8. Jahrgang
MITTWOCH, 4. OKTOBER 1950
Nummer 154
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\.
„Verbinden Sie mich mit Doggerbank“
An
Deutsche Fischdampferflotte wieder „im Kommen“ br. BREMERHAVEN. (Eig. Bericht) der deutschen Nordseeküste sind die
Fischdampfer und Logger auf dem Heringsfang. Auf den Hauptfangplätzen, dem Fladengrund und der Doggerbank, herrscht Hochbetrieb. Der Hering hat abgelaicht. Die Schwärme „stehen“, wie die Fischer sagen, jetzt in verschiedenen Tiefen. Bei Tag bevorzugen sie die Nähe des Meeresbodens, gegen Abend steigen sie höher an die Wasseroberfläche. Der Kapitän eines Heringsdampfers hat es nicht schwer, den Schwarm festzustellen. Das Echolot zeigt ihm die Schwärme an, aber meistens wissen die Männer an Bord auch ohne die modernen Hilfsmittel der Technik, welches Netz, Grund- oder Schleppnetz, sie auswerfen müssen.
Wer einmal eine Fangreise mitgemacht hat, wird die Bilder und Eindrücke nie wieder vergessen können. Während des Fangs ist für die Mannschaft das Wort Schlaf aus dem Wortschatz gestrichen Schlafen kann man, wenn man in Altona, Hamburg oder Cuxhaven Anker geworfen und die „Ladung“, in diesem Falle einen Schiffsbauch voll Heringe, gelöscht hat. Tag und Nacht surren während der Reise die Seilwinden. Die Männer stecken in hohen Gummistiefeln und warmen Wollsweatern, Oelmäntel und Südwester schützen vor Brechern und auf Deck einströmendes Wasser. Der Heringsfang hat seine eigene „Strategie“. Alte Fischdampferkapitäne „riechen“ den Hering auf Meilen, sie wissen genau, wie die Schwärme ziehen, wo der beste Hering zu finden ist, wie lange sie das etwa 8—10 m lange, mit einer Stahlkugel beschwerte Schleppnetz schleppen müssen. Sie wissen auch genau, wann es Zeit ist, es mittels Seilwinde heraufzuhieven, um den „Hol“ zu bergen.
Erregend der Augenblick, wenn das gefüllte Netz im Kielwasser des Schiffes auftaucht. Dann befiehlt der Kapitän den Maschinisten durch das Sprachrohr „Maschine stop“. We
nig später hebt die Seilwinde das Netz, in dem es silbrig durcheinanderkribbelt, ruckweise an Deck. Dort stehen die Fischer mit einem armstarken Tau bereit, um „abzubinden“, d. h. das Netz wird wie der Darm einer Wurst in mehreren Etappen abgebunden und entleert Die Heringe ergießen sich — buchstäblich! .— auf das Vorschiff, wo sofort damit begonnen wird, „die „Blindgänger“, Makrelen, Kabeljau, aber auch — Tintenfische und was die Nordsee an bekanntem und unbekanntem Getier ausspeit, auszusondern. Andere Männer spritzen den Hol mit Schläuchen fein säuberlich ab und schaufeln ihn mit Netzschaufeln durch eine kreisrunde Oeffnung an Deck in den Fangraum. Dort vollzieht sich dann der letzte Akt, das Salzstreuen. Der Fisch muß unter allen Umständen frisch auf den Markt geliefert werden. Deshalb darf eine Fangreise in den meisten Fällen den Zeitraum von einer Woche nicht überschreiten.
Das Leben an Bord der Heringsdampfer und Logger ist hart. Die Arbeitskraft jedes Mannes wird auf das äußerste beansprucht. Es gibt keine Ruhe. Sobald das Netz entleert ist, wird es wieder in die Tiefe versenkt und die Fangreise fortgesetzt. Kaum hat Jan Maat Zeit, die nassen Sachen abzulegen und tretest iet aus Pari s:
kene anzuziehen. Wenn er sich dann zwei Stunden aufs Ohr legen kann, in der Koje, die wie ein Schrank in die Mannschaftskabine eingebaut ist, so ist das schon sehr viel. Erst wenn der Käptn den Fang abbricht und Befehl gibt, den Hafen anzulaufen, wird es ruhiger an Bord.
