6. Jahrgang
MONTAG, 2. OKTOBER 1950
Nummer 153
Lebensmitteldumping in Berlin
Die Ost-Presse spricht von „Brot-Krieg"
Der Westberliner Magistrat hat schwere Sorgen und sucht krampfhaft nach einem Ausweg aus der verzwickten Situation, die das östliche Lebensmitteldumping seit der letzten Senkung der HO-Preise mit sich gebracht hat.
Seit September ist die Kartoffelbewirtschaftung in Ostberlin aufgehoben und die Westberliner Hausfrauen machen in beträchtlichem Umfange von der Möglichkeit Gebrauch, in Ostberlin ihre Kartoffeln wesentlich billiger einzukaufen; auch Obst, Gemüse und obendrein Spirituosen sind jetzt in Ostberlin merklich billiger als im Westen. Noch stärker wirkt sich aber aus, daß seit der letzten HO-Preis- senkung auch Brot und andere Backwaren, ja sogar zum Teil Fleisch und Wurstwaren in den HO-Läden billiger geworden sind als im Westen, zumal dort gleichzeitig die Fleisch- und Wurstpreise anzogen.
In manchen Westberliner Bäckereien unweit der Sektorengrenze sind seitdem die Umsätze bis zu 70 Prozent zurückgegangen und man hat errechnet, daß täglich mindestens hunderttausend Dreipfundbrote von Ostberlin nach Westdeutschland wandern. Die HO-Geschäfte rühmen sich, seit der Preisherabsetzung ihren Brotumsatz verzwanzigfacht zu haben, es gibt einzelne HO-Geschäfte, die einen täglichen Umsatz von 10 000 Broten haben. Außer den HO-Broten, deren Preis immerhin noch über dem normalen Ostberliner Bäckerpreis liegt, werden von den Westberliner Hausfrauen auch vielfach Brote auf Ostberliner Brotmarken bezogen; diese haben sie von östlichen Freunden und Bekannten erhalten, die ihre Brotration, wie das seit der letzten Rationserhöhungen die Regel ist, nicht aufbrauchen. Diese Käufe sind für die sparsame Hausfrau besonders reizvoll, denn sie erhält vom östlichen Bäcker das rationierte Brot beim augenblicklichen Kursstand zu annähernd Vs des westlichen Brotpreises.
Die Folgen dieser westlichen Brotkäufe im Osten sind Entlassungen im Westberliner Bäk- kergewerbe; dieses hat die Hilfe des Westma- gistrats angerufen, aber bisher vergeblich. Der ziemlich ratlose Magistrat hat zunächst einmal ein Preisausschreiben erlassen, um einen kräftigen diffamierenden Ausdruck für die Währungssünder zu finden, die ihr Westgeld in Ostgeld Umtauschen, um im Osten billig einzukaufen. Das kräftige Wort, um sie anzuprangern, ist in Westberlin noch nicht gefunden, nur die Ostberlinär Presse, die von „Brot- Krieg“ spricht, hat vorgeschlagen, diese Leute — Schlaumeier zu nennen.
In Westberlin wurden alle möglichen Vorschläge gemacht, u. a. dachte man daran, den Arbeitnehmern einen Teil ihrer Bezüge in Gestalt von Kartoffel- und Brotgutscheinen auszuzahlen, um sie so zu zwingen, diese Waren in Westberlin zu beziehen. Dieser Vorschlag ist verworfen worden und man weiß sich vorerst keinen anderen Rat, als durch einen Grenzschutz an den Sektorengrenzen wenigstens die Brotverschiebungen größeren Umfangs von Ost nach West zu verhindern.
Mit einer Kursherabsetzung der Westmark ist es nicht getan, denn wollte man den Westmarkkurs so stark herabsetzen, daß für die Lebensmittel eine Kaufkraftparität einträte, so würden zu dem für sie verbilligten Westmarkkurs die Ostberliner die Textilwaren und Schuhläden in Westberlin ausplündern. Für diese Waren, die es in Ostberlin noch nicht frei zu kaufen gibt, entspricht die jetzige Kursrelation etwa den HO-Preisen.
