6. Jahrgang

MONTAG, 2. OKTOBER 1950

Nummer 158

Wacht am Suezkanal

Genera] Robertson organisiert Nahostverteidigungslinie / Ägypten sperrt Zementlieferungen

Das Londoner Verteidigungsministerium hält heute den Verlust des Suezkanals in einem eventuellen Krieg für kritischer als eine Niederlage in Europa. Es berief daher General Robertson zum Chef der Nahost­verteidigung. Unser HvS-Mitarbeiter be­richtet von den Schwierigkeiten, unter denen die Suezkanalzone trotz der Sanktionen der Ägypter zu einem gewaltigen Heerlager wird.

Als der britische Hohe Kommissar General Robertson Ende Juni seinen Posten auf dem Petersberg verließ, um wieder eine militä­rische Aufgabe zu übernehmen, schien er sich aus dem Licht der Weltöffentlichkeit wieder in ein anonymes Hauptquartierirgendwo in Nahost zurückzuziehen. Heute nach einem Vierteljahr Koreakrieg und nach einer ständig zunehmenden Erhitzung der Kampfstimmung in dem west-östlichen Lager muß man er­kennen, daß General Robertson an der Naht­stelle des britischen Commonwealth und an einem für den Westen äußerst neuralgischen Punkt eingesetzt .wurde: Als Oberbefehlsha­ber der Landstreitkräfte im Mittleren Osten ist er vor allem für die Verteidigung des Suezkanals verantwortlich, die seit Monaten überholt und verbessert wird. Der Suezkanal ist zur Rheinlinie des Nahen Ostens geworden. In drei Monaten könnten die Russen, so rech­net man. vom Kaukasus bis zum Kanal vor­marschiert sein und damit den wichtigsten Verbindungsweg von Europa nach Asien be­herrschen.

Kanalverkehr steigt ständig an

Der Verkehr durch den Kanal hat nach dem letzten Kriege trotz der hohen Gebühren er­heblich zugenommen. 8666 Schiffe passierten ihn 1948. Im Rekordjahr 1912 waren es nur 5000 Schiffe. Dabei muß man berücksichtigen, daß die persischen, arabischeil und amerika­nischen Petroleumgesellschaften den Kanal immer seltener benutzen, nachdem sie zwei eigene Oelleitungen zum Mittelmeer bauten und damit zum Teil die hohen Kanalgebühren einsparen. 96 Millionen Dollar müßten sie bei der jetzigen Förderung von 64 Millionen Ton­nen Oel jährlich an die Gesellschaft in Suez zahlen. Kein Wunder.' daß die Schiffahrtsun­ternehmer spöttisch vom 'Blutegel der Welt­wirtschaft sprechen. Die Gesellschaft ver­dient aber immer noch gut und hat in die­sem Jahr mit der Vertiefung des Kanals von 13 m auf 14 m und mit dem Bau eines Aus­weicharms begonnen, um dem zunehmenden Verkehr gerecht zu werden.

Ein kilometerweites Heerlager

Wer den Suezkanal als Feind Englands über­schritten hat, dem steht Nordafrika offen bis nach Tanger; der kann zur Meerenge von Gi­braltar vorstoßen und verfügt außerdem

über Ausgangspunkte für eventuelle Landun­gen in Südeuropa. Außerdem würde ein sieg­reicher Gegner das afrikanische Rohstoffreser­voir zumindest der Nutzung durch Europa oder Amerika entziehen können. Aus diesen Ueberlegungen heraus wurde der Suezkanal zur Verteidigungslinie bestimmt und die den Engländern bis 1956 zugestandene 20 bis 30 Kilometer breite Kanalzone in ein einziges Heerlager verwandelt. Ausgedehnte Zelt-, Material- und Munitionslager, Tank- und Kraftfahrzeugansammlungen sind im Wüsten­sand errichtet worden. Kilometerweit zieht sich Stacheldraht durch das gelbe Land, das nachts von Scheinwerfern erleuchtet wird. *

50 Prozent der Kanalarmee sind Berufssolda­ten und wohnen mit ihren Familien in Zelten. Im Lager gibt es Ladenstraßen, Badeplätze, Kinderschulen, Banken, Kantinen und Kinos, Einige Soldaten und Offiziere haben Wohnun­gen im vornehmen Ismailia oder Port Said. Am Rande des Bittersees befindet sich in Fajid das neue Hauptquartier General Robertsons. Hier arbeitet er im Mittelpunkt des kleinen Armeestaates an den Verteidigungsplänen und lenkt die ständigen Manöver und Ueberra- schungsübungen, damit dertommy für je­den Ernstfall gerüstet ipt und nicht dem Tro­penkoller verfällt.

