6. Jahrgang

MITTWOCH, 11. OKTOBER 1950

Nummer 158

Berlin lebt

Eindrücke von derDeutschen Industrieschau 1950

Bericht unseres A. S. - Sonderkorrespondenten

Am Montagvormittag wurde der 500 000. Be­sucher der Berliner Industrieschau registriert.

Die Restaurierung des Messegeländes am Funkturm für die ..Deutsche Industrieschau 1950 bedeutet eine Glanzleistung für alle daran beteiligten Handwerksfirmen. 201 Fir­men wurden mit der Ausführung von Arbei­ten beauftragt. Am 23. Juni 1950 wurde mit den Arbeiten begonnen. An Materialien wur­den für die sechs neuen Hallen u. a. ge­braucht: 3462 cbm Fundamentbeton, 3 155 000 Mauersteine, 2116 cbm Mörtel, 8919 qm Glas, 33 217 qm Dachpappe. Bis zum 16. Sept. waren 21 341 qm Dachplatten und 11666 qm Zwischendecken eingebaut worden. Wenn man sich diese Zahlen vergegenwärtigt, findet man so etwa die richtige Würdigung für diese handwerklichen Leistungen innerhalb dieser kurzen Zeit. Die gesamte Ausstellungsfläche beträgt 60 000 qm, davon entfallen auf ge­deckte Flächen 40 000 qm, auf das Freige­lände 10 000 qm und auf den Platz der Na­tionen 10 000 qm. 2000 Firmen beteiligten sich an der Deutschen Industrieschau, davon 1200 aus Westberlin und 800 aus Westdeutschland, sowie in eigenen Pavillons Amerika, Bel­gien, Großbritannien, Frankreich, Italien, und die Schweiz. Es handelt sich bei dieser Veran­staltung nicht nur um eine wirtschaftliche Angelegenheit, sondern diese Schau bean­sprucht darüber hinaus eine eminent politi­sche Bedeutung.

Während in der gesamten Ostzone und vor den Toren des freiheitlichen Westberlin im Ostsektor die Propaganda für die am 15. Ok­tober in der Ostzone stattfindenden Wahlen auf unvorstellbaren Touren läuft, bekunden Westberlin und auch Westdeutschland mit dieser Ausstellung ihren Lebenswillen und festen Entschluß, im Rahmen der ihnen ge­gebenen Möglichkeiten an der politischen und wirtschaftlichen Wiedergesundung Westeuro­pas mitzuhelfen. Dieser Tatsache muß auch bei uns im Westen die entsprechende Beach­tung geschenkt worden.

Die Bundesregierung hat dadurch, daß sie die Deutsche Industrieschau in Berlin als bundeswichtig anerkannt hat, sowohl der wirtschaftlichen wie auch der politischen Si­tuation Rechnung getragen. Schließen auch wir deshalb nicht unsere Augen und sagen:

Nur 1276 kehrten zurück

Die Judenfrage im Falkenhausen-Prozeß

BRÜSSEL. Im Falkenhausen-Prozeß wurde am Montag, dem 9. Verhandlungstag, die De­portation der belgischen Juden nach Konzen­trationslagern in Deutschland erörtert. Ge­richtspräsident Marechal erklärte, daß von 25 000 nach Deutschland deportierten Juden nach Kriegsende nur 1276 nach Belgien zu­rückgekehrt seien. Marechal fragte Falken­hausen:Glauben Sie nicht, daß diese Zwangs­verschickungen im Gegensatz zu den Men­schenrechten standen? Falkenhausen erwi­derte:Ich war Soldat, ich mußte die Befehle ausführen, die ich erhielt. Mir stand nicht das Recht zu, über einen Befehl zu diskutieren. Alles, was ich tun konnte, war, von Zeit zu Zeit einen Ratschlag zu erteilen. Marechal zitierte dann den Bericht eines ehemaligen SD-Angehörigen, nach dem Falkenhausen 1943 geäußert hat:Wenn etwas gegen die Juden unternommen werden muß, dann sollte man mit der Verhaftung derjenigen Juden begin­nen, die sich der belgischen Widerstandsbe­wegung angeschlossen haben.

