, sang wirklich. Glockenrein erklangen Tüne, sie klangen in der Mailänder Skala nicht schüner. Zart das Pianissimo, leidenschaftlich das Forte. Am Flügel begleitete der Pudel so dezent, daß selbst die Jeritza ihre helle Freude an einem so dezenten Begleiter gehabt hätte. Es war ein Ohrenschmaus. Der Direktor war aufgesprungen.
„Ich habe viel erlebt!“ rief er, „das habe ich noch nie erlebt! Das wird eine Weltsensation! Sie sind engagiert! Auf ein ganzes Jahr! Auf zwei, wenn Sie wollen! Sie bekommen jede Gage! Verlangen Sie, was Sie wollen!“
„Auch fünfhundert?“
Der Direktor schluckte zweimal.
Dann sagte er:
„Meinetwegen auch fünfhundert.“
Der Artist hatte sich ebenfalls erhoben.
„Ich bin noch verpflichtet, Sie auf etwas aufmerksam zu machen“, sagte er.
ist, ohne dabei umzukommen). Wie es ihm ergeht, sei hier tatsachengetreu an einem kleinen Beispiel gezeigt.
Hannes lebt in dem einerseits vielgepriesenen und andererseits vielgeschmähten Zeitalter des (zumindest) technischen Fortschritts. Dessenungeachtet gelang ihm erst in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr die Anschaffung eines eigenen Fahrzeuges. Er kaufte sich da ein gebrauchtes Fahrrad. Nach so langem Fußgängertum genoß er die Freude des Radfahrens mit der Naivität und Intensität eines Wilden, der zum erstenmal den Zauber der Technik erfährt. Auch Reifenpannen und sonstige Defekte konnten ihm diese kindliche Freude nicht ernstlich trüben.
Nur das Berganfahren wurde ihm allmählich zuwider, besonders wenn er dabei die Auspuffgase ihn überholender Motorfahrzeuge einatmen mußte. Gern hätte er sich auch motorisiert. In seinem siebenunddreißigsten Lebensjahr endlich wagte er es, seinen für einen kleinen Mann des zwanzigsten Jahrhunderts gar nicht so vermessenen Wunsch zu realisieren. Er kaufte sich ein Kleinst- kraftrad (mit Sozius), und er bezahlte es in zwülf Monatsraten, für die er bangen Herzens zwülf Wechsel unterschrieb.
Hannes und seine Grete konnten aber das Glück ihrer Kleinstmotorisierung nicht lange genießen. Zwei Jahrzehnte schon waren seit dem letzten Krieg vergangen, da war es (wenigstens nach Ansicht maßgebender Männer) hüchste Zeit, daß ein neuer kam. Gemeinnutz ging vor Eigennutz, Treibstoff wurde rationiert, die Technik hatte dem Krieg zu dienen. Also fuhr unser kleiner Mann wieder mit dem alten Fahrrad und atmete ergeben die Auspuffgase von Motorfahrzeugen, deren Räder für den Sieg rollten. Und bald marschierte er als Soldat befehlsgemäß kreuz und quer durch fremde Länder. Dazu beglückte ihn das technische Zeitalter kostenlos mit einem netten kleinen Maschinengewehr.
Hannes, Soldat in einem Balkanland, er-
Weinlese
Den Most in Ehren — er ist räß —
Er paßt zu einem Backst einkäs —
Zum Weine schmeckt ein Braten!
Das Bier in Ehren —. es macht dumpf —
Der Wein macht hell: er ist der Trumpf Genieß’rischer Penaten!
Ein Besigheimer, kelterfrisch,
Auf einer Besenwirtschaft Tisch,
Der schmeckt in vielen Runden!
Wem’s nicht behagt, bleib’ abstinent —
Wer einen Mundelsheimer kennt,
Der läßt ihn sich jetzt munden!
Am lieben Neckar wächst ein Wein,
Der geht in Herz und Hirn wohl ein Und geht in alle Poren!
Der Wein, der gibt den rechten Geist —
Die großen Schwaben sind auch meist Im Rebenland geboren!
Vom Ludwigsburger Oberamt Der Schiller und der Mörike stammt.
Der Hölderlin aus Lauffen!
Der Uhland ist ein Tübinger Kind,
Der Hegel, Hauff und Schelling sind Vom großen Stuttgarter Haufen!
Drum Preis und Ruhm dem Schwabenwein! Er soll uns Lust und Labsal sein —
Auch wo er nicht gewachsen!