Auf einer Fangreise nach der Doggerbank lange vor dem Kriege hörte ich einmal den Käptn einen entsetzlichen langen, fürchterlichen Fluch ausstoßen. Es schien mir der schlimmste Fluch aller Zeiten zu sein. Was war geschehen? Das Schleppnetz war gerissen, hatte sich in der Seilwinde verheddert, ein Hol (einige Tonnen Heringe) war verloren. Es dauerte Stunden, bis das Netz wieder klar war.
Wenn es dann heimwärts geht, hat sich der Kapitän längst mit seinem Reeder verständigt, wo der Fisch angelandet werden soll. Heute stehen die modernsten Nachrichtenmittel im Dienste des Fischfangs. Von seinem Schreibtisch aus kann der Reeder sich mit dem Kapitän des Heringsdampfers, der auf der Doggerbank kreuzt, mittels Sprechfunk über das Ergebnis des Fangs unterhalten und ihm Anweisungen erteilen. Er braucht nur beim Fernamt ein Gespräch mit dem gewünschten Schiff anzumelden. Das Fernamt ruft die Küstenfunkstellen Norddeich oder Weser-Elbe und diese stellen dann die Funk-Sprechverbindung her.
„Douceur de la vie M in der Verteidigung
Der erste französische Herbst ohne Streiks / Kampf um die Zentralheizung
PARIS (f). Die Amerikaner, Engländer, Schweizer und Belgier, also die Hauptkontingente des auch in diesem Jahr durch Paris fließenden Fremdenstroms, treten langsam den Rückzug an. Der Sommer war ziemlich verregnet und der Herbst verspricht bisher nichts Besseres. Die Pariser selbst haben sich auf dem Lande genügend gelangweilt, um ihre alte Stadt auch bei Regenwetter wieder schön
Teure Damen
Millionen von Devisen für Damenstrümpfe /Von Alexander Michels
zu finden. Vor den Restaurants bauen sich wieder die Austern- und Schneckenstände auf, die etwa die Funktion der Würstchenbuden in Deutschland haben. Die Caföterrassen werden wieder mit Glaswänden umgeben und bald werden die kleinen rauchenden Oefchen wieder angezündet, die den Parisern erlauben, ihren Aperitif auf der Straße zu trinken und dennoch nicht allzusehr zu frieren. In den großen Wohnblocks aber hat der alljährliche Streit zwischen den Mietern und dem Concierge um die Inbetriebnahme der Zentralheizung begonnen.
Die Offensive der Preise
„Es gibt nichts Schöneres als ein wohlbe- strumpftes Frauenbein“, sagte einmal Maupassant. Frankreichs liebeserfahrener Romancier und Novellist. In der Tat scheinen die Damen der ganzen Welt, auch wenn sie diesen Ausspruch des Dichters nicht kannten, die Erfahrung gemacht zu haben, daß die Herren der Schöpfung schöne Strümpfe an schönen Beinen beifällig aufnehmen. Auch heute noch gilt in sogenannten besseren Kreisen die Ansicht, daß eine Frau ohne Strümpfe nur halb angezogen ist.
Um so schmerzlicher empfanden es die deutschen Frauen, daß nach dem Kriege dieses begehrenswerte Kleidungsstück ein rarer Artikel war. Man schätzt den Jahresbedarf an Damenstrümpfen in Westdeutschland, auf fünf Paar je Frau. Das bedeutet, daß in Westdeutschland etwa 90 Millionen Paar Strümpfe jährlich benötigt werden. Demgegenüber konnte jedoch die deutsche Strumpfindustrie 1949 insgesamt nur 3,5 Millionen Paar Damenstrümpfe herstellen. Hierbei muß allerdings berücksichtigt werden, daß vor dem Kriege die deutsche Strumpffabrikation sich vornehmlich auf den Raum von Sachsen, und hier wiederum in erster Linie auf Chemnitz, konzentrierte. Allein ‘die Chemnitzer Strumpffabriken erreichten 1938 eine Produktionszahl von 276 Millionen Paar, wovon über 25 Prozent ins Ausland exportiert wurden.
