SAMSTAG, 2. SEPTEMBER 1950
Nummer 136
S.Jahrgang
beenden. Wird sich Truman gegen diese Strömung, die bei den kommenden Novemberwahlen eine wichtige Rolle' spielen wird, durchzusetzen vermögen? Noch hat der Präsident es vermocht, den amerikanischen „Mikado“ in Japan, McArthur, sehr energisch zurückzu- pfaifen, als dieser etwas gar zu selbständig und riskant Chinapolitik auf eigene Faust treiben wollte. Ob dem Präsidenten das auch noch später gelingen wird, etwa auch dann, wenn-sich die MehrheitsVerhältnisse im Parlament zugunsten der mit seiner Asienpolitik unzufriedenen Republikaner verschoben haben sollten? Die Beantwortung der Frage wird auch für Europas Zukunft höchst bedeutsam sein.
Solange es den Russen nicht gelingt, die Amerikaner sich auch noch mit den Chinesen auseinandersetzen zu lassen, ist Europa kaum gefährdet. Denn dann könnte immer das ganze Gewicht der amerikanischen Waffenhilfe in entscheidender Weise Europa zugute kommen. Sobald sich die Amerikaner, ob aus eigenem Entschluß oder unter russischer Einwirkung ist gleichgültig, in China festbeißen, hängt auch unser Schicksal nur noch an einem Faden. Er wird mit größter Wahrscheinlichkeit reißen oder gewaltsam durchschnitten werden, wenn die amerikanischen Verwicklungen in China sich in der nächsten Zeit vollziehen, während die europäische Rüstung erst im Werden ist. Solange Korea isoliert bleibt, laufen auch wir nur eine geringe Gefahr. Mit den Vorgängen in Asien ist nun einmal auch unser Schicksal eng verbunden. Muß das im Vergleich zu unserer komplizierten Gegenwart einmal eine sagenhaft schöne Zeit gewesen sein, als es dem Bürger in Europa vollständig gleichgültig sein konnte, wenn sich die Völker „weit hinten in der Türkei“ schlugen!
Die hohenzollerisdie Frage gelöst
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langen Tradition gewachsene Selbstverwaltung in der Tat dasjenige Element sei, das den Hohenzoller über den Schmerz seiner staatlichen Unterordnung unter Preußen getröstet habe. Nur meinte Herr Gog, müsse dieser Begriff auch' noch ln einer tieferen, das Staatsbewußtsein angehenden Weise verankert werden, indem nämlich der Kommunallandtag direkt vom Volke gewählt werden sollte. Das aber würde einen Grad der Verselbständigung bedeuten, der nicht mehr von dem größeren Ganzen, vom Staate Württemberg-Hohenzol- lem verantwortet werden könnte. Herr Gog redete der Auffassung einer Tradition das Wort, wenn wir ihn richtig verstanden haben, die doch wohl mit den heutigen Verhältnissen nicht mehr in Einklang zu bringen ist.
Das eben angeführte Bedenken drückte auch der Abg. Leuze (FDP) aus. Er gab zu, die beiden Kreise seien anders zu behandeln als altwürttembergische Kreise (das könnte man auch von der Reichsstadt Reutlingen sagen, meinte der Abg. Kalbfell, das sei die Sprache des Reichsdeputationshauptausschusses, sagte der Abg. Prof. Karl Schmid). Man müsse das Traditionsgefühl bejahen, aber alle Anklänge vermeiden, die auch nur das geringste Entgegenkommen zuließen, als seien die Lande ein „Staat im Staate“ und die Gebietskörperschaft die Repräsentation eines staatlichen Zweckverbandes.
