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Von einem schwäbischen Sommerfrischler
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Wer suis Ziel seiner Reise gelangt, kann beglückt, aber auch enttäuscht sein: Am Strand des vielbegehrten Nordseebades auf Sylt sieht es ganz international aus: eine unübersehbare Menge von Strandkörben, einer wie der andere genormt, in einer lcilometerlangen geraden Nord-Südfront. Im Zentrum bei der großen Promenade hausen die Kurgäste, die was auslegen können. Man hat es ihnen bequem gemacht, ein paar Stufen genügen und sie sind unter dem Schatten modernster Hotels mitten im Sand. Dort bauen sie sich Wälle, Gräben und Burgen um ihren gemieteten Besitz, lassen sich die Sonne auf den Bauch
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Sommertag on’t Watt
Hier staht keen Büsch, hier staht keen Böm, Blots gele Gras un Glockenblöm,
Waßt vun’ rode Heidekant Op Feld un Wall dal na de Strand.
Hier is keen Minschenseel to sehn;
Ick bin op Heid un Strand alleen.
Hier is keen ander Lud to hörn,
Als Lerchenlieder neeg un lern.
Da Hewen ■) lacht so düsterblau.
Dat wiede Watt schient sülvergrau,
En Schiep in’t Priel 1 ) liggt op’e Siet 1 ),
Un töwt*) sach op de neechste Tid’ s ).
Wo still, wo einsam is dat Haff!
Günt*) spegelt sich de Insel aff;
De MoeV) steiht still, as wenn se sleep,
Un Möwen flegen aewer’t Deep 8 ).
*) Himmel, *) Flutrinne, *) Seite, *) wartet, .<) Flut, •) weit weg, 7 ) Mole, 8 ) tief.
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scheinen — sofern sie scheint, was sie nicht immer tut —, werden wieder wie ihre Kinder und buddeln nahe an der Linie, wo das Meer im Wechsel seiner Gezeiten auf- und abschwillt, neckische Gebilde, die das Wasser ganz nach Laune in einer Sekunde wieder zerstört oder um die der Gischt der Wellen eine Weile sich schmiegt. Ein alter griechischer Weiser verglich die Gedanken des Menschen einmal mit dem Spiel der Kinder am Meeresstrand, sie zerrinnen in Nichts in dem mächtigen Absoluten und von dieser heraklitischen Einsicht zu der Strophe des Kirchenlieds ist es nicht gar zu weit: „Was sind dieses Lebens Güter / Eine Hand / voller Sand / Kummer der Gemüter.“
Niemand indessen unter den in den Strandkörben sitzenden Kurgästen macht sich solche Gedanken. Im Gegenteil, ihre Gemüter sind heiter und scheinbar ohne Sorgen, ihre Gespräche, ihre Körper duften leicht parfümiert und die Frisuren der Damen bewahren auch im Winde ihre künstliche Würde. Baden, Essen, Schlafen — ein bißchen Lesen und der Tag schmilzt lustvoll dahin. Die Bräune der Haut wird immer dunkler, wenn die ersten Sonnenbrände vorbei sind. Die Gedanken verdünnen, verflüchtigen sich. Es entsteht jenes leise Plätschern im Gehirn, das man — eupho- ristisch — als Ferienglückseligkeit, und — zynisch — als Sonnenstich zu bezeichnen pflegt.
Doch weit im Süden von der internationalen Zone der Kurgäste weht eine weiße Fahne auf den Dünen: „Cafe zur Sonne“. Keine Strandkörbe, keine Burgen, kein wimmelnder Strand — zwischen dem Strandhafer und Heidegebüsch liegen braune Gestalten. Es sind solche, die sich Sonne, Wind, Sand und Meer im Verstände ihres Daseins hingeben. Viele Männer mit ihren Frauen und Kindern sind darunter. Sie bewegen sich, wohi in Erinnerung an einen altgermanischen Mythos, mit einem gewissen Emst, den die Kurgäste im Zentrum nicht haben, sie vertreten einen Grundsatz, daß der Mensch vor einer so erhabenen und unendlichen Natur, wie sie das Meer darstellt, sich als ein Teil dieses Elementes fühlen soll. Zur Herstellung der Würde seiner selbst, die ihm die Kultur nicht mehr geben kann. Die Sommerfrische wird ihnen zum Schmecken einer verlorenen Freiheit. Das
Germanische spürt man auf sonderbare Weise auf dieser nördlichsten Insel des deutschen Vaterlandes. Ein Bild von Münch: Die losgelöste Einsamkeit des homo sapiens vor dem Angesicht einer aller kulturellen Benutzbarkeit entzogenen All-Natur. Bei diesen Menschen, die sich fast verlieren in ihrer Umwelt, machen sich Meer und Sand nicht bezahlt.
