MITTWOCH, 11.OKTOBER 1950 ÜBERPARTEILICHE HEIMATZEITUNG 6.Jahrgang/N r. 158
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Wer wird Nachfolger Heinemanns?
Bundeskabinett belaßt sich mit dem Rücktritt des Bundesinnenministers
BONN. In seiner Dienstagsitzung hat sich das Bundeskabinett ausführlich mit dem am Montag erfolgten Rücktritt des Bundesinnenministers Dr. Heinemann beschäftigt. Der Bundeskanzler selbst hat Bundespräsident Prof. Heuß das Rücktrittsgesuch Heinemanns vorgelegt. Es wird damit gerechnet, daß Dr. Adenauer schon in Kürze einen neuen Innenminister Vorschlägen wird.
Dr. Heinemann hat seinen Rücktritt damit begründet, daß die zwischen ihm und dem Bundeskanzler schon seit längerer Zeit bestehenden Meinungsverschiedenheiten nicht überbrückt werden konnten. Bereits am 31. August habe er seinen Rücktritt angeboten, weil der Bundeskanzler ohne Anhören des Kabinetts den Westmächten ein Sicherheitsmemorandum der Bundesregierung zugeleitet hatte. Später hätten sich auch in der Polizeifrage Kompetenzstreitigkeiten ergeben. Zum drittenmal und am stärksten hätten sich die Meinungsverschiedenheiten in der Frage einer deutschen Remilitarisierung gezeigt.
Dr. Heinemann sagte zu einem DPA-Vertreter: „Im Gegensatz zum Bundeskanzler stehe ich auf dem Standpunkt, daß wir weder eine Beteiligung an der westeuropäischen Verteidigung anbieten noch darum nachsuchen sollen. Die Initiative muß von alliierter Seite ausgehen und von den konkreten Angeboten der Westmächte abhängig gemacht werden.“ Unter Umständen sei sogar eine Volksbefragung über eine Remilitarisierung notwendig. Dagegen habe Dr. Adenauer von sich aus einen deutschen Verteidigungsbeitrag angeboten.
■P r - Adenauer stellte dazu fest, daß die Behauptung, die Bundesregierung führe Verhandlungen über eine Remilitarisierung Deutschlands, frei erfunden sei. Er habe das Dr. Heinemann auch in der Aussprache am Montag gesagt.
Der Vorstand der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion hat sich auf seiner Sitzung bereits ausführlich mit dem Fall Heinemann beschäftigt. Die Sozialdemokratie hat noch nicht Stellung genommen. Der stellvertretende SPD- Vorsitzende Ollenhauer sprach lediglich von einem schweren offenen Konflikt in der Bundesregierung. Die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei hat das Ausscheiden Heinemanns begrüßt. Der bisherige Innenminister wurde als „eine Marionette Pastor Niemöl
lers" bezeichnet. Minister Hellwege zeigte sich sehr empört über die Behauptung Heinemanns, daß der Bundeskanzler von sich aus den Alliierten die deutsche Remilitarisierung angeboten haben soll. Der Pressedienst der CDU, der „Deutschland-Uniondienst“ betonte, es bestehe nicht der geringste Zweifel an der klaren Haltung des Kanzlers gegen jedes militaristische Denken und Handeln.
Der Nachfolger Heinemanns wird wieder aus den Reihen der CDU/CSU gestellt werden. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. v. Brentano, meinte, die als Nachfolger genannten Abgeordneten Dr. Lehr und Dr. Schröder würden kaum in Frage kommen.
Hafenstadt Wonsan gefallen
MacArthur fordert „zum letzten Mal“ die Nordkoreaner zur Uebergabe auf
TOKIO. Die an der nordkoreanischen Ostküste gelegene wichtige Hafenstadt Wonsan ist am Dienstagmorgen nach heftigen Straßenkämpfen von südkoreanischen Einheiten besetzt worden. Der Flugplatz von Wonsan befand sich zu diesem Zeitpunkt schon einige Stunden in den Händen der Südkoreaner. Die nordkoreanischen Truppen fliehen aus Wonsan nach Norden; tieffliegende amerikanische Flugzeuge forderten mit Lautsprecheranlagen die Bevölkerung zur Uebergabe auf.