Innenminister Renner, der als Verwaltungsminister die kräftigsten Auseinandersetzungen mit gewissen fanatischen Hohenzollem zu führen hatte, legte Wert darauf, festzustei- len, daß der Entwurf das Aeußerste darstelle, was man wagen könne. Ein Mehr beschwöre
Das Volk als staatsbildendes Element
Nun auch Aufklärungstätigkeit über den Südweststaat in Württemberg
R. TÜBINGEN. (Eig. Bericht). Die peinlichen Aeußerungen des südbadischen Oberlandgerichtspräsidenten Dr. Zürcher dem süd- württembergischen Staatspräsidenten Dr. Müller gegenüber — wir berichteten darüber in unserer gestrigen Ausgabe — haben auch in unserem Lande, wo bisher nur eine geringe Aktivität in der Südweststaatpropaganda zu verzeichnen war, die Aufmerksamkeit der Oeffentllchkeit auf die Südweststaatabstimmung am 24. September gelenkt. Wie der Leiter des Büros für Heimatdienst in Tübingen, Dr. Ebersbach, vor Pressevertretern erklärte, werden nunmehr auch in Würt- temberg-Hohenzollem Propagandaversammlungen für den Südweststaatgedanken durchgeführt. Staatspräsident Dr. Müller wird am 12. September inTübingen, am 18. September ln Sigmaringen und am 23. September in Freudenstadt sprechen. Am 14. September spricht der Bundestagsabgeordnete Freudenberg (Weinheim) in Reutlingen, am ,19. September der nordwürttember- gische Wirtschaftsminister Dr. Veitin Trossingen und am 21. September der Mannheimer Oberbürgermeister Heimerich in Tübingen. Auch Bundesminister Wilder- muth, der frühere südwürttembergische Ju- «tizminister und jetzige stellvertretende Bundestagspräsident Prof. Karl Schmid und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden sich für den Südweststaat in Versammlungen einsetzen. In einigen südwürt- tembergischen Kreisen sollen selbst in den kleinsten Gemeinden Kundgebungen dieser Art durchgeführt werden.
Der Vorsitzende der Südweststaatvereinigung in Württemberg-Hohenzollern, Oskar Farny, stellte bei dieser Gelegenheit fest, daß.. durch die aufklärende Versammlungstätigkeit in Südbaden die dortige Bevölkerung, die bisher vollkommen einseitig dahingehend unterrichtet worden sei, sie würde im Falle eines Zusammenschlusses der Länder Württemberg und Baden von den Schwaben majo- risiert werden, wachsendes Interesse am Süd
weststaatgedanken zeige. Allerdings wage gegenwärtig in Südbaden kein Beamter, seine wahre Meinung "zu äußern, aus Angst, dafür gemaßregelt zu werden.
Die Anti-Südweststaat-Parole in Südbaden sei offensichtlich von oben ausgegeben worden, und es sei geradezu ein „obrigkeitlicher Terror“ zu verspüren. Trotz der eindeutigen Stimmung der württembergischen Bevölkerung für den Südweststaat sei das Gesamt- Abstimmungsergebnis am 24. September noch vollständig offen. Farny vertrat die Auffassung, daß der Südweststaatzusammenschluß die erste Staatsgründung seit 2000 Jahren sei, bei der das Volk den Ausschlag gebe.
Gefahren herauf. Aus seinen Erfahrungen glaube er sagen zu können, daß man in Hohenzollem einmal daran gedacht habe, dem Landeshauptmann den Rang eines Ministers einzuräumen, die Schwarz-Weißflagge allein — an Stelle von Schwarz-Rot — neben der Bundesflagge zu führen und dergleichen Auswüchse mehr. Was die Auslegung des Begriffs „Gebietskörperschaft“ durch den Abg. Gog anlange, so stamme diese Auslegung aus der Zeit, bevor das Hecksche Interessenrecht existierte, nämlich aus einer unduldsamen Systematik der Abstraktion.
Auch der Abg. Prof. Schmid stimmte den Ein wänden des Ministers zu. Jedoch fragte er die Begriffsjuristen, ob ihre Tüfteleien tatsächlich von dem Volke verstanden und ge-, billigt würden, denn für die hohenzollerischen Nachbarn sei es doch viel wichtiger zu wissen, wer ihre Beamten bezahle, ihre Gymnasien unterhalte, ihre Straßen verbessere. Man solle sich abgewöhnen von einem hohenzollerischen „Volk“ zu sprechen und dieses pathosgeladene Wort nicht mit den zwei Kreisen in Verbindung bringen. Es sei wahrlich nicht so, als ob der württembergische Leviathan nun die Lande auch noch schlucken wolle, man solle doch einmal abstimmen lassen und man werde sehen, wo die Hohenzollern ihre materiellen Rechte besser gewahrt wüßten.
