8. Jahrgang

MITTWOCH, 4. OKTOBER 1950

Nummer 154

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\.

Verbinden Sie mich mit Doggerbank

An

Deutsche Fischdampferflotte wiederim Kommen br. BREMERHAVEN. (Eig. Bericht) der deutschen Nordseeküste sind die

Fischdampfer und Logger auf dem Herings­fang. Auf den Hauptfangplätzen, dem Fladen­grund und der Doggerbank, herrscht Hochbe­trieb. Der Hering hat abgelaicht. Die Schwär­mestehen, wie die Fischer sagen, jetzt in verschiedenen Tiefen. Bei Tag bevorzugen sie die Nähe des Meeresbodens, gegen Abend stei­gen sie höher an die Wasseroberfläche. Der Kapitän eines Heringsdampfers hat es nicht schwer, den Schwarm festzustellen. Das Echo­lot zeigt ihm die Schwärme an, aber meistens wissen die Männer an Bord auch ohne die mo­dernen Hilfsmittel der Technik, welches Netz, Grund- oder Schleppnetz, sie auswerfen müs­sen.

Wer einmal eine Fangreise mitgemacht hat, wird die Bilder und Eindrücke nie wieder ver­gessen können. Während des Fangs ist für die Mannschaft das Wort Schlaf aus dem Wort­schatz gestrichen Schlafen kann man, wenn man in Altona, Hamburg oder Cuxhaven An­ker geworfen und dieLadung, in diesem Falle einen Schiffsbauch voll Heringe, gelöscht hat. Tag und Nacht surren während der Reise die Seilwinden. Die Männer stecken in hohen Gummistiefeln und warmen Wollsweatern, Oelmäntel und Südwester schützen vor Bre­chern und auf Deck einströmendes Wasser. Der Heringsfang hat seine eigeneStrate­gie. Alte Fischdampferkapitäneriechen den Hering auf Meilen, sie wissen genau, wie die Schwärme ziehen, wo der beste Hering zu fin­den ist, wie lange sie das etwa 810 m lange, mit einer Stahlkugel beschwerte Schleppnetz schleppen müssen. Sie wissen auch genau, wann es Zeit ist, es mittels Seilwinde herauf­zuhieven, um denHol zu bergen.

Erregend der Augenblick, wenn das gefüllte Netz im Kielwasser des Schiffes auftaucht. Dann befiehlt der Kapitän den Maschinisten durch das SprachrohrMaschine stop. We­

nig später hebt die Seilwinde das Netz, in dem es silbrig durcheinanderkribbelt, ruckweise an Deck. Dort stehen die Fischer mit einem arm­starken Tau bereit, umabzubinden, d. h. das Netz wird wie der Darm einer Wurst in mehreren Etappen abgebunden und entleert Die Heringe ergießen sich buchstäblich! . auf das Vorschiff, wo sofort damit begonnen wird,dieBlindgänger, Makrelen, Kabel­jau, aber auch Tintenfische und was die Nordsee an bekanntem und unbekanntem Ge­tier ausspeit, auszusondern. Andere Männer spritzen den Hol mit Schläuchen fein säuber­lich ab und schaufeln ihn mit Netzschaufeln durch eine kreisrunde Oeffnung an Deck in den Fangraum. Dort vollzieht sich dann der letzte Akt, das Salzstreuen. Der Fisch muß unter allen Umständen frisch auf den Markt geliefert werden. Deshalb darf eine Fangreise in den meisten Fällen den Zeitraum von ei­ner Woche nicht überschreiten.

Das Leben an Bord der Heringsdampfer und Logger ist hart. Die Arbeitskraft jedes Man­nes wird auf das äußerste beansprucht. Es gibt keine Ruhe. Sobald das Netz entleert ist, wird es wieder in die Tiefe versenkt und die Fangreise fortgesetzt. Kaum hat Jan Maat Zeit, die nassen Sachen abzulegen und trete­st iet aus Pari s:

kene anzuziehen. Wenn er sich dann zwei Stunden aufs Ohr legen kann, in der Koje, die wie ein Schrank in die Mannschaftskabine eingebaut ist, so ist das schon sehr viel. Erst wenn der Käptn den Fang abbricht und Be­fehl gibt, den Hafen anzulaufen, wird es ruhi­ger an Bord.