Zu Beginn der Verhandlung hatte der Ver­teidiger Falkenhausens, B o t s o n, mitgeteilt, er habe von der Stadtverwaltung von Reut­lingen auf Anfrage einen Bericht erhalten, in dem mitgeteilt wird, daß französische Trup­pen 1945 in der Stadt Reutlingen Geiseln er­schossen haben.

Was geht uns schon diese Ausstellung in Berlin an? Wie die Messeleitung betont, han­delt es sich um eine Schau und um keine Messe. Es soll versucht werden, aus dieser Ausstellung eineDauer-Exportschau zu rea­lisieren, so wie es nach dem Kriege schon einmal, jedoch unter ungünstigeren Aspekten versucht worden war. Der Erfolg der Aus­stellung wird letzten Endes darüber entschei­den.

Die Gegensätze stoßen sich auf engem Raum; wie etwa in Bukarest der Orient und Occident, . so sind es hier auf der einen

Straßenseite der Klinkerbau des Berliner Rundfunks (Ostzonen-Sender) und davor der Platz, auf dem die Fahnen der sich an der Ausstellung beteiligenden Nationen wehen. Es wäre beinahe das Bild v*gangener Vor­kriegsmessen, wenn nicht die insulare Lage Westberlins viele Menschen aus Westdeutsch­land vom Besuch abhalten würde. Leider ist durch eine zu späte Genehmigung der ost­zonalen Stellen der Einsatz von Messesonder­zügen mit 50prozentiger Ermäßigung nicht durchführbar gewesen. Trotz allem, Westberlin zeigt Westdeutschland und der Welt, daß es noch lebt und in Freiheit schafft und dieses Leben und dieses Schaffen unter keinen Um­ständen aufzugeben beabsichtigt. So möge dieser Ausstellung der Erfolg beschieden sein, der ebenfalls ein Baustein bedeuten soll für ein glücklicheres Europa.

Sündenfall

In zwei Wodien 500 Jahre Zuchthaus

Terrorurteile als politisches Kampfmittel in der Sowjetzone

BERLIN (Eig. Bericht.) In den letzten Wochen sind auffallend viele Urteile wegen politischer Vergehen oder Wirtschaftssabotage in der Sowjetzone gefällt und offenbar zur Abschreckung in der Presse veröffentlicht worden. Das erweckt den Anschein, als ob in den letzten Wochen vor der Wahl der Terror planmäßig als Mittel im politischen Kampf verwendet worden ist. Nach einer Aufrech­nung des Bundesministeriums für gesamt­deutsche Fragen sind allein in der Zeit vom 21. September bis 5. Oktober 1950 insgesamt 104 Urteile gefällt worden, in denen in zwei Fällen lebenslängliches Zuchthaus, in 73 Fällen Zuchthaus von insgesamt 498 Jahren 10 Monaten und in 29 Fällen Gefängnis und Jugendgefängnis von insgesamt 62 Jahren H Monaten verhängt worden sind. Bisher sind noch niemals in einer so kurzen Zeitspanne so viele politische Urteile gefällt, oder zum mindesten veröffentlicht worden.

Aufschlußreich ist in diesem Zusammen­hang eine Aeußerung des sowjetzonalen Ju­stizministers Max Fechner vor Angestellten des Sächsischen Justizministeriums in Dres­den:Im ersten Halbjahr 1950 ist die Zahl der politischen Prozesse um 57 Prozent höher gewesen, als im Gesamtjahr 1949. Damit ist die Marschrichtung deutlich vorgezeichnet.

Wegen politischer Sabotage oder Wirt­schaftssabotage wurden nach einer Zusam­menstellung des Bundesministeriums für ge­samtdeutsche Fragen in der Zeit vom 22. Sep­tember bis 5. Oktober ostzonalen Pressemel­dungen zufolge insgesamt 43 Personen ver­haftet, darunter ein Oberbürgermeister (von Naumburg). Zehn weitere Personen konnten sich der drohenden Verhaftung rechtzeitig durch die Flucht entziehen, darunter der Oberbürgermeister von Zittau, ein Leipziger Bezirksbürgermeister und ein Präsidialrat des Landtages von Sachsen-Anhalt.

Nachrichten aus aller Welt

MÜNCHEN. DieBavaria auf der Theresien- wiese in München, eines der Wahrzeichen der bayerischen Landeshauptstadt, feierte am Montag ihren' 100. Geburtstag. Während des letzten Krieges entging die 21 m hohe Riesenerzdame nur mit knapper Not dem Schmelztopf.

