SAMSTAG, 2. SEPTEMBER 1950

Nummer 136

S.Jahrgang

beenden. Wird sich Truman gegen diese Strö­mung, die bei den kommenden November­wahlen eine wichtige Rolle' spielen wird, durchzusetzen vermögen? Noch hat der Präsi­dent es vermocht, den amerikanischenMikado in Japan, McArthur, sehr energisch zurückzu- pfaifen, als dieser etwas gar zu selbständig und riskant Chinapolitik auf eigene Faust treiben wollte. Ob dem Präsidenten das auch noch später gelingen wird, etwa auch dann, wenn-sich die MehrheitsVerhältnisse im Parla­ment zugunsten der mit seiner Asienpolitik unzufriedenen Republikaner verschoben ha­ben sollten? Die Beantwortung der Frage wird auch für Europas Zukunft höchst bedeutsam sein.

Solange es den Russen nicht gelingt, die Amerikaner sich auch noch mit den Chinesen auseinandersetzen zu lassen, ist Europa kaum gefährdet. Denn dann könnte immer das ganze Gewicht der amerikanischen Waffenhilfe in entscheidender Weise Europa zugute kommen. Sobald sich die Amerikaner, ob aus eigenem Entschluß oder unter russischer Einwirkung ist gleichgültig, in China festbeißen, hängt auch unser Schicksal nur noch an einem Fa­den. Er wird mit größter Wahrscheinlichkeit reißen oder gewaltsam durchschnitten werden, wenn die amerikanischen Verwicklungen in China sich in der nächsten Zeit vollziehen, während die europäische Rüstung erst im Werden ist. Solange Korea isoliert bleibt, lau­fen auch wir nur eine geringe Gefahr. Mit den Vorgängen in Asien ist nun einmal auch unser Schicksal eng verbunden. Muß das im Vergleich zu unserer komplizierten Gegenwart einmal eine sagenhaft schöne Zeit gewe­sen sein, als es dem Bürger in Europa voll­ständig gleichgültig sein konnte, wenn sich die Völkerweit hinten in der Türkei schlu­gen!

Die hohenzollerisdie Frage gelöst

Fortsetzung von Seite 1

langen Tradition gewachsene Selbstverwaltung in der Tat dasjenige Element sei, das den Hohenzoller über den Schmerz seiner staat­lichen Unterordnung unter Preußen getröstet habe. Nur meinte Herr Gog, müsse dieser Be­griff auch' noch ln einer tieferen, das Staats­bewußtsein angehenden Weise verankert wer­den, indem nämlich der Kommunallandtag di­rekt vom Volke gewählt werden sollte. Das aber würde einen Grad der Verselbständigung bedeuten, der nicht mehr von dem größeren Ganzen, vom Staate Württemberg-Hohenzol- lem verantwortet werden könnte. Herr Gog redete der Auffassung einer Tradition das Wort, wenn wir ihn richtig verstanden haben, die doch wohl mit den heutigen Verhältnissen nicht mehr in Einklang zu bringen ist.

Das eben angeführte Bedenken drückte auch der Abg. Leuze (FDP) aus. Er gab zu, die beiden Kreise seien anders zu behandeln als altwürttembergische Kreise (das könnte man auch von der Reichsstadt Reutlingen sagen, meinte der Abg. Kalbfell, das sei die Sprache des Reichsdeputationshauptausschusses, sagte der Abg. Prof. Karl Schmid). Man müsse das Traditionsgefühl bejahen, aber alle Anklänge vermeiden, die auch nur das geringste Entge­genkommen zuließen, als seien die Lande ein Staat im Staate und die Gebietskörperschaft die Repräsentation eines staatlichen Zweckver­bandes.