Zuletzt gab der Staatspräsident noch einige Erläuterungen.
Bisher habe er und seine Regierung nicht gewußt, was man in den zwei Kreisen wolle, wer etwas wolle und was er wolle und ob er es auf die Dauer wolle. In dem Trommelfeuer her und hin, in dem er gestanden sei, sei ihm manches zugestoßen, was er nicht habe begreifen können. Er habe auf den Einwand hin, Hohenzollern müsse mehr an Württemberg abgeben, als es von seinem Nachbar empfange, eine Statistik für das Jahr 1949 machen lassen, nach der auf den Kopf eines jeden Württem- bergers ein Defizit von 10 DM, auf den Kopf eines, jeden Hohenzollern ein solches von 117 DM falle. Daraus ist ersichtlich, wer durch den Entwurf der materielle Gewinner ist. Er hoffe, mit dem Entwurf den Weg in eine für beide Partner gute Zukunft geebnet zu haben. *
Landeskqmmissar Widmer stattete dieser Tage gemeinsam mit dem Landtagspräsidenten G e n g 1 e r und dem Kreisdelegierten von Rottweil der Witwe des Staatspräsidenten Bock einen Besuch ab. Anschließend legten Landeskommissar Widmer und Landtagspräsident Gengier am Grabe von Stpatsnrärident Bock Blumengebinde nieder und verweilten dort einige Zeit in stillem Gedenken.
Nachrichten aus aller Welt
MÜNCHEN. Der ehemalige Stellvertreter des bayerischen Staatskommissars für das Flüchtlingswesen, Adolf Gußler aus Tepplitz-Schönau, ist wegen versuchten Betrugs, Urkundenfälschung und unberechtigter Führung akademischer Titel zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden.
FRANKFURT. Dem Zivilpersonal der amerikanischen Besatzungsbehörden in Deutschland wird es künftig verboten sein, sich Kaffee aus dem Ausland schicken zu lassen oder Ihn bei Einreisen in das Bundesgebiet mitzubringen. Für die Armeeangehörigen in Deutschland wird eine ähnliche Maßnahme vorbereitet, die dazu dienen soll, dem Schmuggel einen Riegel vorzuschieben.
FRANKFURT. Der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, der im vorigen Jahr ln Nürnberg zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden war, soll spätestens Ende dieses Jahres aus dem Landsberger Gefängnis entlassen werden.
WIESBADEN. Die Kriminalpolizei hat einen Fälscherring ausgehoben, der den Druck von 27 000 Bezugscheinen für insgesamt 270 0001 Benzin vorbereitet und über eine Druckerei und die notwendigen Papiervorräte zur Fälschung von Benzinschecks für Devisenausländer verfügte.
SPEYER. Nach ä’/smonatlger Dauer ist auf der Verwaltungsakademie in Speyer der erste Lehrgang zur Ausbildung von Anwärtern für den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik beendet
worden. 17 von 19 Teilnehmern Ist nach Bestehen der umfangreichen schriftlichen und mündlichen Prüfungen' das Diplom überreicht worden. Der zweite Lehrgang beginnt Mitte September.
DÜSSELDORF. Zahlreiche Zeitungsverlage in Nordrhein-Westfalen haben ihren Lesern zum 1. September höhere Bezugspreise angekündigt, die mit dem Ansteigen der Papierpreise begründet werden. Die Erhöhungen bewegen sich im allgemeinen um 10"/» des bisherigen Bezugspreises.
BUKAREST. Zum sechsten Jahrestag der „Befreiung“ Rumäniens durch die Rote Armee wurde die siebenbürgische Stadt Kronstadt in Stalinstadt umbenannt. 800 Jahre lang hat Kronstadt seinen deutschen Namen getragen. Arbeiterkomitees haben vorgeschlagen, Bukarest nach Lenin und Klausenburg nach Anna Pauker zu nennen.
ATHEN, Ein Grieche hat vermutlich alle Weltrekorde der Wassersportler im Springen geschlagen. In Selbstmordabsicht stürzte er sich von einer 63 m hohen Brücke in den Kanal von Korinth. Er wurde mit Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert.