Kairo fordert Abwehrwaffen statt Besatzung

Der Kampf um den Suezkanal ist bereits in vollem Gange und zwar als eine sehr ernste Auseinandersetzung des britischen Nahost-

Alexander von Falkenhausen

Gentleman-General vor Gericht

In Brüssel wurde der im Mai vertagte Prozeß gegen den ehemaligen deutschen Mi­litärbefehlshaber in Belgien, General von Falkenhausen, jetzt wieder aufgenommen.

Dieser Preußengeneral Alexander Freiherr von Falkenhausen ist in vieler Hinsicht ein ungewöhnlicher Mensch. Seine schmalen, lan­gen Hände könnten einem Künstler gehören, sein hochgewölbter Schädel, das von geistigem Leben geprägte Gesicht mit dem auf die Na­senwurzel geklemmten Kneifer, einem Ge­lehrten. Und doch mag sein straffer Typus wiederum der Vorstellung eines Hollywood- Regisseurs von einem Generalstabsoffizier der wilhelminischen Aera entsprechen. Seine Kriegsgegner nannten ihn. der seit seiner Verhaftung durch die Gestapo wohl 60 Gefängnisse gesehen hat und von belgi­scher Seite fast drei Jahre über sein Schick­sal im Ungewissen gelassen worden ist,a fine German soldier and gentleman. Fran­zosen, Belgier, Engländer, verfolgte Juden und Widerstandskämpfer brachen Lanzen für ihn, der lieber in die Ungnade Hitlers fiel, als einen Deut seiner ritterlichen Haltung preis­zugeben. Trotzdem senkten sich nicht die De­gen der Sieger vor ihm. Vier Wochen vor seinem 72. Geburtstag steht er, als letzter deutscher General, jetzt' vor Gericht, fünf Jahre nacn Kriegsende wird ihm der Prozeß gemacht. Der Fall Falkenhausen ist bereits ins Zwielicht des Skandalösen gerückt.

Dieser schlesische Rittmeisterssohn und Berufssoldat, der als Leutnant unter Wal- dersee gegen den Boxeraufstand kämpfte und als junger Generalstäbler vom Kaukasus bis Tokio wirkte, war kein Nazi-General. Seit 1933 nicht mehr befördert, 1934 von Tschiang- Kaischek als Chefberater nach China berufen, wo er dann die chinesischen Operationen ge­gen die Japaner inspirierte, konnte Ribben- trop ihn 1938 nur durch die Drohung mit Ausbürgerung, Vermögensbeschlagnahme und

Wien, Wien, nur du allein ..

Wie es sich heute in der österreichischen Metropole lebt

Wien 1950 ist nicht mehr das Wien des Drit­ten Mannes. Wien 1950 ist aber auch nicht Wien 1938 und schon gar nicht Wien 1914. Die Stadt an der Wetterscheide zweier Welten ist nicht tot und nicht lebendig. Vielleicht schein­tot, wie ein Tier sich totstellt vor der Gefahr. Jetzt heißt es nicht mehr:Wir sind noch ein­mal davon gekommen, sondernwerden wir davonkommen?

Lernt man ln Wien das Gruseln?

Gäste aus den westlichen Ländern, auch aus so unmittelbar benachbarten Staaten wie der Schweiz, überschreiten die Ennslinie, die Grenzlinie zur Sowjetzone, nur mit einiger Ueberwindung. Dort in ihrer Heimat macht man ihnen weis, daß sie in Wien das Gruseln lernen werden. Nicht selten sagen das auch die Leute in Salzburg oder Tirol, die gerne den Goldstrom des Fremdenverkehrs aus­schließlich auf ihre Mühlen lenken wollen. Aber es gibt doch immer wiederAbenteurer, die allegut gemeinten Warnungen in den Wind schlagen und nach Wien reisen. Mit einem leichten Unbehagen in der Magen­gegend, wenn sie die Ennslinie überschrei­ten ...