Innenminister Renner, der als Verwal­tungsminister die kräftigsten Auseinanderset­zungen mit gewissen fanatischen Hohenzollem zu führen hatte, legte Wert darauf, festzustei- len, daß der Entwurf das Aeußerste darstelle, was man wagen könne. Ein Mehr beschwöre

Das Volk als staatsbildendes Element

Nun auch Aufklärungstätigkeit über den Südweststaat in Württemberg

R. TÜBINGEN. (Eig. Bericht). Die peinlichen Aeußerungen des südbadischen Oberlandge­richtspräsidenten Dr. Zürcher dem süd- württembergischen Staatspräsidenten Dr. Müller gegenüber wir berichteten dar­über in unserer gestrigen Ausgabe haben auch in unserem Lande, wo bisher nur eine geringe Aktivität in der Südweststaatpropa­ganda zu verzeichnen war, die Aufmerksam­keit der Oeffentllchkeit auf die Südweststaat­abstimmung am 24. September gelenkt. Wie der Leiter des Büros für Heimatdienst in Tü­bingen, Dr. Ebersbach, vor Pressevertre­tern erklärte, werden nunmehr auch in Würt- temberg-Hohenzollem Propagandaversamm­lungen für den Südweststaatgedanken durch­geführt. Staatspräsident Dr. Müller wird am 12. September inTübingen, am 18. Sep­tember ln Sigmaringen und am 23. Sep­tember in Freudenstadt sprechen. Am 14. Sep­tember spricht der Bundestagsabgeordnete Freudenberg (Weinheim) in Reutlin­gen, am ,19. September der nordwürttember- gische Wirtschaftsminister Dr. Veitin Tros­singen und am 21. September der Mann­heimer Oberbürgermeister Heimerich in Tübingen. Auch Bundesminister Wilder- muth, der frühere südwürttembergische Ju- «tizminister und jetzige stellvertretende Bun­destagspräsident Prof. Karl Schmid und an­dere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden sich für den Südweststaat in Ver­sammlungen einsetzen. In einigen südwürt- tembergischen Kreisen sollen selbst in den kleinsten Gemeinden Kundgebungen dieser Art durchgeführt werden.

Der Vorsitzende der Südweststaatvereini­gung in Württemberg-Hohenzollern, Oskar Farny, stellte bei dieser Gelegenheit fest, daß.. durch die aufklärende Versammlungs­tätigkeit in Südbaden die dortige Bevölkerung, die bisher vollkommen einseitig dahingehend unterrichtet worden sei, sie würde im Falle eines Zusammenschlusses der Länder Würt­temberg und Baden von den Schwaben majo- risiert werden, wachsendes Interesse am Süd­

weststaatgedanken zeige. Allerdings wage ge­genwärtig in Südbaden kein Beamter, seine wahre Meinung "zu äußern, aus Angst, dafür gemaßregelt zu werden.

Die Anti-Südweststaat-Parole in Südbaden sei offensichtlich von oben ausgegeben wor­den, und es sei geradezu einobrigkeitlicher Terror zu verspüren. Trotz der eindeutigen Stimmung der württembergischen Bevölke­rung für den Südweststaat sei das Gesamt- Abstimmungsergebnis am 24. September noch vollständig offen. Farny vertrat die Auffas­sung, daß der Südweststaatzusammenschluß die erste Staatsgründung seit 2000 Jahren sei, bei der das Volk den Ausschlag gebe.

Gefahren herauf. Aus seinen Erfahrungen glaube er sagen zu können, daß man in Ho­henzollem einmal daran gedacht habe, dem Landeshauptmann den Rang eines Ministers einzuräumen, die Schwarz-Weißflagge allein an Stelle von Schwarz-Rot neben der Bundesflagge zu führen und dergleichen Aus­wüchse mehr. Was die Auslegung des Begriffs Gebietskörperschaft durch den Abg. Gog anlange, so stamme diese Auslegung aus der Zeit, bevor das Hecksche Interessenrecht exi­stierte, nämlich aus einer unduldsamen Syste­matik der Abstraktion.

Auch der Abg. Prof. Schmid stimmte den Ein wänden des Ministers zu. Jedoch fragte er die Begriffsjuristen, ob ihre Tüfteleien tat­sächlich von dem Volke verstanden und ge-, billigt würden, denn für die hohenzollerischen Nachbarn sei es doch viel wichtiger zu wissen, wer ihre Beamten bezahle, ihre Gymnasien unterhalte, ihre Straßen verbessere. Man solle sich abgewöhnen von einem hohenzollerischen Volk zu sprechen und dieses pathosgeladene Wort nicht mit den zwei Kreisen in Verbin­dung bringen. Es sei wahrlich nicht so, als ob der württembergische Leviathan nun die Lande auch noch schlucken wolle, man solle doch einmal abstimmen lassen und man werde sehen, wo die Hohenzollern ihre materiellen Rechte besser gewahrt wüßten.

