8. Jahrgang

MITTWOCH, 6. SEPTEMBER 1950

Nummer 138

Klärung der Reutlinger Geiselerschießungen?

Nur eine vollständige Aufhellung vermag eine Vertrauenskrise zu verhindern

o. h. Die sehr schwerwiegende Frage: Hat der Reutlinger Oberbürgermeister Kalbfell irgendeine dunkle Rolle bei der am 24. April 1945 in Reutlingen nach dem Einmarsch der französischen Truppen erfolgten Erschießung von Vier Geiseln gespielt? soll jetzt, wie be­reits berichtet, durch ein Disziplinarverfahren geklärt werden. Das Aufgreifen der Reutlin­ger Vorgänge durch eine Zeitschrift im Rhein­land und eine Erklärung des Oberbürgermei­sters, in keiner Weise an der Auswahl von Geiseln oder auch nur an einer Geiselliste be­teiligt gewesen zu sein, haben nicht nur in Reutlingen zu lebhaften, ja sogar leidenschaft­lichen Erörterungen geführt.

Wir haben versucht, im Rahmen unserer publizistischen Aufgabe zur Klärung der An­gelegenheit beizutragen und wir sind tagelang allem nachgegangen, was vielleicht hätte ein Beitrag zur Wahrheit sein oder werden kön­nen. Wir sind bei den uns zugegangenen Dar­stellungen und Gegendarstellungen auf man­che Unrichtigkeit und Ungenauigkeit gestoßen und wir haben vielfach feststellen müssen, daß die eine oder andere angeblich sichere Be­hauptung nur aus dritter Hand, vom Hören­sagen, stammte, oder daß es sich um irgend­ein Mißverständnis handelte. Wir haben auch verschiedentlich die Aussage erhalten, man werde erst vor Gericht oderirgendwann einmal später aussagen.

Wir hätten es uns ja nun auch leicht ma­chen können, durch die Veröffentlichung von Zuschriften einen allerdings nur scheinbaren Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Uns ist z. B. die Darstellung eines an jenem verhäng­nisvollen 24. April im Reutlinger Rathaus tä­tig gewesenen Mannes gegeben worden, und der Betreffende ist bereit, sie zu beschwören. Sie würde eine wesentliche Entlastung für Kalb­fell bedeuten. Auf der anderen Seite haben wir eine Schilderung erhalten, die der Dar­stellung des erwähnten Reutlingers auf dem Rathaus in so wesentlichen Punkten wider­spricht, daß der neutrale Beobachter sagen muß: Was hier Wahrheit ist, können wir nicht mehr entscheiden. Wir sind nun der Ansicht, daß es in einem solchen Augenblick, wo zu­gleich die Leidenschaften die Gemüter so sehr erregen, nicht mehr Aufgabe einer Zeitung sein kann, alles zu bringen, was ihr zugeht, oder etwa gar für und wider eine Person Stellung zu nehmen.

Wir können es auch nicht mit unserer Ueber- zeugung und mit unserem Gewissen verein­baren, mit unserer Meinung uns hinter Zu­schriften zu verkriechen und je nach ihnen auch unsere Ansicht zu ändern. Uns geht es le­diglich um die Wahrheit, um nichts anderes, am wenigsten um irgendwelche Personen.

Letztlich hat all unser Nachforschen nur ein Ergebnis gehabt: Es ist nicht mehr möglich und auch nicht mehr angebracht, auf einem anderen Wege als dem eines in aller Oeffent- lichkeit durchgeführten Gerichtsverfahrens den ganzen Fall in allen Einzelheiten wirklich zu klären. Wir haben deshalb auch die größten Bedenken gegen ein Disziplinarverfahren, weil der Tatbestand so schwierig aufzuhellen ist, daß das im Rahmen eines solchen nicht möglich erscheint. Ein Disziplinarverfahren wird dazu noch grundsätzlich hinter ver­schlossenen Türen durchgeführt.