Die ausgesuchte Höflichkeit der russischen Zugskontrolle läßt erleichtert aufatmen. Und bei der Einfahrt in Wien überwiegt schon die Neugierde und Erwartung. Der elegante Trieb­wagen stoppt inmitten eines riesigen Bau­platzes: Die letzten Trümmer des bombenzer­störten Westbahnhofs sind beseitigt, und eine Armee von Arbeitern schafft am Aufbau eines großzügigen neuen Bahnhofs. Einstweilen be­rauschen wir uns noch an Zukunftserwartun­gen. Wenn nicht mitten drin das Geld aus­geht, wird dieser Bahnhof endlich zu einer der Großstadt würdigen Kopfstation werden. Mit der Zusammenlegung und dem Neubau von Süd- und Ostbahnhof soll in nicht zu ferner Zeit der berüchtigten Wiener Bahnhofsmisere wenigstens teilweise ein Ende gemacht sein. Also waren die Bomben doch zu irgend etwas gut!

Trocken-Butter

Die Reihe getrockneter Lebensmittel ist um ein neues vielversprechendes Produkt be­reichert worden. Schwedische Molkereien ha­ben damit begonnen, die erste Trocken-But­ter herzustellen. Sie wird nach dem gleichen Verfahren hergestellt wie das Milchpulver und durch Entzug des Wassers in Pulverform verwandelt. Wie Versuche ergaben, ist auch die Trocken-Butter unbegrenzt haltbar.

Metermaß bei US-Armee

Die amerikanische Armee hat beschlossen, ab sofort das metrische Maß bei sich einzuführen. Die bisher gebräuchlichen Maßeinheiten von Fuß (foot) und Zoll (inche) sollen zukünftig nicht

mehr verwandt werden.

Die Stadt selbst bietet Ueberraschungen: Werv wie viele aus dem Westen, nur Trümmer erwartet hat, ist angenehm enttäuscht. Nach vielen Sammlungen und Wohltätigkeitsfesten wird nun endlich auch das Dach des Stephans­domes gedeckt. Wann freilich die Abmauerung des halben Innenraumes beendet und der ganze Dom dem Gottesdienst übergeben wer­den kann, ist eine andere Frage. Aber von außen wird in Kürze das alte Bild zu sehen sein, das Dach wird das alte Doppeladlermuster zeigen aus Gründen der Denkmalpflege, wie von offizieller Seite versichert wird. Keine Angst! Die Habsburger sind die geringste Gefahr.

Zwar die Gedenkmesse anläßlich des 120. Geburtstages des alten Kaisers Franz Joseph in der Kapuzinerkirche zeigte einen Massen­andrang, und endlos war die Prozession, die anschließend an dem Sarkophag in der be­rühmten Gruft vorbeidefilierte. Aber Revolu­tionäre waren das nicht. Die monarchistische Idee liegt zu weit ab von der Realität, um eine Idee der Jugend zu sein. Nur eine leise Sehn­sucht wie nach einem Märchenschloß klingt auch in den Jungen auf, wenn die Alten von der verlorenen goldenen Kaiserzeit sprechen.

Die Wiener sprechen nicht allzuviel von Politik. Auch die Koreakrise hat sie nicht auf­gescheucht, sie sind gleichgültig geworden ge­gen Ereignisse, die sich ihrer Einflußnahme entziehen. Von Hamsterkäufen war kaum et­was zu merken. Es gibt auch nur wenige, die den Schilling nicht dreimal umdrehen müssen, bevor sie sich von ihm trennen.