Die von östlicher Seite als im Laufe des Jahres bevorstehend angekündigte völlige Aufhebung der Rationierung für Backwaren wäre für die Westberliner Bäckereien eine Katastrophe. — Wer hilft? Wer hat eine Idee zur Rettung der bedrohten Westberliner Bäcker?
F. E. O.
BELGRAD. In London und Washington laufen zurzeit Verhandlungen über die Bereitstellung von bereits gewährten Krediten für den Ankauf von Lebensmitteln, mit denen die jugoslawische Regierung versuchen will, die Auswirkungen der schweren Dürre des letzten Sommers zu mildern.
Kommunistische Demonstrationen
Polizei greift durch / Auf beiden Seiten Verletzte
BONN. Nach einer Mitteilung des Bundespresseamtes wurden am Sonntag allein in Nordrhein-Westfalen 709 kommunistische Demonstranten verhaftet. Die Polizei verhinderte durch schlagartiges Eingreifen alle Demonstrationen, die als Ersatz für das verbotene Dortmunder „Treffen der 100 000“ von der FDJ geplant waren.
Angriffe auf die Polizei gab es in Solingen, wo Jugendliche zum Teil Musikinstrumente als Waffe gegen die Polizisten benützten.
In Hamburg erlitten 16 Polizisten durch Steinwürfe und Bisse in die Hand zum Teil erhebliche Verletzungen, als sie am Sonntagnachmittag gegen kommunistische Demonstranten einschritten. Bis Sonntagabend wurden in Hamburg 86 Personen festgenommen.
In Frankfurt verhaftete die Polizei rund 50 Demonstranten.
In Hannover griffen 400 FDJler vier Polizisten, die ihre Kundgebung auflös'en wollten, tätlich an. Die Demonstrationen wurden durch Polizeiverstärkungen aufgelöst. Auf beiden Seiten gab es einige Leichtverletzte. Auch in Oldenburg, Braunschweig, München und Ludwigshafen kam es zu Zusammenstößen und Verhaftungen.
In Eßlingen griffen Demonstranten Polizeibeamte an. Es kam zu einer schweren Schlägerei, in deren Verlauf sechs Demonstranten und drei Polizeibeamte leicht verletzt wurden.
In Württemberg-Hohenzollern verlief der 1. Oktober ohne besondere Störungen. In Schwenningen zerstreute die Polizei am Samstagabend und Sonntagvormittag einige kleinere Ansammlungen, ohne daß Widerstand geleistet wurde.
Polizei- und Sicherheitsfragen
Länder und Bund beraten zusammen
BONN. Die Ministerpräsidenten und Innenminister der Länder trafen am Samstag mit Bundeskanzler Dr. Adenauer und dem Innenminister Dr. Heinemann zu einer Konferenz über Polizei- und Sicherheitsfragen zusammen. Es ging dabei vor allem um die Organisation der künftigen 30 000 Mann starken deutschen Bereitschaftspolizei. Bundesregierung und Länderchefs vereinbarten, drei Fachausschüsse einzusetzen, die die näheren Einzelheiten ausarbeiten sollen. Uebereinstim- mung wurde darüber erzielt, daß alle Maßnahmen schnell vorgenommen werden müssen, Die Ausschüsse sollen bereits Ende dieser Woche Vorschläge vorlegen, über die dann die Bundesregierung und die Länderchefs zu entscheiden haben.
Den Vorsitz über den Ausschuß für die Organisation der neuen Bereitschaftspolizei hat der bayerische Ministerpräsident Dr. E h a r d übernommen; den Ausschuß für Reorganisation der Länderpolizei bilden die Länderinnenminister mit abwechselndem Vorsitz; den Ausschuß für Finanzfragen leitet der Vorsitzende des Beratungsausschusses für Finanzen Dr. Hilpert.
Aus dem Bundeskanzleramt verlautete, der Artikel 91 des Grundgesetzes, nach dem zur Abwehr einer drohenden Gefahr die Polizeikräfte der Länder koordiniert werden können, werde „in Anbetracht der drohenden Lage“ u. U. wirksam werden. Es habe sich gezeigt, daß die Länderpolizeikräfte allein nicht ausreichen würden, um eine Gefahr zu bekämpfen. Die Bereitschaftspolizei werde grundsätzlich den Ländern unterstellt; über ihre Verwendung müsse jedoch zentral entschieden werden. Von den alliierten Hohen Kommissaren sei nahegelegt worden, die 30 000 Mann Bereitschaftspolizei schwerpunktartig einzusetzen, und nicht, wie es verschiedene Länder wünschten, auf die einzelnen Bundesländer zu verteilen.