(Für Schwankende gibt’s Taxen!)
WENDELIN UBERZWERCH
iMMiiiiiiiimimmiiiiimMiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiMMmuitmiiimiHiiiiMiUHiiiiiiiiMMMMMmiim
nannte sich bei Kriegsende wider zur freien Persönlichkeit und fuhr mit einem Wehrmachtsfahrrad heimatwärts. Partisanen, welche die technischen Mittel des Zeitalters auch zu schätzen wußten, nahmen ihm das Fahrrad ab, ließen ihn aber laufen. Er tat dies gern, an Hand eines selbstgeschnittenen Wanderstabes. Das Gebirge der Tauern, laut Lexikon ein bedeutendes Verkehrshindernis, überwand er recht gut per pedes, wobei er es verschmähte, die hindurchgebohrten Tunnels zu benützen, sehr zu seinem Heil, denn dort fing man die heimwärtsstrebenden Soldaten auf und steckte sie in Lager. Hannes gelangte auf stillen Seitenwegen wie ein Pilger vergangener Zeiten wohlbehalten in das Bergdorf zu seiner Grete.
Dort konnte er unter anderem auch sein Motorrädchen streicheln. Doch seine Besitzfreude währte nur kurz. Grenzen wurden wieder aufgerichtet, Hannes und Grete wurden in dem Bergdorf zu Ausländern, und auch für das Motorrädchen mußte ein Anmeldebogen ausgefüllt werden. Hannes verhielt sich zeitgemäß; er schrieb hinein, daß er nur noch das Fahrgestell besitze. Motor und Reifen seien bei Kriegsende abhanden gekommen. Den Dieb machte er selbst. Er packte den Motor in eine Kiste und die Reifen in eine Schachtel, und schmuggelte beides über die Grenze. Bei ihrer Ausweisung gelang es Hannes und Grete, auch das Fahrgestell # mit- zunehmen.
Am neuen Wohnort baute Hannes das Motorrädchen wieder zusammen. Fahrerlaubnis erhielt er natürlich keine. Die bekamen nur nachkriegswichtige Leute. Und Hannes, ein kleiner Mann, war ja immer unwichtig. Er hatte nur seine Pflichten zu erfüllen. Wie alle anderen kleinen Leute und „Normalverbraucher“, hatte er keinen Anspruch auf besondere Vergünstigungen.
Dann gab es neues Geld, das auch der Staat dringend brauchte. Unser kleiner Mann durfte nun endlich Gebühren, Steuer und Versicherung bezahlen und erhielt dafür das ersehnte Nummernschild. Des staatlich verwalteten Treibstoffs allerdings war er auch jetzt noch nicht würdig; aber für gutes Geld konnte er ihn auf jenem Markt beschaffen, dessen Schwärze sich in Grau gewandelt hatte. Endlich also war unser kleiner Mann Hannes wieder kleinstmotorisiert, indes das Zeitalter zum Atomzeitalter fortgeschritten war.
Des Hannes technisch gehobene Zuversicht wird aber schon wieder düster beschattet. Treibstoff ohne Marken ist schon wieder Mangelware. Das Schreckenswort für kleine Leute und gewesene Normalverbraucher heißt heute: Korea. Es klingt ihnen wie der Name einer gefährlichen symbolischen Schlange, und sie hoffen, daß ihr rechtzeitig der Kopf zertreten werde. Denn die kleinen Leute möch- ten — bei all ihrer Unwichtigkeit — doch endlich einmal in Frieden zu einem Mindestanteil an den technischen Annehmlichkeiten ihres Zeitalters kommen.
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Hermann Ulbrich-Hannibal
Klavier.
Dort blieb er stehen und blickte fragend zurück.
„Einen Klaviersessel!“ rief der Artist.
Der Sessel wurde gebracht. Der Pudel sprang hinauf. Setzte sich, die Pfoten auf die Tasten gelegt.
„Welches Stück wünschen der Herr Direktor?“
„Vielleicht gar die Mondscheinsonate von Beethoven?“
„Warum nicht? Das ist sein Lieblingsstück.“
Der Pudel begann. Die ersten Akkorde erklangen. Das Adagio schwang durch den Raum, die Läufer des Allegro perlten. Der Pudel spielte fabelhaft. Er spielte mit Bravour. Es war eine grandiose Leistung, voll Technik und Gefühl. Bethoven selbst hätte seine Mondscheinsonate nicht schöner im Zirkus spielen können, wenn er sie im Zirkus gespielt hätte. So fehlt der Vergleich.