Ja, ja, der Wein ist teuer

Der Wein ist teuer, unter fünf Schilling das Viertel nicht zu haben. Die neue Ernte steht bevor und noch sind die Gebinde vom Vor­jahr voll. Irgend etwas müßte geschehen, um den Absatz zu ermöglichen vielleicht wird etwas geschehen. In Grinzing selbst merkt man keine Absatzkrise des Weines. Dort trifft sich alles, was gerade genug Geld in der Tasche hat. Grinzing ist auch immmer über­schwemmt von Ausländern, herrliche Wagen parken vor den kleinen, entzückenden Hauer­häusern, aus denen Gesang und die Zithern ä la Anton Karas ertönen. Obwohl der Karas eigentlich ein Sieveringer ist. Aber Sievering ist schon mehr für Feinschmecker und jeden­falls mehr für Einheimische. Der Rummel­platz ist Grinzing mit der Höhenstraße auf Coblenzl und Kahlenberg. Auf dem Coblenzl Ist die Bar mit der Freiluftterrasse wieder er­öffnet und ein neuer Pavillon errichtet mit dem herrlichen Blick über die Stadt wäh­rend das Schloßhotel weiterhin grau in grau als Flüchtlingslager dient, mit Baracken' im Umkreis und wenig ansehnlichen Gestalten. Welch ein Kontrast zu dem früheren exklusi­ven Reichtum, den gepflegten Rosenbüschen zwischen den Tischen und den huschenden

Kellnern im Frack. Dr. K. (OPK)

Sippenhaft zur Rückkehr zwingen. Im Mai 1940 wurde Falkenhausen zum. Militärbefehls­haber in Belgien ernannt. Es heißt, daß er dort auch mit der Untergrundbewegung Ver­bindung unterhielt. Jedenfalls blieb es Ber­lin nicht verborgen, daß der später als Ver­dächtiger des 20. Juli sowie wegen seines Widerstandes gegen Sauckels Arbeiterrekru­tierungen von der Gestapo Festgenommene die besiegten Belgier menschlich behandelte.

Falkenhausen hat außer Bridge und Phi­losophie immer eine große Liebhaberei ge­pflegt: die Architektur. Als Speer ihn einmal nach seinem Urteil über den Bau der Neuen Reichskanzlei befragte, antwortete er:Ich bin noch vor einer Woche in Versailles ge­wesen ..! Und zum sogenannten Großen Saal der Hitler-Residenz meinte der schlagfertige Kunstkenner, daß die Halle des Anhalter Bahnhofs ja wohl noch größer sei. Daß Hitler diesen Außenseiter unter seinen Generalen ins KZ schickte, konnte nicht überraschen. Daß dann aber auch die Westalliierten ihm noch viel mehr Gelegenheit gaben, die Ar­chitektur des Stacheldrahtes, der hohen Mauern und vergitterten Fenster so ausgie­big zu studieren, löste die verschiedensten Vermutungen aus. Falkenhausen werde nur festgehalten, hieß es so einmal, damit er nicht einer Einladung seines Freundes Tschi- ang-Kaischek folgen könnte. In Wirklichkeit war alles viel simpler. Nur, daß der gewöhn­liche Menschenverstand sich eben kaum vor­stellen kann, wie langsam die Säuberungs­bürokratie in manchen Fällen arbeitete.

Anders lagen die Dinge in Belgien, wohin man Falkenhausen Anfang 1948 auslieferte. Dort hieß es, sein Fall sei nur ein politi­sches Mittel zu einem politischen Zweck. Denn sowohl die Anhänger König Leopolds wie seine Gegner hatten bereits früher das Zeug­nis des deutschen Generals für und wider den Monarchen in die Waagschale zu werfen versucht. Er ist zum Beispiel ein wichtiger Kronzeuge dafür, 'wie es zur Audienz Leo­polds bei Hitler kam. So erhält die Ver­handlung gegen ihn auch heute noch, und sei es nur in historischer Sicht, besondere Be­deutung. Was seinen eigenen Fall betrifft, die Anklage lautet auf Geiselerschießungen und seine Akte umfaßt 20 000 Seiten, so liegt die Schwierigkeit wohl weniger in den Ermittlungen, sondern die Anklagepunkte selbst scheinen umstritten zu sein. I. P.

Ein seltsamer Beruf

Einen der seltsamsten Berufe der Welt dürft« John Mclllroy in New York haben. Er ist bei einer Reklameflrma angestellt, aber er zeich­net keine Reklameplakate, sondern arbeitet nur mit einem Radiergummi! Mr. Mclllroy radiert nämlich jeden Tag die Schnurrbärte aus, die die Leute auf die Reklameplakate malen, die in der New Yorker Untergrundbahn hängen. Ueber 50 Prozent der Plakate werden nämlich mit solchen reizenden Verzierungen versehen! Im Laufe der Jahre hat Mclllroy zirka 36 000 Schnurrbärte aus­radiert. Und dabei hat er sich nur auf die Re­klame-Plakate in der New Yorker Untergrund­bahn beschränkt. Wenn er noch die Telefonzellen bearbeiten sollte, dann würde die Zahl der aus­radierten Schnurrbärte die Hunderttausend weit übersteigen.