Die elf Innenminister der Bundesländer baten den Bundeskanzler am Sonntag, bei den Alliierten Hohen Kommissaren darauf hinzuwirken, daß die bisher bestehenden dezentralisierten Polizeieinheiten den Länderinnenministern unterstellt würden. Außerdem soll der Bundeskanzler die Alliierten ersuchen, die Polizei im Bundesgebiet einheitlich mit Schußwaffen auszurüsten.
Nachrichten aus aller Welt
STUTTGART. Die Industriegewerkschaft Metall in Württemberg-Baden hat ihr Lohnabkommen mit der Metallindustrie zum 31. Oktober gekündigt. Die Verhandlungen über ein neues Lohnabkommen — die Gewerkschaft fordert eine Stundenlohnerhöhung um 20 Pfennig und eine Gehaltserhöhung von 40 DM im Monat — sollen am 10. Oktober in Ludwigsburg beginnen.
MÜNCHEN. Die Arbeitsminister der Bundesländer haben auf einer Tagung am vergangenen Wochenende den Bund aufgefordert, bald ein Kündigungsschutzgesetz zu erlassen. Außerdem einigten sie sich darüber, daß Ueberstunden nach Möglichkeit vermieden werden sollten.
HEIDELBERG. Für die von Präsident Truman angekündigten amerikanischen Truppenverstärkungen in Deutschland sind nach einer Mitteilung des amerikanischen Hauptquartiers in Heidelberg neue Beschlagnahmen deutscher Grundstücke und Wohnräume vorgesehen.
OFFENBACH. Die Bundesbahn hat angeordnet. daß 3000 Heimatvertriebene Spätheimkehrer beschleunigt eingestellt werden sollen. Bisher fanden bei der Bundesbahn 64 000 Heimatvertriebene Anstellung.
TRIER. Der Regent der Apostolischen Nuntiatur in Deutschland, Bischof Münch, eröffnete am Samstag in einem Festakt die Theologische Fakultät in Trier als erste Päpstliche Hochschule in Deutschland.
LÜNEBURG. In den vergangenen vier Monaten wurden im Gebiet von Celle insgesamt 16 Personen Opfer von Sprengkörperexplosionen.
HAMBURG. Der Hamburger Flughafen, einer der größten und modernsten Flugplätze Europas, wurde am Sonntag von den britischen Besatzungsbehörden der deutschen Verwaltung übergeben.
BERLIN. Auf dem Rathaus-Vorplatz in Spandau erregte am Samstagfrüh ein Wildschwein, das sieh in die Stadt verlaufen hatte, großes Aufsehen. Polizisten fingen es ein, sperrten es in eine Zelle und benachrichtigten die Oberförsterei Saubucht.
STOCKHOLM. Der bereits gemeldete Erdrutsch in Schweden, 20 km nördlich von Göteborg, hat zur Folge, daß seit Freitag rund 50 Schiffe im Göta-Kanal, der durch den Erdrutsch unbeschiffbar wurde, blockiert sind. .
LONDON. Winston Churchill feierte am Sonntag das goldene Jubiläum seiner 50jährigen Zugehörigkeit zum britischen Unterhaus.
PARIS. Die französische Polizei hat am Freitag eine modern eingerichtete Geheimdruckerei, in der seit drei Jahren falsche DM-Scheine, Dollars und Schweizer Franken hergestellt wurden, ausgehoben. Es konnten DM-Scheine im Gesamtgewicht von 80 kg sichergestellt werden. Acht Personen wurden verhaftet.
PARIS. In den letzten Tagen mehrten sich die Anzeichen für eine wachsende Unzufriedenheit der Industriearbeiterschaft mit dem Preisanstieg, besonders auf dem Lebensmittelsektor. Für die nächste Zeit werden daher scharfe Lohnkämpfe erwartet.
MADRID. Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 28 Millionen weist Spanien gegenwärtig ein Frauenüberschuß von einer Million auf. Allein in Madrid .gibt es 100 000 Frauen mehr als Männer.