Auf einer Fangreise nach der Doggerbank lange vor dem Kriege hörte ich einmal den Käptn einen entsetzlichen langen, fürchterli­chen Fluch ausstoßen. Es schien mir der schlimmste Fluch aller Zeiten zu sein. Was war geschehen? Das Schleppnetz war geris­sen, hatte sich in der Seilwinde verheddert, ein Hol (einige Tonnen Heringe) war verlo­ren. Es dauerte Stunden, bis das Netz wieder klar war.

Wenn es dann heimwärts geht, hat sich der Kapitän längst mit seinem Reeder verständigt, wo der Fisch angelandet werden soll. Heute stehen die modernsten Nachrichtenmittel im Dienste des Fischfangs. Von seinem Schreib­tisch aus kann der Reeder sich mit dem Ka­pitän des Heringsdampfers, der auf der Dog­gerbank kreuzt, mittels Sprechfunk über das Ergebnis des Fangs unterhalten und ihm An­weisungen erteilen. Er braucht nur beim Fern­amt ein Gespräch mit dem gewünschten Schiff anzumelden. Das Fernamt ruft die Küsten­funkstellen Norddeich oder Weser-Elbe und diese stellen dann die Funk-Sprechverbindung her.

Douceur de la vie M in der Verteidigung

Der erste französische Herbst ohne Streiks / Kampf um die Zentralheizung

PARIS (f). Die Amerikaner, Engländer, Schweizer und Belgier, also die Hauptkontin­gente des auch in diesem Jahr durch Paris fließenden Fremdenstroms, treten langsam den Rückzug an. Der Sommer war ziemlich ver­regnet und der Herbst verspricht bisher nichts Besseres. Die Pariser selbst haben sich auf dem Lande genügend gelangweilt, um ihre alte Stadt auch bei Regenwetter wieder schön

Teure Damen

Millionen von Devisen für Damenstrümpfe /Von Alexander Michels

zu finden. Vor den Restaurants bauen sich wie­der die Austern- und Schneckenstände auf, die etwa die Funktion der Würstchenbuden in Deutschland haben. Die Caföterrassen werden wieder mit Glaswänden umgeben und bald werden die kleinen rauchenden Oefchen wie­der angezündet, die den Parisern erlauben, ihren Aperitif auf der Straße zu trinken und dennoch nicht allzusehr zu frieren. In den gro­ßen Wohnblocks aber hat der alljährliche Streit zwischen den Mietern und dem Concierge um die Inbetriebnahme der Zentralheizung be­gonnen.

Die Offensive der Preise

Es gibt nichts Schöneres als ein wohlbe- strumpftes Frauenbein, sagte einmal Mau­passant. Frankreichs liebeserfahrener Roman­cier und Novellist. In der Tat scheinen die Damen der ganzen Welt, auch wenn sie die­sen Ausspruch des Dichters nicht kannten, die Erfahrung gemacht zu haben, daß die Herren der Schöpfung schöne Strümpfe an schönen Beinen beifällig aufnehmen. Auch heute noch gilt in sogenannten besseren Kreisen die An­sicht, daß eine Frau ohne Strümpfe nur halb angezogen ist.

Um so schmerzlicher empfanden es die deutschen Frauen, daß nach dem Kriege die­ses begehrenswerte Kleidungsstück ein rarer Artikel war. Man schätzt den Jahresbedarf an Damenstrümpfen in Westdeutschland, auf fünf Paar je Frau. Das bedeutet, daß in Westdeutschland etwa 90 Millionen Paar Strümpfe jährlich benötigt werden. Demge­genüber konnte jedoch die deutsche Strumpf­industrie 1949 insgesamt nur 3,5 Millionen Paar Damenstrümpfe herstellen. Hierbei muß allerdings berücksichtigt werden, daß vor dem Kriege die deutsche Strumpffabrikation sich vornehmlich auf den Raum von Sachsen, und hier wiederum in erster Linie auf Chem­nitz, konzentrierte. Alleindie Chemnitzer Strumpffabriken erreichten 1938 eine Pro­duktionszahl von 276 Millionen Paar, wovon über 25 Prozent ins Ausland exportiert wurden.