BOMBAY. Hier streiken 400 000 Arbeiter. Am Donnerstag ist es bereits zu Ausschreitungen gekommen, bei denen vier Personen getötet worden sind. Ministerpräsident Pandit Nehru hat die Streikenden bisher erfolglos zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgefordert.
Wir werden -isiert
sh. Kaum zu glauben, was man alles aus den Deutschen machen kann!
Zunächst wurden wir, das Ist allerdings schon einige Zeit her, nationalisiert, fanati- siert, militarisiert, arisiert und totalisiert. Mit Begeisterung, versteht sich. Bis zum Endsieg. Der andern.
Dadurch wurden wir internationalisiert, entnazifiziert, entmilitarisiert und demokratisiert. Mit Begeisterung, versteht sich.
Heute werden wir wieder fanatisiert.
Morgen werden wir remilitarisiert und re... Psst!
Mal ent-, mal re-. Ganz nach Bedarf. Hinterher beschimpft man uns, wir hätten kein „politisches Rückgrat“. Ist ja auch egal. Denn letztlich werden wir ganz kurz anvisiert und je nach den taktischen und strategischen Bedürfnissen pulverisiert oder atomisiert.
Hier gibt es dann freilich weder ent- noch re-. Das ist dann endgültig.
Letztmals unter Malik
NEW YORK. Am Donnerstag hielt der Sicherheitsrat letztmals eine Sitzung unter dem Vorsitz des Sowjetdelegierten M a 1 i k ab, da im September der britische Delegierte J e e b den Vorsitz übernehmen wird. Malik verlangte zu Beginn der Sitzung, daß die Korea- Frage, die Formosa-Frage, die Beschuldigungen der chinesischen Kommunisten, daß die Amerikaner chinesisches Gebiet bombardiert hätten und „die nicht enden wollenden Mas- senhinrichtungen in Griechenland“ auf die Tagesordnung gesetzt würden. Nach längerer Debatte wurde mit 8 gegen 3 Stimmen beschlossen, die Beschwerde Pekings zu behandeln, dagegen den Antrag Maliks, der sich auf Griechenland bezieht, abzulehnen.
Der amerikanische Delegierte Warren Austin erklärte Im amerikanischen Rundfunk zur Beendigung des sowjetischen Vorsitzes, der Kreml habe den freien Völkern geradezu einen Gefallen damit getan, einen solchen „Jahrmarktsausrufer" wie Malik ln den Sicherheitsrat zu entsenden. Die Massen hätten eine großartige Gelegenheit gehabt, sich von der Verlogenheit der sowjetischen Propaganda zu überzeugen. „Je lauter er schrie, desto weniger glaubte man ihm.“
Gegenwärtig keine Verstärkung
WASHINGTON. Präsident Truman hat am Donnerstag in seiner Pressekonferenz erklärt, daß er gegenwärtig nicht beabsichtige, die in der deutschen Bundesrepublik stationierten USA-Streitkräfte zu verstärken. Der Präsident gab ferner die Zusicherung, daß die 7. USA-Flotte aus den Gewässern um Formosa sofort zurückgezogen würde, sobald der Koreakrieg beendet ist. Die Neutralisierung Formo- sas sei lediglich eine Sicherungsmaßnahme während der Dauer der Kämpfe.
34000 Bauarbeiter streiken
HAMBURG. In Frankfurt und Hannover streiken nun bereits mehr als 33 000 Bauarbeiter. Am Freitag haben nun auch mehrere Hundert Bauarbeiter in Hamburg die Arbeit niedergelegt, um ihre Lohnforderungen durchzudrücken. Der Hamburger Streik ist eine erste Warnung. Falls den Forderungen nach Erhöhung. des Stundenlohnes um 20 Pfennig nicht entsprochen wird, sollen alle Hamburger Bauarbeiter ihre Arbeit niederlegen. Der Streikbeschluß wurde am Donnerstagabend gefaßt und weitere Maßnahmen dem Ermessen des Vorstandes der Gewerkschaft anheimgestellt.
