6. Jahrgang

FREITAG, 6. OKTOBER 1950

Nummer 155

Iberischer Block bejaht Europapolitik

Bedeutung und Auswirkung der Zusammenkunft von Salazar und Franco

Von unserem iberischen Korespondenten Werner Schulz

MADRID. In Madrid rechnet man damit, daß der spanische Staatschef Franco in den nächsten Wochen erneut mit dem portugiesischen Mini­sterpräsidenten Salazar Zusammentreffen wird.

Die Pyrenäen sind die geographische Grenze Portugals. Erst vor knapp vier Wo­chen hatte Ministerpräsident Dr. Oliveira Sa­lazar diese Erklärung in unverkennbarer pro­grammatischer Absicht und Form abgegeben. Seine Zusammenkunft und seine persönlichen Besprechungen mit General Franco sind die natürliche Folge dieser Politik der iberi­schen Einheit, die bereits vor 11 Jahren zum Abschluß des spanisch-portugiesischen Freund­schaftsvertrages und zur Schaffung des iberi­schen Blockes führte und damit Spaniens und Portugals Neutralität auf eine feste und ge- gemeinsam abgestimmte Grundlage stellte.

Die amtlichen Veröffentlichungen über die Zusammenkunft SalazarFranco beschränken sich darauf, bekannt zu geben, daß die beiden Staatsmänner die weltpolitische Lage über­prüft und sich davon überzeugt haben, daß die loyale und vorbehaltlose Zusammenarbeit zwischen den iberischen Völkern eine zuver­lässige Garantie für ihre Sicherheit dar­stellt.

Aehnliche Kommuniques sind oft schon nach Besprechungen zwischen Regierungschefs oder Außenministern veröffentlicht worden, ohne daß hinter ihnen eine im voraus abschätz­bare politische Realität stand. Im Fall Por­tugalSpanien dürfte es jedoch so sein, daß die Worte den Tatsachen folgen. Die enge Zu­sammenarbeit zwischen den beiden Völkern hat sich gerade im Laufe des letzten Jahres noch weiterhin vertieft, und die wachsende Bedrohung Westeuropas und damit auch des iberischen Raumes hatte die portugiesische Regierung veranlaßt, schon im vergangenen Jahre eine sehr energische Offensive zugun­sten der Einbeziehung Spaniens in den Auf­bau eines westeuropäischen und atlantischen Verteidigungssystems einzuleiten. Tatsächlich würde auch der militärische und strategische Wert der portugiesischen Mitarbeit im Atlan­tikpakt in dem Augenblick einfach illusorisch werden, in dem die spanische Politik andere Wege ginge als die der Paktmächte. Eine sol­che Möglichkeit ist zwar auf Grund der anti­kommunistischen Einstellung Spaniens im Fall einer kommunistischen Aggression ausgeschlos­sen, es liegt Portugal aber daran, den großen spanischen Nachbarn, der die kontinentale Si­cherung der portugiesischen Grenzen darstellt, voll und ganz in das Atlantikpaktsystem und die westeuropäische Abwehrfront einbezogen zu sehen.

Spanien besitzt heute in Westeuropa das ef-

Warnung der Arbeitgeber

WIESBADEN. Die Vereinigung der Arbeit­geberverbände der Bundesrepublik hat eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin heißt es nach einem Hinweis auf die bisherigen Ergeb­nisse der gemeinschaftlichen Beratungen mit den Vertretern des DGB:In kras­sem Gegensatz zu dem gemeinsamen Bekennt­nis zur Idee der Gemeinschaft wurde vom Bundesvorstand des DGB im Juli erklärt, daß die Gewerkschaften nunmehr gewillt seien, für die Erreichung des Mitbestimmungsrechtsge­werkschaftliche Kampfmittel anzuwenden.