Zuletzt gab der Staatspräsident noch einige Erläuterungen.

Bisher habe er und seine Regierung nicht ge­wußt, was man in den zwei Kreisen wolle, wer etwas wolle und was er wolle und ob er es auf die Dauer wolle. In dem Trommelfeuer her und hin, in dem er gestanden sei, sei ihm manches zugestoßen, was er nicht habe begrei­fen können. Er habe auf den Einwand hin, Hohenzollern müsse mehr an Württemberg abgeben, als es von seinem Nachbar empfange, eine Statistik für das Jahr 1949 machen lassen, nach der auf den Kopf eines jeden Württem- bergers ein Defizit von 10 DM, auf den Kopf eines, jeden Hohenzollern ein solches von 117 DM falle. Daraus ist ersichtlich, wer durch den Entwurf der materielle Gewinner ist. Er hoffe, mit dem Entwurf den Weg in eine für beide Partner gute Zukunft geebnet zu haben. *

Landeskqmmissar Widmer stattete dieser Tage gemeinsam mit dem Landtagspräsidenten G e n g 1 e r und dem Kreisdelegierten von Rottweil der Witwe des Staatspräsidenten Bock einen Besuch ab. Anschließend legten Landeskommissar Widmer und Landtagsprä­sident Gengier am Grabe von Stpatsnrärident Bock Blumengebinde nieder und verweilten dort einige Zeit in stillem Gedenken.

Nachrichten aus aller Welt

MÜNCHEN. Der ehemalige Stellvertreter des bayerischen Staatskommissars für das Flücht­lingswesen, Adolf Gußler aus Tepplitz-Schönau, ist wegen versuchten Betrugs, Urkundenfälschung und unberechtigter Führung akademischer Titel zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden.

FRANKFURT. Dem Zivilpersonal der amerika­nischen Besatzungsbehörden in Deutschland wird es künftig verboten sein, sich Kaffee aus dem Ausland schicken zu lassen oder Ihn bei Einreisen in das Bundesgebiet mitzubringen. Für die Ar­meeangehörigen in Deutschland wird eine ähn­liche Maßnahme vorbereitet, die dazu dienen soll, dem Schmuggel einen Riegel vorzuschieben.

FRANKFURT. Der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, der im vorigen Jahr ln Nürnberg zu sieben Jahren Ge­fängnis verurteilt worden war, soll spätestens Ende dieses Jahres aus dem Landsberger Gefäng­nis entlassen werden.

WIESBADEN. Die Kriminalpolizei hat einen Fälscherring ausgehoben, der den Druck von 27 000 Bezugscheinen für insgesamt 270 0001 Ben­zin vorbereitet und über eine Druckerei und die notwendigen Papiervorräte zur Fälschung von Benzinschecks für Devisenausländer verfügte.

SPEYER. Nach ä/smonatlger Dauer ist auf der Verwaltungsakademie in Speyer der erste Lehr­gang zur Ausbildung von Anwärtern für den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik beendet

worden. 17 von 19 Teilnehmern Ist nach Bestehen der umfangreichen schriftlichen und mündlichen Prüfungen' das Diplom überreicht worden. Der zweite Lehrgang beginnt Mitte September.

DÜSSELDORF. Zahlreiche Zeitungsverlage in Nordrhein-Westfalen haben ihren Lesern zum 1. September höhere Bezugspreise angekündigt, die mit dem Ansteigen der Papierpreise begrün­det werden. Die Erhöhungen bewegen sich im allgemeinen um 10"/» des bisherigen Bezugs­preises.

BUKAREST. Zum sechsten Jahrestag derBe­freiung Rumäniens durch die Rote Armee wurde die siebenbürgische Stadt Kronstadt in Stalin­stadt umbenannt. 800 Jahre lang hat Kronstadt seinen deutschen Namen getragen. Arbeiterkomi­tees haben vorgeschlagen, Bukarest nach Lenin und Klausenburg nach Anna Pauker zu nennen.

ATHEN, Ein Grieche hat vermutlich alle Welt­rekorde der Wassersportler im Springen geschla­gen. In Selbstmordabsicht stürzte er sich von einer 63 m hohen Brücke in den Kanal von Ko­rinth. Er wurde mit Verletzungen in ein Kran­kenhaus eingeliefert.