Das ist, wie die Dinge n diesem Reutlinger Fall liegen, unbefriedigend, ja sogar untrag­bar. Denn gleichgültig, wie das Ergebnis sein wird, man wird immer in der Oeffentlichkeit vermuten und befürchten, daß hinter den Ku­lissen nicht alles ordnungsgemäß vor sich ge­gangen sei.

Bisher ist jeder Versuch, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, daran gescheitert, daß die französische Militärregierung den Prozeß im entscheidenden Augenblick an sich gezogen hat, wozu sie auf Grund des Besatzungssta­tutes juristisch gesehen zweifellos berechtigt war. Würde das aber jetzt wieder geschehen, so wären wir keinen Schritt weiter, ja sogar angesichts des Erregung, in die die Einwoh­nerschaft Reutlingens versetzt worden ist, in einer noch viel unangenehmeren Situation, ganz abgesehen davon, daß es dann doch nie zu einer Beruhigung kommen würde.

Die größten Schwierigkeiten sind vor allem zurückzuführen auf die seltsamen Umstände, unter denen die Erschießungen in Reutlingen erfolgt sind, und die erst jetzt breiten Krei­sen unseres Landes bekannt geworden sind. Nach der Erschießung sind in Reutlingen auf Befehl der Franzosen Plakate angeschlagen worden, die folgenden Wortlaut hatten:

1. Armee

Commandant Militaire

Ein französischer Soldat ist in Reut­lingen in der Nacht v. 22. zum 23. April ermordet worden. Die Verantwortlichen sind erschossen worden. Eine Geldstrafe von 200 000 RM ist der Gemeinde auf­erlegt worden.

Zivilpersonen müssen von nun an zwi­schen 18 Uhr und 9 Uhr in den Häusern bleiben. Falls ein neuer Anschlag gegen unsere Truppen verübt wird, wird eine neue Kriegsaktion gegen die Ortschaft vorgenommen.

Der Kommandant

Bis heute ist -dieser Wortlaut nicht wider­rufen worden, obwohl auch nicht das gering­

ste dafür spricht, daß die Erschossenen mit dem Attentat, über das von französischer Seite übrigens bis heute nie etwas Genaueres be­kanntgegeben worden ist, zu tun gehabt ha­ben. Damit ist aber der Fall Kalbfell, wenn er jetzt schon einmal auf gegriffen worden ist, auch zu einem Fall derjenigen geworden, die erschossen worden sind. Es sind auch das in­nerste Anliegen der Angehörigen, daß ihre Männer amtlich vor dem unberechtigten Vor­wurf, Attentäter gewesen zu sein, gereinigt werden.

Wir meinen, es sei aber auch im Interesse Frankreichs und vor allem der französischen Armee, die Hintergründe der Reutlinger Gei­selerschießungen aufzuklären. In einem Kriege kommen auf allen Seiten Dinge vor, die nicht in Ordnung sind. Wir können einfach nicht glauben, daß es der französischen Militärregie­rung gleichgültig sei, wenn man sich in wei­ten Kreisen der Bevölkerung dafür keine Er­klärung weiß, daß ein hoher Sanitätsoffizier, der sich unter dem Schutz der Genfer Kon­vention befand, in seiner Sanitätsuniform als Geisel erschossen worden ist. Es kann den Reutlingern auch nicht verdacht werden, wenn sie kein Verständnis dafür haben, daß als Re­pressalie zusammen mit den 4 Erschießungen nicht nur die Bezahlung von 200 000 RM durch die Stadt verbunden war, sondern auch die sofortige Ablieferung von Daunendecken und Haushaltungskühlschränken.

