6. Jahrgang

MONTAG, 2. OKTOBER 1950

Nummer 153

Lebensmitteldumping in Berlin

Die Ost-Presse spricht vonBrot-Krieg"

Der Westberliner Magistrat hat schwere Sor­gen und sucht krampfhaft nach einem Ausweg aus der verzwickten Situation, die das östliche Lebensmitteldumping seit der letzten Senkung der HO-Preise mit sich gebracht hat.

Seit September ist die Kartoffelbewirtschaf­tung in Ostberlin aufgehoben und die West­berliner Hausfrauen machen in beträchtlichem Umfange von der Möglichkeit Gebrauch, in Ostberlin ihre Kartoffeln wesentlich billiger einzukaufen; auch Obst, Gemüse und oben­drein Spirituosen sind jetzt in Ostberlin merk­lich billiger als im Westen. Noch stärker wirkt sich aber aus, daß seit der letzten HO-Preis- senkung auch Brot und andere Backwaren, ja sogar zum Teil Fleisch und Wurstwaren in den HO-Läden billiger geworden sind als im Westen, zumal dort gleichzeitig die Fleisch- und Wurstpreise anzogen.

In manchen Westberliner Bäckereien unweit der Sektorengrenze sind seitdem die Umsätze bis zu 70 Prozent zurückgegangen und man hat errechnet, daß täglich mindestens hundert­tausend Dreipfundbrote von Ostberlin nach Westdeutschland wandern. Die HO-Geschäfte rühmen sich, seit der Preisherabsetzung ihren Brotumsatz verzwanzigfacht zu haben, es gibt einzelne HO-Geschäfte, die einen täglichen Umsatz von 10 000 Broten haben. Außer den HO-Broten, deren Preis immerhin noch über dem normalen Ostberliner Bäckerpreis liegt, werden von den Westberliner Hausfrauen auch vielfach Brote auf Ostberliner Brotmarken be­zogen; diese haben sie von östlichen Freunden und Bekannten erhalten, die ihre Brotration, wie das seit der letzten Rationserhöhungen die Regel ist, nicht aufbrauchen. Diese Käufe sind für die sparsame Hausfrau besonders reizvoll, denn sie erhält vom östlichen Bäcker das ra­tionierte Brot beim augenblicklichen Kurs­stand zu annähernd Vs des westlichen Brot­preises.

Die Folgen dieser westlichen Brotkäufe im Osten sind Entlassungen im Westberliner Bäk- kergewerbe; dieses hat die Hilfe des Westma- gistrats angerufen, aber bisher vergeblich. Der ziemlich ratlose Magistrat hat zunächst ein­mal ein Preisausschreiben erlassen, um einen kräftigen diffamierenden Ausdruck für die Währungssünder zu finden, die ihr Westgeld in Ostgeld Umtauschen, um im Osten billig ein­zukaufen. Das kräftige Wort, um sie anzu­prangern, ist in Westberlin noch nicht gefun­den, nur die Ostberlinär Presse, die vonBrot- Krieg spricht, hat vorgeschlagen, diese Leute Schlaumeier zu nennen.

In Westberlin wurden alle möglichen Vor­schläge gemacht, u. a. dachte man daran, den Arbeitnehmern einen Teil ihrer Bezüge in Ge­stalt von Kartoffel- und Brotgutscheinen aus­zuzahlen, um sie so zu zwingen, diese Waren in Westberlin zu beziehen. Dieser Vorschlag ist verworfen worden und man weiß sich vor­erst keinen anderen Rat, als durch einen Grenzschutz an den Sektorengrenzen wenig­stens die Brotverschiebungen größeren Um­fangs von Ost nach West zu verhindern.

Mit einer Kursherabsetzung der Westmark ist es nicht getan, denn wollte man den West­markkurs so stark herabsetzen, daß für die Lebensmittel eine Kaufkraftparität einträte, so würden zu dem für sie verbilligten West­markkurs die Ostberliner die Textilwaren und Schuhläden in Westberlin ausplündern. Für diese Waren, die es in Ostberlin noch nicht frei zu kaufen gibt, entspricht die jetzige Kurs­relation etwa den HO-Preisen.