Für den westdeutschen Bedarf sind diese Gebiete durch die Zweiteilung Deutschlands weggefallen. In Westdeutschland sah man sich daher vor die Notwendigkeit gestellt, in möglichst kurzer Zeit eigene Fabrikations­anlagen für Damenstrümpfe aufzubauen. Bis­her lag der Schwerpunkt der westdeutschen Strumpffabrikation, die sich quantitativ na­

türlich nicht mit der Sachsens messen konnte, im Sauerland und in Süddeutschland. Die dor­tigen Betriebe waren jedoch zum größten Teil veraltet und daher in ihrer Produktion un­rentabel, weshalb man gezwungen war, mo­derne Cotton-Maschinen aus den USA zu kaufen. In den letzten Jahren haben aber auch deutsche Firmen, so vor allem in München, Stuttgart, Wiesbaden und Göttingen, die Her­stellung von Cotton-Maschinen aufgenommen.

Trotz dieser Bemühungen betrug die Pro­duktion von Damenstrümpfen in Westdeutsch­land im vergangenen Jahr, wie bereits er­wähnt, nur 3,5 Millionen Paar. Um den Be­darf, der durch die vorangegangenen Kriegs­und Nachkriegsjahre verständlicherweise au­ßergewöhnlich hoch war, auch nur einigerma­ßen decken zu können, mußten fast 50 Mil­lionen Paar Damenstrümpfe aus dem Aus­land eingeführt werden. Daß ein solcher Im­portbedarf bei der an sich schon sehr ange­spannten Devisenlage Westdeutschlands auf die Dauer nicht tragbar ist, leuchtet jedem ein, dürfte jedoch nichts an der Tatsache än­dern, daß Westdeutschland im kommenden Jahr trotz aller Anstrengungen höchstens 20 Millionen Paar Strümpfe herstellen kann. Damit würde für jede westdeutsche Frau jähr­lich ein Paar Strümpfe aus eigener Produk­tion zur Verfügung stehen. Die übrigen be­nötigten vier Paar müssen dann noch immer eingeführt werden. Erst in etwa zehn Jahren wird die westdeutsche Strumpfindustrie so­weit sein, 90 Millionen Paar Damenstrümpfe herstellen zu können.

Da die Damen aber auf ihr Mindestquan­tum von fünf Paar Strümpfen im Jahr kaum verzichten werden, bleibt den Bundesbehör­den nichts anderes übrig, als weiterhin tief in den Devisensäckel zu greifen.

Kein Grund anzunehmen, daß die Mieter in diesem Jahr erfolgreicher sein werden als in allen vorhergehenden. Die Conciergen, die nach einmütiger Aussage aller Mieter notorisch faul sind, verschieben die zentrale Beheizung der Häuser mit allen ihnen zur Verfügung stehen­den Machtmitteln so lange wie irgend möglich und frieren lieber selber, als einen Tag zu früh die Kohlenschaufel in die Hand zu nehmen. In diesem Jahre haben sie das besondere Ar­gument, daß die Kohlenpreise wieder gestie­gen sind, ein Argument, das bei den sparsa­men Franzosen immer Zugkraft hat. Zumal auch andere Preise plötzlich davonzulaufen drohen. Die Butter, die Textilien, die Schuhe, das Gemüse, das Fleisch, alles scheint sich zu einer konzentrischen Preiserhöhungsoffen­sive gegen den Verbraucher zusammenge­schlossen zu haben. Teils führen sie jahres­zeitliche Argumente ins Feld, teils den Krieg in Korea, teils die Spekulation, die in solchen Fällen immer als Sündenbock herhalten muß, die Regierung aber, die allsonntäglich durch zahlreiche Minister ihren unbeugsamen Wil­len kundgibt, die Preise zu halten und dabei die Löhne noch zu erhöhen, tut sich schwer und erntet nur Mißtrauen.

Eins ist jedoch sicher. In den letzten drei Jahren brachte der Herbst den Franzosen re­gelmäßig große Streikbewegungen, die nicht nur die industrielle Produktion ernsthaft be­hinderten, sondern auch die Hausfrauen und die Arbeiter selbst, die bald kein Gas oder kein Licht, bald keine U-Bahn und keinen Omnibus hatten. In diesem Jahr spricht noch niemand von Streik, obwohl der traditionelle Streikmonat, der Oktober, schon begonnen hat. Die kommunistischen Gewerkschaften schei­nen eingesehen zu haben, daß der französi­sche Arbeiter streikmüde geworden ist. Erstens

Kleinigkeiten

Gesammelt von Rüdiger Boschmann

Gefühlsmensch

In St. Joseph, USA, brach ein Dieb in der Nacht ins Poldzeigebäude ein. Er ließ alles un­berührt, bis auf den Eckstein des alten Gefäng­nisses, der dort als Erinnerungsstück aufbewahrt wurde. Den alten Stein nahm der Dieb mit.

