6. Jahrgang

FREITAG, 29. SEPTEMBER 1950

Nummer 151

Amerikas in eine Front hineingezogen zu wer­den, der sie nicht anzugehören wünschen. Sie befürchten, in einem Block die Entscheidungs­freiheit über ihr nationales Schicksal zu ver­lieren. Deshalb sehen sie in dem Versuch, sie in eine Front einzugliedern, die Bedrohung ihrer Unabhängigkeit. Ihre Haltung ist weiter nichts als die Opposition gegen die amerika­nische These von der Zweiteilung der Welt.

In der Entwicklung in China seit vorigem Herbst wird bereits deutlich, yde gefährlich es ist, keine dritte Möglichkeit mehr offen zu lassen und einen Teil der Welt a priori der anderen Seite zuzurechnen, sich ihm gegen­über feindlich einzustellen und ihn damit erst zu engerer Anlehnung an die andere Seite zu treiben. Darum die verzweifelten Bemühun­gen Nehrus, Mao Tse-tungs China über d.ie UNO ins Gespräch mit dem Westen zu brin­gen. Es ist schon eine sehr weise und weit vorausschauende Politik, die der große indi­sche Staatsmann verfolgt. Möge man im We­sten zum eigenen Heile die Stimme Asiens nicht länger überhören, sondern ihr die Auf­merksamkeit schenken, die die neue Rolle die­ses Kontinentes in der Weltpolitik heute ver­dient.

Gutes Einvernehmen

Franco begleitet Salazar

MADRID. Der spanische Staatschef, General Franco, kehrte in der Nacht zum Donners­tag von einem eintägigen Besuch in der portugiesischen Hafenstadt Oporto nach Ma­drid zurück. Franco hatte den portugiesischen Ministerpräsidenten Salazar, der, wie be­reits gemeldet, Anfang der Woche zu einem kurzen Besuch nach Spanien gekommen war, begleitet.

Am Mittwochabend wurde amtlich bekannt­gegeben, die beiden Staatsmänner hätten die Lage erörtert und seien sich darüber einig gewesen, daß dasgute Einvernehmen zwi­schen den beiden Ländern eine feste Grund­lage für ihre Sicherheit und ein Beispiel für eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen zwei Völkern biete.

Po' izei-Besterhu'igss'iandal

1 Million Dollar Bestechungsgelder

Komunistische Demonstrationen

Streik« gegen neue Lohn- und Preisregelung

WIEN. Die große Streikbewegung, die am Dienstag in Oesterreich von den Kommunisten aus Protest gegen die von der Regierung vor­gesehene neue Lohn- und Preisregelung in Szene gesetzt wurde, nahm am Mittwoch im­mer größeren Umfang an. Die Zahl der Strei­kenden betrug an diesem Tag etwa 70 000. Von der Streikbewegung wurden vor allen Dingen die sowjetisch kontrollierten Betriebe in Wien und Umgebung erfaßt.

In Wien umgab die Polizei das Gebäude der Bundeskanzlei mit einem Sicherheitskordon, um zu verhüten, daß wie am Vortag Demon­stranten in das Gebäude eindringen würden. Der bereits am Dienstag unternommene Ver­such, den Eisenbahn- und Straßenverkehr lahmzulegen wie bereits teilweise gemel­det, verkehrten in Oesterreich an diesem Tage keine Züge, da die Demonstranten die Gleis­anlagen besetzten, wiederholte sich in ein­zelnen Gegenden auch am Mittwoch.

Am Mittwochabend beschlossen die öster­reichischen Kommunisten in einer Versamm­lung von Betriebsvertrauensleuten in Wien, die Demonstrationen und Streiks wieder ab­zublasen, so daß am Donnerstag großenteils die Arbeit wieder aufgenommen wurde.

Der österreichische Innenminister Helmer

beschuldigte die Sowjets am Mittwoch in ei­ner Ansprache vor Arbeitern, die österreich­ischen Kommunisten bei ihren Demonstratio­nen gegen das neue Lohn-Preisabkommen un­terstützt zu haben.