Die über den 38. Breitengrad vorstoßenden amerikanischen Verbände — bisher haben rund 40 000 Mann der UN-Truppen den Breitengrad überschritten — stießen am Montag auf harten Widerstand der Nordkoreaner. Zwei Regimenter der ersten gepanzerten USA-
Besatzungskosten werden höher
Zonengrenzen im Bundesgebiet fallen
BONN. Die Finanzsachverständigen der alliierten Hohen Kommission bereiten einen Nachtragshaushalt zum Besatzungskosten-Budget der alliierten Hohen Kommission vor, das bisher bereits Ausgaben in Höhe von 4,048 Milliarden DM vorsieht. Wie ein alliierter Sprecher erklärte, beruhen die Mehranforderungen auf einer Reihe von notwendigen zusätzlichen Ausgaben. In erster Linie seien dies die Aufwendungen, die für verstärkte Truppenkontingente notwendig sind. Dazu kommen zusätzliche Ausgaben zum Unterhalt der Heimatlosen.
Der Sprecher wies die Behauptung zurück, daß die Alliierten einen ungerechtfertigten Luxus trieben und betonte, daß der Lebensstandard der alliierten Truppen auch in ihren Heimatländern sehr hoch sei. Das in New York vorgesehene Ende des Kriegszustandes mit Deutschland werde auch für die Aufstellung der kommenden Besatzungskosten eine neue Grundlage schaffen. Die Besatzungskosten würden in Zukunft auf dem Vertragswege und nicht mehr wie bisher durch eine einseitige Auflage der alliierten Hohen Kommission festgelegt werden.
Der amerikanische Hohe Kommissar John M c C1 o y erklärte vor zahlreichen Kreiskom- missaren der amerikanischen Zone, die alliierten Truppen Verstärkungen würden in Westdeutschland ohne Rücksicht auf Besatzungszonen verteilt werden Die alliierten Truppen würden den militärischen Bedürfnissen entsprechend an der Ostgrenze der Bundesrepublik stationiert werden. Auch ein gegenseitiger Austausch von Truppen innerhalb der Besatzungszonen sei möglich.
General Handy, der Oberkommandierende
der amerikanischen Streitkräfte in Europa, wies die Kreiskommissare auf die schwierigen neuen Probleme hin, die die Truppenverstärkungen angesichts der Wohnraumnot verursachen. Zwar sollen 36 zurzeit von DPs besetzte Kasernen freigemacht werden, doch dürften diese kaum ausreichen. Einige deutsche Gebäude würden wohl beschlagnahmt werden müssen.
Der stellvertretende amerikanische Hohe Kommissar teilte mit, daß die Bundesregierung den Alliierten gewisse Sicherheiten geben müsse, nach deren Vorliegen die Besatzungsmächte die bisher ausgeübten Kontrollen Zug um Zug aufgeben oder weitgehend einschränken werden.
Kavalleriedivision sind mit Stoßrichtung auf Pjöngjang, die Hauptstadt Nordkoreas, angetreten.
Der Oberbefehlshaber der UN-Truppen, General McArthur hat am Montag den nordkoreanischen Ministerpräsidenten Kim il S u n g „zum letztenmal“ zur Uebergabe aufgefordert. In der Erklärung heißt es u. a.: „Sollten Sie der Aufforderung nicht sofort im Namen der nordkoreanischen Regierung Folge leisten, werde ich unverzüglich solche militärische Maßnahmen ergreifen, die zur Durchführung der Beschlüsse der Vereinten Nationen dann notwendig sind. Um die Entscheidungen der Vereinten Nationen mit einem Mindestmaß an Zerstörungen und an Opferung weiterer Menschenleben durchzuführen, fordere ich als Oberkommandierender Site und die Truppen unter Ihrem Oberbefehl — ganz gleich, in welchen Gebieten Koreas sie stehen — zum letzten Male auf, die Waffen niederzulegen und die Feindseligkeiten einzustellen.
Ich fordere weiterhin hiermit alle Nordkoreaner auf, bei der Errichtung einer vereinigten, unabhängigen und demokratischen Regierung Nordkoreas voll mitzuarbeiten. Ich versichere, daß sie gerecht behandelt werden, und daß die Vereinten Nationen für die Unterstützung und den Wiederaufbau aller Gebiete Koreas sorgen werden.“
Nach der Ansicht von Generalstabsoffizieren der UN-Truppen ist mit einer baldigen Beendigung des Koreakrieges zu rechnen. Militärische Beobachter rechnen mit der Einstellung der Kampfhandlungen noch im Oktober oder Anfang November. Die Effektivstärke der nordkoreanischen Truppen wird auf nur noch 40 000 Mann geschätzt.
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Todeskampf franz. Einheiten
Von dten Vietminh eingeschlossen
SAIGON. Einem Teil der in Nordtongking von kommunistischen Verbänden eingeschlossenen französischen Truppen ist es am Dienstag gelungen, sich der Entklammerung zu entziehen. Eine Kampfgruppe in Stärke von 100 Mann konnte aus dem Kessel ausbrechen, in dem sich nach französischen Angaben einige der besten Einheiten der französischen Armee in Indochina befinden.