Es liegt uns wahrlich fern, unter allen Um­ständen eine Aufklärung oder eine ungehin­derte Durchführung eines Prozesses vor einem deutschen Gericht zu verlangen, nur um einen ßeweis dafür zu haben, daß wir irgendeinen deutschen Völkerrechtsbruch etwa in Frank­reich damit gewissermaßen ..aufrechnen kön­nen. Es ist unsere feste Ueberzeugung, daß es nicht weiter führt, wenn Schuld gegen Schuld gestellt wird. Was wir wünschen, ist nur eine Untersuchung, man könnte sogar an eine gemischte französisch-deutsche Kommis­sion denken, die leidenschaftslos und unvor­eingenommen prüft, was tatsächlich vor sich

gegangen ist und wer an der Erschießung etwa schuldhaft beteiligt gewesen ist. Damit könn­te es dann sein Bewenden haben. Wer aber dann aus einer solchen Untersuchung nicht rein hervorginge, müßte seine Schuld mit sei­nem eigenen Gewissen abmachen.

Die französische Mithilfe bei einer wirk­lichen und zuverlässigen Nachprüfung der Vorgänge vom 24. April ist unbedingt notwen­dig. Alle Darstellungen und Aussagen führen nur bis zu einem gewissen Punkte. Von ihm ab kann nur noch der französische Komman­deur oder der Leiter des zweiten Büros, Capi- taine Rouche, die entscheidende Aussage ma­chen, über die Ursache der schweren fran­zösischen Sanktion, über die Auswahl der Er­schossenen und über die freiwillige oder er­zwungene Mitwirkung Deutscher. Und vor al­lem können nur die Offiziere mit Sicherheit aussagen, wann OBM Kalbfell Kenntnis etwa von dem geplanten oder den vollzogenen Er­schießungen erhalten hat. Auch ein Diszipli­narverfahren, bei dem diese beiden Offiziere nicht gehört werden oder gehört werden kön­nen, müßte sich an diesem Punkte festfahren. Daß das nicht eintritt, liegt aber, wir beto­nen das noch einmal ausdrücklich, allein bei der französischen Militärregierung. Wir sind der Meinung, daß die bisherige Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen uns ein Recht gibt, anzunehmen, auch von franzö­sischer Seite tue man alles, um sie zu för­dern und zu festigen. Nur die weitere Ent­wicklung der Frage der Reutlinger Geiseler­schießungen kann zeigen, ob unser Optimis­mus berechtigt ist. Wir sind überzeugt davon, daß wir die Franzosen nicht an den Fall Drey- fuß erinnern brauchen, bei dem die Weige­rung gewisser französischer Militärkreise und Politiker, geschehenes Unrecht zu revidieren, im Volk zu einer schweren Vertrauenskrise gegenüber Justiz und Staat geführt hat. So wie es damals in Frankreich nur um den Sieg der Wahrheit und des Rechtes ging, ist es auch uns heute im Reutlinger Fall nur um Sas gleiche zu tun.

Südweststaat oder alte Länder?

Die Neuordnung im Südwesten kann den Anstoß zum Umbau des deutschen Hauses geben

Nur noch wenige Wochen trennen uns von der Abstimmung über den Südweststaat. Wir werden am 24. September zwar nicht die Mög­lichkeit haben, den gegenwärtigen Status selbst zu ändern, da es sich ja um keinen Volksent­scheid, sondern nur um eine Volksbefragung handelt, aber diese Abstimmung wird wahr­scheinlich trotzdem entscheidend sein. Findet der Südweststaat eine überwiegende Mehr­heit, so werden unsere drei Regierungen diese Mehrheit kaum außer acht lassen können.

Das Problem der innerdeutschen Grenzen ist alt und mannigfaltig. Im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesstaaten gehen unsere alten Ländergrenzen auf dynastische Staats­grenzen zurück. Die Teilstaaten der USA. Brasiliens oder Australiens etwa sind demo­kratisch-genossenschaftlich entstanden, im Zug der kolonialen Landerschließung. Auch die Kantone der Schweiz stellen alte, geographisch und wirtschaftlich fundierte Selbstverwal­tungskörperschaften dar. In allen diesen Län­dern bedeuten die innerstaatlichen Grenzen daher etwas ganz anderes als in Deutschland, wo es bis 1945 große, kleine und winzige Län­der ohne andere Grundlagen als die ehema­liger fürstlicher Machtinteressen gab.

