Juftmus fernerUmriß unö 6cftalt

Wer ist eigentlich Justinus Kerner gewesen? Wir glauben es alle zu wissen: ein liederfroher Poet des schwäbischen Dichterkreises um Uh- land, ein origineller Arzt, der hier am Fuße der Weibertreu im Kreise froher Gäste ein idyllisches Leben in der guten alten Zeit verbrachte. Viele haben die Erinnerungen seines Sohnes Theobald gelesen mit dem TitelDas Kemerhaus und seine Gäste. Das Buch ist, so möchte ich fast glauben, bei uns im Schwaben­ländle bekannter als die Werke von Kerner selbst. Es ist virtuos geschrie­ben, leicht zu lesen und zur Er­götzung jeder Feierabendgesellschaft geeignet. Aus Kerners Leben ist da­bei ein heiterer Anekdotenkranz ge­worden.

Kerner hat in einem Jahrhundert gelebt, das, wenn man es mit dem unsrigen vergleicht, human und har­monisch genannt werden darf. Aber es ist kein leeres Wort, wenn man sagt, daß der Mensch an sich selbst oft schwerer trägt als an seiner Zeit oder Umwelt. Und dies war bei Ker­ner der Fall. Er stammte aus einer

Von Prof. Dr. F. Seng Le

ten. Er ist ja auch sehr irdisch ge­wesen. Schon äußerlich von unge­heurer Leibesfülle, breit, massig, schwer. Die Photographie aus dem Alter, die amschönsten und daher am beliebtesten ist, vermittelt in die­ser Beziehung nicht mehr ganz das richtige Bild. Wem Maß und Har­monie alles sind, kommt bei Kerner nicht auf seine Rechnung. Nach dem

wmmm

mm

Oben: Das be­rühmteRickele", die vielduldende, aber dennoch den großen Haushalt beherrschende Gat­tin des Dichterarz­tes.

Links: Justinus

Kerner. Nach einer Zeichnung von Luise Duttenhofer.

Unten: Friede­

ricke Hauffe, die durch Kerners me­diale Experimente berühmt gewordene Seherin von Pre- vorst. Sämtliche Bilder hängen im Original im Ker- nexmuseum.

liehen Stellung, aber er war kein Bürger in dem stolzen, klassen­kämpferischen Sinne, wie es damals, vor dem Siege des Bürgertums, üb­lich war. Wie Goethe lehnte er Uh- lands politisches Kämpfertum aus­drücklich ab. Prinzen und Adelige aller Art waren in seinem Haus will­kommen, aber man kam zu Justinus Kerner, zumHerzens-Justinus, als Mensch, und so nahm er auch die freundlich auf, die geringer als seine Standesgenossen waren. Er hatte eine ausgesprochene Vorliebe für Arme, ja selbst für Kranke, die sonst je­dermann mied.

Auch später, als ihm das schwer­ste begegnete, was einem so sinnen­frohen Menschen begegnen konnte, nämlich der Verlust des Augenlichts, setzte er sich geistig dagegen zur Wehr. Er versank nicht im Trübsinn und Untätigkeit. Er erfand die Kiek - sographie, dieses Phantasie voll-gro­teske, echt Kemersche Spiel mit Tin- tenkleksen. Manche trübe Stunde vertrieb er sich und andern, solange es noch irgend ging, mit diesem Spiel.

Noch mehr danken wir es ihm, daß er seine Jugend­erinnerungen dik­tierte, das köst­licheBilderbuch aus meiner Kna­benzeit. Es ist ein freundliches Buch.

Manche Kerner- liebhaber stellen es wegen seines mil­den Humors höher als alle seine an­dern Werke. Aber, es ist dem Leiden abgerungen. Ker­ners Wort, ohne Schmerz habe er noch nie einen Reim gemacht, gilt auch für dieses Werk in Prosa. Es gilt, wenn man genauer hinsieht, sogar für sein be­rühmtestes Buch, die übermütigen, jugendlich angriffslustigenReise­schatten. Alles, was er schrieb und tat, gewann aus dem dunklen Grun­de seines Wesens die Tiefe.Freund Schmerzensreich nannte ihn sein

*i

Das Kernerhaus von SW. aus gesehen. Es steht am Hügel, der von der Burg Weinsberg herunterläuft und in der Nähe der alten Stauf enkirc.ie. Den Vorbau hat der Dichter Kerner im Stile eines Schweizerhauses errichtet, der Turm wurde im späten 19. Jahrhundert von dem Sohn Theobald Kerner angebaut. Das Museum wurde Mitte Mai von Dr. Albert Walzer, Stuttgart, nach Entfernung aller neueren Requisiten in dem Originalstil neugerichtet.