Die von östlicher Seite als im Laufe des Jah­res bevorstehend angekündigte völlige Auf­hebung der Rationierung für Backwaren wäre für die Westberliner Bäckereien eine Kata­strophe. Wer hilft? Wer hat eine Idee zur Rettung der bedrohten Westberliner Bäcker?

F. E. O.

BELGRAD. In London und Washington laufen zurzeit Verhandlungen über die Bereitstellung von bereits gewährten Krediten für den Ankauf von Lebensmitteln, mit denen die jugoslawische Regierung versuchen will, die Auswirkungen der schweren Dürre des letzten Sommers zu mildern.

Kommunistische Demonstrationen

Polizei greift durch / Auf beiden Seiten Verletzte

BONN. Nach einer Mitteilung des Bundes­presseamtes wurden am Sonntag allein in Nordrhein-Westfalen 709 kommunistische De­monstranten verhaftet. Die Polizei verhin­derte durch schlagartiges Eingreifen alle De­monstrationen, die als Ersatz für das ver­botene DortmunderTreffen der 100 000 von der FDJ geplant waren.

Angriffe auf die Polizei gab es in Solingen, wo Jugendliche zum Teil Musikinstrumente als Waffe gegen die Polizisten benützten.

In Hamburg erlitten 16 Polizisten durch Steinwürfe und Bisse in die Hand zum Teil erhebliche Verletzungen, als sie am Sonntag­nachmittag gegen kommunistische Demon­stranten einschritten. Bis Sonntagabend wur­den in Hamburg 86 Personen festgenommen.

In Frankfurt verhaftete die Polizei rund 50 Demonstranten.

In Hannover griffen 400 FDJler vier Polizi­sten, die ihre Kundgebung auflös'en wollten, tätlich an. Die Demonstrationen wurden durch Polizeiverstärkungen aufgelöst. Auf beiden Seiten gab es einige Leichtverletzte. Auch in Oldenburg, Braunschweig, München und Lud­wigshafen kam es zu Zusammenstößen und Verhaftungen.

In Eßlingen griffen Demonstranten Polizei­beamte an. Es kam zu einer schweren Schlä­gerei, in deren Verlauf sechs Demonstranten und drei Polizeibeamte leicht verletzt wurden.

In Württemberg-Hohenzollern verlief der 1. Oktober ohne besondere Störungen. In Schwenningen zerstreute die Polizei am Samstagabend und Sonntagvormittag einige kleinere Ansammlungen, ohne daß Wider­stand geleistet wurde.

Polizei- und Sicherheitsfragen

Länder und Bund beraten zusammen

BONN. Die Ministerpräsidenten und Innen­minister der Länder trafen am Samstag mit Bundeskanzler Dr. Adenauer und dem In­nenminister Dr. Heinemann zu einer Kon­ferenz über Polizei- und Sicherheitsfragen zu­sammen. Es ging dabei vor allem um die Or­ganisation der künftigen 30 000 Mann starken deutschen Bereitschaftspolizei. Bundesregie­rung und Länderchefs vereinbarten, drei Fach­ausschüsse einzusetzen, die die näheren Ein­zelheiten ausarbeiten sollen. Uebereinstim- mung wurde darüber erzielt, daß alle Maß­nahmen schnell vorgenommen werden müs­sen, Die Ausschüsse sollen bereits Ende dieser Woche Vorschläge vorlegen, über die dann die Bundesregierung und die Länderchefs zu ent­scheiden haben.

Den Vorsitz über den Ausschuß für die Or­ganisation der neuen Bereitschaftspolizei hat der bayerische Ministerpräsident Dr. E h a r d übernommen; den Ausschuß für Reorganisa­tion der Länderpolizei bilden die Länderinnen­minister mit abwechselndem Vorsitz; den Aus­schuß für Finanzfragen leitet der Vorsitzende des Beratungsausschusses für Finanzen Dr. Hilpert.

Aus dem Bundeskanzleramt verlautete, der Artikel 91 des Grundgesetzes, nach dem zur Abwehr einer drohenden Gefahr die Polizei­kräfte der Länder koordiniert werden können, werdein Anbetracht der drohenden Lage u. U. wirksam werden. Es habe sich gezeigt, daß die Länderpolizeikräfte allein nicht aus­reichen würden, um eine Gefahr zu bekämp­fen. Die Bereitschaftspolizei werde grundsätz­lich den Ländern unterstellt; über ihre Ver­wendung müsse jedoch zentral entschieden werden. Von den alliierten Hohen Kommissa­ren sei nahegelegt worden, die 30 000 Mann Bereitschaftspolizei schwerpunktartig einzu­setzen, und nicht, wie es verschiedene Länder wünschten, auf die einzelnen Bundesländer zu verteilen.