Weiterhin Ueberbrttdkungshilfe
BONN. Auf Antrag des Bundesfinanzministers hat das Bundeskabinett beschlossen, die Ueberbrückungshilfe für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes und für ehemalige berufsmäßige Wehrmachtsangehörige weiter zu gewähren. Der Bundesfinanzminister ist ermächtigt worden, den Ländern die vom Bundestag für das dritte Viertel 1950 bewilligten 36 Millionen DM zur Verfügung zu stellen.
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Roman einei Dämoni von Norbert Jacques
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So folgte der ersten nächtlichen Aussprache eine Reihe von Untersuchungen und Rücksprachen für Hoffmeister. Auch der Kriminalrat fand ihn reichlich überarbeitet. Es endete damit, daß der unglückliche Hoffmeister für vier Wochen auf Erholungsurlaub geschickt wurde,
Und mm war er wie ein Jagdhund. Nun, da er sich wirklich seiner Gemütlichkeit ganz hätte hingeben können, ja sollen, um neue Kräfte zu sammeln, raste er herum und beschnüffelte mit überhitzter Nase vertrocknete und verrochene Spuren.
Sein Blut stand im Siedepunkt, tagaus und tagein: er wird die Falschmünzer finden, Etwas anderes kannte er nicht mehr,
Er ging den neuen Weg von dem Abend in der heimlichen Spielhölle aus. Aus diesem Abend war ihm eine Erinnerung geblieben. Sie begann mit einem Namen; Kent.
Deutlich stand er vor ihm. Allmählich und in hartnäckigem Kampf gegen die durcheinander bewegte Masse der Erinnerungen fand er in seinem Gedächtnis auch den Mann wieder, der zu dem Namen gehörte.
Seine Erinnerungen lösten immer bereiter diesen Namen aus, und zugleich stellte sich das Bild eines straffen jungen Mannes ein, der mit einem gutgeschneiderten Smoking bekleidet war und sich in der. aus Menschen, stimmen, Qualm und Alkoholdunst, Gerüchen und Erregung gemischten Atmosphäre des Lokals ln der Bendlxstraße bewegte.
Eg war ein schlanker, blonder, vielleicht dreißigjähriger Mensch von Haltung, zusammengerafft im Aussehen, mit einem schmalen Pferdekopf. Sein Name, Kent, war der einzige, den Hoffmeister in dieser Nacht in der Gesellschaft gehört hatte, und dieser Kent war überall gewesen, Aber er war überall nur dazwischengewesen, hatte Fragen beantwortet, Wünsche erfüllt, Zwiste geschlichtet, den Partner zu einem Scherz oder einer Unterhaltung abgegeben, ohne jemals sich unmittelbar an dem Treiben der Gesellsaft beteiligt zu haben.
So hatte Hoffmeister jetzt nachträglich die Empfindung, dieser Name und sein Träger hätten in dem Lokal eine besondere Rolle
gespielt. Nicht, als ob dieser Kent nun gerade als der Unternehmer des Lokals angesprochen worden wäre. Aber er war ein Geist, der in dieser unterirdischen Anstalt heimisch und leitend war.
Als Hoffmeister sich immer schärfer besann, stellte sich heraus, daß sein Gedächtnis eine Bewegung des Kellners aufbewahrt hatte, der ihm die beiden falschen Scheine gegeben,., nämlich die, als habe sich dieser Kellrter zunächst an den hinter ihm stehenden Kent gewandt, um sich von ihm die zwei Scheine geben zu lassen,
Ja, die Erinerung an diese Bewegung des Kellners kam ihm Immer deutlicher und. stand bald genau und festumrissen in Hoffmeisters Hirn.
Er konnte nicht umhin, sich schwere Vorwürfe zu machen, und zwar die, daß er zu lässig gewesen war. Er hatte die beiden Geldscheine mit der Wahrscheinlichkeit oder zumindest der Möglichkeit, daß es gefälschte waren, in Empfang genommen. Wohl sagte sich Hoffmeister, daß er auch nichts erreicht hätte, wenn der Kellner festgenagelt worden wäre.