BONN. Zuständige Bonner Regierungsstellen haben am Dienstag Artikel und Bildserien ver­schiedener deutscher Zeitungen und Zeitschriften verurteilt, in denen das Leben der einstigen Pro­minenz des Nationalsozialismus nachträglich he­roisiert wird. Die Veröffentlichungen könnten nicht als historische Geschichtsbetrachtungen ge­wertet werden.

BREMEN. Das MotorschiffBogota, das letzte Schiff der Ostasienflotte des Norddeutschen Lloyd, lief am Montag nach 12jähriger Abwesen­heit wieder im Bremer Ueberseehafen ein. 1938 im Zubringerdienst EcuadorPanama eingesetzt, kam es bei Kriegsausbruch nach Japan und diente später als Versorgungsschiff für die deutschen U-Boote im Indischen Ozean. Die Rückfahrt er­folgte mit deutscher Mannschaft unter dem alten Kapitän A. Möller.

OSLO. Am vergangenen Samstag ereignete sich im Hafen von Drontheim ein großer Erd­rutsch,, bei dem auf einer Breite von etwa 100 m ca. 10 000 cbm Erde in den Hafen stürzten und Kaianlagen, Krahne, Maschinen, Eisenbahnge­leise und einige Holzbaracken mit sich ins Was­ser rissen. Die darauffolgende Flutwelle warf einige Motorboote an Land.

LONDON. Die britische Regierung gab am Montagabend bekannt, daß sie am 15. Februar 1951 die Eisen- und Stahlindutsrie des Landes übernehmen werde.

LONDON. Die kleine Prinzessin Anne, die Tochter der britischen Thronfolgerin, wird am 21. Oktober im Buckinghampalast getauft wer­den. Der Vater, der Herzog von Edinburgh, wird mit dem Flugzeug aus dem Mittelmeer eintreffen, wo das von ihm befehligte Schiff, die Fregatte Magpie, zurzeit stationiert ist.

AUCH (Frankreich). In einer Versammlung der kommunistischen Partei Frankreichs, deren Hauptredner Jaques Duclas, einer der führen­

den französischen KP-Funktionäre war, wurden am Sonntag zwei Handgranaten geworfen. Eine Person wurde schwer verletzt. Die Täter, drei junge Männer, konnten unerkannt mit einem Wagen entkommen.

PRAG. Sieben Angehörige der ehemaligen tschechoslowakischen Weltmeistermannschaft im Eishockey haben Gefängnisstrafen von 6 bis 15 Jahren für Vergehen gegen das tschechische Re­gime erhalten. Die Spieler hatten die Absicht, das Land illegal zu verlassen.

ANKARA. Der türkische Außenminister Koe- pruelue erklärte am Montag auf einer Presse­konferenz, die türkisch-bulgarische Grenze, die seit Sonntag gesperrt ist, werde solange ge­schlossen bleiben, wie die bulgarischen Behörden sich weigerten, eine Gruppe von Zigeunern wie­deraufzunehmen, die ohne Visa in die Türkei abgeschoben worden waren.

TEHERAN. Der Schah von Persien, Mohammed Reza Pahlevi, dessen erste Ehe mit der Schwester König Faruks, Prinzessin Fawzia, 1948 geschieden wurde, will jetzt die 18jährige Suraja Esfandiari, Tochter eines hohen persischen Würdenträgers und einer deutschen Mutter, heiraten.

DJAKARTA. Ein schweres Erdbeben suchte am Sonntag die Insel Amboina heim, auf der seit über einer Woche Kämpfe zwischen indonesi­schen Regierungstruppen und Verbänden der süd- molukkischen Republik toben.

CANBERRA. In Südaustralien sind mehrere Eisenbahnzüge durch riesige Heuschrecken­schwärme aufgehalten worden. Die Heuschrecken haben in einer so dichten Schicht auf den Schie­nen gelegen, daß die Räder der Lokomotive die Schienen nicht mehr fassen konnten.

TOKIO. Drei Japaner verließen Japan am Montag auf dem Luftwege, um in New York als inoffizielle Beobachter an den Beratungen der UN-Vollversammlung über die von der Sowjet­union zurückbehaltenen Kriegsgefangenen teil­zunehmen.