Die Eingeschlossenen führen einen Todeskampf gegen lOfache Uebermacht. Es handelt sich dabei vor allem um die Besatzung des Stützpunktes Caobang, die die Stadt am 3.10. aufgegeben hatten und nunmehr von den Viet- minh-Aufständischen eingekesselt wurden. Militärische Beobachter halten es für unwahrscheinlich, daß es den eingeschlossenen Verbänden gelingen wird, sich freizukämpfen.
Damit beginnt sich der schwerste Rückschlag für die französische Kolonialarmee in Indochina seit 3 Jahren abzuzeichnen.
Einheiten der kommunistischen Vietminh haben Ende vergangener Woche die Hauptwasserleitung der 140 000 Einwohner zählenden Stadt Haiphong, der zweitgrößten Hafenstadt Indochinas in der Nähe der chinesischen Grenze gesprengt und damit die Wasserversorgung lahmgelegt.
Nach Meldungen aus Washington mißt man dort den französischen Rückschlägen in Indochina „ernste Bedeutung“ zu.
Sowjetprotest
Der Kriegsschauplatz in Nordkorea
Wegen Verletzung ihres Hoheitsgebiets
MOSKAU. Der stellvertretende sowjetische Außenminister G r o m y k o händigte am Montag dem amerikanischen Botschaftsrat in Moskau, B a r b o u r, eine Protestnote aus, in der sich die Sowjetunion über die „Verletzung“ ihres Hoheitsgebietes durch „amerikanische Flugzeuge“ beschwert. Barbour lehnte zuerst die Annahme der Protestnote mit der Begründung ab, daß in dem fraglichen Gebiet
UN-Streitkräfte operierten. Gromyko hielt dem entgegen, daß die sowjetische Protestnote sich auf amerikanische Flugzeuge beziehe.
Die Grenzverletzung hat sich nach der sowjetischen Agentur Tass etwa 100 km von der koreanischen Grenze abgespielt. Die Sowjets bestehen in der Note auf strenger Bestrafung der schuldigen Flieger und fordern von den US * Zusicherungen über Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Provokationen.
Churchill in Kopenhagen
Ritter vom Orden des Elefanten
KOPENHAGEN. Am Montagnachmittag traf Winston Churchill mit seiner Gattin zu einem dreitägigen Besuch in Kopenhagen ein. Die Stadt ist wie an den allerhöchsten Festtagen geschmückt. Ueberall sind die typischen churchillschen V-Zeichen aufgestellt.
Anläßlich des von König Frederik zu Ehren von Winston Churchill auf Schloß Fredens- borg veranstalteten Banketts wurde dem britischen Staatsmann am Montagabend der Titel des Ritters vom Orden des Elefanten, die höchste dänische Staatsauszeichnung, verliehen. Inhaber dieser Würde sind zurzeit neben Mitgliedern des königlichen Hauses General Eisenhower, Viscount Montgomery, und der dänische Atomforscher Nils Bohr.
In einer Ansprache vom Rathausbalkon in Kopenhagen forderte Churchill zum Widerstand auf gegen jede Tyrannei, ganz gleich, welche Uniform sie trage und welche Sprache sie spreche.
„Tag der Kriegsgefangenen“
BONN. Nach einem Beschluß der Bundesregierung ist der 26. Oktober als „Tag der deutschen Kriegsgefangenen“ festgesetzt worden. In der ganzen Bundesrepublik sollen an diesem Tage Protestkundgebungen gegen die Zurückhaltung deutscher Kriegsgefangener veranstaltet werden. In der Woche vom 22. bis 28. Oktober werden beide christlichen Kirchen eine Gebets- und Gedenkwoche für die Kriegsgefangenen durchführen.
Die Frage an die Kirche
Zum Rücktritt Heinemanns
E. M. Die Gründe, die den Bundesinnenminister Dr. Gustav Heinemann nach den offiziellen Verlautbarungen zu seinem Rücktritt veranlaßt haben, spiegeln nur schwach eine Krise wider, die seit langem im evangelischen Teil der CDU schwärte und die nun in einer offenen Stellungnahme zum Ausdruck kam. Heinemann ist im Kabinett des katholischen Bundeskanzlers der Vertreter der evangelischen Christen und insbesondere der Vertreter der einst im Kampf gegen die Egalisierung der deutschen Landeskirchen durch den Hitlerstaat ins Leben gerufenen „Bekennenden Kirche“.