Herrlich, gerade in seinen Kontrasten, wölbt sich — das Gefühl, daß wir auf einer Kugel leben, lebhaft in Erinnerung bringend — die weite Wüste der Wasserfläche bis zur Trennung mit dem Himmelhorizont draußen, und setzt sich im Festen des Strandes und seiner sich wie ein Wall stauender Dünen fort. Die Wellen, die bei meist heftigem Westwind in langen, breiten Bändern anrollen, sich am leicht gehobenen Strand brechen und gischend über sich selbst stürzen, bilden sifch in den immerhin noch sehr elastischen rötlich getönten Sandmassen, die das Meer aus seiner Tiefe zermahlen heraufschickt, auf sehr anschauliche Weise weiter, gleichsam als ob sie die Verwandlung in einen anderen Festigkeitszustand mühelos zeigen wollten. Auch der Sand spiegelt auf seiner noch bespülten Zone den Rhythmus^der Wellen mit Bug und Tal wider, auf seiner von Wasser freien Zone übernimmt der Wind die Furchung nach dem Wellengesetz und die aus Flugsand gestalteten Dünen sind im vergrößerten Maßstab erstarrte Wellen. Den Reiz des Strandes macht die Uebereinstimmung zwischen Wasser und Sand in morphologisch gleichlaufenden Rhythmen aus. Wüste und Meer korrespondieren hier 3uf engstem Raum und zeigen ihre urtümliche Bezogenheit aufeinander, die der Landschaft den Charakter eines Anfänglichen, Ersten gibt. Mag vielleicht so in der Schöpfungsgeschichte,. wenn wir dem Griechen Thaies glauben wollen, das Wasser das Land in Gestalt der Dünenwüste ohne Vegetation geboren haben, wobei wir freilich nicht fragen dürfen, woher das Meer den Sand hernimmt. Der moderne Erdforscher weiß es, woher der Sand kommt. Als Geschenk eines versunkenen Landes gibt ihn das Meer wieder dem Land, von dem es ihn einst geraubt hat. Vor unseren Augen vollzieht sich am Strand der Badeinsel das ewig scheinende Gestaltungs-
den = Außenlanden Nordfrieslands — finden wir im Schlick oder im Moor, weit draußen auf heutigem Meeresgebiet, Spuren einstiger menschlicher Siedlungen und der im Mittelalter blühende Flecken „Runghold“, den die Fluten im 15. Jahrhundert verschlungen haben, ist in diesem Raum geradezu ein mythischer Begriff geworden. Fashionable Hotels auf Sylt nennen sich nach der untergegangenen Stadt und Theodor Storms dichterische Klage trug dazu bei, die schweren Katastrophen, denen das Inselland je und je ausgesetzt war, mit einem romantischen Schimmer zu verklären. Sosprachen die friesischen Märchen von Sylt als dem „Thule“ Germaniens, das einst ein mächtiges Reich war, während die Chroniken aus dem 17. Jahrhundert uns den Namen von Dörfern überliefern, die heute an der Westküste tief unter dem Dünensand begraben liegen.
Diese Gefahr ist allerdings augenfällig: die Versandung. Heute durchziehen die oft 30 und 40 Meter hohen Dünen in mehreren hintereinanderliegenden Wällen die Westküste der Insel, bei List im Norden «ind sie schon über die ganze schmale Landstrecke gewandert und bilden dort ein silberig schimmerndes Gebirge von ausgesprochenem Wüstencharakter, der nicht einmal mehr eine Heidevegetation zuläßt. Die schwäbische Landratte, in den
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wunder und wir vermögen vielleicht zu verstehen, warum die Insel heute ein so greisenhaftes, schmales Gerippe ist, wo sie doch einst im mittelalterlichen Zeitraum noch gar keine Insel war, sondern ein Stück vorgeschobenes Land im Sinne des heutigen Holland, ein Land, das aus Schleswig-Holstein hervorragte. Der jetzige kümmerliche Best ist von diesem Land übriggeblieben, der Räuber Meer hat es zu dem gemacht, was es nun ist und fast können wir ausrechnen, bis zu welchem Zeitpunkt die Angriffe der Wellen die Westküste von Sylt in ihren Fluten begraben haben. Nicht nur auf Sylt, mehr noch auf den südlich davorgelegenen kleineren Halligen-Inseln — den Uthlan-
Oben das rote Kliff der Westküste bei Kämpen auf Sylt, bestehend aus eiszeitlichem Geschiebelehm. Das Kliff leuchtet bei Sonnenuntergang tiefrot, die Sturmfluten fegen es immer wieder von Gehängeschutt und Flugsand rein. — In der Mitte eine typische Aufnahme der Sylter mit Strandhafer und Ginster bestandenen Dünenlandschaft. — Nebenstehend das Innere des jungstein- zeitlichen Hünengrabes „Danghoog". 12 Blöcke aus Granit und Gneis bilden den vertikalen Aufbau, ein Riesenblock die Decke