RDM. Im Seegebiet zwischen Malta und Cagli- äri sind seit Samstag über 100 amerikanische, britische, französische und italienische Kriegsschiffe versammelt, um an den größten Flottenmanövern teilzunehmen, die je im Mittelmeer abgehalten wurden.
Es bleibt bei der Kulisse
LH. Es war einmal ein schöner Plan. Fast wie aus einem Märchen, aus einem Filmmärchen. Anläßlich der „Woche des deutschen Films“ hatte das Filmtheatergewerbe beabsichtigt, einen „sozialen Filmtag“ • einzuschalten, dessen Einnahmen zum Bau von Flüchtlingswohnungen verwendet werden sollten. Das hätte immerhin bei 4000 deutschen Lichtspieltheatern die schöne runde Summe von Vh Mill. DM ergeben. Leider ist dieser märchenhafte Plan nicht Wirklichkeit geworden, weil die Vergnügungssteuer ihm im Wege stand. Man kann es den Filmtheaterbesitzern nicht verübeln, daß sie ihr Experiment mit der Bedingung verknüpft hatten, an diesem „sozialen Filmtag“ frei von Vergnügungssteuern zu sein, denn der soziale Zweck dieses Tages kann ja nicht als ein besonderes Vergnügen bezeichnet werden.
Das war schon vor vielen Wochen, und seitdem ging der Plan durch die offenbar gewundenen Mahlgänge der finanztechnischen Mühle, und er ist bis zur Stunde noch nicht wieder erschienen. Der westdeutsche Bund hat es nicht für nötig gehalten, den von der Filmwirtschaft angestrebten Erlaß der Vergnügungssteuer an die deutschen Länder empfehlend weiterzureidien. So quält sich also der schöne Plan noch immer in der Maschinerie des Staates, und die Flüchtlinge sind um eine Hoffnung ärmer geworden. Es wird keine „Theo- Lingen-Siedlung“ geben und auch keine „Ilse- Werner-Straße“. Höchstens einmal in einem Lustspielfilm. Die Wirklichkeit ist indessen tragisch.
Erntedank 1950
Verstärkte Anstrengungen der Landwirtschaft notwendig
BONN. Bundesernährungsminister Prof. Niklas forderte am Sonntag in einer Rund- funk'ansprache zum Erntedanktag die deutsche Landwirtschaft auf, ihre Anstrengungen zu verstärken. „Jedes Kilogramm Weizen, Fleisch, Zucker und Fett, das wir au9 unseren landwirtschaftlichen Betrieben herausholen, bedeutet mehr Wolle, Kupfer, Zinn und Gummi für die Einfuhr.“
Gleichzeitig forderte Niklas die Verbraucher auf nicht mehr als notwendig zu kaufen. Die Ernährung der Bundesrepublik hänge noch zu gut 40 Prozent von Einfuhren ab. Daran habe der Ausbruch der Feindseligkeiten in Korea mit peinlicher Deutlichkeit erinnert. Trotzdem sei es jetzt gelungen, den durch Angstkäufe und Warenhortung verursachten Mangel zu überwinden. Dies sei nur durch verstärkte Einfuhren und Einsatz aller Kräfte möglich gewesen.
Am Samstag wandte sich das Bundesernährungsministerium gegen das Ansteigen der Kartoffelpreise in den letzten zwei Wochen. Wenn auch die Kartoffelpreise Mitte September einen ungewöhnlichen Tiefstand erreicht . hätten, so sei es doch nicht gerechtfertigt, die Preise von 2.60 bis 3.40 auf 5.80 bis 6.50 DM pro Zentner zu erhöhen. Diese Vorgänge erweckten den Eindruck, daß manche Handelsstufen die steigende Tendenz der Kartoffelpreise allzusehr ausnützten.
Im Stfch ge'assen
.BERLIN. Der Vorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher, warnte am Samstag auf einer Kundgebung im Humboldt-Hain, an der etwa 40 000 Berliner teilnahmen, die Angehörigen der Volkspolizei davor, ihre Machtmittel weiterhin gegen das eigene Volk zu benutzen. Am Ende werde es ihnen ebenso ergehen wie den Nordkoreanern, die jetzt von den Sowjets feige im Stich gelassen worden seien. Schumacher kündigte den „rücksichtslosen Kampf gegen „die Instrumente einer fremden Besatzungsmacht“ an. Er nannte die Friedenspropaganda der Kommunisten eine bewußte Kriegsvorbereitung, mit deren Hilfe die Menschheit in Angst und Panik versetzt werden solle.