Erbe des Mittelalters

Die alten deutschen Länder sind eine Hypo­thek aus der Feudalzeit. Während es in den heutigen europäischen Einheitsstaaten (Frank­reich, England, Spanien etwa) der feudalen Spitze an der Wende zur Neuzeit gelungen war, die Partikulargewalten zu bändigen und das Land schon früh auf den Weg zum Natio­nalstaat zu bringen, ging die deutsche Ge­schichte den umgekehrten Weg. Aus ehema­ligen Lehensträgern wurden bei uns souveräne Landesfürsten. Als das alte Reich 1806 zer­brach, wurde unter eine jahrhundertelange Entwicklung daher nur der Schlußstrich ge­setzt. Auch der Deutsche Bund von 1815 war nichts weiter als ein äußerst loser Zusammen­halt monarchisch regierter Territorien. Als sich Bismarck in den 60er Jahren dem Gedanken der nationalen Einigung zuwandte, wußte er genau, was für eine heikle Aufgabe er sich stellte! Zwar stand hinter dem Gedanken eines deutschen Nationalstaates bereits ein starker und deutlicher Volkswille, aber dieser vor allem im Bürgertum hervortretende Volks­wille besaß seit 1849 keine politisch aktions­fähige Organisation mehr. Die Macht in Deutschland hatten die Fürsten, und deren 23 (neben drei Freien Städten) unter einen Hut zu bringen, bedurfte es außer eines gemein­sam gewonnenen Krieges der ganzen Staats­kunst eines Bismarck.

Die Chance von 1918

Hätte nun das deutsche Volk, für das in dem halben Jahrhundert von 1871 bis 1918 die nationale Einheit immer mehr zur Selbstver­ständlichkeit wurde, nach dem Zusammen­bruch des Bismarckreichs und seiner Dynastien nicht Gelegenheit gehabt, die Zufälligkeit der bisherigen Ländergrenzen zu liquidieren?

Als Aufgabe wurde die räumliche Umgestal­tung des deutschen Hauses klar erkannt. Die

Weimarer Verfassung sah in ihrem Artikel 18 die Möglichkeit vor, Ländergebiete zu ändern und neue Länder zu schaffen. Die Gliederung des Reiches sollteder wirtschaft­lichen und kulturellen Höchstleistung des Vol­kes dienen. Aber es wurde nur wenig Ge­brauch von dieser Möglichkeit gemacht. Die Erben der fürstlichen Gewalt, die Parteien, fühlten sich plötzlich ganz wohl in ihren regio­nalen Machtbezirken. Die ausgesprochen uni­tarische SPD z. B. lehnte die Aufteilung Deutschlands m Reichsgaue, wie sie Hugo Preuß, der Mitschöpfer der Weimarer Verfas­sung vorschlug, ab.

Sogar da, wo ein dynastisches Erbfolgegesetz die Zusammenlegung von Territorien vorsah, wie in Mecklenburg-Schwerin und Mecklen- burg-Strelitz, dessen Großherzog kurz vor Kriegsende 1918 ohne Leibeserben gestorben war, erwiesen sich lokale Interessen stärker als die Vernunft. Wäre die Vereinigung der beiden Länder schon vor derRevolution er­folgt. dann hätte sie'deren Segen gehabt, aber selbst brachte sie diese Neuordnung nicht zu­stande. Nicht einmal das Problem der Doppel­städte, deren Glieder in verschiedenen Län­dern liegen, wie Mannheim-Ludwigshafen, Ulm-Neu-Ulm und Hamburg-Altona, und die eine doppelte Verwaltung notwendig machen, konnte gelöst werden, geschweige daß die Län­der untereinander ihre zahlreichen Ex- und Enklaven ausgetauscht hätten.