Für den westdeutschen Bedarf sind diese Gebiete durch die Zweiteilung Deutschlands weggefallen. In Westdeutschland sah man sich daher vor die Notwendigkeit gestellt, in möglichst kurzer Zeit eigene Fabrikationsanlagen für Damenstrümpfe aufzubauen. Bisher lag der Schwerpunkt der westdeutschen Strumpffabrikation, die sich quantitativ na
türlich nicht mit der Sachsens messen konnte, im Sauerland und in Süddeutschland. Die dortigen Betriebe waren jedoch zum größten Teil veraltet und daher in ihrer Produktion unrentabel, weshalb man gezwungen war, moderne Cotton-Maschinen aus den USA zu kaufen. In den letzten Jahren haben aber auch deutsche Firmen, so vor allem in München, Stuttgart, Wiesbaden und Göttingen, die Herstellung von Cotton-Maschinen aufgenommen.
Trotz dieser Bemühungen betrug die Produktion von Damenstrümpfen in Westdeutschland im vergangenen Jahr, wie bereits erwähnt, nur 3,5 Millionen Paar. Um den Bedarf, der durch die vorangegangenen Kriegsund Nachkriegsjahre verständlicherweise außergewöhnlich hoch war, auch nur einigermaßen decken zu können, mußten fast 50 Millionen Paar Damenstrümpfe aus dem Ausland eingeführt werden. Daß ein solcher Importbedarf bei der an sich schon sehr angespannten Devisenlage Westdeutschlands auf die Dauer nicht tragbar ist, leuchtet jedem ein, dürfte jedoch nichts an der Tatsache ändern, daß Westdeutschland im kommenden Jahr trotz aller Anstrengungen höchstens 20 Millionen Paar Strümpfe herstellen kann. Damit würde für jede westdeutsche Frau jährlich ein Paar Strümpfe aus eigener Produktion zur Verfügung stehen. Die übrigen benötigten vier Paar müssen dann noch immer eingeführt werden. Erst in etwa zehn Jahren wird die westdeutsche Strumpfindustrie soweit sein, 90 Millionen Paar Damenstrümpfe herstellen zu können.
Da die Damen aber auf ihr Mindestquantum von fünf Paar Strümpfen im Jahr kaum verzichten werden, bleibt den Bundesbehörden nichts anderes übrig, als weiterhin tief in den Devisensäckel zu greifen.
Kein Grund anzunehmen, daß die Mieter in diesem Jahr erfolgreicher sein werden als in allen vorhergehenden. Die Conciergen, die nach einmütiger Aussage aller Mieter notorisch faul sind, verschieben die zentrale Beheizung der Häuser mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Machtmitteln so lange wie irgend möglich und frieren lieber selber, als einen Tag zu früh die Kohlenschaufel in die Hand zu nehmen. In diesem Jahre haben sie das besondere Argument, daß die Kohlenpreise wieder gestiegen sind, ein Argument, das bei den sparsamen Franzosen immer Zugkraft hat. Zumal auch andere Preise plötzlich davonzulaufen drohen. Die Butter, die Textilien, die Schuhe, das Gemüse, das Fleisch, alles scheint sich zu einer konzentrischen Preiserhöhungsoffensive gegen den Verbraucher zusammengeschlossen zu haben. Teils führen sie jahreszeitliche Argumente ins Feld, teils den Krieg in Korea, teils die Spekulation, die in solchen Fällen immer als Sündenbock herhalten muß, die Regierung aber, die allsonntäglich durch zahlreiche Minister ihren unbeugsamen Willen kundgibt, die Preise zu halten und dabei die Löhne noch zu erhöhen, tut sich schwer und erntet nur Mißtrauen.
Eins ist jedoch sicher. In den letzten drei Jahren brachte der Herbst den Franzosen regelmäßig große Streikbewegungen, die nicht nur die industrielle Produktion ernsthaft behinderten, sondern auch die Hausfrauen und die Arbeiter selbst, die bald kein Gas oder kein Licht, bald keine U-Bahn und keinen Omnibus hatten. In diesem Jahr spricht noch niemand von Streik, obwohl der traditionelle Streikmonat, der Oktober, schon begonnen hat. Die kommunistischen Gewerkschaften scheinen eingesehen zu haben, daß der französische Arbeiter streikmüde geworden ist. Erstens
Kleinigkeiten
Gesammelt von Rüdiger Boschmann
Gefühlsmensch
In St. Joseph, USA, brach ein Dieb in der Nacht ins Poldzeigebäude ein. Er ließ alles unberührt, bis auf den Eckstein des alten Gefängnisses, der dort als Erinnerungsstück aufbewahrt wurde. Den alten Stein nahm der Dieb mit.