Tälern und Hügeln der Dünen wandernd, vermeinte Karl Mays „Ritt durch die Wüste“ nachzuerleben. Trostlose, aber schöne Einsamkeit! Reihen von Autos stqhen an der Betonstraße nach List (der einstigen stark befestigten nördlichsten Hafenstadt Deutschlands), die mitten durch die Dünen zieht. Die Sommerfrischler genießen die Wüste, ersteigen die Hügel und lassen sich vom Sand an den Strand tragen und in die Wellen, die bei günstiger Wolkenbildung tiefblau im Schatten und hellgrün schimmern und auf die die untergehende Sonne eine bis ins Purpur gehende Lichtbahn wirft. Daß die Insel nicht das Schicksal vieler ihrer südlich gelegenen Schwestern, der sogenannten „Halligen“, erfahren hat, verdankt sie ihrem kompakten Festlands- kem aus der Eiszeit, den man bei den Friesen „die Geest“ nennt. Die Geest bildet einen schmalen, aber hoch über dem Meeresniveau gelegenen Rücken. Er besteht aus Geschiebelehm. Gletscher, aus dem Bottnischen Meerbusen oder aus Schweden kommend, transportierten vor Jahrmillionen riesige Granit- und Gneisblöcke und auf ihrem Moränengrund eine Menge zerkleinerter Urgebirgssteine. Als das Eis schmolz, blieb der Moränenschutt liegen in solchen Massen, daß ihn weder das Meer noch kleinere Hebungen und Senkungen des Landes vertilgen konnten. Die Geest auf Sylt trägt die schöne Heide, gestattet an manchen Stellen Ackerbau und Weide für Schafe und Rind. Als Kliff ist sie ‘ mehr oder weniger stark in den Küsten ausgebildet. Der Sommerfrischler, wenn er nicht gerade vorzieht, seine Strandzeit mit den Helinos, TrocaderoS, Kinos von Westerland zu teilen, sondern «teh
ein bißchen umsieht auf seinem Eiland, bemerkt auf dem Geestrücken recht staatliche künstliche Hügel — es sind die einst viel zahlreicheren Begräbnisstätten jungsteinzeitlicher Menschen und einer davon, der Danghoog bei Wenningstadt, ist als bedeutendstes „Hünengrab“ noch zugänglich. (Siehe Abb.) Er bemerkt, wie der Friese die rundgehobelten Urgebirgsblöcke aus dem hohen Norden für die Umfriedung seiner Fischerhäuser, nach dem Schema des niedersächsischen Hauses gebildet, verwendet hat, ebenso wie der Friese auch das Schilfgreis der Marschen zur Bedeckung seines Wohnraums ausnutzt.
Im ruhigen Osten der Insel, also im Gebiet des Wattenmeeres, verstehen wir beim Anblick des dem Meer abgerungenen Neulan- landes, genannt „Die Marschen“, den alten friesischen Satz: „Gott schuf das Meer und der Friese das Land“. Hier an den stilleren Buchten, wo nur zur Flutzeit das Meer hereinbrandet, dehnen sich fast auf Meeresniveau und an gewissen Stellen eingedeicht die weiten von Gräben durchzogenen Flächen eines fruchtbaren Weidelandes, das wir zur Zeit des Niedrigwassers als feuchtes Schlickland aus den Wasserriemen hervorragen sehen. Mit unsäglicher Mühe hat der Mensch in diesen Schlick — Plankton des Meeres — Gräben gezogen, so daß sich seine Masse nach jeder Flutzeit erhöhte, und seine Trockenlegung und Bepflanzung ermöglicht wurde. Außerordentlich günstig hat sich für die Gewinnung von Neuland auf Ost-Sylt der 1927 fertiggewordene 11 km lange Hindenburgdamm erwiesen, der heute die Insel mit dem Festland verbindet (zugänglich nur mit der Eisenbahn). Der Sommerfrischler und besonders die schwäbische Landratte konnten mit Staunen beobachten, wie der Damm die Gezeitenwellen hier im Osten gleichsam „zurückdämmte“, so daß che Eroberung von Schlickland in sehr viel kürzerer Zeit gelingt, als das sonst an der Westküste der Halbinsel möglich ist.
Düne — Geest — Marsch, diesen Sylter Landschaftsdreiklang im Umflutetsein von dem allmächtigen Meer, hört der Badegast noch lange und weiß, was er sich darunter vorzustellen hat, wenn er wieder daheim ist. Er wird eingedenk sein, daß bis dort obenhin sein schönes Vaterland reicht. Denn es ist nicht die auf ihre Art herbe und reizvolle Landschaft allein, deren er sich erinnert, es sind vor allem die dort hart arbeitenden Menschen, die heute fast ausschließlich von dem leben müssen, was ihnen der erholungssuchende Sommerfrischler bringt. Ihr insulares Dasein hat seine heldischen Zeiten hinter sich. Der von Tacitus zum erstenmal erwähnte „Friese“ ist heute kein Grönlandfahrer und Walfischfänger mehr wie im 17. und 18. Jahrhundert. Die Kapitäne mit ihren scharfen Augen und weißen Schildmützen leben in armseligen Pensionen, sie spielen Fremdenführer und machen ihre kleinen Fischkutter klar, mit denen sie die Fremden ein paar Kilometer auf die See hinaussegeln, um ihnen das Leben der Seehunde im Element des Wassers vorzuführen oder ihnen am romantischen Vollmondnächten ihren früheren Freund und Gegner zu zeigen, der ihnen ihre Insel langsam zerstört, und sie oftmals in ihrer Geschichte in weite Fernen — zum erstenmal nach England — auswan- dem hieß.