6. Jahrgang

Montag, 24. Juli 1950

Nummer 113

Ein Jahr Bundestags-Arbeit

Rückblick und Ausblick

Von Julie Rösch, Abgeordnete des Bundestags

In diesen Tagen außenpolitischer Hochspan­nung könnte es leicht in Vergessenheit geraten, daß nun, wenn Ende Juli das Parlament in Fe­rien geht, eigentlich das erste Arbeitsjahr zu Ende ist. Doch die Mitglieder des Deutschen Bundestages werden sich selbst am Ende dieses Jahres die Frage in allem Ernst zu stellen ha­ben, die viele verantwortungsbewußte Men­schen in unserem Volk bewegt: hat sich das Parlament bewährt, hat der Abgeordnete das Vertrauen gerechtfertigt, das die Wähler am 14. August 1949 in ihn gesetzt haben, ist wirk­lich etwas Positives geleistet worden zum Wie­deraufbau unseres Volkes?

Es hat in diesem Jahr niemals an Kritik ge­fehlt und Kritik ist gut und nützlich; sie be­wahrt vor Ueberheblichkeit, sie zwingt zu ernsthafter Prüfung der eigenen und der ge­meinsamen Beschlüsse im Bahmen von Partei, Koalition oder Opposition. Aber neben dieser fruchtbaren und hilfreichen Politik hat es lei­der auch die unfruchtbare, zersetzende Kritik in fast zu reichlichem Maße gegeben und es ist sicher der Wunsch der überwiegenden Mehr­zahl aller Abgeordneten* an die deutsche Oef- fentlichkeit, daß von jetzt an jeder immer mehr seine Mitverantwortung sieht und darum zu seinem Teil positiv mithilft am Wiederaufbau unseres Volkes und an der Lin­derung der auch heute noch so großen Kriegs­folgenöte mannigfacher Art.

Manchmal haben wir Abgeordneten den Eindruck, wir würden von der überwiegen­den Mehrheit unseres Volkes als ein seelen­loses Neutrum angesehen, das irgendwo im luftleeren Raum Beschlüsse faßt, die völlig an der Not und den Aufgaben unserer Zeit Vorbeigehen. Wenige scheinen zu wissen oder zu sehen, daß wir doch auch Menschen von Fleisch und Blut sind, wirklich Ab-Geordnete all der Gruppen in unserem Volk, die auf eine neue und gerechte Ordnung warten.

Wir sind Väter und Mütter, Heimkehrer urfd Kriegsversehrte, Heimatvertriebene und Bom­bengeschädigte und Kriegerwitwen wie sollten wir da nicht ein wirkliches Verstehen haben für all die Anliegen denn sie sind ja auch die unseren und einen ehrlichen und tapferenWillen zum Helfen. Wenn es wieder einmal so weit käme in unserem Volk, daß die Mehrzahl davon überzeugt ist, im Parla­ment sind wirklich Menschen guten Willens, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter in der inneren Gesundung unseres Vol­kes. Und daß uns solche Gesundung von innen her bitter nottut, angesichts aller Bedrohung und Unruhe in der Welt, das müßte eigentlich jeder spüren.

In wenigen Tagen werden die an die Abge­ordneten ausgegebenen Drucksachen die Zahl 1200 erreicht haben, also sind nahezu 1200 An­träge, Gesetzentwürfe., Interpellationen und

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Der französische Hohe Kommissar Frangois-Pon- cet beim Betreten des Turnierplatzes. Von links nach rechts: Der Hohe Kommissar, der Präsident der Tübinger Reitgesellschaft Dr. Fritz und Lan­deskommissar Widmer

Anfragen eingebracht worden in diesem ersten Jahr. Jeder erfahrene Politiker weiß, daß diese Hochflut nicht nur ein Zeichen politi­scher Lebendigkeit, sondern ganz einfach auch ein hemmendes Zuviel ist, und wir werden uns auch darin zu bessern haben. Im gedräng­ten Rahmen dieses kurzen Rückblicks seien nur noch einmal einige der wichtigsten verab­schiedeten Gesetze in Erinnerung gebracht: Das erste Wohnungsbaugesetz, das neue Ein­kommensteuergesetz, das Heimkehrergesetz, das vorläufige Beamtengesetz, das Gesetz über die Notaufnahme von Flüchtlingen im Bun­desgebiet und so manches andere: es war viel dafür und dawider zu hören und zu lesen.

