(21. Fortsetzung)
Die Worte kommen als fades Krächzen aus seiner Kehle. Entsetzt beugt er sich über den Tisch, und seine Hände greifen mit fliegender Bewegung in das Schaltergewirr. Blitzschnell stellt er einige Knöpfe und Widerstände so lange zurück, bis der Zeiger des Manometers von der 490 an der äußersten rechten Skalenseite über die rote 350er Warnungsmarke auf normalen Betriebsdruck von 325 atm zurückgewandert ist. Ebenso vermindert er in fieberhafter Hast die Betriebsspannung, denn auch das Voltmeter war weit über die rote Marke hinausgeklettert.
Sofort sinkt das feine, schrille Heulen des in der Halle nebenan arbeitenden Synchrotrons um einige Oktaven, und mit dem Abschwellen dieses gefahrdrohenden Tones entspannen sich auch seine Züge. Doch als er sich nun mit verzweifeltem Kopfschütteln wieder an seinen Assistenten wendet, glänzen kalte Schweißperlen auf seiner hohen, gefurchten Stirn. Nachdenklich, keineswegs mehr wütend wandert sein Blick über die mächtige und doch hilflos an der Wand lehnende Gestalt des Jüngeren, dessen schuldbewußter Blick dem seinen ausweicht. Krampfhaft versucht Lofty irgendwelche Entdeckungen auf seinem Handrücken zu machen um der peinlichen Verlegenheit des Augenblicks zu entgehen.
Da wandert der Blick des Alten durch da? breite, strahlensichere Kadmium-Glasfenster zum Synchrotron hinüber. Nur du’-ch d ! ese Wand getrennt erheben sich dort drüben seine massigen D-Elektroden mit ihrer verwirrenden Vielfalt von Röhren und Leitungen ein dunkeldrohender Klotz und doch gelenkt von . dieser Zentrale aus.
„Mit wieviel Gramm haben Sie die Targetkammer beschickt? Sicher doch auch wieder mit mehr als 350“, erkundigt sich nun ruhig und sachh'ch der Professor.
.Ja“, kommt es zögernd aus Loftys
Munde, . ein kleines bißchen mehr ist schon darin.“
„Na, wieviel denn? 400 oder gar 450?“
„Fünfhundert Gramm.“
Wie elektrisiert pflanzt sich der Professor mit einem Schwung vor ihm auf. Mit beiden Händen nackt er die Oberarme des Jüngeren und schüttelt- den schweren Körper hin und her. als wäre er eine leichte* Puppe:
„Mensch. Junge. Lofty. haben Sie denn schon einmal darüber naphgedacht. was geschieht, wenn die Kammer dem Ueberdruck nicht standhält? Sie kennen doch die Katalysatorwirkung des Sauerstoffs. Beim geringsten Luftzutritt zerfällt das halbumgewandelte Material und was dann wäre..."
Mit einer fahrigen, zuckenden Bewegung schwingt er seine Hand durch die Luft: „Was dann wäre, das wissen Sie doch selbst. Von V 99 bliebe kein Stein mehr auf dem anderen!“
Nun hat sich Lofty so weit gefaßt, daß auch er etwas dazu sagen kann: „Sie haben vollkommen recht. Herr Professor“, bekennt er zerknirscht, „aber ich denke halt immer an die Dringlichkeit, mit der das Element gebraucht wird. Wenn auch nur als Bruchteil eines Prozentes, so ist es doch der wesentlichste Bestandteil aller Tamperlegierungen. Forschung und Rüstung rufen Tag für Tag nach Tampem und nochmals Tampem.“
Doch der Professor schüttelt beharrlich den Konf: „Gewiß, ohne Tampe'r gäbe es weder Hüllen für Atombomben noch Schutzmäntel für Autoklaven oder sonstige Geräte, bei denen es auf den inneren Zusammenhalt oder die äußere Abschirmung von Neutronen ankommt.