Der Direktor war hingerissen.
„Einmalig!“ stieß er hervor, als der Hund mit einem schweren Akkord geendet hatte, „Großartig! Phaenomenal! Sie sind engagiert!“ Der Artist lächelte.
„Das ist erst die Halbzeit meiner Nummer. Die wahre Sensation kommt noch. Der Spitz
„Ja? Bitte?“
„Ein kleiner Schwindel ist dabei.“
Der Direktor sah erstaunt auf.
„Ein Schwindel? Wieso?“
Der Artist deutete auf den Spitz und sagte leise:
„Der Spitz imitiert nur. In Wirklichkeit singt der Pudel. Er ist Bauchredner.“
demoralisierte
Die Moral der Deutschen sei schlecht, hat wieder einmal ein englischer Abgeordneter erklärt, ohne ein Feigenblatt vor den Mund zu nehmen.
Dieses Urteil über unsere Moral ist für uns nicht neu. Nur die Moral, die getadelt wird, ist gewissen Schwankungen ausgesetzt. Wir dachten uns immer, man könne das Wort Moral nicht in die Mehrzahl bringen. Jetzt wissen wir, daß es doch verschiedene Moralen gibt, wenn das Sprachungetüm erlaubt ist.
Fünf Jahre wird uns nun penetrant, ein wenig säuerlich und von oben herab die Moral, die wir nicht haben, gepredigt. Jeder Deutsche hat nicht nur seinen transatlantischen Steuerzahler, der ihm in den Geldbeutel schaut. Die Gouvernante, die ihm Manieren beibringt, läuft zusätzlich auf Besatzungskosten.
1945 wurde uns lang und breit erklärt, unsere
Trousseau, der berühmte Lehrer der medizinischen Fakultät in Paris, wurde eine Zeit lang von einer hysterischen Frau belästigt, die sich einbildete, sich durch einen verschluckten Frosch ein Magenleiden zugezogen zu haben.
Als er nach mehreren Besuchen wieder zu der eingebildeten Kranken gerufen wurde, nahm er einen Frosch mit, gab der Frau ein
Kampfmoral
Unmoral bestünde darin, daß wir zu viel Kampfmoral gehabt hätten. Dann lag unsere Unmoral auf dem erotischen Sektor, um das beliebte Wort zu gebrauchen. Je höher der Brotkorb hing, um so tiefer sank die Moral, denn die beiden stehen ja laut Dreigroschenoper in einem gewissen Verhältnis zueinander. Und von einem Verhältnis, das auf den Brotkorb gebettet ist, darf man nicht allzu viel an Moral verlangen. Die Demarkationslinie der Währungsreform durchschnitt das Seil, an dem der Brotkorb hing, aber, so stellte der Sittenrichter jenseits des Kanals fest, die Moral der Deutschen ist dennoch schlecht. Die Kampfmoral nämlich. Womit sich die Moralschlange in den eigenen Schwanz gebissen hätte.
Moral: die so lange als unmoralisch erklärte Kampfmoral ist wieder erwünscht. Sie ist remo- ralisiert worden. THADDÄUS TROLL
Brechmittel und schüttete den Frosch unauffällig in das Erbrochene.
„Endlich haben wir den Attentäter, Madame“, sagte er stolz, „jetzt wird Ihr ewiger Brechreiz auf hören!“ und glaubte die Patientin von ihrer Einbildung befreit zu haben.
Die Frau war jedoch nicht so leicht zu besänftigen. „Wenn der Frosch nicht schon in meinem Magen gelaicht hat“, sagte sie nachdenklich.
„Unmöglich, Madame“, erwiderte Trousseau gelassen, während er den Frosch betrachtete, „es ist ein männlicher Frosch.“
*
Der namhafte englische Arzt John Aber- nethy, der wegen seiner Wortkargheit bekannt war, haßte es, nachts gestört zu werden.
Einmal war er um Mitternacht aus dem Schlafe geweckt und zu einem Kranken gerufen worden. Gleich nachdem er zurückgekehrt war und sich wieder hinlegen wollte, läutete abermals die Hausglocke.
„Was gibt’s?“ fragte er zornig.
„Schnell, schnell, Doktor“, war die ängstliche Antwort, „mein Sohn hat eine Maus geschluckt.“
„So sagt ihm“, rief Abernethy wütend, „er soll eine Katze verschlucken und laßt mich in Ruhe.“