Selbstmörder

In Buffalo wurde ein junger Mann verhaftet, als er versuchte, mit einem Polizeistreifenwagen davonzufahren. Er hatte statt auf den Starter auf die Alarmsirene gedrückt.

Mit Zinsen

In Albuquerque verweigerte eine Bank einem Antragsteller eine Anleihe von 300 Dollar. Der Mann zog eine Pistole aus der Tasche, beraubte die Bank um 378 Dollar und ging davon.

Talent

Ein gutaussehender junger Mann erschien kürzlich in Wetumka (2500 Einwohner) und er­klärte, er sei der Reklamechef vonBohns Ver­einigter Zirkusschau. Die Pfadfindergruppe des Ortes verteilte Reklamezettel für ihn. Das Meadors Hotel reservierte . 20 Zimmer für die Zirkusleute, ein Laden bestellte 100 Pfund Würstchen, ein großer Haufen Heu für die Ele­fanten wurde auf Anweisung des jungen Mannes angefahren und Coca Cola Co. fuhr einige Dut­zend Kästen mit Limonade herbei. Mr. Morrison, so hieß der Zirkusagent, verkaufte für 250 Dol­lar Reklame für Geschäfte und Wirtschaften in der Zirkusschau. Zwei Aerzte behandelten ihn für Freikarten. Da er sich so sehr um das Wohl der Geschäftsleute der Stadt bemühte, stiftete das Meadors Hotel ihm ein Freizimmer und eine Gaststätte stellte ihm freie Mahlzeiten zur Verfügung. Eines Tages war Mr. Morrison ver­schwunden. Der Zirkus kam nie. Die Bewoh­ner von Wetumka ärgerten sich nicht zu lange. Sie erklärten einen Tag zumSchildbürgertag und aßen ihre Würstchen auf.

Gummi

Kaugummi ist eines der besten Geschäfte in der amerikanischen Industrie. Ueberall, wo GIs ihre Kulturspuren hinterlassen haben, kaut die Bevölkerung der Länder. Nach Japan ahein exportieren die Kaugummifabrikanten jede Woche .25 Tonnen Gummi. Die Kaugummiindu­strie hat einen jährlichen Umsatz von über 900 Millionen Dollar. SogenannterBlasen- Kaugummi verkauft sich am besten. Aus sol­chem Gummi können zwischen den Zähnen Blasen gepustet werden, die so groß wie Luft­ballons sind. Bei Wettbewerben haben die Teil­nehmer zehn Sekunden Zeit zum Kauen und zwei Minuten Zeit zum Blasen. Dann wird fest­gestellt, wer den größten Ballon produziert hat.

weil sich seine Lebenshaltung im letzten Jahre zweifellos gebessert hat, zweitens weil die Lohnfestsetzung nicht mehr durch den Staat erfolgt, sondern zwischen Gewerkschaf­ten und Unternehmerverbänden frei und, wie die letzten Monate bewiesen, nicht ohne Er­folg ausgehandelt wird, drittens aber weil Ko­rea mit all seinen Folgen den Kommunisten doch Abbruch getan hat, die mehr und mehr auch in der französischen Arbeiterschaft als mitschuldig an der neuen Militarisierung des Lebens angesehen werden.

Panzer statt Autos

Der Franzose ist ja von Natur aus kein Mi­litarist. Diesmal aber kam der Zwang zur Auf­rüstung gerade in dem Augenblick, in dem sich Frankreich vom letzten Krieg sichtbarer­holt hatte. An nichts war mehr Mangel, der französische Franken hätte über Nacht wieder zu einer Goldwährung werden können und die lang verlorenedouceur de la vie, dieSüße des Lebens, war schon wieder greifbar nahe. Jetzt werden Traktoren- und Autofabriken auf Panzerwagen umgestellt, Kautschuk wird knapp, das Benzin wird schlechter, die Gold­kurse steigen wieder und alles zittert vor der Inflation.

Dennoch, seit langem der erste Herbst ohne Streik. Man hat also auch Grund zu Optimis­mus. Und man hat wieder etwas zu verteidi­gen. Die Franzosen sehen es wohl. Und im Grunde nehmen sie ihre Klagen selbst nicht gar so ernst. F.