Nur in einem Fall siegte die Vernunft, an einem Punkt allerdings, wo sich eine Neu­ordnung geradezu mit Gewalt aufdrängte: bei den thüringischen Territorien, die alle bei­sammen lagen, gebietsmäßig, wirtschaftlich und kulturell vielfältig verzahnt waren und einzeln mit dem besten Willen nicht gut hät­ten weiterbestehen können. Sie schlossen sich bis auf Sachsen-Coburg, das sich für den An­schluß an Bayern entschied, 1920 zum Land Thüringen zusammen. Später waren Cs nur noch Pyrmont (1922) und Waldeck (1928), die ihre territoriale Selbständigkeit aufgaben. Sie schlossen sich Preußen an.

Die Versuche nach 1945

Die Chance einer Umgliederung des Reichs­gebiets hatte die Revolution von 1918 wie so vieles andere gründlich verpaßt. Der Zusam­menbruch 1945 bot natürlicherweise keine solche Chance. Die Länder von 1945 verdanken ihre Entstehung dem Diktat der Sieger, die in der Liquidierung des Staates Preußen der Welt das einzige Beispiel völliger Einigkeit nach dem Krieg boten. Von den übrigen deut­schen Ländern blieb nur der Stadtstaat Ham­burg intakt. Alle übrigen wurden entweder irgendwo beschnitten oder ausetinandergeris- sen oder gingen in völlig neuen Gebieten auf.

Die westlichen Militärverwaltungen kannten indessen das Provisorische ihrer deutschen Teilstaatschöpfungen wohl und stellten den 11 westdeutschen Ministerpräsidenten anheim, Vorschläge für eine Neugliederung zu; machen. Die Ministerpräsidentenkonferenz .bestellte einen besonderen Ländergrenzenausschuß, des­sen Vorsitz Ministerpräsident Lüdemann von Schleswig-Holstein übernahm. Lüdemann ar-

Sofia weist 250000 Türken aus

Exklusivbericht unseres Belgrader Korrespondenten Walter W. Krause

ISTANBUL, im September

Ueber Nacht hat sich an einer bislang re­lativ ruhigen Front der Ost-West-Divergen­zen eine offensichtlich imerwartete Krise entwickelt. Die bulgarische Regierung hat der türkischen eine energische Note über­reichen lassen, mit der die Ausweisung fast der gesamten türkischen Minorität in Bulga­rien innerhalb einer Frist von drei Monaten mitgeteilt wird.

Nach türkischen Kommentaren ist damit der vor kurzem an griechischen Grenzen ab­geschlagene historische Drang der Slawen an traditioneller Stelle wieder aufgenommen worden. Während Westbeobachter in Kon­stantinopel bereits von einem neuen Schwer­punkt des Kalten Krieges sprechen, steht die türkische Innen- und Außenpolitik einem mehrfachen Dilemma gegenüber! Das Echo in den Basarstraßen ist weit nachhaltiger: man sieht mit dieser Masseninvasion kommuni- stisch-ausgebildeter Türken zugleich auch dunkle Gewitterwolken heranziehen, die sich auf die Dardanellen- und Montreux-Statuten entladen könnten.

Im Oktober 1949 wurde ein türkischer Leut­nant von einem bulgarischen Kriegsgericht zum Tode wegenSpionage verurteilt. Er war auf einem Patrouillengang 100 Meter tief auf bulgarisches Gelände eingedrungen. Im Dezember flüchteten mehrere bulgarische Of­fiziere in einem Flugzeug nach Istanbul; die türkische Regierung lehnte ihre Auslieferung ab. Nach mehreren lokalen Grenzzwischen­fällen wurde im April d. J. ein bekannter türkischer Journalist durch eine bulgarische Grenzstreife auf türkischem Boden erschos­sen. Im Bukarester Spionageprozeß erhob schließlich der Staatsanwalt schwerste An­klage gegen türkische Spione, die im Solde des Westens infriedliebenden Volksrepu­bliken Sabotage und Spionage betreiben.