Aber dies Ist noch lange kein Grund, das gesamte Labor und die Belegschaft dafür aufs Spiel zu setzen! Die Sicherheit des Betriebes geht in jedem Falle vor. Wenn die Zentralstellen der OSRAD mehr von dem Element gebrauchen, dann sollen sie mehr Labors dafür einrichten. Wie ist ihnen gedient, wenn wir heute doppelte Mengen und morgen nichts mehr erzeugen, verstehen Sie?“
Damit läßt er seine geballte Rechte mit jäher Bewegung auf den schmalen Sims des kleinen Beobachtungsfensters niedersausen, daß die dicken Scheiben klirren: „Und morgen nichts mehr erzeugen weil wir dann nicht mehr sind. Wir, Sie und ich und das Synchrotron und die Halle und die Arbeiter! Weg! Hochgeblasen, atomisiert!“ f
Der Professor hat recht, und es gibt nichts, was Lofty gegen seine Worte einwenden könnte. Doch in diesem Augenblick unterbricht das schrille Läuten des Fernsprechers die Aus
den viel er lei Meßinstrumenten wieder ein, während Professor Fitzgerald den Raum verläßt. Nachdenklich, wie im Traume, gleiten seine Hände liebkosend über die Instrumente. Lofty versteht sich selbst nicht mehr und schüttelt langsam den Kopf, während er einige Einstellungen an den Mikrometerskalen neu justiert.
•
Nun Ist es also so weit. Der Vertreter Ist bestimmt und trifft morgen in Los Alamos ein.
Sinnend lehnt Professor Fitzgerald an der niedrigen Fensterbank seines Privatbüros. Eigentlich kann er es gar nicht fassen, daß ein anderer hier bestimmen soll. Doch das Urlaubsgesuch läuft bereits seit über einem Monat, denn die verdammte Strahlenkrankheit macht sich in den alten Knochen immer stärker bemerkbar.
Vier Wochen hat es nun gedauert, bis das Personalamt in Washington endlich einen ge
sS&SS®:
„ Mensch , Junge, Lofty . .
Zeichnung F. Springer
einandersetzung. Gott sei Dank! Wie erlöst wendet sich Lofty zum Gerät und hebt ab. Nach kurzem Lauschen dankt er und legt auf.
„Im Büro liegt ein Telegramm für Sie, Herr Professor. Soll ich es Ihnen holen?“
„Schon gut. ich gehe selbst“, wendet sich der Alte zur Tür, „machen Sie ruhig weiter, aber ..."
Der drohend erhobene Finger wirkt zwischen erwachsenen Menschen immer ein wenig jovial, spaßend, doch Lofty sieht nur die todernsten, besorgten Augen seines Vorgesetzten. Wie so oft nimmt er sich auch jetzt wieder vor, die Sicherheitsgrenze nicht mehr zu überschreiten. Er würde es auch tunf, wenn der Professor den Satz nicht mehr vollendet hätte:
„. . . vergessen Sie nicht, was auf dem Spiele seht!“
Langsam, ein .wenig unzufrieden mit sich seihst nimmt er den bequemen Sesselplatz vor
eigneten Nachfolger fand. Vier Wochen, eigentlich keine lange Zeh, aber trotzdem ließ diese verteufelte Krankheit mit ihren ziehenden Gliederschmerzen und den immer wieder aufbrechenden Geschwüren sie recht lang und manchmal gar sauer werden.
„Hätten wir den geschützten Kontrollraum nur eher eingebaut, dann brauchtest du jetzt nicht abzudanken“, murmelt er vor sich hin. „Abdanken, ja — abdanken! Denn du bist wohl zu alt, als daß du dir selbst etwas, ein- reden müßtest.
Wenn die Aerzte auch nach drei Monaten Heilung in Aussicht stellten. Es war ihnen deutlich genug abzumerken, daß sie selbst nicht daran glaubten.“
Kalifornien. Weiche Liegestühle, sonnige Terrassen und viel Ruhe. Endlich einmal Ruhe! Das muß gut tun. Geht man an die sechzig, dann beginnt der Körper doch merklich zu rebellieren, wenn die tägliche Arbeitszeit zwölf oder fünfzehn Stunden übersteigt. Und in den letzten drei Monaten kamen alles in allem sicher nie unter zwölf, manchmal auch fünfzehn oder achtzehn Stunden heraus. Ein Vierteljahr Ruhe. Viel Schlaf, keine Verantwortung. Es muß herrlich sein.
Keine Verantwortung? Richtig. Dann aber auch keine Arbeit, kein Synchrotron und nicht zuletzt — kein Lofty.