Am 26. September wurde die Absicht zum gewerkschaftlichen Kampf erneut bekun­det. Jede Selbstverwaltung der Beteiligten im Rahmen einer neuzuschaffenden Sozialordnung setzt die ehrliche Bereitschaft beider Partner zur Gemeinschaftsarbeit und zu sozialem Frie­den voraus. Die Idee des Klassenkampfes ist mit solchem Wollen unvereinbar. Wer sich zu ihr und ihren Methoden bekennt, muß sich deshalb der schwerwiegenden Folgen bewußt sein, die mit einem solchen Weg unweigerlich verbunden sind.

fektiv stärkste Heer, das über sehr weit­gehende Kriegserfahrungen verfügt und trotz Materialmangels gut ausgebildet ist. Mit sei­nem unwegsamen Bergland, seiner natürlichen Schutzmauer, den Pyrenäen und dem traditio­nellen Unabhängigkeitscharakter des Spaniers wie des Portugiesen stellt die iberische Halb­insel die stärkste Schlüsselstellung Westeuro­pas dar, nur jedoch, wenn beide iberischen Länder eine gemeinsame Politik durchführen.

In Lissabon und Madrid selbst stellen die Zusammenkunft und die amtlichen Erklärun­gen darüber keine sensationelle Ueberraschung dar. Der Portugiese und Spanier betrachtet sie im allgemeinen als die Bekräftigung einer be­reits festliegenden Politik. Der ausdrückliche Hinweis auf diegemeinsame Gefahr, die beide Länder bedroht, läßt ihn erkennen, daß im Falle eines zukünftigen Konfliktes eine ibe­rische Neutralität einfach unmöglich ist und

daß beide Länder restlos und entschlossen auf der Seite der westeuropäischen atlantischen Völkergemeinschaft stehen werden und ent­schlossen sind, sich für alle Eventualitäten vor­zubereiten, weil man sowohl in Lissabon wie in Madrid davon überzeugt ist, daß nur eine wirksame und kraftvolle Machtentfaltung des Abendlandes die kommunistische Gefahr zu­rückdämmen und den Frieden sichern kann. Die Offensive für eine beschleunigte und ener­gische Mobilisierung der Kräfte ganz West­europas und einen festen Zusammenschluß aller nichtkommunistischen Völker, die bereits in Portugal und Spanien stark wirksam war, wird sich zweifellos in Zukunft noch intensiver gestalten und außenpolitisch in die Erschei­nung treten.

Damit werden alle diejenigen, die in Portu­gal und Spanien noch vereinzelt von der Mög­lichkeit einer zweiten Neutralitätsepoche träum­ten, diese Wunschträume endgültig begraben müssen. Die beiden iberischen Länder werden sich fester noch als bisher an das Schicksal des Abendlandes binden. Das ist die außen­politische Quintessenz der Zusammenkunft von Vigo und Porto.

Gemäßigte Labour-Politik

Parteitag lehnt Lohnstoppolitik ab

MARGATE. Das Sozialisierungsprogramm der Regierung sei noch nicht abgeschlossen, gab der stellvertretende Premierminister Morrison am Mittwoch auf dem Kongreß der Labourparty in Margate bekannt. Der Ge­danke, die Zement- und Zuckerindustrie sowie das Betriebsversicherungswesen zu verstaat­lichen, sei durchaus nicht fallengelassen wor­den. Ebenso könnten auch noch andere Indu­striezweige und Dienstleistungen in das So­zialisierungsprogramm einbezogen werden. Unzweckmäßig wäre es jedoch, wenn sich die Labourparty genau auf einen Zeitplan fest­legte. Nachdem auch der auf dem linken Flü­gel der Partei stehende Gesundheitsminister Bevan für eine gemäßigte Innenpolitik einge­treten war, billigte der Parteitag einstimmig dieses Vorgehen.

Die bisherige Lohnstoppolitik der Regierung wurde von den 1500 Delegierten zurückgewie­sen undeine Verbesserung der Reallöhne durch schärfste Maßnahmen gefordert. Ver­langt wurden Lohnerhöhungen und die Ein­führung von Profitbeschränkungen und -kon- trollen.

Mit tiefem Schweigen wurde am Mittwoch nachmittag die Feststellung von Premiermini­ster A111 e e aufgenommen, daß Großbritan­nien seine Anstrengungen verdoppeln müsse, um seine Aufrüstungspläne zu erfüllen und den erzielten Fortschritt und Wiederaufbau aufrecht zu erhalten.

Zum Parteivorsitzenden wurde für die nächsten zwölf Monate Miss Alice Bacon gewählt.