BOMBAY. Hier streiken 400 000 Arbeiter. Am Donnerstag ist es bereits zu Ausschreitungen ge­kommen, bei denen vier Personen getötet wor­den sind. Ministerpräsident Pandit Nehru hat die Streikenden bisher erfolglos zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgefordert.

Wir werden -isiert

sh. Kaum zu glauben, was man alles aus den Deutschen machen kann!

Zunächst wurden wir, das Ist allerdings schon einige Zeit her, nationalisiert, fanati- siert, militarisiert, arisiert und totalisiert. Mit Begeisterung, versteht sich. Bis zum Endsieg. Der andern.

Dadurch wurden wir internationalisiert, ent­nazifiziert, entmilitarisiert und demokratisiert. Mit Begeisterung, versteht sich.

Heute werden wir wieder fanatisiert.

Morgen werden wir remilitarisiert und re... Psst!

Mal ent-, mal re-. Ganz nach Bedarf. Hinter­her beschimpft man uns, wir hätten keinpoliti­sches Rückgrat. Ist ja auch egal. Denn letzt­lich werden wir ganz kurz anvisiert und je nach den taktischen und strategischen Bedürf­nissen pulverisiert oder atomisiert.

Hier gibt es dann freilich weder ent- noch re-. Das ist dann endgültig.

Letztmals unter Malik

NEW YORK. Am Donnerstag hielt der Si­cherheitsrat letztmals eine Sitzung unter dem Vorsitz des Sowjetdelegierten M a 1 i k ab, da im September der britische Delegierte J e e b den Vorsitz übernehmen wird. Malik ver­langte zu Beginn der Sitzung, daß die Korea- Frage, die Formosa-Frage, die Beschuldigun­gen der chinesischen Kommunisten, daß die Amerikaner chinesisches Gebiet bombardiert hätten unddie nicht enden wollenden Mas- senhinrichtungen in Griechenland auf die Tagesordnung gesetzt würden. Nach längerer Debatte wurde mit 8 gegen 3 Stimmen be­schlossen, die Beschwerde Pekings zu behan­deln, dagegen den Antrag Maliks, der sich auf Griechenland bezieht, abzulehnen.

Der amerikanische Delegierte Warren Au­stin erklärte Im amerikanischen Rundfunk zur Beendigung des sowjetischen Vorsitzes, der Kreml habe den freien Völkern geradezu einen Gefallen damit getan, einen solchen Jahrmarktsausrufer" wie Malik ln den Si­cherheitsrat zu entsenden. Die Massen hät­ten eine großartige Gelegenheit gehabt, sich von der Verlogenheit der sowjetischen Pro­paganda zu überzeugen.Je lauter er schrie, desto weniger glaubte man ihm.

Gegenwärtig keine Verstärkung

WASHINGTON. Präsident Truman hat am Donnerstag in seiner Pressekonferenz er­klärt, daß er gegenwärtig nicht beabsichtige, die in der deutschen Bundesrepublik statio­nierten USA-Streitkräfte zu verstärken. Der Präsident gab ferner die Zusicherung, daß die 7. USA-Flotte aus den Gewässern um Formosa sofort zurückgezogen würde, sobald der Korea­krieg beendet ist. Die Neutralisierung Formo- sas sei lediglich eine Sicherungsmaßnahme während der Dauer der Kämpfe.

34000 Bauarbeiter streiken

HAMBURG. In Frankfurt und Hannover streiken nun bereits mehr als 33 000 Bauarbei­ter. Am Freitag haben nun auch mehrere Hun­dert Bauarbeiter in Hamburg die Arbeit nie­dergelegt, um ihre Lohnforderungen durchzu­drücken. Der Hamburger Streik ist eine erste Warnung. Falls den Forderungen nach Erhö­hung. des Stundenlohnes um 20 Pfennig nicht entsprochen wird, sollen alle Hamburger Bau­arbeiter ihre Arbeit niederlegen. Der Streik­beschluß wurde am Donnerstagabend gefaßt und weitere Maßnahmen dem Ermessen des Vorstandes der Gewerkschaft anheimgestellt.