Immer wenn er des frischen, impulsiven Jungen gedenkt, zieht ein wohligwarmes Strahlen durch seine Brust. Besonders nach dem Verschwinden seines Vaters ist dieser
(Nachdruck verboten)
fähige Assistent ihm ans Herz gewachsen wie der eigene Sohn.
Lofty! — Eigentlich heißt er ja Eichberg. Dr. Eichberg sogar, aber um ihn noch, mit Titel und Hausnamen anzureden, dafür sind die Gefühle, die er für den Sechsundzwanzigjährigen hegt, viel zu väterlicher Art. Und den Vornamen Friedrich zu gebrauchen, ist seiner amerikanischen Zunge ein Greuel. Auf der anderen Seite mag Friedrich es wieder nicht leiden, wenn sein deutscher Name als „Frede- ric“ anglisiert wird. So kam es zu „Lofty“, und der Professor empfindet jedesmal, wenn er den Namen ausspricht, daß es für diese Riesenflgur keine passendere Bezeichnung gäbe.
Einfach prächtig, der Junge: begabt wie selten einer und in der Arbeit treu und ausdauernd, wenn ja, wenn das Temperament nicht manchmal mit dem Unbekümmerten durchginge. Die Arbeit vernachlässigt er deswegen nie, im Gegenteil, er macht sie höchstens zu gut. Er will die Produktionsleistung des Gerätes auf eigene Faust und — Gefahr steigern. Das geht natürlich nicht. Doch mit der Zeit, davon ist der Professor jetzt mehr denn je überzeugt, wird sich das sicher verlieren.
Allerdings ist es heute noch nicht möglich, ihm die Oberleitung für die nächsten Monate zu übertragen. Da muß wohl oder übel ein Aeltererher.
Noch einmal führt er das leise knitternde Papier vor die Augen. Brandley, Dr. Brandley aus den CEW.
Hoffentlich ist der Griff des Kollegen Olen- h’gh ein guter, geht es dem Alten durch den Sinn, denn jeder Fachkönner ist noch lange kein brauchbarer Vorgesetzter. Aber das muß sich ja morgen heraussteilen, und für heute benötigt Philipp Fitzgerald nichts als Ruhe.
Erst sechs Stunden am Prüfstand. Dann allerlei Verwaltungskram und jetzt noch die Aufregung um Lofty waren doch reichlich viel, für das alte, angenagte Knochengestell, gesteht er sich in stummer, ehrlicher Selbst- betmehtung.
Mit müden, ein wenig schlurfenden Schritten schleppt er sich hinüber in sein behagliches Wohn-Schlafzimmer. Hier schiebt er das Telegramm. nachdem er’es nochmals überlesen und dann sorgfältig gefaltet, in die Rocktasche. Mit erleichtertem Aufatmen streckt er sich auf der beauemen Liege aus und ist wenige Minuten später eingeschlafen.
„Wenn es nicht Genosse Mikoyitsch wäre, der dich so' lange warten läßt, dann würdest du jetzt gehen“, denkt der' Agent und bückt ungeduldig nach seiner Uhr. Ob er überhaupt noch anwesend ist? Zu dumm, daß man nicht, einmal hören kann, ob drinnen gesprochen wird. Komisch, diese gepolsterten Türen, wie bei einem Arzt. Aber der Genosse Kommissar wird schon wissen, warum dos notwendig ist. Denn klug muß er schon sein, sonst säße er nicht hier.
Die vom Gang hereinführende Nebentür öffnet sich. Eine Sekretärin erscheint und verschwindet nach dem Druck auf einen kaum sichtbaren Klingelknopf respektvoll im Arbeitszimmer des Kommissars. (Forts, folgt)
„SONNTSGS-ZEITDNG- Herausgeber: Will Hanns Hebsackei. Dr Ernst Mül- ler und Karl Kirn 1n der Schwäbischen Verlags- Gesellschaft m. b. H Redaktion und Verlag Tübingen.
Uhl&ndstraße 2. Telefon 2H1 Druck: Tübinger Chronik. Druckerei und Verlagsgenossenschaft eGmbH Tübingen
PIBIjBEC Und die Sebindheii^^^SA
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