NEW YORK. Auf der Einwandererinsel Ellis Island werden seit Montag etwa 70 Deutsche fest­gehalten, die auf Grund des neuen amerikani­schen Staatssicherheitsgesetzes politisch über­prüft werden.

Nun ist es wieder so weit. Eine Hundert­schaft der Bonner Polizei marschiert mit Ge­sang durch die Stadt. Woher kommt sie? Von einem Exerzierplatz, der in einer dpa-Mel­dung schamhaft alsWiese angesprochen wird. Und was tat sie dort? Sie hattefor­male Ausbildung ohne Waffen.

Jeden Landser schaudert es. Er erinnert sich genau: Formale Ausbildung. Das hieß links um, rechts um, das hieß Kehrtwendungen, schwenken, Hand an die Kopfbedeckung und so weiter. Und wenn man dann von so geist­voller Betätigung erschöpft nach Hause ging, Verzeihung, Herr Oberfeldwebel, in die Ka­serne marschierte, dann ging da vorne vor dem Haufen ein Mann, richtiger ein Dienst­grad, der sich plötzlich umdrehte und brüllte: ein Lied! Worauf man dann zu singen an- hub. Lieder sang man, die genau so geistvoll waren wie die Betätigung auf dem Exerzier­platz, die man gerade hinter sich gebracht hatte. Schön, haben wir uns früher gesagt, ist zwar Unsinn, aber der Mann soll sein Lied haben. Mag er doch Eindruck schinden mit demGeist seiner Leute. Von uns aus!

Die meisten von uns, älter und vernünf­tiger als ihre Ausbilder, wußten um den Wert und die Notwendigkeit einer rein auf das Zweckmäßige gerichteten Ausbildung.. Das Gehen- und Grüßenlernen und die strammen Wendungen nahmen sie inklusive Lied hin wie man schlechtes Wetter hinnimmt und man dachte daran, daß man manches im Ge­lände Gelernte im Kampf für eine Idee ver­wenden werde. Es brauchte nicht gerade die offizielle, die vorgeschriebene zu sein. Es gab ein Deutschland, das frei war, das seine eigenen Wege ging und seine eigenen Ziele hatte. Es war zwar in schlechte Hände ge­raten, aber man hoffte, man glaubte doch, daß sich etwas aus ihm machen ließe. Da war doch eine Idee, und man wußte doch, daß auch andere an sie glaubten. Aber heute? Eine Idee, für die man selbst formale Aus­bildung mit Grüßen, Kehrtwendungen und den Schrei eines Feldwebels nach einem Lied hinnimmt. Jedenfalls marschieren sie wieder, und grüßen sie wieder und singen sie wieder, und grüßen sie wieder und singen sie wieder. Und das in Bonn. Ausgerechnet

in Bonn.

ergo.

Südwestkonferenz in Wildbad

Stuttgart erwartet verstärkten Widerstand Wohiebs

TÜBINGEN. Die Regierungschefs der drei südwestdeutschen Länder treten morgen in Wildbad im Schwarzwald zu einer Konferenz über die Südweststaatfrage zusammen.

_ Das württemberg-badische Staatsministe­rium in Stuttgart teilte dazu am Montag mit, daß Ministerpräsident Dr. M a i er, Finanz­minister Dr. Kauffmann und Wirt­schaftsminister Dr. Veit das Land Württem­berg-Baden auf dieser Konferenz vertreten würden. In politischen Kreisen Stuttgarts' gibt man der Konferenz nur wenig Erfolgsaus­sichten. Man rechnet damit, daß sich der süd­badische Staatspräsident W o h 1 e b noch stärker als bisher gegen einen Südweststaat aussprechen wird.

Als Vertreter Südwürttembergs nehmen an der Wildbader Besprechung, die 14.30 Uhr be­ginnen soll, Staatspräsident Müller und Kultminister Dr. Sauer teil.

Auch Staatspräsident W o h 1 e b hatte nach Meldungen aus Freiburg bereits am Montag die Einladung zur Konferenz in Wildbad an­genommen.