Am Donnerstag übernahmen rund 1000 bri­tische Matrosen die Londoner Gasanstalten, nachdem die Gasarbeiter, die seit drei Wo­chen streiken, nach wie vor im Aufstand ver­harren.

Die USA haben, wie am Mittwoch in Lon­don verlautete, das britische Gesuch um 1,5 Mrd. Dollar zur Finanzierung der Wiederauf­rüstung innerhalb von drei Jahren abgelehnt.

In der außenpolitischen und Verteidigungs­debatte erklärte am Donnerstag Verteidigungs­minister Shinwell, er hoffe, daß auf dem Wege über den Atlantikpakt eine Organisation geschaffen werde, die jeder Aggression entge­gentreten könne.

Nachrichten aus aller Welt

FRANKFURT. Beim oberstaatsanwalt in Frank­furt laufen Ermittlungsverfahren gegen 150 Per­sonen, die im Verdacht stehen, gegen den § 175 des Strafgesetzbuches (Homosexualität) versto­ßen zu haben; einige wurden verhaftet.

BAMBERG. Der Anwalt eines Mietautobesit­zers ließ Anfang dieser Woche bei dem Bundes­tagsabgeordneten und WAV-Landesvorsitzenden Alfred Loritz eine Taschenpfändung vornehmen, die 150 DM erbrachte. Loritz soll dem Autobesit­zer seit den Bundestagswahlen 200 DM schulden.

OSNABRÜCK. Das Osnabrücker Schwurgericht verurteilte den 31jährigen Laboranten Franz Siepker aus Mehringen, Kreis Lingen, zu sechs Jahren Gefängnis, drei Jahren Ehrverlust und 1000 DM Geldstrafe, weil er als Kommandant des Kriegsgefangenenlagers Ascha im Ural Kamera­den mißhandelt und ihr Eigentum unterschlagen hatte. In 40 Fällen wurde ihm einfache und schwere Körperverletzung und fortgesetzter Sach­wucher nachgewiesen.

BERLIN. Am Mittwoch, dem vierten Tag der Deutschen Industrieausstellung 1950 am Berliner Funkturm, wurde der 100 000. Ausstellungsbesu­cher gezählt.

SAARBRÜCKEN. Der Arbeitsminister des Saargebiets hat am Mittwoch eine 12prozentige Lohnerhöhung für Bergleute und Industriearbei­ter angeordnet. Der Lohnerhöhung ging, wie be­reits gemeldet, Anfang der Woche ein 24stündi- ger Warnstreik voraus, an dem sich rund 180 U00 Arbeiter beteiligt hatten.

KOPENHAGEN. In der dänischen Stadt Son­derburg wurde ein Wikinger-Klub gegründet,

dessen Mitglieder das ganze Jahr hindurch im Freien baden. Alterspräsident ist ein 80jähriger Probst, der mit seiner etwas jüngeren Gattin noch jeden Tag einen Kopfsprung in die Ostsee macht.

MANSTON. Ende vergangener Woche trafen mit einem zweimotorigen Flugzeug drei tsche­choslowakische Piloten mit ihren Frauen und zwei Kindern nach gelungener Flucht in Groß­britannien ein.

RANGUN. Aufständische Karen haben nach einem Bericht der burmesischen Regierung an der Südküste von Burma ein ganzes Dorf zer­stört, indem sie die Häuser in Brand setzten; 14 Dorfbewohner wurden getötet.

NEW YORK. Die Anzahl der Fernsehempfän­ger hat in den USA im Laufe des September die 7-Millionen-Grenze überschritten. Damit kommt u ie 20 Einwohner ein Fernsehapparat.

MOMBASSA (Kenia). Im Hafen von Mom- bassa ertranken am Mittwoch 15 Teilnehmer an einer Hochzeitsfeier, als ein Omnibus von einer Fähre in das etwa 5 m tiefe Wasser stürzte. Un­ter den geretteten acht Personen befanden sich Braut und Bräutigam.

Um die Gewerbefreiheit. In Ergänzung zu unserem Bericht über die Landtagssitzung vom Dienstag stellen wir fest, daß der Abgeordnete Schwarz (CDU) sich nicht dafür ausgesprochen hat, die Zulassungsbestimmungen für selb­ständige Gewerbetreibende generell zu lockern, sondern nur Erleichterungen zu ermöglichen für Heimkehrer.