Weiterhin Ueberbrttdkungshilfe

BONN. Auf Antrag des Bundesfinanzmini­sters hat das Bundeskabinett beschlossen, die Ueberbrückungshilfe für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes und für ehemalige be­rufsmäßige Wehrmachtsangehörige weiter zu gewähren. Der Bundesfinanzminister ist er­mächtigt worden, den Ländern die vom Bun­destag für das dritte Viertel 1950 bewilligten 36 Millionen DM zur Verfügung zu stellen.

dt. fHaSmt M$tei Sfäct

Roman einei Dämoni von Norbert Jacques

4] Copyright by Hotfmonn und Comp# Vorlog, Hamburg

So folgte der ersten nächtlichen Aussprache eine Reihe von Untersuchungen und Rück­sprachen für Hoffmeister. Auch der Kriminal­rat fand ihn reichlich überarbeitet. Es endete damit, daß der unglückliche Hoffmeister für vier Wochen auf Erholungsurlaub geschickt wurde,

Und mm war er wie ein Jagdhund. Nun, da er sich wirklich seiner Gemütlichkeit ganz hätte hingeben können, ja sollen, um neue Kräfte zu sammeln, raste er herum und be­schnüffelte mit überhitzter Nase vertrocknete und verrochene Spuren.

Sein Blut stand im Siedepunkt, tagaus und tagein: er wird die Falschmünzer finden, Et­was anderes kannte er nicht mehr,

Er ging den neuen Weg von dem Abend in der heimlichen Spielhölle aus. Aus diesem Abend war ihm eine Erinnerung geblieben. Sie begann mit einem Namen; Kent.

Deutlich stand er vor ihm. Allmählich und in hartnäckigem Kampf gegen die durchein­ander bewegte Masse der Erinnerungen fand er in seinem Gedächtnis auch den Mann wie­der, der zu dem Namen gehörte.

Seine Erinnerungen lösten immer bereiter diesen Namen aus, und zugleich stellte sich das Bild eines straffen jungen Mannes ein, der mit einem gutgeschneiderten Smoking beklei­det war und sich in der. aus Menschen, stim­men, Qualm und Alkoholdunst, Gerüchen und Erregung gemischten Atmosphäre des Lokals ln der Bendlxstraße bewegte.

Eg war ein schlanker, blonder, vielleicht dreißigjähriger Mensch von Haltung, zusam­mengerafft im Aussehen, mit einem schmalen Pferdekopf. Sein Name, Kent, war der ein­zige, den Hoffmeister in dieser Nacht in der Gesellschaft gehört hatte, und dieser Kent war überall gewesen, Aber er war überall nur dazwischengewesen, hatte Fragen beantwor­tet, Wünsche erfüllt, Zwiste geschlichtet, den Partner zu einem Scherz oder einer Unterhal­tung abgegeben, ohne jemals sich unmittelbar an dem Treiben der Gesellsaft beteiligt zu haben.

So hatte Hoffmeister jetzt nachträglich die Empfindung, dieser Name und sein Träger hätten in dem Lokal eine besondere Rolle

gespielt. Nicht, als ob dieser Kent nun ge­rade als der Unternehmer des Lokals ange­sprochen worden wäre. Aber er war ein Geist, der in dieser unterirdischen Anstalt heimisch und leitend war.

Als Hoffmeister sich immer schärfer besann, stellte sich heraus, daß sein Gedächtnis eine Bewegung des Kellners aufbewahrt hatte, der ihm die beiden falschen Scheine gegeben,., nämlich die, als habe sich dieser Kellrter zu­nächst an den hinter ihm stehenden Kent ge­wandt, um sich von ihm die zwei Scheine geben zu lassen,

Ja, die Erinerung an diese Bewegung des Kellners kam ihm Immer deutlicher und. stand bald genau und festumrissen in Hoffmeisters Hirn.

Er konnte nicht umhin, sich schwere Vor­würfe zu machen, und zwar die, daß er zu lässig gewesen war. Er hatte die beiden Geld­scheine mit der Wahrscheinlichkeit oder zu­mindest der Möglichkeit, daß es gefälschte waren, in Empfang genommen. Wohl sagte sich Hoffmeister, daß er auch nichts erreicht hätte, wenn der Kellner festgenagelt worden wäre.