hauptquartiers mit der ägyptischen Regierung. Seit der Räumung Aegyptens durch die Eng­länder wird in Kairo immer, energischer der Abzug der fremden Besatzung aus der Kanal­zone gefordert. Offiziere des ägyptischen Ver­teidigungsministeriums verlangen für die ei­genen Truppen ausreichende Abwehrwaffen, widersetzen sich aber der Anwesenheit der Kanalarmee. Diesen Wünschen kann England nicht nachgeben, da mit einem Rückzug einer der wichtigstenNerven des Empire lahm­gelegt würde. Die ägyptische Regierung wünscht aber in ihrer Mehrzahl auf keinen Fall einen Stellungskrieg im Osten ihres Lan­des. Sie verbot sogar die Lieferung von ägyp­tischem Zement für Befestigungsbauten und behindert den Tankerverkehr für die Reserve­lager.Hinaus mit den ungeladenen britischen Eindringlingen ruft täglich die Presse von Kairo und Alexandrien. London wußte, war­um es gerade General Robertson mit dieser etwas heiklen Aufgabe betraute. Während seiner Tätigkeit in Deutschland konnte er genügend Erfahrung im Umgang »mit Regie­rungen sammeln, die nicht so wollten, wie er es wünschte. Die britische Regierung ihrer­seits hat nun Kairo wissen lassen, daß es nicht mehr mit der Kontraktlieferung von Düsen­jägern rechnen könne.

Aegyptererobern Kanalgesellschaft

Die Aegypter betrachten den Kanal als Fluch, versuchen aber durch immer neue Verhandlungen die Zahl ihrer Mitglieder in der Suezgesellschaft zu erhöhen und damit doch noch zu ihrem Ziel zu kommen. In Kürze werden auf Grund eines vor einem Jahr abge­schlossenen Abkommens 7 Aegypter, 16 Fran­zosen und nur 9 Engländer in der. Geschäfts­leitung sitzen. Am 16. November 1968 endet

überdies die Tätigkeit der Gesellschaft-

wenn sie nicht durch künftige militärische oder politische Ereignisse in anderer Form Wiedererstehen wird. 1875 war es ja der bri­tische Premier Disraeli, der über Nacht 43'/i der Suezaktien des verschuldeten Khediven kaufte und somit England eine beherrschende Stellung in der Gesellschaft vermittelte.Wir werden auch mit Opfern den Kanal verteidi­gen, sagte man damals in London. Vor Aus­bruch des 2. Weltkrieges resignierte man al­lerdings etwas in der Downingstreet:Am besten ist es, den Kanal wieder zuzuschütten. Da dies ein utopischer Wunsch bleiben wird, bleibt dieWacht am Suez für Großbritan­nien weiterhin eine notwendige und für Ae­gypten unangenehme Realität, die nur durch eine gründliche Entschärfung der Weltkon­fliktstoffe beseitigt werden könnte.

Horst von Stryk i

Wer wird Bayern regieren?

Wahlkampf und Kabinettsbildung werfen ihre Schatten voraus

st. Anfang November werden mehr als fünf Millionen stimmberechtigte Bayern ihre Stimmzettel in die Wahlurne werfen, um zum zweitenmal seit dem Ende des Krieges 180 Abgeordnete für den bayerischen Landtag zu wählen. Schon seit Monaten ist der Wahl­kampf in Bayern im Gange, wenn er auch erst in diesen Tagen durch die Bekanntgabe der Wahlprogramme und die ersten Großkundge­bungen der Parteienoffiziell eröffnet wurde. Aber nicht nur der Wahlkampf, sondern auch die auf ihn folgende Neubildung der bayeri­schen Regierungen wird bereits lebhaft er­örtert. Ein Kenner der politischen Verhält­nisse in Deutschland hat einmal erklärt, Bayern sei mit großem Abstand das west­deutsche Land mit demintensivsten politi­schen Innenleben und die Lebhaftigkeit und Zähigkeit, mit der seit Monaten in München sämtliche nur erdenklichen Regierungskoali­tionen diskutiert werden, ist zweifellos eine Bestätigung seiner These.