Schweiz säubert

Rund 500 Personen betroffen

BERN. Die von der Schweizer Bundesregie­rung beschlossene Säuberung des Staatsappa­rates vonunzuverlässigen Staatsbedienste­ten, die bereits vor einiger Zeit angekündigt wurde, ist in vollem Gange. Der Bundesrat be­schäftigt sich zurzeit mit Beamten, die wegen Zugehörigkeit zur kommunistischenPartei der Arbeit entlassen oder in den Ruhestand versetzt werden sollen. Jeder einzelne Fall wird genau geprüft, um willkürliche oder un­begründete Entscheidungen zu verhindern. Insgesamt werden rund 500 kommunistische Beamte und Staatsangestellte von der Säu­berungsmaßnahme betroffen. Davon sind etwa 60 im Militärwesen, ein Dutzend in der ober­sten Bundesverwaltung und die anderen bei Post und Eisenbahn beschäftigt. Man rechnet damit, daß ein großer Teil der Betroffenen le­diglich in den Ruhestand versetzt wird.

Falkenhause ti sagt aus

BRÜSSEL. Nach der Verlesung der An­klageschrift im Prozeß gegen den ehemaligen Generaloberst v. Falkenhausen, den frü­heren Militärgouverneur von Belgien, hat sich Falkenhausen für voll verantwortlich erklärt für alle Maßnahmen, die in Belgien von ihm und seinen Untergebenen getroffen worden sind. Nicht verantwortlich sei er für Hand­lungen, die außerhalb ' seiner Anweisungen oder auf Befehle erfolgten, von denen er keine Kenntnis, gehabt habe. Von der Gestapo sei er 1944 verhaftet worden mit dem Vorwurf, er habe nicht genügend Geiseln hinrichten und nicht genügend Zivilisten zur Zwangsarbeit

deportieren lassen. Jetzt sei er angeklagt, weil er zu viel Geiseln habe hinrichten und zu viel Zivilisten habe deportieren lassen. Er habe sich eine Zeit mit dem Gedanken getragen, zu­rückzutreten oder gar Selbstmord zu verüben, um Hitlers Befehl für die Hinrichtung von Geiseln nicht nachkommen zu müssen. Vom Selbstmord habe er abgesehen, weil ihm doch nur ein Zivilgouverneur gefolgt wäre, der das belgische Volk grausamer behandelt hätte.

Der Vorsitzende verlas einen Brief der bel­gischen Prinzessin Fortenoy-Bassnano, in dem der Freispruch Falkenhausens gefordert wird. Es heißt in dem Brief:Verhören Sie ihn, wenn Sie es für notwendig erachten, aber sprechen Sie ihn frei. Das ist alles, was ich wünsche.

Nachrichten aus aller Welt

NEW YORK. Der bisherige stellvertretende amerikanische Staatsanwalt Murphy, der Anfang der Woche zum neuen Polizeichef von New York ernannt wurde, kündigte sofort nach einer Amtsübernahme an, daß er unverzüg­lich den ungeheuren Bestechungsskandal in der New Yorker Polizei untersuchen werde. Angehörige des Polizeidepartements sollen von illegalen Buchmachern, die einen Umsatz von 20 Millionen Dollar jährlich hatten, un­gefähr eine Million Dollar an Schmiergeldern erhalten haben. DerKönig der Buchmacher, Harry Gross, wurde vor einigen Tagen von 20 seiner Unterhäuptlinge verhaftet.

Es war bisher unmöglich, festzustellen, wie viele der 18 000 Angehörgen des Polizedepar- tements in den Skandal verwickelt sind.

Auslandsverschuldung: 15 Mrd.

BONN. Um das verwickelte Problem der deutschen Auslandsverschuldung aus der Vor­kriegszeit lösen zu können, soll jetzt eine Un­tersuchung angestellt werden, um die Höhe der'deutschen Vorkriegsschulden festzustellen. Die Bank deutscher Länder will alle in der Bundesrepublik ansässiger Schuldner auffor­dern, ihre Verpflichtungen bis zum 15. Okto­ber 1950 bei den zuständigen Landeszentral­banken anzumelden. Auf Grund privater Er­rechnungen werden die deutschen Vorkriegs­schulden bei einer Umrechnung entsprechend der gegenwärtigen Kursrelation mit etwas über 15 Milliarden angegeben. Diese Schulden stammen im wesentlichen von langfristigen Anleihen wie dem Dawes- und dem Young- Plan. Hauptgläubiger sind die USA mit 6,5 Milliarden DM. Es folgen die Schweiz mit 2 Milliarden und Großbritannien mit 1,4 Mil­liarden DM.