Der Kellner hätte die Ausrede leicht ge­habt, die Scheine selbst von einem unbekann­ten, Inzwischen verschwundenen Gast bekom­men zu haben,

Aber da sie vom Manager selbst kamen, von diesem Gentleman... diesem Pscudo- kavaller Kent!

Das wäre die Gelegenheit gewesen, zum erstenmal einen mittelbar, wenn nicht unmit­telbar Beteiligten festzunehmen,

Welche Fahrlässigkeit, daß er es nicht ge­tan hatte. Welch unverzeihliches Versagen! Er mußte an sein Gabelfrühstück gedacht haben. Es gibt keine Entschuldigung, warf er sich vor, Sein Chef hatte recht gehabt, ihn zwangs­weise zu beurlauben und damit zu maßregeln.

(Fortsetzung folgt)

Nun, lieber Hoffmeister, das mag sein, sagte Lohmann.Aber es ist nicht ohne Pi- kanterie, daß ausgerechnet einer von unseren Leuten sich gleich zwei Scheine durch die Falschmünzer hat aufhängen lassen. Denn daß ein Betrogener Ihnen die Scheine gegeben hat, glaube ich nicht. Diese Spielhölle ist einer der Orte, wo sie ausgegeben werden.

Hoffmeister entgegnete nichts, er schickte nur einen Blick voll traurigen Vorwurf» zu dem Kollegen, aus Hannover.

Aber der sagte beleidigt:Na ja, ihr aus Berlin!

Für Hoffmeister hatte die Angelegenheit immerhin Folgen.

Ein letzter kleiner Verdacht blieb trotz allem irgendwie kleben, und was er gar nicht von sich abtun konnte, war, daß er in dieser Zeit, da die Falschmünzer mit ihren Fünfzig­markscheinen schon fast eine öffentliche Pa­nik verursachten und die Polizei Tag und Nacht auf der Suche hielten, sich als Krimi­nalbeamter mit zwei solchen Scheinen hatte hineinlegen lassen.

Das war eine Todsünde, denn das ging gegen das Prestige.

Lohmann, der bisher mit der Arbeit des Inspektors Hoffmeister durchaus zufrieden ge­wesen war, konnte nicht umhin, dem Krimi­nalrat über das Vorgefallene zu berichten, vergaß jedoch nicht zu betonen, daß Hoffmei­ster in der letzten Zeit stark überlastet ge­wesen war, und daß der Grund seiner Unacht­samkeit sicher in seiner Ueberarbeitung zu suchen wäre.

II

Manche Menschen, deren Leben reibungslos auf einer ruhigen Mittellinie verläuft, fallen, in eine Art von beständigem Winterschlaf. Sie verrichten ihre Aufgaben wohl gewissenhaft, aber mit einem leidenschaftslosen Ausschalten ihres Innern. Mit sanft geneigtem Kopf gehen sie gegen ihren täglichen Dienst an, und ein Erheben der Stimme scheint ihnen drohend etwas aufscheuchen zu wollen, was im Innern, im Dunklen, ruhen bleiben sollte. Sie wissen nicht, wodurch dieses Gesetz der Lauen Herr­schaft über ihr Inneres gewann.

Ja, sie wissen nicht einmal, daß sie sich sozusagen hinter diesem Winterschlaf ihrer Leidenschaften nur versteckt halten.

Bis ein Zufall eines Tages ihnen ein Ereig­nis zwischen die Beine wirft; dann, im Stol­pern, erkennen sie auf einmal die Glut, die aus der Asche wieder auflodern möchte.

So erging es Hoffmeister. Er war bisher ein Beamter gewesen, der seine Pflichten. erfüllte. Er tat es mit Intelligenz, aber ohne Besessen­heit, und das tägliche Frühstück, das ihm aus der kleinen Bierkneipe an den amtlichen Schreibstubentisch gebracht wurde, war ihm nicht bedeutungsloser als die Aufdeckung einer verborgenen Spielhöllenkneipe.

Das Frühstück war Pflicht gegen Körper und Gaumen, das andere gegen sein Amt.

Aber jetzt, da er über seine Lässigkeit ge­stolpert war, ergriff etwas Neues, etwas, was jähzornig aus einem inneren Versteck hervor­schoß, Besitz von ihm. Ihm war, als ob eine unsichtbare Faust ihn aus sich hervorrisse.