Die elf Innenminister der Bundesländer ba­ten den Bundeskanzler am Sonntag, bei den Alliierten Hohen Kommissaren darauf hin­zuwirken, daß die bisher bestehenden dezentralisierten Polizeieinheiten den Län­derinnenministern unterstellt würden. Außer­dem soll der Bundeskanzler die Alliierten er­suchen, die Polizei im Bundesgebiet einheitlich mit Schußwaffen auszurüsten.

Nachrichten aus aller Welt

STUTTGART. Die Industriegewerkschaft Me­tall in Württemberg-Baden hat ihr Lohnabkom­men mit der Metallindustrie zum 31. Oktober ge­kündigt. Die Verhandlungen über ein neues Lohnabkommen die Gewerkschaft fordert eine Stundenlohnerhöhung um 20 Pfennig und eine Gehaltserhöhung von 40 DM im Monat sollen am 10. Oktober in Ludwigsburg beginnen.

MÜNCHEN. Die Arbeitsminister der Bundes­länder haben auf einer Tagung am vergangenen Wochenende den Bund aufgefordert, bald ein Kündigungsschutzgesetz zu erlassen. Außerdem einigten sie sich darüber, daß Ueberstunden nach Möglichkeit vermieden werden sollten.

HEIDELBERG. Für die von Präsident Truman angekündigten amerikanischen Truppenverstär­kungen in Deutschland sind nach einer Mittei­lung des amerikanischen Hauptquartiers in Hei­delberg neue Beschlagnahmen deutscher Grund­stücke und Wohnräume vorgesehen.

OFFENBACH. Die Bundesbahn hat angeord­net. daß 3000 Heimatvertriebene Spätheimkehrer beschleunigt eingestellt werden sollen. Bisher fanden bei der Bundesbahn 64 000 Heimatver­triebene Anstellung.

TRIER. Der Regent der Apostolischen Nun­tiatur in Deutschland, Bischof Münch, eröffnete am Samstag in einem Festakt die Theologische Fakultät in Trier als erste Päpstliche Hochschule in Deutschland.

LÜNEBURG. In den vergangenen vier Mona­ten wurden im Gebiet von Celle insgesamt 16 Personen Opfer von Sprengkörperexplosionen.

HAMBURG. Der Hamburger Flughafen, einer der größten und modernsten Flugplätze Europas, wurde am Sonntag von den britischen Besat­zungsbehörden der deutschen Verwaltung über­geben.

BERLIN. Auf dem Rathaus-Vorplatz in Span­dau erregte am Samstagfrüh ein Wildschwein, das sieh in die Stadt verlaufen hatte, großes Aufsehen. Polizisten fingen es ein, sperrten es in eine Zelle und benachrichtigten die Ober­försterei Saubucht.

STOCKHOLM. Der bereits gemeldete Erd­rutsch in Schweden, 20 km nördlich von Göte­borg, hat zur Folge, daß seit Freitag rund 50 Schiffe im Göta-Kanal, der durch den Erd­rutsch unbeschiffbar wurde, blockiert sind. .

LONDON. Winston Churchill feierte am Sonn­tag das goldene Jubiläum seiner 50jährigen Zu­gehörigkeit zum britischen Unterhaus.

PARIS. Die französische Polizei hat am Frei­tag eine modern eingerichtete Geheimdruckerei, in der seit drei Jahren falsche DM-Scheine, Dollars und Schweizer Franken hergestellt wur­den, ausgehoben. Es konnten DM-Scheine im Gesamtgewicht von 80 kg sichergestellt werden. Acht Personen wurden verhaftet.

PARIS. In den letzten Tagen mehrten sich die Anzeichen für eine wachsende Unzufrieden­heit der Industriearbeiterschaft mit dem Preis­anstieg, besonders auf dem Lebensmittelsektor. Für die nächste Zeit werden daher scharfe Lohn­kämpfe erwartet.