Für Acht-Mächte-Enlschließung

Sowjetischer Korea-Plan abgelehnt LAKE SUCCESS. Der erste politische Aus­schuß der UN-Vollversammlung nahm am Mittwoch mit 47 gegen 5 Stimmen bei 7 Ent­haltungen den Acht-Mächte-Entschließungs- entwurf zur Koreafrage an, der der UN-Voll­versammlung empfiehlt, alle Maßnahmen zur Bildung einer einheitlichen demokratischen und unabhängigen Regierung für ganz Korea zu treffen. Dieser Plan soll noch diese Woche der Vollversammlung zur Entscheidung vor­gelegt werden. Mit der zu erwartenden An­nahme würden die UN-Truppen stillschwei­gend die Ermächtigung erhalten, den 38. Breiten­grad zu überschreiten.

Der sowjetische Koreaplan wurde mit 46 gegen 5 Stimmen bei 8 Enthaltungen abge­lehnt. Dasselbe widerfuhr einem indischen Antrag, der die Ueberprüfung aller Korea­resolutionen vorschlug.

Staksen schreibt Stalin

Bitte um eine Unterredung

WASHINGTON. Der Führer der Republi­kaner und Präsident der Universität von Pennsylvanien, Harold E. S t a s s e n, hat sich in einem Brief an Stalin gewandt und darin diesen um eine Zusammenkunft gebeten. Auf einer Pressekonferenz erklärte Stassen am Mittwoch, seine Absicht sei es, den Weg zu einer Zusammenkunft zwischen Stalin und Mitgliedern des Politbüros einerseits und ihm sowie vier oder fünf anderen führenden Mit­gliedern der amerikanischen Bürgervereini­gungen andererseits freizumachen. In dem Schreiben wurde Stalin aufgefordert, die ge­genwärtige sowjetische Politik zu ändern und den Weg zum Weltfrieden und der Freiheit für die Menschheit zu beschreiten.

Stassen hatte bereits vor dreieinhalb Jahren einmal eine ähnliche Zusammenkunft mit Sta­lin.

Beamte als Abgeordnete

Stuttgarter Landtag regelt Wählbarkeit

Stuttgart. Der württemberg-badische Landtag hat mit Mehrheit beschlossen, das Landtagswahlgesetz ohne die von der alliier­ten Hohen Kommission beanstandeten Bestim­mungen zu verkünden. Gleichzeitig ist durch ein neues Gesetz die Frage,der Wählbarkeit der Beamten geregelt worden. Danach gelten Beamte und Angestellte des Landtags, die eine Wahl zum Landtag annehmen, für die Dauer ihrer Mitgliedschaft im Landtag als beurlaubt. Während dieser Zeit ruhen ihre Rechte und Pflichten. Sie erhalten in dieser Zeit keine Dienstbezüge. Sobald ihre Abgeordnetentätig­keit endet, treten sie wieder in ihre Rechte und Pflichten ein. Andererseits können Mitglieder des Landtags während der Dauer ihrer Mit­gliedschaft auch nicht Beamte und Angestellte des Landes werden. Von den Einschränkungen sind Lehrer, Hochschullehrer, Ehren- und Wahlbeamte ausgenommen.

Abgeordneter Leibrandt (KPD) stellte fest, daß der Landtag vor der Hohen Kommission kapituliert habe. Vor wenigen Wochen habe man noch große Worte gebraucht und habe gesagt:Es komme was da wolle, wir werden uns nicht beugen.

Gefährliche Eishockeyspieler

PRAG. Gegen mehrere prominente tschecho­slowakische Eishockeyspieler hat vor dem Staatsgerichtshof ein Prozeß begonnen, über dessen Anklage nichts bekannt ist. Nicht ein­mal die Zahl der Angeklagten kennt man. Wie aber verlautet, sind die Eishockeyspieler im März dieses Jahres verhaftet worden, weil sie den Beschluß der tschechoslowakischen Regie­rung öffentlich kritisiert haben, die Meldung zu den Eishockeymeisterschaften in London zurück^uziehen. Sie sollen außerdem öffentlich erklärt haben, daß sie aus London nicht wie­der nach der Tschechoslowakei zurückzukehren die Absicht hätten.