Diesseits und jenseits des bulgarisch-tür­kischen Eisernen Vorhangs reagierte entspre­chend der freien Prinzipien die öffentliche Meinung. In einem Jahr wanderten elf Pro­testnoten zwischen Sofia und Ankara die spar.mungsgeladene Atmosphäre im europäi­schen Südosten sucht nun mehr mit Ge­walt nach neuen Ventilen.

Für' die Türkei ergeben sich aus diesem ungewöhnlichen bulgarischen Schritt mehrere, schwer zu lösende Probleme. Die sich auf ottomanische Traditionen berufende türkische Minderheit in Bulgarien hat innerhalb des Satellitenstaates stets hartnäckig an der tür­kischen Volkszugehörigkeit gehangen. Von türkischer Seite wurde nichts unterlassen, diese starke türkische Gruppe an feindlichem Ufer zu stützen, sei es auch nur moralisch. Eine Zurückweisung der Ausgestoßenen ist also aus naheliegenden Gründen nicht mög­lich.

250 000 Flüchtlinge treffen dazu in einem Augenblick angespanntester türkischer Wirt­schaftslage ein. In Ankara und Istanbul werden die ersten Arbeitslosen registriert; neues, kultivierbares Land steht nicht in aus­reichendem Maße zur Verfügung. Die schnell­ste Reaktion auf die bulgarische Note ist bis­lang aus dem Justizministerium erfolgt: je­der überführte türkische Kommunist verliert automatisch seine Staatsbürgerschaft!

beitete einen Plan aus, fand damit aber nir­gends Anklang. Es zeigte sich, daß fast jedes Land, so wie es gegenwärtig besteht, nur von seinen Sonderinteressen ausging und die Frage keineswegs im nationalen Rahmen sah, ferner daß außer im Südwesten kaum eine Grenze geändert werden konnte, ohne den ganzen Komplex einer innerdeutschen Neu­gliederung aufs Programm zu setzen.

Südweststaat als Probe

Am einfachsten schien die Neuordnung noch im Südwesten zu sein, da außer den drei Ländern Württemberg-Baden, Württemberg- Hohenzollern und Baden kein anderes Land betroffen wurde und die Interessen der Würt- temberger und Badener als weitgehend kon­form angenommen werden konnten.

Aber um ein Haar, wenn nämlich der süd- württembergische Staatspräsident nicht im letzten Augenblick, am 15. April 1950 in Freu­denstadt, noch mit dem Vorschlag einer sozu­sagen unverbindlichen Volksbefragung gekom­men wäre, hätte auch die Frage einer Flur­bereinigung im Südwesten von dar innen­politischen Tagesordnung abgesetzt werden müssen.

Die Verhandlungen zwischen den drei Re­gierungen bis zu der eben erwähnten Freu­denstädter Vereinbarung zu skizzieren, wäre müßig. Niemand interessiert sich mehr dafür. Die Oeffentlichkeit kam bei dem Hin und Her der Vorschläge, Gegenvorschläge und Vermitt­lungsvorschläge in keiner Form zu Wort, sie verzichtete darum schließlich auch darauf, von den Kabinettsaktionen noch Notiz zu nehmen.

Wer sich aber nun, da die bevorstehende Volksbefragung das ProblemSüdweststaat oder alte Länder ein gutes Stück zu fördern verspricht, kurz und gründlich orientieren will, für den hat Prof. Dr. Th. Eschenburg den ganzen Komplex anschließend an einen Vortrag in einer Broschüre dargestellt, die mit den wichtigsten Dokumenten und Karten aus­gestattet ist.

Th. Es c h e n b u r g , das Problem der Neu­gliederung der deutschen Bundesrepublik, dar­gestellt am Beispiel des Südweststaats. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, Frankfurt a. M. 1950. 80 S. 2 DM.

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