MADRID. Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 28 Millionen weist Spanien gegenwärtig ein Frauenüberschuß von einer Million auf. Al­lein in Madrid .gibt es 100 000 Frauen mehr als Männer.

RDM. Im Seegebiet zwischen Malta und Cagli- äri sind seit Samstag über 100 amerikanische, britische, französische und italienische Kriegs­schiffe versammelt, um an den größten Flotten­manövern teilzunehmen, die je im Mittelmeer abgehalten wurden.

Es bleibt bei der Kulisse

LH. Es war einmal ein schöner Plan. Fast wie aus einem Märchen, aus einem Filmmär­chen. Anläßlich derWoche des deutschen Films hatte das Filmtheatergewerbe beab­sichtigt, einensozialen Filmtag einzuschal­ten, dessen Einnahmen zum Bau von Flücht­lingswohnungen verwendet werden sollten. Das hätte immerhin bei 4000 deutschen Licht­spieltheatern die schöne runde Summe von Vh Mill. DM ergeben. Leider ist dieser mär­chenhafte Plan nicht Wirklichkeit geworden, weil die Vergnügungssteuer ihm im Wege stand. Man kann es den Filmtheaterbesitzern nicht verübeln, daß sie ihr Experiment mit der Bedingung verknüpft hatten, an diesemso­zialen Filmtag frei von Vergnügungssteuern zu sein, denn der soziale Zweck dieses Tages kann ja nicht als ein besonderes Vergnügen bezeichnet werden.

Das war schon vor vielen Wochen, und seit­dem ging der Plan durch die offenbar gewun­denen Mahlgänge der finanztechnischen Mühle, und er ist bis zur Stunde noch nicht wieder erschienen. Der westdeutsche Bund hat es nicht für nötig gehalten, den von der Filmwirt­schaft angestrebten Erlaß der Vergnügungs­steuer an die deutschen Länder empfehlend weiterzureidien. So quält sich also der schöne Plan noch immer in der Maschinerie des Staa­tes, und die Flüchtlinge sind um eine Hoff­nung ärmer geworden. Es wird keineTheo- Lingen-Siedlung geben und auch keineIlse- Werner-Straße. Höchstens einmal in einem Lustspielfilm. Die Wirklichkeit ist indessen tragisch.

Erntedank 1950

Verstärkte Anstrengungen der Landwirtschaft notwendig

BONN. Bundesernährungsminister Prof. Niklas forderte am Sonntag in einer Rund- funk'ansprache zum Erntedanktag die deutsche Landwirtschaft auf, ihre Anstrengungen zu verstärken.Jedes Kilogramm Weizen, Fleisch, Zucker und Fett, das wir au9 unseren land­wirtschaftlichen Betrieben herausholen, be­deutet mehr Wolle, Kupfer, Zinn und Gummi für die Einfuhr.

Gleichzeitig forderte Niklas die Verbraucher auf nicht mehr als notwendig zu kaufen. Die Ernährung der Bundesrepublik hänge noch zu gut 40 Prozent von Einfuhren ab. Daran habe der Ausbruch der Feindseligkeiten in Korea mit peinlicher Deutlichkeit erinnert. Trotz­dem sei es jetzt gelungen, den durch Angst­käufe und Warenhortung verursachten Man­gel zu überwinden. Dies sei nur durch ver­stärkte Einfuhren und Einsatz aller Kräfte möglich gewesen.

Am Samstag wandte sich das Bundeser­nährungsministerium gegen das Ansteigen der Kartoffelpreise in den letzten zwei Wochen. Wenn auch die Kartoffelpreise Mitte Sep­tember einen ungewöhnlichen Tiefstand er­reicht . hätten, so sei es doch nicht gerecht­fertigt, die Preise von 2.60 bis 3.40 auf 5.80 bis 6.50 DM pro Zentner zu erhöhen. Diese Vorgänge erweckten den Eindruck, daß man­che Handelsstufen die steigende Tendenz der Kartoffelpreise allzusehr ausnützten.