STUTTGART, Das christliche Wohlfahrtswerk Das Jugenddorf in Stuttgart hat in Limmer bei Alfeld/Leine ein neues Jugenddorf gegründet.

BAD REICHENHALL. Ein Fuhrunternehmer aus Bad Reichenhall soll innerhalb eines halben Jahres 801 Bohnenkaffee aus Oesterreich nach Norddeutschland verschoben haben. Der Staat wurde um etwa 1,2 Millionen DM geschädigt. Bis­her sind über 100 Personen in die Sache ver­wickelt.

WIESBADEN. Aus amerikanischen Beständen wurde den hessischen Gesundheitsbehörden ko­stenlos ein mehrfach wirkender Impfstoff über­geben, mit dem 5000 Kinder gegen Diphtherie, Keuchhusten und Starrkrampf geimpft werden können.

WUPPERTAL. Die etwa 40 Jahre alte Frau Prior erstach in ihrer Wohnung ihre Mutter und ihren Bruder und verletzte ihre Schwägerin le­bensgefährlich. Die Ursache der Tat bilden Fa­milienstreitigkeiten.

CUXHAVEN. Der deutsche MotorseglerHan­na wird seit 10 Tagen in der Nordsee vermißt. Er wurde zuletzt am 17. September gesichtet, als er schwer mit der See kämpfte.

AICHSTETT. Der ehemalige Rundfunkkom­mentator des Reichspropagandaministeriums, Hans. Fritzsche,.. ist aus der Internierungshaft ent­lassen worden, Fritzsche, der als Hauptschuldiger zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt worden war, brauchte damit nur fünf Jahre seiner Haft­zeit abzusitzen. Fritzsche erklärte, vielleicht würde er sich im Süden Württembergs nieder­lassen.

PARIS. Auf Madagaskar stürzte eine Brücke zusammen, als ein mit 30 Personen besetzter Om­nibus über sie hinwegfuhr. 16 Personen kamen dabei ums Leben.

CANNES. Zwei Mitglieder des in Cannes be­

stehendenTaucherclubs haben den über acht Zentner schweren Anker einer römischen Ga­leere gehoben und an Land gebracht.

MONTE CARLO. König Faruk von Aegypten traf am Mittwoch an Bord seiner Jacht mit sei­nem Gefolge in Monte Carlo ein.

SOUTHAMPTON. Der 50 000-t-DampferLi- berte, die frühere deutscheEuropa, lief am Mittwochabend vor Southampton auf Grund, konnte jedoch nach einigen Stunden wieder fllott gemacht werden.

BELGRAD. Nach einem Beschluß des Bezirks­parlaments von Bosnien-Herzegowina müssen die mohammedanischen Frauen den Gesichtsschleier ablegen, den sie zum Teil bisher immer noch ge­tragen haben.

DAMASKUS. Sechs bewaffnete Banditen dran­gen am Mittwoch in eine Bank ein. Während einer von ihnen die 14 anwesenden Bankange­stellten in Schach hielt, räumten die anderen fünf die Safes aus. Anschließend legten sie in der Haupthalle Feuer und entkamen.

HELSINKI. Wilhelm Furtwängler ist mit den Wiener Philharmonikern in Helsinki eingetrof­fen. Das Orchester soll auf der Eröffnungsfeier einerOesterreichischen Woche spielen, die in Helsinki veranstaltet wird.

CASABLANCA. Ein schweres Unwetter hat Marokko heimgesucht. Nach bisher vorliegenden Berichten hat es mehr als 80 Tote gegeben.

WASHINGTON. Präsident Truman hat am Mittwoch den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzen­den derAmerican Telephone and Telegraph Compagny, Walter S. Gifford, zum neuen ame­rikanischen Botschafter in London ernannt. Gif­ford ist dgr Nachfolger von Lewis Douglas, der am Dienstag von seinem Posten zurückgetreten ist.