Im Vordergrund des politischen Interesses steht gegenwärtig das Bemühen der CSU, zusammen mit der Heimat- und Königspartei und der FDP einenWahlblock zu bilden, der dann ähnlich wie in Schleswig-Holstein mit der Wahlgemeinschaft Deutsche Ge­meinschaft und Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten die Regierung bilden könn­te. Die Gespräche zur Bildung des Wahlblocks, die in der bayerischen- Staatskanzlei statt­finden und an denen prominente Politiker der drei Parteien teilnehmen, werden besonders von Ministerpräsident Dr. Ehard unterstützt. Dr. Ehard sieht in dieser Koalition die größte Chance für sich, weitere vier Jahre die Ge­schicke des zweitgrößten deutschen Bundes­landes zu lenken. Er scheint entschlossen, alle Trümpfe auszuspielen, um bayerischer Ministerpräsident bleiben zu können. Unter diesem Gesichtspunkt muß auch sein Bemü­hen verstanden werden, als Nachfolger Karl Arnolds zum Präsidenten des Bundesrats ge­wählt zu werden. Da dieses Amt nur von einem Ministerpräsidenten ausgeübt werden kann, würde Bayern es automatisch verlie­ren, wenn Ehard im November nicht wieder in die Staatskanzlei zurückkehren würde. Für Dr. Hans Ehard ist allerdings auf alle Fälle gesorgt imschlimmsten Fall würde er Präsident des Bayerischen Obersten Landes­gerichts werden, eine Stellung, die seit fast drei Jahren für ihn offengehalten wird.

Die Bayernpartei, deren Chancen für den Wahlkampf durch die dauernden innerpartei­lichen Differenzen und dieschmutzige Wä­sche, die von ihren Funktionären in aller Oeffentlichkeit gewaschen wurde, beträchtlich gesunken sind, dürfte in keinem Fall in die bayerische Regierung eintreten. Mit seinem Wortnur der Teufel würde sich mit der CSU verbünden hat Dr. Baumgartner alle Türen hinter sich zugeschlagen. Außerdem hat die Bayernpartei seit dem Ausscheiden Donhau- sers und Schmidhubers auch noch den Rest ihresAnsehens verloren. Sogar Dr. Hund­hammer, der seit zwei Jahren als aussichts­reichster Ministerpräsidenten-Kandidat der Koalition CSU-Bayernpartei galt, weist eine derartige Lösung seit kurzer Zeit entschie­den von sich. Seine Freunde sitzen jetzt in der Königspartei. Auch die Bayernpartei selbst hat das erkannt. Parteigründer Ludwig Lal- linger äußerte dieser Tage in persönlichen Gesprächen, derSieg innerhalb der Partei habe ihm das Amt des bayerischen Innen­ministers gekostet. Derweiß-blaue Haus­krach hat also weitreichende politische Fol­gen gehabt: Der Kredit der Bayernpartei bei einem sehr großen Teil ihrer Wähler ist zer­stört, sie wird aller Voraussicht nach auch die nächsten vier Jahre eine reine Opposi­tionspartei bleiben und Hundhammer wird nicht bayerischer Minisferpräsident. Anlaß genug, für alle politisch interessierten Bayern von der CSU bis zur SPD, der Bayernpartei für den Streit ihrer Funktionäre zu danken.

Eine Koalition der CSU mit den Sozialde­mokraten, als deren Verfechter seit je der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Dr. Müller gilt (er würde in diesem Fall wahrscheinlich Nachfolger Dr. Ehards wer­den), ist angesichts der allgemeinen politischen Situation in Deutschland nicht zu erwarten. Es bleibt also nur die Möglichkeit einer Re­gierungskoalition der bürgerlichen Parteien unter Ausschluß der Bayernpartei mit den nicht-marxistischen Flüchtlingsgruppen. Diese Koalition dürfte im neuen Landtag, den Wahl­prognosen zufolge, über eine Mehrheit ver­fügen, die der des gegenwärtigen CSU-Kabi- nettes nicht nachstehen würde. Eis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg und zahl­reiche Probleme müssen noch gelöst werden, bis sich die neue bayerische Regierung in den ersten Dezembertagen Bayerns zweitem Nach- kriegs-Landtag vorstellen kann.