Monika

Von Fried! Eidens

Monika wohnt in einem Barockschloß. Aber wenn sie aus dem Zimmer ins Freie will, muß sie über eine Art Hühnerleiter klettern. Die Mutter sagt, das ist eine Notwohnung. Es sind viele Notwohnungen in dem großen alten Schloß. Monika weiß nicht, was für ein Un­terschied zwischen einer Notwohnung und ei­ner richtigen Wohnung ist. Seit sie mit ihren kleinen stämmigen Füßen auf der Erde steht, hat sie manche Wohnungen gehabt, in Baracken und Schlössern, nur kein Zu­hause, sagt die Mutter, aber das versteht Monika erst recht nicht. Sie ist überall zu Hause, ihr Herz schlägt in jeder grünen Wiese unter Gottes Himmel Wurzel. Seit ei­nem halben Jahr geht Monika in die Schule, da sitzen sie alle beieinander, die Dorfkin­der und die Fremden, sie lernen dasselbe i und dasselbe u, sie spielen dieselben Spiele, und im Sommer laufen sie alle barfuß, da gibt es wenig Unterschied.

Monika, sagte die Mutter,ich meine, wir könnten dein Bettchen hergeben? Monika macht entsetzte Augen.Warum? fragt sie. Weil die Frau nebenan ein Kind bekom­men hat. jetzt sind es drei, und sie haben nur ein Bett. Und du bist schon so groß, daß du auf der Couch schlafen kannst. Monika schweigt. Sie legt die Hände auf ihr Bett, sie liebt es sehr. Jeden Abend spannt sie eine Schnur um den Pfosten und kutschiert damit ins Traumland.Vielleicht bin ich doch noch zu klein, sagt sie und kämpft mit Tränen.

Aber die Mutter «steht am Fenster und hört nichts.Komm, flüstert sie und winkt, ganz leise! Und dann hebt sie Monika auf die Fensterbank und zeigt in das dichte Ge­büsch draußen, das an der Mauer hochrankt. Gerade unter dem eisernen Gitter ist ein Rotschwänzchennest, man sieht nur vier win­zige gelbe Schnäbel, die sich plötzlich mit

verlangendem Geschrei aufsperren. Das Rot­schwänzchen sitzt im Baum gegenüber und äugt, mit einem schnellen Flügelschlag ist es beim Nest und füllt die aufgerissenen Schnä­bel und ist wieder fort.

Monika ist still, in ihren braunen Augen sind goldene Pünktchen, die leuchten. Sie faßt nach der Hand der Mutter.Mama, sagt sie, Mama, ich möchte beten. Die Mutter schließt beide Hände um das kleine heiße Gesicht. Warum?Daß alle Kinder auf der Welt ein Bettchen haben.

Berlin - ParisLondon

In Berlin mit dem Autobus zu fahren, ist ein Abenteuer: Während der Hauptverkehrs­zeit warten oft zehn, fünfzehn Menschen an einer Haltestelle. Kommt ein Wagen angerollt, dann drängt sich jeder so nahe als möglich an die Stelle des Bordsteins, wo er halten wird. Nur wer der Plattform am nächsten steht, hat Aussicht, sein Ziel zu erreichen. Sobald fünf oder sechs Personen ausgestiegen sind und sich durch den Haufen der Warten­den gepreßt haben, kommt Bewegung in ihn: Zuerst steigt der Stärkste ein, dann der Flink­ste, dann der Dickste. Während noch zwei oder drei Normalmenschen nachfolgen, ruft der SchaffnerBesetzt! und drückt auf den Knopf. Manchmal springt noch ein Beherzter auf, wenn er einen Anpfiff riskiert. Alle üb­rigen warten verärgert darauf, bei einem der nächsten Wagen mehr Glück zu haben. Wenn er ankommt, dann s. o.! Das Geheim­nis ist: Tempo!