Im Stfch ge'assen

.BERLIN. Der Vorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher, warnte am Samstag auf ei­ner Kundgebung im Humboldt-Hain, an der etwa 40 000 Berliner teilnahmen, die Ange­hörigen der Volkspolizei davor, ihre Macht­mittel weiterhin gegen das eigene Volk zu benutzen. Am Ende werde es ihnen ebenso ergehen wie den Nordkoreanern, die jetzt von den Sowjets feige im Stich gelassen worden seien. Schumacher kündigte denrücksichts­losen Kampf gegendie Instrumente einer fremden Besatzungsmacht an. Er nannte die Friedenspropaganda der Kommunisten eine bewußte Kriegsvorbereitung, mit deren Hilfe die Menschheit in Angst und Panik ver­setzt werden solle.

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Roman ainas Dämons von Norbori Jacquas

21] Copyright by Haftmann Qftd Campa Vorlog, Homburg

Die Lara also! Die berühmte Tänzerin ... Ja, jetzt erkannte Helli sie wieder. Wie nett und menschlich die Künstlerin war, und wie herzlich sie sprach! Es war richtig, daß die Lara nicht mehr ganz jung war, aber sie wirkte so interessant, daß sie es mit einem ganzen Rudel junger Schönheiten hätte auf­nehmen können: die Männer hatten immer nur die Lara gesehen, die reife, von Geheimnis umwitterte Frau.

Helli und die Tänzerin sprachen noch eine Weile miteinander. Helli machte ihr Kompli­mente und nannte sich glücklich, daß sie durch einen so schönen Zufall die Bekanntschaft der großen Tänzerin habe machen dürfen.

Liebenswürdig schloß sie:Nun ist Ihre Spende das doppelte wert, weil sie von einer so großen Künstlerin kommt.

Danke schön, antwortete die Lara.Hätten Sie nichts dagegen, wenn ich Ihnen beim Blumen verkaufen helfe? Was meinen Sie? Aber das wäre doch zu anspruchsvoll, nein, gnädige Frau. Das darf ich nicht annehmen.

Lalala! machte die Tänzerin.Geben Sie mir eine Handvoll ab. Kommen Sie näher zu dem Hotel. Das ist ein besserer Platz als diese Ecke u

Damit nahm sie mit einem lebhaften Griff das blaue Hütchen mit der schräg nach hinten geneigten Aigrette vom Kopf und füllte es mit Blumen. Das blonde Haar leuchtete wie eine große Sonnenblume zwischen den Men­schen, mit denen sie weitergingen. Die Tänze­rin lachte die Vorübergehenden an, und die kamen heran und kauften Blumen. Bald waren sie ausverkauft.

Helli begann zu danken.

Aber nicht doch, wehrte die Lara ab. Schauen Sie, ich habe sichere Einkünfte trotz der schlechten Zeit, und es ist meine Pflicht, zu helfen. Was bedeuten die paar Mark, die ich Ihnen einnehmen helfe, neben der Größe der Not. Ich habe die Gewohnheit, in allen Städten, wo ich auftrete, einen Abend der Wohltätigkeit zu widmen, und da wir uns so gut vertragen, meine kleine süße Freundin, werden Sie mir sagen, an wen ich mich des­wegen hier wenden soll. Und vor allem, wie Sie heißen.

Helli Born, sagte das Mädchen.Mein Vater ist der Professor Born.

Oh! machte die Lara.Der berühmte Psy­chiater. Fein! Das ist wundervoll. Auch Ihr Vater muß uns seinen Namen leihen. Wird er es tun?

Sicher wird ers tun.

Und was raten Sie mir? Wer soll alles or­ganisieren? Vielleicht der Verein, der den Blumenverkauf heute betrieben hat.

O ja, natürlich! rief Helli.Es ist die Fürsorge, das Wohlfahrtsamt Nord. Meine Be­hörde. Ich bin da angestelit. Sie haben ein gutes Herz, aber trotzdem wissen Sie nicht, wieviel Not wir in unseren Büros und bei unseren Besuchen zu sehen bekommen.

Dann schlage ich vor, wir nehmen ein Auto und fahren gleich zu Ihrer Behörde und brin­gen es in Ordnung.

Die Frau Regierungsrätin wird Augen ma­chen, jubelte Helli.

Ihre Vorgesetzte ist eine Frau? Trägt sie eine Brille?

Nein. Aber nein.

Ein Reformkleid?

Nicht im geringsten."

Aber sie ist eine Vogelscheuche und ihre Zähne wackeln?

Die sind so schön und so schneeweiß, fast wie die Ihrigen, Frau Lara!