Tk. fHaßuded idgte* Sjud

Roman ainat Dämons von Norbart Jacques

23] Copyright by Hoffjnann und Campa Varlag, Hamburg

Er war nun nicht nur Ergründer und Mit­teiler, sondern Schöpfer dieser abgründigen, seltsamen und geheimnisvoll verwegenen Per­sönlichkeit, die über die allgemeine Zerstö­rung des Hirns hinaus einen Trieb in sich lebendig zu halten vermochte.

Born benötigte nun zu seinem Vortrag keine Notizen mehr. Er war auf die tiefen und dunk­len Beziehungen gekommen, die zwischen ge­sundem und krankem Hirn bestanden... Er legte dar, wie etwas, das bisher eine klare, glatte Grenze war, auf einen Reiz, hin, gesandt von einer nicht zu ermittelnden Zentrale, im nächsten Herzschlag sich zu verwischen be­ginnt und das Individuum aus der Gemein­schaft der Normalen ausscheidet... wie diese allmächtige Kraft, in einer Laune Gutes und Böses schaffend, dem Betreffenden die Er­kenntnis des eigenen Zustandes vorenthält... und daß es gegen das Wirken der geheimnis­vollen Kraft keinen Schutz und kein Heilmit­tel gab ... daß wir Menschen ihrer Tyrannei ausgeliefert und unentrinnbar zu Taten ge­zwungen werden, die wir in normalem Zu­stand niemals begangen hätten ... Schuldlose aus der Gemeinschaft der Gesellschaft auszu­stoßen ... weil ein Teufel die Funktion eines winzigen Gehimganges störte.

Das verhängnisvolle sei daran: je näher ein Gehirn dem Genialen sei, um so leichter habe es der böse Geist, das Pünktchen zu treffen, von dem aus auf einmal die ordnende und sammelnde Kraft in Verwirrung gestürzt wer­den könne.

Born sprach bald, ohne daß ihm seine Ge­danken klar bewußt wurden. Er redete wie

aus dem Unmittelbaren eines tiefen und schöpferischen Prozesses in seinem Innern. Seine Zuhörer fühlten sich von dieser gespen­stigen Unmittelbarkeit der Mitteilung mit Schauem übergossen, und als Born, ohne zu wissen weshalb, am Ende der vorgenomme­nen Redezeit aufhörte, wagte niemand sich zu erheben.

Er selber stand oben noch lange Sekunden abwesend stumm, und dann war es, als er­wache er aus einem Traum. Dieses Erwachen vollzog sich so, daß er sah, wie eine zweite Erscheinung seiner Persönlichkeit, die sich neben ihm aufgestellt hatte in ihn zurückzu­schlüpfen begann. x

Als sich die beiden Bilder vollkommen deck­ten, gewann er das klare und eindeutige Be­wußtsein zurück.

Das ist nicht möglich! beschwor er sich im stillen,wenn das wahr ist, was ich gesehen habe, dann bin ich nicht mehr ich ... sondern geisteskrank, persönlichkeits-gespalten, im Dämmerzustand lebend ... nein, ich bin nur, weil ich diese Zustände an meinen Kranken so gut kenne, übersensitiv geworden und kann mit Willen und Absicht mein Ich teilen... es ist ganz harmlos, wenn auch sehr originell: ich bin vermutlich der einzige Mensch, der mit wissenschaftlichen Mitteln in klarer Er­kenntnis einen Zustand des eigenen Ichs her­beiführen kann, der sonst nur als Symptom einer Geisteskrankheit vorkommt.

Ich weiß wohl zuviel, ich sehe zuviel, und der Mechanismus der Doppelexistenz ist für mich so leicht zu handhaben, daß ich nun eigentlich auch imstande sein müßte, die un­willkürliche, also krankhafte Form des Zu­stands zu korrigieren, zu heilen. Ich muß jetzt eine genau bestimmte Therapie finden ... nun, das hat noch Zeit, die Hauptsache ist, daß ich meine Fähigkeit kontrollieren kann, wenn es auch in einer Art von Selbsthypnose geschieht, grundsätzlich verschieden von der zerstören­den Macht, die Menschen geisteskrank werden

läßt. Es ist etwas Ungeheuerliches, was mir da gelungen ist... ich muß vorsichtig sein, darf es nicht zu früh preisgeben ...