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In Paris mit dem Autobus zu fahren, ist ein Rechenexempel: Kommt man an die Hal­testelle, so reißt man sich aus dem dort ange­brachten Kästchen einen Zettel ab, so groß wie zwei Briefmarken. Auf ihm steht eine Nummer. Hält ein Wagen, ganz gleich, wel­cher Linie, so läßt sich der Schaffner von ir­gend jemand eine Nummer zeigen und ruft

sie auf. Wer eine Zahl unter ihr hat, steigt züerst ein, wer darüber ist, folgt nach. Dabei zählt jeder Wartende von selbst mit. Wer vor demBesetzt! der Letzte ist und ent­täuscht wird, weil er gerade nicht mehr mit­kommt, hat zugleich seinen Trost: Er weiß genau, daß er am nächsten Wagen der Erste sein wird. Alle Umstehenden, oft dreißig Personen, merken sich, daß er vor ihnen seine Nummer vorzeigen wird und warten, bis ihre Zahl aufgerufen wird. Jedermann kennt dieses Verfahren und findet es praktisch. Das Prin­zip lautet: Vernunft!

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In London mit dem Autobus zu fahren, ist ein Erlebnis: Es gibt weder Drängelei noch Bons. Wer einsteigen will, stellt sich an der Haltestelle genau hinter seinen Vordermann in eine Doppelreihe, zieht seine Zeitung her­aus oder unterhält sich mit seinem Nachbar, bis er ganz vorne angekommen ist. Je mehr der Verkehr zunimmt, desto länger wird die Schlange, die sich genau am Rand des Geh­steigs bildet und keinen Fußgänger behindert. Manchmal wächst sie bis auf hundert oder mehr Personen an, oft nimmt sie ab bis auf drei oder vier. Ohne ein Wort zu verlieren, steigt ein, wer an der Reihe ist. Eine Vor­schrift für dieses System gibt es nicht. Des Rätsels Lösung heißt: Höflichkeit! H.

Kulturelle Nachrichten

Das Kunsthaus Fischinger in Stuttgart, Eßldnger Straße, veranstaltet bis zum 26. 10. 1950 eine Kollektivausstellung des Malers Georg Gustav Schopf.

Der Schauspieler Attila Hörbiger und der Regisseur Gustav U c i c k y, die am Freitag mor­gen bei Stuttgart mit dem Kraftwagen verun­glückten, werden voraussichtlich in etwa 14 Ta­gen aus dem Krankenhaus entlassen werden können, da sich ihr Befinden wesentlich gebes­sert hat.

Für den Bücherfreund

A. E. Brachvogel, Friedemann Bach- Hera-Verlag, Berlin und Hamburg. 294 S. Volksausgabe.

Der berühmte Roman über Aufblühen und Welken des Ruhmes von Johann Sebastian Bachs genialstem Sohn ist von Carl Peter Rauhof überarbeitet worden. Die packende Gestaltungs­kraft Brachvogels wird auch heute, zumal im Bachjahr, seine Wirkung nicht verfehlen.

Autosuggestion und Handlesekunde

Emil Schlunck, Autosuggestion (Selbst­beeinflussung), ein Weg zur Selbstheilung und Gesundung. Alwin Fröhlich Verlag Hamburg 1930. 144 S.

Auf Grund eigener Erfahrung sieht es der Verfasser als nützlich an, die Autosuggestion in den Dienst der Persönlichkeitsbildung zu stellen. Er versucht Anregungen zu geben und Wege zu weisen.

Pari Bauer, Die Sprache der Hände; Hans E. Günther Verlag, Stuttgart, 1950. 84 S. Text und 27 ganzseitige Abbildungen auf Kunst­druckpapier.

Während wir der Graphologie wissenschaftli­chen Rang zuerkennen, stehen wir der Hand­lesekunst stets etwas skeptisch gegenüber. Das liegt nicht zuletzt daran, daß dieses Gebiet bis­her Tummelplatz des Dilettantismus war. Dr. Paul Bauer, der auch das Buch:Der moderne Aberglaube und seine Ueberwindung verfaßt hat, versucht sachlich herauszustellen, was an der Sache dran ist. Chirologie und Chiromantie wer­den gegeneinander abgegrenzt. h

Der öffentliche Dienst

Kurt Oppler und Erich Rosenthal- P e 11 d r a m , Die Neugestaltung des öffent­lichen Dienstes; Verlag Kommentator GmbH: Frankfurt/Main 1950. 75 S.

Auf wichtige Fragen des öffentlichen Dienstes wird in der vorliegenden Schrift hingewiesen. Die Verfasser haben mit Absicht auf eine zu­sammenfassende Schau verzichtet, um das Wich­tige nicht im Vielen ertrinken zu lassen. Das Institut zur Förderung öffentlicher Angelegen­heiten, das die Herausgabe besorgt hat, möch­te mit dem Buch eine Diskussion anregen.