Der Kellner hätte die Ausrede leicht gehabt, die Scheine selbst von einem unbekannten, Inzwischen verschwundenen Gast bekommen zu haben,
Aber da sie vom Manager selbst kamen, von diesem Gentleman... diesem Pscudo- kavaller Kent!
Das wäre die Gelegenheit gewesen, zum erstenmal einen mittelbar, wenn nicht unmittelbar Beteiligten festzunehmen,
Welche Fahrlässigkeit, daß er es nicht getan hatte. Welch unverzeihliches Versagen! Er mußte an sein Gabelfrühstück gedacht haben. Es gibt keine Entschuldigung, warf er sich vor, Sein Chef hatte recht gehabt, ihn zwangsweise zu beurlauben und damit zu maßregeln.
(Fortsetzung folgt)
„Nun, lieber Hoffmeister, das mag sein“, sagte Lohmann. „Aber es ist nicht ohne Pi- kanterie, daß ausgerechnet einer von unseren Leuten sich gleich zwei Scheine durch die Falschmünzer hat aufhängen lassen. Denn daß ein Betrogener Ihnen die Scheine gegeben hat, glaube ich nicht. Diese Spielhölle ist einer der Orte, wo sie ausgegeben werden.“
Hoffmeister entgegnete nichts, er schickte nur einen Blick voll traurigen Vorwurf» zu dem Kollegen, aus Hannover.
Aber der sagte beleidigt: „Na ja, ihr aus Berlin!“
Für Hoffmeister hatte die Angelegenheit immerhin Folgen.
Ein letzter kleiner Verdacht blieb trotz allem irgendwie kleben, und was er gar nicht von sich abtun konnte, war, daß er in dieser Zeit, da die Falschmünzer mit ihren Fünfzigmarkscheinen schon fast eine öffentliche Panik verursachten und die Polizei Tag und Nacht auf der Suche hielten, sich als Kriminalbeamter mit zwei solchen Scheinen hatte hineinlegen lassen.
Das war eine Todsünde, denn das ging gegen das Prestige.
Lohmann, der bisher mit der Arbeit des Inspektors Hoffmeister durchaus zufrieden gewesen war, konnte nicht umhin, dem Kriminalrat über das Vorgefallene zu berichten, vergaß jedoch nicht zu betonen, daß Hoffmeister in der letzten Zeit stark überlastet gewesen war, und daß der Grund seiner Unachtsamkeit sicher in seiner Ueberarbeitung zu suchen wäre.
II
Manche Menschen, deren Leben reibungslos auf einer ruhigen Mittellinie verläuft, fallen, in eine Art von beständigem Winterschlaf. Sie verrichten ihre Aufgaben wohl gewissenhaft, aber mit einem leidenschaftslosen Ausschalten ihres Innern. Mit sanft geneigtem Kopf gehen sie gegen ihren täglichen Dienst an, und ein Erheben der Stimme scheint ihnen drohend etwas aufscheuchen zu wollen, was im Innern, im Dunklen, ruhen bleiben sollte. Sie wissen nicht, wodurch dieses Gesetz der Lauen Herrschaft über ihr Inneres gewann.
Ja, sie wissen nicht einmal, daß sie sich sozusagen hinter diesem Winterschlaf ihrer Leidenschaften nur versteckt halten.
Bis ein Zufall eines Tages ihnen ein Ereignis zwischen die Beine wirft; dann, im Stolpern, erkennen sie auf einmal die Glut, die aus der Asche wieder auflodern möchte.
So erging es Hoffmeister. Er war bisher ein Beamter gewesen, der seine Pflichten. erfüllte. Er tat es mit Intelligenz, aber ohne Besessenheit, und das tägliche Frühstück, das ihm aus der kleinen Bierkneipe an den amtlichen Schreibstubentisch gebracht wurde, war ihm nicht bedeutungsloser als die Aufdeckung einer verborgenen Spielhöllenkneipe.
Das Frühstück war Pflicht gegen Körper und Gaumen, das andere gegen sein Amt.
Aber jetzt, da er über seine Lässigkeit gestolpert war, ergriff etwas Neues, etwas, was jähzornig aus einem inneren Versteck hervorschoß, Besitz von ihm. Ihm war, als ob eine unsichtbare Faust ihn aus sich hervorrisse.