Köhler wird Generalkonsul

BONN. Bundestagspräsident Dr. Erich Köhler wird im Anschluß an seinen Gene­sungsurlaub, den er in Lugano verbringt, vor­aussichtlich das deutsche Generalkonsulat in Sidney (Australien) übernehmen. Ein Nachfol­ger in seinem Amt als Bundestagspräsident ist bisher noch nicht benannt worden.

De. VHaSum Mgtee Sfdel

Roman «inas Dämons von Norberf Jacques

26] Copyright by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

Mabuse lag da und führte den Bleistift auto- matenhafr, fast sah man* die Bewegung nicht. Außer der schreibenden Hand war alles starr und tot in ihm.

Was schreibt er? fragte die Lara.

Sein Testament. Er schreibt es seit drei Jahren, mit mehr oder weniger langen Unter­brechungen. Fünf Jahre lag er ohne jede Tä­tigkeit da. Auf einmal begann er. An der Wand sehen Sie noch die Ueberreste der ersten Versuche. Er hatte sich die Fingerspitzen auf­gebissen, um mit Blut zu schreiben. Ich habe es als Dokument an der Wand gelassen. Es war, als sei ein Geist von den Toten auferstanden.

Und... was steht in diesem ... Testa­ment?

..Eine Enzyklopädie des Verbrechens.

Die Lara schauerte zusammen, doch in ihren Augen erschien zugleich ein gieriger Aus­druck.

Plötzlich riß Mabuses Hand eines der Blätter vom Block und ließ es auf dem Bett liegen, wo es hingeglitten war. Born trat heran und nahm es. indem er sich ein wenig über den Kranken niederbeugte, um es erreichen zu können.

Als er sich wieder aufrichtete und das Blatt in die Tasche steckte, schaute die Lara ihn an. Sie sah ein Gesicht, das sich in den kurzen Augenblicken dieser Verrichtung völlig ver­ändert hatte Aus Borns Zügen war die ju­gendlich heftige Spannung gewichen, die Augen hatten jetzt etwas Abwesendes, etwas, was sich verbarg. Sie sahen aus wie zwei Opale aus unpoliertem grünen Gestein. Die Tänze­rin schaute mit einer erschrockenen Gier

hinein. Aber Borns Augen schienen ihre Blicke nicht zu gewahren. Sie hatten sich in ein unterirdisches Land zurückgezogen. Sie irrten einmal über das Gesicht der Frau und richte­ten sich dann wieder zurück zu dem Kranken im Bett.

Erst als die Lara ihn anredete, schüttelte Born leicht den Kopf und reckte sich aus der eingesunkenen Haltung auf. Als er sich ihr zuwandte, waren auf einmal der Glanz seiner Augen und die gestrafften Gesichtszüge wie­der da.

Gehen wir! flüsterte die Lara. Sie fühlte sich von einer unheimlichen Erregung befal­len. Sie zog schaudernd den Pelzkragen ihres Mantels höher. Ein fremder Druck lastete auf ihrem Hirn. Sie wehrte sich vergeblich da­gegen.

Sie gingen denselben Weg zurück. Born war plötzlich von einer liebesheißen Besorgtheit um sie. Mit flammender Zärtlichkeit betrach­tete er oft sekundenlang ihr Haar und be­rührte ihre Hand mit der seinen.

Als in dem Flur, wo sich zwischen den anderen Kranken Hoffmeister aufhielt, dieser wieder auf sie zutrat, winkte ihm Born mit großer Heftigkeit ab. Hoffmeister bestand je­doch auf einer Aussprache.

Sie dürfen mich nicht länger hinhalten! rief er.Ich bin anderswo notwendiger.

Darüber, wo Sie sich aufhalten müssen, habe ich zu bestimmen, entgegnete Born mit befehlender Schärfe. Und als Hoffmeister sich an den Weitergehenden hängen wollte, winkte Born dem Wärter. Dieser hielt den Kriminal­inspektor zurück, und Born und die Lara verließen den Raum.

Verzeihen Sie mir, sagte Born,daß ich Sie diesem Auftritt aussetzen mußte. Schärfe ist manchmal notwendig bei ihnen.

Er führte sie in seinen Arbeitsraum, ein großes, strengeingerichtetes Zimmer. Die Wäpde waren mit schmalen glatten Schränken verbaut. Tische und Sessel waren aus Stahl

und einem gebeizten dunklen Holz. Ein großer eiserner Schrank war halb in die Mauer ein­gebaut.