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Roman ainas Dämons von Norbori Jacquas
21] Copyright by Haftmann Qftd Campa Vorlog, Homburg
Die Lara also! Die berühmte Tänzerin ... Ja, jetzt erkannte Helli sie wieder. Wie nett und menschlich die Künstlerin war, und wie herzlich sie sprach! Es war richtig, daß die Lara nicht mehr ganz jung war, aber sie wirkte so interessant, daß sie es mit einem ganzen Rudel junger Schönheiten hätte aufnehmen können: die Männer hatten immer nur die Lara gesehen, die reife, von Geheimnis umwitterte Frau.
Helli und die Tänzerin sprachen noch eine Weile miteinander. Helli machte ihr Komplimente und nannte sich glücklich, daß sie durch einen so schönen Zufall die Bekanntschaft der großen Tänzerin habe machen dürfen.
Liebenswürdig schloß sie: „Nun ist Ihre Spende das doppelte wert, weil sie von einer so großen Künstlerin kommt.“
„Danke schön“, antwortete die Lara. „Hätten Sie nichts dagegen, wenn ich Ihnen beim Blumen verkaufen helfe? Was meinen Sie?“ Aber das wäre doch zu anspruchsvoll, nein, gnädige Frau. Das darf ich nicht annehmen.“
„Lalala!“ machte die Tänzerin. „Geben Sie mir eine Handvoll ab. Kommen Sie näher zu dem Hotel. Das ist ein besserer Platz als diese Ecke u
Damit nahm sie mit einem lebhaften Griff das blaue Hütchen mit der schräg nach hinten geneigten Aigrette vom Kopf und füllte es mit Blumen. Das blonde Haar leuchtete wie eine große Sonnenblume zwischen den Menschen, mit denen sie weitergingen. Die Tänzerin lachte die Vorübergehenden an, und die kamen heran und kauften Blumen. Bald waren sie ausverkauft.
Helli begann zu danken.
„Aber nicht doch“, wehrte die Lara ab. „Schauen Sie, ich habe sichere Einkünfte trotz der schlechten Zeit, und es ist meine Pflicht, zu helfen. Was bedeuten die paar Mark, die ich Ihnen einnehmen helfe, neben der Größe der Not. Ich habe die Gewohnheit, in allen Städten, wo ich auftrete, einen Abend der Wohltätigkeit zu widmen, und da wir uns so gut vertragen, meine kleine süße Freundin, werden Sie mir sagen, an wen ich mich deswegen hier wenden soll. Und vor allem, wie Sie heißen.“
„Helli Born“, sagte das Mädchen. „Mein Vater ist der Professor Born.“
„Oh!“ machte die Lara. „Der berühmte Psychiater. Fein! Das ist wundervoll. Auch Ihr Vater muß uns seinen Namen leihen. Wird er es tun?“
„Sicher wird er’s tun.“
„Und was raten Sie mir? Wer soll alles organisieren? Vielleicht der Verein, der den Blumenverkauf heute betrieben hat.“
„O ja, natürlich!“ rief Helli. „Es ist die Fürsorge, das Wohlfahrtsamt Nord. Meine Behörde. Ich bin da angestelit. Sie haben ein gutes Herz, aber trotzdem wissen Sie nicht, wieviel Not wir in unseren Büros und bei unseren Besuchen zu sehen bekommen.“
„Dann schlage ich vor, wir nehmen ein Auto und fahren gleich zu Ihrer Behörde und bringen es in Ordnung.“
„Die Frau Regierungsrätin wird Augen machen“, jubelte Helli.
„Ihre Vorgesetzte ist eine Frau? Trägt sie eine Brille?“
„Nein. Aber nein.“
„Ein Reformkleid?“
„Nicht im geringsten."