Als einer weiblichen Abgeordneten sei mir hier nur noch ein Wort gestattet im Anschluß an die durch die Aenderung des § 63 Beam­tengesetz ausgelöste Debatte über die im Grundgesetz garantierteGleichberechtigung der Frau. Selbstverständlich hat niemand von uns die Absicht, einseitig und dazu noch ver­fassungswidrig eine besondere Gruppe von Frauen zu benachteiligen, das zeigt sich ja schon darin, daß im vorläufigen Beamtenge­setz eine wesentliche Lockerung der Bestim­mung eingefügt worden ist, die nach dem alten Gesetz eine Entlassung der verheirateten Beamtin verlangte, deren wirtschaftliche Existenz gesichert erschien durch die Ehe­schließung. Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, den Mädchen und Frauen un­seres Volkes durch Gesetze und Verbote zu sagen und zu zeigen, daß eine Ehe auch ein voller Beruf ist und daß es ein Leben voll und ganz ausfüllen kann, wenn mannur eine rechte Mutter und eine tüchtige Hausfrau ist und daß man darum nicht ohne zwingende Not auch noch einen anderen Beruf daneben aus­üben soll.

Wir können nur durch eine allerdings drin­

gend notwendige Reform mancher Bestim­mungen und Gesetze im Ehe- und Familien­recht die verheiratete Fraugleichberech­tigen nicht ohne den Hintergedanken, daß wir in dieser oft so unerfreulichen Debatte neben dieGleichberechtigung auch die Gleichverpflichtung setzen möchten, denn es wird auf allen Gebieten heutzutage viel zu sehr vonRechten und viel zu wenig von Pflichten gesprochen. Daß ein Fernziel in der Frage der Gleichberechtigung auch die Lösung der Aufgabe ist: Gleicher Lohn für gleiche Ar­beit bei Mann und Frau, steht außer allem Zweifel. Aber es wird die Lösung dieser Auf­gabe nicht allein vom Parlament, sondern auch von der weiteren Entwicklung unseres wirt­schaftlichen Lebens abhängen.

Und nun zum Schluß noch ein Blick auf die bevorstehenden Gesetze: in seiner zweitletzten Sitzung vor den Ferien wird sich das Parla­ment mit der ersten Lesung des Gesetzent­wurfs über das Mitbestimmungsrecht beschäf­tigen; das Gesetz über den endgültigen La­stenausgleich ist in nicht allzu ferner Zeit zu erwarten, und es wird viel guter Wille auf allen Seiten nötig sein, daß nicht die beste Kraft sich in fruchtloser Kritik am andern er­schöpft, sondern daß in gemeinsamer Arbeit etwas wirklich Gutes geschaffen wird. Auch hier wird es nicht unwichtig sein, daß viele Menschen außerhalb des Parlaments sich ihrer Mitverantwortung bewußt sind und zur Ver­ständigung mahnen anstatt durch Hetze und Böswilligkeit zersetzend zu wirken.

Unmittelbar nach den Ferien wird auch das nun im Ausschuß für Jugendfürsorge durch­beratene und abgeänderte Gesetzzum Schutz der Jugend in der Oeffentlichkeit ins Ple­num kommen. Es wird mancherlei Ueberra- schungen bringen und zwar deshalb, weil in diesem Ausschuß Jugendführer,- Väter und

Atombombe und Korea

Amerikanische Wissenschaftler

J. R. Im Zusammenhang mit dem Korea- Konflikt ist auch schon die Frage aufgewor­fen worden, ob es möglich wäre, durch den Abwurf einiger Atombomben das Schicksal Südkoreas zu wenden. Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, den Krieg durch den Einsatz von Atombomben schnell zu be­enden? Nach den Auffassungen, die der amerikanische Atomwissenschaftler Dr. R E. Lapp in seinem BuchMust we hide vertritt, können Atombomben allein keinen Krieg ent­scheiden. Aus seinem Buch lassen sich fol­gende, recht interessante Folgerungen ziehen:

1. Nur große Städte mit einer starken An­häufung von Menschen und Produktionsstät­ten bieten lohnende Ziele für Atombomben. Kein Land kann Atombomben in unbegrenz­tem Umfang hersteilen.