Zu ihm ging Born. Er öffnete ihn und kam mit einem dünnen Aktenbündel zum Tisch zurück. Er legte es vor die Lara hin.

Was Mabuse von seinem Testament bisher geschrieben hat! sagte er dazu. Er nahm das Blatt, das er vom Bett aufgelesen hatte, aus der Tasche und legte es auf die anderen. Das hat er heute geschrieben, Sie waren dabei.

In diesem Augenblick ging das Telefon. Die Lara hörte, wie er antwortete:Zu mir? Er warf zugleich einen Blick auf das aufge­schlagene Papierbündel.Einen Augenblick, sagte er dann hastig, legte den Hörer auf den Tisch und schickte sich an, nach den Papieren zu fassen. Aber er unterbrach die Bewegung, nahm das Sprachrohr wieder auf und sagte:

Er soll im Wartezimmer auf mich warten. Ich komme gleich. Höflich entschuldigte er sich bei der Lara und verließ das Zimmer.

Die Tänzerin schaute auf das Bündel Pa­piere und deckte ihre Hand darüber, als wolle sie es mit dieser Bewegung in Besitz nehmen. Dann schüttelte sie erstaunt den Kopf. Sie schaute zerstreut und wie gelähmt weg. Schließlich zwang sie sich, das Blatt zu lesen, das Born aus der Tasche gezogen und auf die andern gelegt hatte:

Tiefer als Attentate gegen die politischen Bestrebungen wirken solche gegen die Grund­lage des täglichen Daseins: das Geld. Es müs­sen Mittel gefunden werden, die Börsennotie­rungen unsicher und fragwürdig zu machen. Durch künstliches Eingreifen, zum Beispiel fingierte Käufe, im letzten Augenblick zurück­gezogene Aufträge, können die Kurse zum Stürzen gebracht werden. Andererseits kann auch durch falsche Nachrichten oder zu spät erfolgte Widerrufe ein Spekulationsfieber er­zeugt werden. Durch geschickte Manipulatio­nen im Börsenteil der Tageszeitungen, beson­

ders der Morgenblätter und der Spätabend- Ausgaben, können Vermögen zerstört und Menschen ruiniert werden, können Begriffe wieKapital undWerte ausgelöscht wer­den. Das Wesentliche ist nicht das Schicksal einzelner Börsenpapiere, sondern die allge­meine Unzuverlässigkeit der preisbildenden Nachrichten. Durch systematische Falschmel­dungen immer zu erzwingen. Technische Mit­tel: Zerstörung oder Mißbrauch der Fern­sprech- und Telegraphenanlagen. Die nachfol­gende Verwirrung eignet sich gut zum Aus­streuen entscheidender Gerüchte mit politi­schem Hintergrund...

Die Lara wandte die Augen zur Tür, weil sie draußen jemanden Vorbeigehen hörte. Aber Born kam nicht zurück, es blieb alles still, und nur ihren eigenen Atem hörte sie.

Da stand sie nun, sozusagen am Ziel, sie brauchte nur zuzugreifen ... Und dann?

Sie dachte zurück, wie sie mit raffinierten Vorarbeiten zuerst Helli Born, dann ihren Vater kennengelemt hatte. Ihr Auftrag be­traf übrigens bloß den Professor, und es war Zufall gewesen, daß sie die Tochter des Man­nes hatte verwenden können, um die befoh­lene Beziehung herzustellen. Die Tänzerin war vor einem Jahr in Paris das Opfer einer klei­nen Gruppe von Männern geworden, die sie für internationale Verbrecher halten mußte. Sie hatte nicht einen einzigen davon zu Ge­sicht bekommen, und im Anfang waren die Aufträge, die man ihr zukommen ließ, ganz leicht gewesen. Genau genommen, waren sie es immer gewesen, bis zuletzt, den jetzigen nicht ausgenommen. Einen bedeutenden Arzt kennenzulernen, war ja nicht schwer und ganz und gar ungefährlich.

Und was hatte ihr, vor zwei Wochen in Bukarest, ein Professor namens Born bedeu­tet? Er mochte in den engsten Beziehungen zu ihren Auftraggebern stehen oder tödlich mit ihnen verfeindet 9ein was ging es sie an?

(Fortsetzung folgt)