„Aber sie ist eine Vogelscheuche und ihre Zähne wackeln?“
„Die sind so schön und so schneeweiß, fast wie die Ihrigen, Frau Lara!“
„Aber sie ist etwa neunzig Jahre alt und griesgrämig?“
„Sie ist eine schöne Frau und sehr liebenswürdig, und wir verehren sie.“
„Dann bin ich beruhigt, kleine Freundin. Und bereit, mit ihr den Fall zu besprechen. Kommen Sie!“
Helli hatte das Erlebnis mit dem unbekannten Mann und dem Hundertmarkschein völlig vergessen.
*
Aber dieser unbekannte Mann, Günther Kent, hatte Helli nicht vergessen. Er hatte an dem jungen Mädchen, das die Blumen verkaufte, Vorbeigehen wollen. Aber als er schon an ihr vorüber war, erkannte er sie auf einmal an dem Blick ihrer großen kinderhaften Augen. Er machte sofort hält, fingerte einen der gefälschten Scheine aus der Tasche, hielt ihn hin und sah nun voll in diese Augen. Eine Unberührtheit strahlten sie aus, die ihm wie etwas Sagenhaftes erschien.
Er erschrak vor dem, was er tun wollte. Den Schein zerknitterte er und steckte ihn wieder in die Tasche, er mußte fliehen. Er eilte zu dem Omnibus, der gerade an der nahen Haltestelle vorfuhr. Daß er das Mädchen, das er so sehr gesucht, hier und unter solchen Umständen gefunden hatte, erschütterte ihn aufs tiefste.
Kent war durch ^aulebaum aus dem Gefängnis befreit woi -.Er war nicht glücklich. Seit einiger Zeit meldete Sich immer bezwingender das Begehren, das Leben in der Verbrecherbande aufzugeben und in eine bessere Gesellschaft zurückzufinden. Aber die ersten zaghaften Versuche scheiterten. Die Nöte der Zeit... Arbeitslosigkeit. .
Jetzt hatte er wieder einmal die Luft des Gefängnisses gerochen. Er hatte es völlig verzweifelt verlassen und irrte, die Gefahr entdeckt zu werden mißachtend, mit sich ringend, durch die Stadt.
In dieser Stimmung, aus Trotz und Aufleh
nung gemischt, hatte er der Sammlerin die gefälschte Banknote geben wollen und im letzten Augenblick in ihr das Mädchen erkannt, das er liebte und bewunderte und durch dessen telephonischen Anruf er befreit worden war. Das war die Entscheidung. Keinen Augenblick länger bei diesem Leben!
Er suchte das nächstgelegene Wohlfahrtsamt auf, um zu erfragen, ob man ihm nicht eine Beschäftigung verschaffen könnte. Er war bereit zu allem. Ja, er war bereit, die Bande auszuliefem... nur wieder ein ordentliches, klares offenes Leben.
Einmal wieder würdig werden, daß solche Augen einen anschauen, und daß man selber hineinschauen darf!
Eine Qual zerwühlte ihn. Die Menschen wußten nichts von seinem Sturz aus ihrer Gesellschaft, als er damals verurteilt wurde. Er durfte die Wahrheit nicht sagen. Sie hatten ihn verstoßen und er fand keinen anderen Weg, als den zu der Verbrecherbande. Die Menschen hatten es ihm leicht gemacht, bei ihr zu blei-* ben. Denn nie hatten sie ihm die Möglichkeit gegönnt, wieder zu einer anständigen Arbeit und dorthin zurückzugelangen, wo er sie verlassen hatte. Er hatte es oft versucht. Immer wieder war er zurückgewiesen worden. Wie ein Gespenst verfolgte ihn sein Fehltritt. Er schien unsühnbar zu sein. So hatte ihn die Not zu der Verbrechergilde getrieben, und Not und Trotz hielten ihn dort fest.
Jetzt aber stand dieses Mädchen an seinem Weg.
Kent versuchte, sich ihrer Gesichtszüge zu erinnern. Aber sein Gedächtnis gab sie ihm nicht zurück. Nur der Ausdruck der Augen war ihm gegenwärtig. Es kam ihm vor, als seien diese Augen vom Leben unberührt geblieben, als leuchteten sie aus einer anderen Sphäre in diese vom Menschendreck beschmutzte Straße ... als bärgen sie das Kostbarste und Erhabenste, das Süßeste und das Unstillbarste.
(Fortsetzung folgt)