Strafantrag gegenSpiegel

BONN. Der Aeltestenrat des Bundestages hat am Donnerstag vier Abgeordnete aufge­fordert, gegen die WochenzeitschriftDer Spie­gel Strafantrag zu stellen.. Gleichzeitig be­schloß er die Einsetzung eines Untersuchungs­ausschusses, der die Behauptung der Zeit­schrift prüfen soll, daß bei der Abstimmung darüber, ob Bonn oder Frankfurt Hauptstadt werden solle, Bestechungsgelder an Bundes­tagsabgeordnete bezahlt worden seien. Die vomSpiegel genannten vier Abgeordneten, die bestochen worden sein sollen; für Bonn zu Stimmen, sind oder waren bis vor kurzem Mit­glieder der Bayernpartei. Einer hat bereits Strafantrag gestellt.

Presse-Protest beim Bundestag

BONN. Die in Bonn in der Bundespresse­konferenz zusammengeschlossenen Journa­listen haben in einer einstimmig gefaßten Ent­schließung gegen die in der letzten Bundes­tagssitzung erfolgte Diffamierung der Presse in ihrer Gesamtheit protestiert. Sie sprechen die Erwartung aus, daß ihr Einspruch in ge­eigneter Form vor dem Bundestag seine Wür­digung findet. Die in Bonn akkreditierten Journalisten seien bereit, sich für eine ver­trauensvolle Zusammenarbeit mit dem Parla­ment zur Verfügung zu stellen

Statt 180000 DM: 1,2 Millionen

BONN. Ein Ausschuß des Bundestages, der Bundesaufträge im Raume Bonn untersucht, besuchte die Bundeskanzlei und die Villa Hammerschmidt, den zukünftigen Wohnsitz des Bundespräsidenten. Der Ausschuß will vor allem feststellen, weshalb für das Bundeskanz­leramt anstatt der vorgesehenen 180 000 DM rund 1,27 Millionen DM adsgegeben wurden.

Besondere Kritik hat der Ausschuß an dem Aufwand für die Einrichtung des Bundes­presseamtes geübt. Für Büroeinrichtungen sind insgesamt rund 48 000 DM ausgegeben wor­den. Die Einrichtung des Amtes hat insge­samt fast 100 000 DM gekostet. Allein das Zimmer des Dienststellenleiters, ein im Frank­furter Barockstil angefertigtes Herrenzimmer, hat 11 740 DM gekostet. Die Ausschußmitglie­der übten heftige Kritik und waren dafür, daß diese Ausgaben vom Parlament mißbilligt werden müßten. Der Ausschußvorsitzende er­klärte, daß auch die Räume des Bundesinnen­ministeriumungewöhnlich aufwendig ein­gerichtet seien. So hat allein die Zimmerein­richtung der Sekretärin des Bundesinnen­ministers 7000 DM gekostet.

Etwas voreilig

FREIBURG. Wie von höchster Regierungs­stelle in Freiburg verlautet, fand in Offenburg am Mittwoch eine vertrauliche Besprechung zwischen südbadischen CDU-Politikern und ihren nordbadischen Parteikollegen über die Bildung einer badischen Regierung statt.

Auf der Konferenz, an der auch Staatspräsi­dent Wohieb und der Oberbürgermeister von Karlsruhe teilnahmen, sei die Umbildung der Freiburger Regierung unter Einbeziehung nordbadischer Persönlichkeiten erwogen wor­den. Ferner soll die Möglichkeit erörtert wor­den sein, daß die nordbadische CDU an den im November stattfindenden württemberg- badischen Landtägswahlen nicht mehr teil­nimmt.

Ob Herr Wohieb da nicht etwas zu voreilig das Fell des nordwürttemberg-badischen Bären verteilen will?

Vor dem württemberg-badischen Landtag er­klärte Ministerpräsident Dr. Reinhold Maier zur Volksbefragung, ausschlaggebend sei allein das Gesamtergebnis. Weder könne ein Landes^ teil die drei anderen' majorisieren, noch sei es staatsrechtlich zulässig, daß Südbaden über den Bestand des Landes Württemberg-Baden entscheide. Im übrigen arbeite die Zeit für den Südweststaat.