Heinemann hat mit Karl Barth und Niemöller zusammen 1934 die rechtlichen Grundlagen für die „Bekennende Kirche“ und deren Synodencharakter ausgearbeitet. Er weiß darum aufs genaueste Bescheid über die Spannungen, die nach lutherisch-reformierter Auffassung zwischen den jeweiligen Staatschefs und der Kirche bestehen und in allen wichtigen politischen Fragen zu Konflikten mit einer selbstherrlichen Staatsautorität führen können. Heinemann hat sich getreu einer Vergangenheit und seinen Erfahrungen mit dem Hitlerstaat nun auch seinem Chef Adenauer gestellt und die heiklen und neuralgischen Probleme der militärischen Wiederaufrüstung zum Anlaß genommen, Kritik an der Politik Adenauers zu üben und seinen gegenteiligen Standpunkt zu präzisieren.
Die Meinungsverschiedenheiten waren schon seit langem vorhanden, sie haben aber jetzt erst eine akute Form angenommen. Wir gehen kaum fehl, wenn wir den Brief Niemöllers und die Krise im Kabinett in ursächliche Beziehung zueinander setzen. Der streitbare und Ueberraschungen liebende Präsident der EKD hat, wie bekannt, in einem persönlichen Schreiben an den Bundeskanzler Protest gegen jede Art von Remilitarisierung im Raume der Bundesrepublik erhoben und war verstimmt, daß ihm der Kanzler nicht persönlich geantwortet hat, sondern sein Schreiben durch einen Referenten beantworten ließ.
Die Forderung Niemöllers, die Regierung müsse in der Behandlung der zur Debatte stehenden Wiederaufrüstung zuerst das Volk befragen oder Neuwahlen ansetzen, wurde in Kreisen der CDU sofort als überspannt abgelehnt. Der ebenfalls der Bekenntnisgemeinschaft angehörende Bundesminister Heinrich Hellwege hat in der Niemöllerschen Forderung einen unberechtigten Eingriff der Kirche in den politischen Bereich gesehen. Die evangelischen Teile der CDU haben sich also in eine minderheitliche Niemöller- und eine, wie es scheint, mehrheitliche Regierungspartei gespalten. Heinemann stand nun zwischen beiden Flügeln mitten inne. f
Erwähnt wird von ihm die Beschwerde, die er seinem Chef eingereicht hatte, daß dieser bei der Abfassung des Sicherheitsmemorandums für die New Yorker Konferenz die Mitglieder des Kabinetts nicht hinzugezogen habe. Es sei nicht die Sache der Regierung, eine irgendwie geartete Beteiligung Deutschlands an einer europäischen Armee nachzusuchen oder gar diese anzubieten, solange Deutschlands Gleichberechtigung von den Alliierten nicht voll anerkannt sei. Die SPD stimmte bei dieser Auseinandersetzung Heinemann zu.
Indessen sind derartige Vorkommnisse wohl an sich heikel und schwierig zu beurteilen, sie sind aber darüber hinaus ein eindeutiges Symptom dafür, daß die evangelische Kirche Deutschlands in einer gewissen Schicht ihrer Bekenner, zu der auch Heinemann gehört, in tiefste Gewissenskonflikte gestürzt wird, wenn es sich darum handelt, eine Wiederaufrüstung entweder im Sinne des Kanzlers grundsätzlich zu bejahen oder sie ebenso grundsätzlich zu verneinen. Ihrem Wesen nach kann und muß die evangelische Kirche sich ganz eindeutig äußern, sie hat das Recht, ja sogar die Pflicht, um den Schein der Neutralität zu meiden, klar zu sagen, was sie darüber denkt. Die Kirche sind aber nicht ihre Bischöfe und Oberkirchenräte, vielmehr die Gemeindegenossen. In Gustav Heinemann verkörperte sich stellvertretend für viele Gemeindegenossen dieser schwere politische Gewissenswiderstreit.
Vergessen wir doch nicht, daß nicht nur die Kirchen, sondern wir alle zwei Weltkriege hinter uns haben, zwei verlorene Weltkriege, in denen auch evangelische Kirchendiener mit der Waffe das Vaterland verteidigt haben. Im Hitlerstaat wurde es dank der Theologie der „Bekennenden Kirche“ eindeutig offenbar, daß Kirche und Staat zweierlei sind, daß die Kirche in der staatlichen Oeffentlichkeit zwar eine Heimstatt hat, aber darüber hinaus auch in einer anderen Heimat lebt, die nicht von dieser Welt ist. Rüsten wir wieder auf, dann geben wir zugleich zu, daß wir das Vaterland verteidigen werden, wenn der Ruf dazu erschallt. Wird dann die Kirche, wie in den zwei vorhergehenden Kriegen wieder dabei sein? Darum muß sie sich jetzt und für absehbare Zeit klar entscheiden, was sie will. Dies ist die hochwichtige Frage, die mittelbar der Rücktritt Heinemanns gestellt hat.