Gefaßt, beinahe stolz sah er über die Menge der Zuhörer hinweg, dann verbeugte er sich hastig und verließ das Podium. Nun erst war auch von den Zuhörern der Bann genommen.

Professor Born hatte einen dunkelblauen Viersitzer, den er selbst steuerte und für alle Ausgänge in die Stadt benutzte. Als er zu diesem Wagen kam, der stets an einer be­stimmten Stelle, etwas entfernt vom Eingang parkte, stieß ihn der Anblick zweier Damen, die auf einmal darin saßen, aus dem benom­menen Sinnen, das ihn noch immer an das Erlebnis seines Vortrages band.

Helli und die Lara begrüßten ihn. Gestört in seinem Zustand durch die unvorherge­sehene Anwesenheit der beiden Damen, grüßte er hastig und etwas zerstreut zurück, horchte bei der Vorstellung der berühmten Tänzerin nur halb hin, schaute auch kaum auf und setzte sich ans Steuer.

Helli und die Lara saßen hinten. Immer noch eingesponnen in das Erlebnis beim Ende seiner Vorlesung, verrichtete er mechanisch die notwendigen Griffe, um den Wagen in Gang zu bringen. Der Motor lief. Die Kuppe­lung griff ein, und Born ließ den Wagen sofort mit einer gefährlichen Schnelligkeit durch die Straßen laufen. Ihn überkam dabei ein phan­tastisches Gefühl, als setzten dieser Wagen und dieses Tempo ihn instand, vor sich selbst davonzulaufen.

Zufällig blickte er in den Spiegel über der W indschutzscheibe.

Er erschrak.

Er sah in dem Spiegel, wie ein Paar großer, fast achatgrauer Augen unmittelbar in die sei­nen schauten, und sie taten es mit dem lächeln­den Ausdruck eines Einverständnisses, das schon lange zwischen ihm und der Frau be­stehe.

Nur eine Sekunde lang lagen seine Blicke

tief in denen der fremden Frau. Dann, in­mitten eines Blutschwalls, der sein Gesicht rot machte und sein Herz zu schnellen Schlä­gen antrieb, wandte er sich ab und richtete seine Augen wieder starr auf die Fahrbahn.

In diesem Augenblick wußte er wieder, daß es in der Welt Frauen gab. Das hatte er in den letzten Jahren vergessen.

Es drängte ihn, nach Hause zu kommen und neben dieser blonden, grauäugigen Frau zu sitzen, ihre Stimme zu hören und sie anzu­sehen. Zum Glück überredete Helli sie gerade, zum Tee in die Villa mitzufahren.

Als er vor dem Eingang zum Haus die Tür des Wagens vor ihr öffnete und sie aussteigen ließ, war das helle Kobaltblau ihres Kleides im Grau der Stadt von einem erregenden Schimmer. Er sah auch das blaue Hütchen mit dem weißen, rückwärts geneigten Reiherstoß wie ein Blumenblatt auf dem kornblonden Haar liegen. Es schien ihm von einer lieblichen Keckheit. Aber er wagte es nicht wieder, in diese Augen zu schauen, in die achatgrauen Augen, deren Schimmer und Glanz ihn vorhin im Spiegel des Wagens so unvermutet und zärtlich angesehen hatten.

Als sie dann in dem großen Zimmer saßen und die Lara den Hut abgenommen hatte, sah er, daß dieses Haar wie ein Flaum von golde­nem Moos war. Am Beginn des seitlichen Scheitels besonders hatte es eine übermäßige Feinheit, betont hoch durch die spielenden Lichter der Farbe. Nie hatte er solches Haar gesehen.

Es kam ihm plötzlich die Vorstellung, er bleibe in ihrem Haargeflecht wie in einer Falle hängen, und er lächelte unwillkürlich, ja wider Willen, denn es war eher eine große Traurig­keit, die ihn ergriff, als eine Stimmung, die Anlaß zum Lächeln gab.

Die Lara schaute ihn fragend an.

Weshalb ich lächle, wollen Sie wissen?" und er sagte ihr, was er eben empfunden hatte. (Fortsetzung folgt)