De. fHaSim Sd^tu Spei

| Roman «in»» Dämon« von NorbriJacquci | 19] CepyrigM by Höffmarm und Campa Varlag, Hamburg

Das findet sich dann schon", entgegnete Lohmann lächelnd.Schlimmstenfalls schicke ich ihn nach Plötzensee, da ist immer Platz für Untersuchungsgefangene.

Wie Sie meinen, Lohmann. Auf Ihre Ver­antwortung.

Natürlich. Und ich möchte Sie gleich mit der Festnahme beauftragen, Arndt. Aber ver­haften Sie ihn erst, wenn er wieder in seinem Zimmer ist. Und dann halten Sie gleich in seiner Gegenwart eine kleine Haussuchung, vielleicht finden Sie was.

Und Lohmann griff, ohne weitere Einwände abzuwarten, schnell zum Telefonhörer, um den Haussuchyngsbefehl zu beantragen. Arndt sagte kein Wort mehr, er dachte höchstens, daß Lohmann allen Beteiligten die Schere­reien erspart hätte, wenn er den jungen Kent gleich vorhin, nach der Vernehmung, dabe­halten hätte. Kein Wort hatte er da gesagt vom Spielklub und von den falschen Fünfzig­markscheinen.

*

Ein kleiner Mann, der rothaarig war, aber sonst keine besonderen Kennzeichen hatte, stand abends gegen elf Uhr vor einer Litfaß­säule am Anhalter Bahnhof und besah sich aufmerksam das große Plakat:

DIE LARA TANZT!

Besonders genau sah er sich das Bild der berühmten Tänzerin an. Dann schaüte er auf seine Armbanduhr, fand, daß er noch ziem­lich viel Zeit hatte, und bummelte ein ganzes Stück die Stresemannstraße hinunter und wieder zum Bahnhof zurück.

Er betrachtete noch einmal das Bild 5er Lara, schnitt ihm eine Grimasse und ging dann langsam in den Bahnhof hinein. Er durchmusterte die Halle, bevor er die Treppe hinanstieg, die zu den Bahnsteigen führte und auf deren obersten Stufen jeder Ankommende einige Augenblicke lang für die ganze Halle sichtbar wurde.

Als der Zug ankam, entstieg einem Wagen, an dessen SchildBukarest stand, eine hoch­blonde Frau, die auffallend aussah, reizvoll und sehr einfach gekleidet war.

Der Rothaarige trat einen Schritt auf sie zu, aber er gewahrte, daß sie ihm einen mah­nenden Blick zuwarf, und zugleich trat ein behäbiger Herr in einem Pelz zwischen die Frau und ihn.

Frau Lara! rief der Herr im Pelz.Gut gereist? Berlin wartet ungeduldig auf Ihre hähä . . . Ihre Beine. Das will sagen: Ihre Kunst!

Es gab eine kurze Aussprache zwischen den beiden, aus der der Rothaarige hörte, daß der Herr der Agent war, der die Abende der Lara in er Scala zustande gebracht hatte. Das eifrige Sprechen des Herrn und die am Aus­gang zusammendrängende Menge verschaff­ten dem Roten die Gelegenheit, der Dame un­beobachtet einen eng zusammengefalteten Zet­tel hinzuschieben.

Der Herr kümmerte sich in der Gepäck­halle um die Koffer der Lara, und diese be­nützte die Gelegenheit, den Zettel zu öffnen. Sie las darauf:

Fräulein Helli Born, Tochter des Profes­sors Born. Wohlfahrtsamt Nord. Und einen Straßennamen mit einer Hausnummer.

Am nächsten Vormittag ging Helli Born, den hellen Filzhut mit 'der breiten Krempe in der, Hand schwingend, vom. Saatwinkler Damm in Plötzensee auf den Westhafen zu. Sie trug einen hellen Mantel über dem grauen Straßenkostüm, und alles war aufs einfachste

und doch vollkommen geschneidert; für er­fahrene Augen eine gewollte und teuer wir­kende Schlichtheit. Es war, trotz der winter­lichen Jahreszeit, ein heller sonniger Tag mit etwas Frühlingsstimmung; Helli ging schnell und beschwingt, tief die klare Luft der nahen Felder einatmend.