Der Geisterturm. Er wurde so genannt, weil hier die Seherin von Prevorst eine Zeitlang wohnte, deren Bega­bung für das Uebersinnliche Kerner entdeckt hatte. Der Turm ist ein Rest der alten staufischen Wehranlage. Der Altertümer Sammler Kerner hat in ihm auch u, a. Reste der Plastik vom Stuttgarter Lusthaus untergestellt.

(Alle Fotos: Dieter Mährlen, Weinsberg)

Freund Friedrich List, der National­ökonom, und Uhland fand für ihn das WortLeidensblume, wobei wir aber nicht nur an sein Leiden, son­dern auch an die Blume, die über dem Abgrund des Leids erblühte, denken dürfen.

So also steht er vor uns, schwer,

irdisch, leidend, von Dämonen ver­folgt, aber immer mit dem Gesichte zum Licht, tätig, liebevoll heiter, ja sogar lustig, die Dämonen beschwö­rend oder ihnen einen Streich spie­lend, und immer wieder in einem langen Leben trotz allem! sieg­reich.

Familie, in der eine ganze Reihe von Gliedern an Gemüts- und Geistes­krankheiten litt. Als eine Folge dieser Erbschaft darf man Kerners Neigung zur Schwermut betrachten. Sie be­gleitete ihn sein ganzes Leben lang und machte ihm immer schwer zu schaffen. Nicht umsonst war der un-

iiitiiimiiiiiiiiimiitiiiuiiiiiiiiiiiuiiiitmiiiiiiiHimmtiiimiiiiiiiiiiiiimiiM

Herbstgefühl

Wie mit Gold die Wälder prangen, Rosen gleich die Bäum erblühn!

Erde will wie Himmel glühn.

Eh sie starr liegt und gefangen.

Goldne Himmelsburgen tragen Die Gebirg in stolzer Pracht,

Drinnen wandeln längst erwacht Ritter und Fraun aus alten Tagen.

Der verklärten Erde Wonne Füllt mit Licht auch meine Brust, Und das Herz hüpft auf in Lust Wie ein Vöglein in der Sonne.

Solche Lust, Herz! währt nicht lange, Herz! das ist nur ein Erglühn Vor dem gänzlichen Verblühn Unterm Hügel kalt und bange!

JUSTINUS KERNER

iii ii ii ii ii ii M ii ii un ii im ui ii m ii ii im ii ii iim ii mm iiiiitm ii min ii im mntii ii iii

glückliche, zum Wahnsinn bestimmte Dichter Lenau einer seiner innigsten Freunde. Das LiedDort drunten in der Mühle entsprang nicht nur einer augenblicklichenStimmung, wie sie jeder einmal hat. Mit Recht hat kürzlich ein Forscher (Emil Staiger) darauf hingewiesen, daß sich in die­sem Gedicht das durchgehende Grund­gefühl von Kerners Leben ausspricht. Der Wanderer, der dieses Lied singt, das ist er selbst und der Mensch, so wie er ihn sieht. Nirgends auf Erden ist ihm wirklich Friede, Glück und eine sichere Heimat vergönnt. So ist auch Kerners 9chöne, geheimnisreiche ErzählungDie Heimatlosen zu ver­stehen. Der ursprüngliche Titel hieß noch deutlicher: ..Der Wanderer zum Morgenrot. Wir sind immer unter­wegs. Wir gehen immer in Einsam­keit, Trauer und Nacht. Nur im Tod, in der Ewigkeit, der wir unablässig entgegenwandem, ist das Licht.

Sich selbst rechnete Kerner, dessen besondere Tugend die Demut war, zweifellos nicht zu den Lichtgestal-

unverdächtigen Zeugnis seines Soh­nes trank er täglich 2/a 1 Wein (dies wardas geringste, sagt er). Wenn wir Uhland glauben wollen, so war er über die Ankunft seiner Freunde oft so entzückt, daß er allein einen Kalbschlegel aufaß. Einem Künstler, der ihn zeichnen wollte, gab er ein­mal folgende Gebrauchsanweisung: Schafft Herr Igelheimer sich Schweinsblasen an, auf die er mein Gesicht malt und sie dann aufbläst, so hat man mich' frappant.