Selbstmörder
In Buffalo wurde ein junger Mann verhaftet, als er versuchte, mit einem Polizeistreifenwagen davonzufahren. Er hatte statt auf den Starter auf die Alarmsirene gedrückt.
Mit Zinsen
In Albuquerque verweigerte eine Bank einem Antragsteller eine Anleihe von 300 Dollar. Der Mann zog eine Pistole aus der Tasche, beraubte die Bank um 378 Dollar und ging davon.
Talent
Ein gutaussehender junger Mann erschien kürzlich in Wetumka (2500 Einwohner) und erklärte, er sei der Reklamechef von „Bohns Vereinigter Zirkusschau“. Die Pfadfindergruppe des Ortes verteilte Reklamezettel für ihn. Das Meadors Hotel reservierte . 20 Zimmer für die Zirkusleute, ein Laden bestellte 100 Pfund Würstchen, ein großer Haufen Heu für die Elefanten wurde auf Anweisung des jungen Mannes angefahren und Coca Cola Co. fuhr einige Dutzend Kästen mit Limonade herbei. Mr. Morrison, so hieß der Zirkusagent, verkaufte für 250 Dollar Reklame für Geschäfte und Wirtschaften in der Zirkusschau. Zwei Aerzte behandelten ihn für Freikarten. Da er sich so sehr um das Wohl der Geschäftsleute der Stadt bemühte, stiftete das Meadors Hotel ihm ein Freizimmer und eine Gaststätte stellte ihm freie Mahlzeiten zur Verfügung. Eines Tages war Mr. Morrison verschwunden. Der Zirkus kam nie. — Die Bewohner von Wetumka ärgerten sich nicht zu lange. Sie erklärten einen Tag zum „Schildbürgertag“ und aßen ihre Würstchen auf.
Gummi
Kaugummi ist eines der besten Geschäfte in der amerikanischen Industrie. Ueberall, wo GI’s ihre Kulturspuren hinterlassen haben, kaut die Bevölkerung der Länder. Nach Japan ahein exportieren die Kaugummifabrikanten jede Woche .25 Tonnen Gummi. Die Kaugummiindustrie hat einen jährlichen Umsatz von über 900 Millionen Dollar. — Sogenannter „Blasen- Kaugummi“ verkauft sich am besten. Aus solchem Gummi können zwischen den Zähnen Blasen gepustet werden, die so groß wie Luftballons sind. Bei Wettbewerben haben die Teilnehmer zehn Sekunden Zeit zum Kauen und zwei Minuten Zeit zum Blasen. Dann wird festgestellt, wer den größten Ballon produziert hat.
weil sich seine Lebenshaltung im letzten Jahre zweifellos gebessert hat, zweitens weil die Lohnfestsetzung nicht mehr durch den Staat erfolgt, sondern zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden frei und, wie die letzten Monate bewiesen, nicht ohne Erfolg ausgehandelt wird, drittens aber weil Korea mit all seinen Folgen den Kommunisten doch Abbruch getan hat, die mehr und mehr auch in der französischen Arbeiterschaft als mitschuldig an der neuen Militarisierung des Lebens angesehen werden.
Panzer statt Autos
Der Franzose ist ja von Natur aus kein Militarist. Diesmal aber kam der Zwang zur Aufrüstung gerade in dem Augenblick, in dem sich Frankreich vom letzten Krieg sichtbarerholt hatte. An nichts war mehr Mangel, der französische Franken hätte über Nacht wieder zu einer Goldwährung werden können und die lang verlorene „douceur de la vie“, die „Süße des Lebens“, war schon wieder greifbar nahe. Jetzt werden Traktoren- und Autofabriken auf Panzerwagen umgestellt, Kautschuk wird knapp, das Benzin wird schlechter, die Goldkurse steigen wieder und alles zittert vor der Inflation.
Dennoch, seit langem der erste Herbst ohne Streik. Man hat also auch Grund zu Optimismus. Und man hat wieder etwas zu verteidigen. Die Franzosen sehen es wohl. Und im Grunde nehmen sie ihre Klagen selbst nicht gar so ernst. F.