Dennoch wirkte ihr Gesicht ernst und be­sorgt,, als sie jetzt den Weg am Strafgefäng­nis entlangging. Im stillen machte sie sich Ge­danken, die vollauf den Ernst rechtfertigten, der ihre Augen anfüllte. Sie war nämlich in einem Hause gewesen, das sie im Auftrag des Wohlfahrtsamtes besucht hatte. Noch klan­gen ihr die bitteren Abschiedsworte der Ar­beiterfrau nach?Nee, Fräulein, was soll ick mit Ihre fünf Mark? Ick will keen Jeschenk, ick will Arbeet . . .

Helli Born schlug jetzt den Weg zum Bahn­hof Beusselstraße ein; es war Samstag, und am Nachmittag hatte sie frei. Noch einmal wandte sie sich um. Mit scheuen Augen blickte sie gegen den Gefängniskomplex, der mit seinen Ziegelsteinmauern und den regel­mäßig liegenden Fensterreihen sich düster aus dem Gelände erhob. An den Hunderten von Fenstern wehrten vorgebaute und nur nach oben offene Holzkästen den Menschen, die dahinter lebten, den Blick auf die Straße.

Die war heute menschenleer. Aber das war sie fast immer, und Helli, die bereits mehrere Male diesen Weg gegangen war, hatte dabei stets das Empfinden, als ob die Menschen diese Gegend miedeii. Als ob sie sich vor der Atmosphäre des Unglücks und des Verbre­chens fürchteten, die das Gefängnis schuf. Mgn ging dem Gebäude lieber aus dem Wege, weil man vielleicht" einmal selbst, auch schuldlos, dahinein kommen könnte.

Plötzlich blieben Hellis Blicke, die neugierig und furchtsam die Fassade absuchten, an ei­nem Schild hängen, das ungewohnt an dieser stets öden, großen steinernen Hausmauer war, ungewohnt und noch mehr: erschreckend.

Sie sah, wie einer der die Fenster verklei­denden Kästen, die den Gefangenen den Blick nur zum Himmel freiließen, aber den zur Straße verwehrten, sich mit ruckenden Bewegungen zur Seite schob,und wie in dem freiwerdenden Spalt ein Kopf erschien. Es war der Kopf eines blonden jungen Man­nes, durch den Spalt hinausgereckt, daß Helli schon befürchtete, der Gefangene habe seinen Kopf so festgeklemmt, daß er ihn werde nicht mehr zurückziehen könen.

Ihre erste Regung war, dem fürchterlichen Bild zu entrinnen. Doch plötzlich hörte sie, daß von dem festgeklemmten Kopf eine Stimme kam:

Fräulein! Bitte, bitte, Fräulein! . . .

Das Eindringliche und Flehentliche in dem Ton ließ sie die Schritte anhalten. Auch ihr Herz stand still. Sie wandte, ohne es zu wol­len, den Blick wieder hinauf. Da hörte sie von neuem die Stimme mit demselben geflüster­ten Rufen und der gleichen Eindringlchkeit:

Bitte, rufen Sie 234 432 an und sagen Sie meinem Freund, ich sei in Plötzensee!

Und mit gesteigerter Dringlichkeit, ja mit einem bettelnden, unheimlichen Flehen, fügte sie hinzu:

Bitte, bitte, Fräulein: 234 . . . 432! Haben Sie verstanden? 234 . . . 432 . . .

Helli Born lief davon, überwältigt von dem Schrecken. Sie lief an dem Wasserbecken des Westhafens vorbei, die Seestraße weiter und huschte in den Bahnhof Beusselstraße hinein.

Als sie hier, zwischen den Rudeln sich frei bewegender Menschen zur Ruhe kam, das Er­lebte in sich einigermaßen zu ordnen versuch­te, faßte sie den Entschluß, in die Fernsprech­zelle zu gehen. Es war ihre Pflicht, fand sie. Und außerdem hatte sie die Empfindung, den jungen Gefangenen schon irgendwo gesehen zu haben... vielleicht im Wohlfahrtsamt.

(Fortsetzung folgt)