Aber sie ist etwa neunzig Jahre alt und griesgrämig?

Sie ist eine schöne Frau und sehr liebens­würdig, und wir verehren sie.

Dann bin ich beruhigt, kleine Freundin. Und bereit, mit ihr den Fall zu besprechen. Kommen Sie!

Helli hatte das Erlebnis mit dem unbekann­ten Mann und dem Hundertmarkschein völlig vergessen.

*

Aber dieser unbekannte Mann, Günther Kent, hatte Helli nicht vergessen. Er hatte an dem jungen Mädchen, das die Blumen ver­kaufte, Vorbeigehen wollen. Aber als er schon an ihr vorüber war, erkannte er sie auf ein­mal an dem Blick ihrer großen kinderhaften Augen. Er machte sofort hält, fingerte einen der gefälschten Scheine aus der Tasche, hielt ihn hin und sah nun voll in diese Augen. Eine Unberührtheit strahlten sie aus, die ihm wie etwas Sagenhaftes erschien.

Er erschrak vor dem, was er tun wollte. Den Schein zerknitterte er und steckte ihn wieder in die Tasche, er mußte fliehen. Er eilte zu dem Omnibus, der gerade an der nahen Halte­stelle vorfuhr. Daß er das Mädchen, das er so sehr gesucht, hier und unter solchen Umstän­den gefunden hatte, erschütterte ihn aufs tiefste.

Kent war durch ^aulebaum aus dem Ge­fängnis befreit woi -.Er war nicht glücklich. Seit einiger Zeit meldete Sich immer bezwin­gender das Begehren, das Leben in der Ver­brecherbande aufzugeben und in eine bessere Gesellschaft zurückzufinden. Aber die ersten zaghaften Versuche scheiterten. Die Nöte der Zeit... Arbeitslosigkeit. .

Jetzt hatte er wieder einmal die Luft des Gefängnisses gerochen. Er hatte es völlig ver­zweifelt verlassen und irrte, die Gefahr ent­deckt zu werden mißachtend, mit sich ringend, durch die Stadt.

In dieser Stimmung, aus Trotz und Aufleh­

nung gemischt, hatte er der Sammlerin die ge­fälschte Banknote geben wollen und im letz­ten Augenblick in ihr das Mädchen erkannt, das er liebte und bewunderte und durch dessen telephonischen Anruf er befreit worden war. Das war die Entscheidung. Keinen Augenblick länger bei diesem Leben!

Er suchte das nächstgelegene Wohlfahrts­amt auf, um zu erfragen, ob man ihm nicht eine Beschäftigung verschaffen könnte. Er war bereit zu allem. Ja, er war bereit, die Bande auszuliefem... nur wieder ein ordentliches, klares offenes Leben.

Einmal wieder würdig werden, daß solche Augen einen anschauen, und daß man selber hineinschauen darf!

Eine Qual zerwühlte ihn. Die Menschen wuß­ten nichts von seinem Sturz aus ihrer Gesell­schaft, als er damals verurteilt wurde. Er durfte die Wahrheit nicht sagen. Sie hatten ihn verstoßen und er fand keinen anderen Weg, als den zu der Verbrecherbande. Die Menschen hatten es ihm leicht gemacht, bei ihr zu blei-* ben. Denn nie hatten sie ihm die Möglichkeit gegönnt, wieder zu einer anständigen Arbeit und dorthin zurückzugelangen, wo er sie ver­lassen hatte. Er hatte es oft versucht. Im­mer wieder war er zurückgewiesen worden. Wie ein Gespenst verfolgte ihn sein Fehltritt. Er schien unsühnbar zu sein. So hatte ihn die Not zu der Verbrechergilde getrieben, und Not und Trotz hielten ihn dort fest.

Jetzt aber stand dieses Mädchen an seinem Weg.

Kent versuchte, sich ihrer Gesichtszüge zu erinnern. Aber sein Gedächtnis gab sie ihm nicht zurück. Nur der Ausdruck der Augen war ihm gegenwärtig. Es kam ihm vor, als seien diese Augen vom Leben unberührt geblieben, als leuchteten sie aus einer anderen Sphäre in diese vom Menschendreck beschmutzte Straße ... als bärgen sie das Kostbarste und Erha­benste, das Süßeste und das Unstillbarste.

(Fortsetzung folgt)