Monika
Von Fried! Eidens
Monika wohnt in einem Barockschloß. Aber wenn sie aus dem Zimmer ins Freie will, muß sie über eine Art Hühnerleiter klettern. Die Mutter sagt, das ist eine Notwohnung. Es sind viele Notwohnungen in dem großen alten Schloß. Monika weiß nicht, was für ein Unterschied zwischen einer Notwohnung und einer richtigen Wohnung ist. Seit sie mit ihren kleinen stämmigen Füßen auf der Erde steht, hat sie manche Wohnungen gehabt, in Baracken und Schlössern, nur kein Zuhause, sagt die Mutter, aber das versteht Monika erst recht nicht. Sie ist überall zu Hause, ihr Herz schlägt in jeder grünen Wiese unter Gottes Himmel Wurzel. Seit einem halben Jahr geht Monika in die Schule, da sitzen sie alle beieinander, die Dorfkinder und die Fremden, sie lernen dasselbe i und dasselbe u, sie spielen dieselben Spiele, und im Sommer laufen sie alle barfuß, da gibt es wenig Unterschied.
„Monika“, sagte die Mutter, „ich meine, wir könnten dein Bettchen hergeben?“ Monika macht entsetzte Augen. „Warum?“ fragt sie. „Weil die Frau nebenan ein Kind bekommen hat. jetzt sind es drei, und sie haben nur ein Bett. Und du bist schon so groß, daß du auf der Couch schlafen kannst“. Monika schweigt. Sie legt die Hände auf ihr Bett, sie liebt es sehr. Jeden Abend spannt sie eine Schnur um den Pfosten und kutschiert damit ins Traumland. „Vielleicht bin ich doch noch zu klein“, sagt sie und kämpft mit Tränen.
Aber die Mutter «steht am Fenster und hört nichts. „Komm“, flüstert sie und winkt, ganz leise!“ Und dann hebt sie Monika auf die Fensterbank und zeigt in das dichte Gebüsch draußen, das an der Mauer hochrankt. Gerade unter dem eisernen Gitter ist ein Rotschwänzchennest, man sieht nur vier winzige gelbe Schnäbel, die sich plötzlich mit
verlangendem Geschrei aufsperren. Das Rotschwänzchen sitzt im Baum gegenüber und äugt, mit einem schnellen Flügelschlag ist es beim Nest und füllt die aufgerissenen Schnäbel — und ist wieder fort.
Monika ist still, in ihren braunen Augen sind goldene Pünktchen, die leuchten. Sie faßt nach der Hand der Mutter. „Mama“, sagt sie, „Mama, ich möchte beten.“ Die Mutter schließt beide Hände um das kleine heiße Gesicht. „Warum?“ „Daß alle Kinder auf der Welt ein Bettchen haben.“
Berlin - Paris—London
In Berlin mit dem Autobus zu fahren, ist ein Abenteuer: Während der Hauptverkehrszeit warten oft zehn, fünfzehn Menschen an einer Haltestelle. Kommt ein Wagen angerollt, dann drängt sich jeder so nahe als möglich an die Stelle des Bordsteins, wo er halten wird. Nur wer der Plattform am nächsten steht, hat Aussicht, sein Ziel zu erreichen. Sobald fünf oder sechs Personen ausgestiegen sind und sich durch den Haufen der Wartenden gepreßt haben, kommt Bewegung in ihn: Zuerst steigt der Stärkste ein, dann der Flinkste, dann der Dickste. Während noch zwei oder drei Normalmenschen nachfolgen, ruft der Schaffner „Besetzt!“ und drückt auf den Knopf. Manchmal springt noch ein Beherzter auf, wenn er einen Anpfiff riskiert. Alle übrigen warten verärgert darauf, bei einem der nächsten Wagen mehr Glück zu haben. Wenn er ankommt, dann — s. o.! Das Geheimnis ist: Tempo!