Er war alles in allem als Dichter und Arzt bedeutend, aber groß und unvergeßlich ist er doch wohl erst durch seine Persönlichkeit gewor­den; sie war mehr als alle seine spe­ziellen Bemühungen. Groß ist er durch seine unbegrenzte Offenheit, durch den allesversöhnenden und -verbindenden Humor, der sich aus ihr ergibt durch seine Liebe: sie hat kein Geringerer als sein Anti­pode David Friedrich Strauß, der Bibelkritiker und Mythenzerstörer gerühmt, sie zog ihn, den nüchternen Verstandesmenschen, wie ein Ma­gnet immer wieder nach Weinsberg.

Er hat Gäste aus aller Welt herz­lich bei sich empfangen, und zwar nicht nur zum Tee, um sich als Dich­ter oder Geisterseher bewundern zu lassen, sondern er ist z. B. mit seiner Frau in die Dachkammer gezogen, um polnische Gäste in seinem Schlaf­zimmer unterbringen zu können. Er war ein liebevoller Vater, aber wir erstaunen, wenn wir in den Quellen lesen, welche Opfer er von seiner Familie verlangte, um der Gäste wil­len. die in seinem Haus zusammen­strömten. Er lebte in einer bürger­

ch

neu

Von Otto Lautentchlager

Bei einem Besuch der Stadt, wo Ju­stinus Kerner vor über hundert Jahren wirkte, sollten wir, von Heilbronn her­kommend, zumindest vom Weinsberger Sattel an zu Fuß gehen; denn hier wan­dern wir in ein abgelegenes Idyll voll Poesie altschwäbischer Prägung. Links der Straße weist uns der Turm des Wartberges den Weg zur Weibertreu; es geht mitten durch die Weinberge. Noch begleiten uns im Goldduft die herrlichen Lagen von Heilbronn. Plötz­lich öffnet sich der Blick zum malerisch schönen Ruinenhügel der Weibertreu mit ihren Weinhängen. Und am Berg­hang taucht der spitze Kirchturm der spätromanischen Kirche der Stadt auf. Ihn umgeben die Dächer der ersten hochgiebeligen Häuser, denen sich bald

die zum Teil mit neuen roten Ziegeln gedeckten Siedlungen im Tal der Sulm anschließen; denn die Stadt wurde stark zerstört und der Wiederaufbau mußte in den letzten Jahren bewältigt wer­den.

In dieser wunderbar poetischen Land­schaft mit der aufragenden Weiber­treu, den blau vom Horizont sich ab­hebenden Löwensteiner Bergen wohnte Justinus Kerner bis zu seinem Lebens­ende. Bei Platanen grüßen wir das Ker­nerhaus, dessen reiche Vergangenheit zu ehrfürchtiger Einkehr stimmt. In diesem Hause, das im Jahre 1828 er­baut wurde, lebte der Arzt und Dich­ter mit seiner Familie und seinem gro­ßen Freundeskreis in Zeiten bester deutscher Kulturepoche; Könige und

die Aermste n aus dem Volk kehrten

hier ein und alle waren willkommene Gäste.

Es ist, als fluteten Gegenwart und Vergangenheit ineinander. Diese Ruhe zum Hinüberlauschen in die andere, die Geisterwelt, danken wir Justinus Kerner, dem breitschultrigen, behäbi­gen Mann mit dem rundlich-gutmüti­gen leuchtenden Gesicht, das den Ernst und den Schalk in sich hatte wie unser schwäbischer Wein. Laßt uns zum Be­schluß das eine oder andere seiner Lie­der singen!Dort unten in der Mühle", Preisend mit viel schönen Reden oder Wohlauf noch getrunken den funkeln­den Wein ... Erholung und Vertie­fung sei das Ergebnis unseres Herbst­gangs nach Weinsberg.

}#??/ Ti-.-

.'.'///sSS.-.

Wßmmmmm

mm

wmmm

JJ|!||

mm

nimn

mm

«

mm

mm

Wm.

Wm

mm

Sis

.A..J

ÜH!

il

mm

> !

SÜäii