2. Die Sensationsreportagen in illustrierten Zeitungen, in denen in schauerlichen Zeich­nungen gezeigt wurde, wie ganze Hafen­städte in einem zukünftigen Atomkrieg durch die Explosion einer einzigen Atombombe im Hafenbecken vernichtet werden können, sind reine Phantasie - Produkte. Die Hafenbek- ken aller Häfen der Welt sind jeweils nur neun bis zwölf Meter tief. So würde eine Unterwasserexplosion in einem Hafenbecken erstens nur eine geringe Flutwelle und zwei­tens nur einen geringen radioaktiven Sprüh­regen verursachen. Praktisch würden nur einige Häuserblocks radioaktiv verseucht.

3. Würde zum Beispiel eine Atombombe von einem Agenten in eine Stadt geschmug­gelt und dort zur Explosion gebracht, so würde keineswegs die ganze Stadt zerstört werden, sondern wiederum nur einige Häu­serblocks, da die Explosion einer Atombombe auf der Erde nur einen Krater von 150 m Durchmesser reißt.

4. Es wird häufig behauptet, daß radio­aktiver Staub versprüht werden könnte, um auf diese Weise feindliche Heere zu ver­nichten. Theoretisch ist dies nach Dr. Lapp auch möglich, aber nicht in der Praxis. Wollte man ein derartiges Unternehmen über den feindlichen Linien durchführen, dann müß-

gegen übertriebene Bewertung

ten große Mengen von radioaktivem Staub im Zielgebiet gelagert werden. Das ist aber nicht möglich, da die radioaktive Substanz sehr rasch zerfällt.

5. Es stimmt, daß die Radioaktivität nach einer Atombombenexplosion in der Luft im Umkreis von 1200 Meter tödlich wirken kann. Die Radioaktivität der Luft verschwindet sehr schnell. Auch die Radioaktivität des Wassers ist nicht permanent. Dagegen können Gebäu­de, die radioaktiv verseucht sind, erst nach einem Jahr wieder bewohnt werden, wenn sie nicht künstlich entseucht werden.

6. Explosionen in der Luft haben die größte Wirkung. Würde zum Beispiel eine Atom­bombe über New York zur Explosion ge­bracht, dann würden mindestens 200 000 Menschen getötet werden. In den Schächten der U-Bahn wären die Menschen jedoch so­wohl vor dem Explosionsdruck als auch vor der Strahlung geschützt.

7. Zum Angriff auf Landtruppen hat die Atombombe wenig Wert. Selbst Panzermas­sierungen sind doch nichtmassiert genug, um den Abwurf einer teuren Atombombe zu rechtfertigen. Bei Bereitstellungen könnte im günstigsten Fall nur ein Panzerregiment außer Aktion gesetzt werden. Lediglich in einem Umkreis von einigen Kilometern wäre mit einer vernichtenden Wirkung zu rech­nen. Um eine Sperre von 200 Kilometer Breite zu legen, wären immerhin rund 30 bis 40 Atombomben erforderlich. Ein derartiges Verfahren wäre viel zu kostspielig. Zudem kann der Gegner Geländestreifen entseuchen und nach einiger Zeit seine Truppen auf die­sen Streifen wieder Vorbringen.

Dieser nüchterne Bericht eines amerikani­schen Atomwissenschaftlers dürfte geeignet sein, mit der Illusion aufzuräumen, die Atom­bombe allein würde genügen, um auch einen Krieg mit einem hochgerüsteten und zu al­lem entschlossenen Gegner in wenigen Tagen zu entscheiden. Auf Korea angewendet heißt dies, daß dort auch in Zukunft die amerikanische Infanterie die Hauptlast des Kampfes wird tragen müssen.

Mütter, Fürsorger und Jugendamtsleiter fest entschlossen sind, keineswegs achselzuckend zu kapitulieren vor gewissen Dingen, die heute vielen Jugendlichen und leider auch vielen Eltern und anderen, daraus noch wirtschaft­liche Vorteile erntenden Erwachsenen zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Es wird im Gegenteil durch einschneidende Maßnah­men, die sich in erster Linie gegen die die Jugend gefährdenden Unternehmer richten, versucht, der zunehmenden Verwahrlosung unserer Jugend entgegenzutreten: z. B. durch öffentliches Rauch- und Tanzverbot unter 16 Jahren, Alkoholverbot für dieses Alter, Ein­schränkung des Filmbesuches, Verbot für Kleinstkinder von 6 bis 9 Jahren nur Besuch von wirklich jugendfördernden Filmen und vieles mehr. Auch hier ist die Oeffentlichkeit zur Mitverantwortung für unsere Jugend auf- gerufen und zu tatkräftiger Unterstützung der zur gesunden Entwicklung unseres Volkes not­wendigen Maßnahmen.