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In Paris mit dem Autobus zu fahren, ist ein Rechenexempel: Kommt man an die Haltestelle, so reißt man sich aus dem dort angebrachten Kästchen einen Zettel ab, so groß wie zwei Briefmarken. Auf ihm steht eine Nummer. Hält ein Wagen, ganz gleich, welcher Linie, so läßt sich der Schaffner von irgend jemand eine Nummer zeigen und ruft
sie auf. Wer eine Zahl unter ihr hat, steigt züerst ein, wer darüber ist, folgt nach. Dabei zählt jeder Wartende von selbst mit. Wer vor dem „Besetzt!“ der Letzte ist und enttäuscht wird, weil er gerade nicht mehr mitkommt, hat zugleich seinen Trost: Er weiß genau, daß er am nächsten Wagen der Erste sein wird. Alle Umstehenden, oft dreißig Personen, merken sich, daß er vor ihnen seine Nummer vorzeigen wird und warten, bis ihre Zahl aufgerufen wird. Jedermann kennt dieses Verfahren und findet es praktisch. Das Prinzip lautet: Vernunft!
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In London mit dem Autobus zu fahren, ist ein Erlebnis: Es gibt weder Drängelei noch Bons. Wer einsteigen will, stellt sich an der Haltestelle genau hinter seinen Vordermann in eine Doppelreihe, zieht seine Zeitung heraus oder unterhält sich mit seinem Nachbar, bis er ganz vorne angekommen ist. Je mehr der Verkehr zunimmt, desto länger wird die Schlange, die sich genau am Rand des Gehsteigs bildet und keinen Fußgänger behindert. Manchmal wächst sie bis auf hundert oder mehr Personen an, oft nimmt sie ab bis auf drei oder vier. Ohne ein Wort zu verlieren, steigt ein, wer an der Reihe ist. Eine Vorschrift für dieses System gibt es nicht. Des Rätsels Lösung heißt: Höflichkeit! H.
Kulturelle Nachrichten
Das Kunsthaus Fischinger in Stuttgart, Eßldnger Straße, veranstaltet bis zum 26. 10. 1950 eine Kollektivausstellung des Malers Georg Gustav Schopf.
Der Schauspieler Attila Hörbiger und der Regisseur Gustav U c i c k y, die am Freitag morgen bei Stuttgart mit dem Kraftwagen verunglückten, werden voraussichtlich in etwa 14 Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden können, da sich ihr Befinden wesentlich gebessert hat.
Für den Bücherfreund
A. E. Brachvogel, Friedemann Bach- Hera-Verlag, Berlin und Hamburg. 294 S. Volksausgabe.
Der berühmte Roman über Aufblühen und Welken des Ruhmes von Johann Sebastian Bachs genialstem Sohn ist von Carl Peter Rauhof überarbeitet worden. Die packende Gestaltungskraft Brachvogels wird auch heute, zumal im Bachjahr, seine Wirkung nicht verfehlen.
Autosuggestion und Handlesekunde
Emil Schlunck, Autosuggestion (Selbstbeeinflussung), ein Weg zur Selbstheilung und Gesundung. Alwin Fröhlich Verlag Hamburg 1930. 144 S.
Auf Grund eigener Erfahrung sieht es der Verfasser als nützlich an, die Autosuggestion in den Dienst der Persönlichkeitsbildung zu stellen. Er versucht Anregungen zu geben und Wege zu weisen.
Pari Bauer, Die Sprache der Hände; Hans E. Günther Verlag, Stuttgart, 1950. 84 S. Text und 27 ganzseitige Abbildungen auf Kunstdruckpapier.
Während wir der Graphologie wissenschaftlichen Rang zuerkennen, stehen wir der Handlesekunst stets etwas skeptisch gegenüber. Das liegt nicht zuletzt daran, daß dieses Gebiet bisher Tummelplatz des Dilettantismus war. Dr. Paul Bauer, der auch das Buch: „Der moderne Aberglaube und seine Ueberwindung“ verfaßt hat, versucht sachlich herauszustellen, was an der Sache dran ist. Chirologie und Chiromantie werden gegeneinander abgegrenzt. h
Der öffentliche Dienst
Kurt Oppler und Erich Rosenthal- P e 11 d r a m , Die Neugestaltung des öffentlichen Dienstes; Verlag Kommentator GmbH: Frankfurt/Main 1950. 75 S.
Auf wichtige Fragen des öffentlichen Dienstes wird in der vorliegenden Schrift hingewiesen. Die Verfasser haben mit Absicht auf eine zusammenfassende Schau verzichtet, um das Wichtige nicht im Vielen ertrinken zu lassen. Das „Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten“, das die Herausgabe besorgt hat, möchte mit dem Buch eine Diskussion anregen.