Vieles ist schon gefordert und befürchtet worden vom neuen Gesetz zur Versorgung der Kriegsopfer und wohl schwerlich wird sich die Allgemeinheit ein Bild davon machen, wie die Mitglieder des Kriegsopferausschusses sich hier Tag und Nacht bemüht haben, um eine wirklich gerechte und vor allem dann, auch durchführbare Lösung, denn was helfen die schönsten Versprechungen, wenn sie nachher nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden können.

Darum erfüllt es uns mit so großer Freude, daß wir nun gerade vor den Ferien die Vor­arbeiten so weit abschließen konnten in Zu­sammenarbeit mit den maßgebenden Vertre­tern der Verbände, daß eine wirklich be­friedigende Lösung zustande kam. Nur eine kurze Andeutung: Jeder Kriegsversehrte er­hält eine Grundrente nach der Höhe der Ver­sehrtenstufe, jede Kriegerwitwe über 40 Jahre, auch ohne Kinder, erhält eine Rente von 40 DM, über 50 Jahre oder bei Erwerbs­unfähigkeit zusätzlich 50 DM, also zusam­men 90 DM. Dazu wird für jedes Kind ohne Höchstgrenze Kinderbeihilfe bis zu 18 Jahren gewährt. Noch einige Vergleichszah­len: bisher erhielt nach dem KB-Leistungsge- setz ein verheirateter Kriegsversehrter mit 70- prozentiger Beschädigung 70 DM, nachher wird er 110 DM bekommen. Ein Verheirateter, 80 Prozent Beschädigung, 5 Kinder, bisher 120 DM, nachher 205 DM. Es ist schon aus diesen wenigen Andeutungen zu erkennen, wie sehr hier die berechtigten Wünsche der Kriegsopfer erfüllt werden und so wird auch dieses sehn- lichst erwartete Gesetz recht bald und in gro­ßer Einmütigkeit der Parteien verabschiedet werden können.

Mosaik der Woche

Todesursache: Das erste Bad

Lucien Duquesnel, ein alter einbeiniger Bett­ler, dessen Grad von äußerer Verkommenheit seine Einlieferung ins Krankenhaus notwendig machte, da man ihn auf der Polizeiwache nicht behalten wollte, ist vor Freude über das erste warme Bad seines Lebens gestorben. Der Unter­suchungsrichter wollte dieses nicht glauben und vermutete, daß entweder das Wasser zu heiß ge­wesen sei oder daß sein körperlicher Zustand ein Bad hätte verbieten müssen. Gerichtsmedi­ziner haben aber festgestellt, alles dies sei nicht der Fall. Die Todesursache sei ein nervöser Schock über das erste Bad seines Lebens gewe­sen. Duquesnel starb, als er mit den Worten Wie herrlich in das Badewasser stieg.

Nur auf dem Bahnhof

In der Halle eines Hotels in Rom belehrte ein Fremdenführer neuangekommene Pilger zum Hl. Jahr darüber, daß das Küssen in der Oeffent­lichkeit streng verboten und lediglich nur auf dem Bahnhof gestattet sei.

Hartes Weiberregiment

Das Städtchen Stella im Staate Missouri (USA) wird ausschließlich von Frauen verwaltet, weil bei den letzten Wahlen die Männer ihre Stim­men spasseshalber nur weiblichen Kandidaten gaben. Jetzt liegen die Männer von Stella un­tereinander im Kampf, weil einer den anderen beschuldigt, der Stadt das strenge Regiment ein­gebrockt zu haben.

Er glaubte an Schlafanzugdiebe Weil er sich vorstellte, Diebe könnten bei der Nacht in sein Schlafzimmer eindringen und ihm den Schlafanzug vom Leibe stehlen, feuerte der italienische Lehrer Ercole Gallo in zwei aufein­anderfolgenden Nächten mit einer Pistole auf die nur in seiner Phantasie bestehenden Schlaf­anzugdiebe. Die Polizei brachte den Lehrer in eine Irrenanstalt.

Reif= und Fahrfurnier in Tübingen

Links: Frl. Lampe auf Parzifal 111. Mitte: Viererzug des Marbacher Landesgestüts. Rechts: Lorenz Hagel, Biberach, auf Attika

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