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Die Urgeschichte unserer engeren Heimat und ihrer Bewohner ist noch in Dunkel gehüllt. Nur so viel kann als sicher angenommen werden, daß schon zur jüngeren Steinzeit Menschen hier wohnten. Funde und Ausgrabungen zeugen für eine Besiedlung in der Bronze- und Hallstattzeit, für das Vorhandensein einer Kultur, die sich in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten im Innern Deutschlands schnell verbreitete. Ihre Träger, die Kelten, wurden von den Römern um 50 n. Chr. bezwungen, deren Herrschaft im 3. Jahrhundert n. Chr. von dem von Norden und Nordosten in unsere Heimat eindringenden germanischen Volksstamm der Alamannen gebrochen wurde.
Sie kamen von Norden
Diese Alamannen, deren Name „Männer insgesamt“ bedeutet, und die als unsere eigentlichen Vorfahren anzusehen sind, gehörten den Westgermanen an und bewohnten ursprünglich die Gebiete der Mark Brandenburg. Ihre Frühgeschichte ist dunkel, keine eigenen Quellen künden von ihren Taten und Wanderungen. Wir wissen nur, daß ihnen zunächst der Name Sueben eigen war; mit anderen Stämmen bildeten sie eine Kultgemeinschaft zur Verehrung des gemeinsamen Kriegsgottes Ziu, dessen heiliger Hain sich in der Mark Brandenburg befand. Lange vor der Völkerwanderung (375 n. Chr.) verließen sie wegen der herrschenden Landnot und der von Osten nachdrängenden Slaven ihre Heimat zwischen Havel und Spree und zogen nach Süden. Um 260 n. Chr. durchbrachen sie den Limes, überfluteten mit ihren Heerhaufen den römischen Kolonialbesitz rechts des Rheins, besetzten für kurze Zeit das Elsaß und breiteten sich im Laufe der Jahrzehnte bis zu den Vogesen aus. In der Auseinandersetzung mit den benachbarten Franken zu Beginn des 6. Jahrhunderts n. Chr. verloren die Alamannen ihre politische Selbständigkeit. Seitdem spielt sich ihre Geschichte innerhalb der fränkischen und gesamtdeutschen Geschichte ab.
Gräber geben Kunde
Bei der Landnahme der Alamannen lag das Land zwischen Rhein und Bodensee offen vor ihnen ausgebreitet. Den Flußtälern folgend, nahmen sie den alten keltischen und römischen Kulturboden in Besitz. Hierüber geben die vielen Ortsnamen, die auf -ingen und -heim endigen, Aufschluß. Was wir sonst von den Alamannen wissen, rührt von ihrem bei uns hinterlassenen Kulturbesitz her, der mit geringen Ausnahmen ihren Friedhöfen entstammt. Alamannische Reihengräber sind schon aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert bekannt. Sie schließen sich an solche aus dem mittleren und unteren Elbegebiet an. In ihrer Anlage ähneln sie unserer heutigen Friedhofsanlage, deren Vorläufer sie auch waren. Diese Gräber sind meist kleine Hügel und umschließen einfache Särge oder sogenannte Grabkammern, in denen eine Holzkiste mit gedrechseltem Geländer den eigentlichen Sarg umschließt und von einem Bretterverschlag bedeckt ist. Westöstlich waren diese Gräber gerichtet. ' r
Von allen alamannischen Reihengräberfriedhöfen — es sind etwa 450 —, die bisher in Württemberg gefunden und untersucht wurden, ist das bei Oberflacht (Kreis Tuttlingen) gelegene Grabfeld das bedeutendste. Nicht nur, weil sich die Gräber von Oberflacht als kulturgeschichtlich besonders wichtig für unsere Heimat erwiesen, sondern auch wegen der Einmaligkeit der Funde innerhalb der sonstigen frühgermanischen materiellen Hinterlassenschaft
ZwischenKarpfen undLupfen
Nicht weit von Tuttlingen liegt mitten im fruchtbaren Albvorland das Dorf Oberflacht, dessen Bewohner noch heute einen ausgeprägten alamannischen Dialekt sprechen und auch sonst noch an alten Sitten und Gebräuchen festhalten. Nordwestlich des Ortes an der Straße nach Durchhausen weitet sich das Tal der Elta und hier — wenige hundert Meter von Oberflacht entfernt zwischen dem Bergkegel des Hohen Karpfen und dem Tafelberg des Lupfen — findet sich auf der Flur Kranzbühl der weitbekannte und berühmte Alamannenfriedhof. Vergangenheit wurde Gegenwart, als man im Jahre 1809 beim Lehmstich für eine in der Nähe befindliche Ziegelhütte auf die ersten Gräber stieß. 1812 wurde wieder ein Grab gefunden, jedoch ohne eine
Spur einer Leiche. Weitere Funde wurden beim Lehmgraben in den Jahren 1817, 1822 und 1825 gemacht, von denen wir nur ziemlich ungenaue Berichte haben, da das Verständnis für diese vorgeschichtlichen Funde in der damaligen Zeit noch gering war und erst um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts vom Stuttgarter Altertumsverein eine aus Fachleuten bestehende Kommission nach Oberflacht entsandt wurde.
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Im Letten konserviert
Das Jahr 1846 brachte die Wende. Zum ersten Male wurde genauer und nach wissenschaftlichen Methoden der Alamannenfriedhof erforscht. Im ganzen wurden damals etwa 52 Gräber geöffnet, von denen 40 mehr oder minder wertvolle Beigaben enthielten. Die meisten waren Männergräber, die reich mit Waffen und Gerätschaften ausgestattet waren, aber auch Gräber von Frauen und Kindern wurden gefunden. Auch hier waren alle Gräber von Osten nach Westen gerichtet. Von den christlichen Friedhöfen unterscheiden sich diese frühala- mannischen dadurch, daß ihre Gräber teilweise mit reichen Beigaben versehen waren, eine Sitte, die das Christentum erst ganz allmählich verdrängen konnte. Die Bestattungen fanden in der Regel in einer Tiefe von 1,20 bis 1,50 Meter statt. Die Särge standen in dem von Feuchtigkeit gesättigten Letten des Braunjuräs, der sie luftdicht gegen den Zutritt der Atmosphäre abschloß und so den Zersetzungsprozeß wesentlich aufgehalten hat. In ihnen fand man Wasser oder einen feinen Tonschlamm, der den Boden bedeckte, der teilweise verhärtet war.
Unter den gefundenen Grabstätten des Jahres 1846 befand sich auch ein Grab, in dem ein junger, vermutlich aus einer vornehmen Familie stammender, alamannischer Sänger lag. Dieses Grab, das zu den am weitesten östlich gelegenen Oberflachter Grabfeldes gehört, ging bald unter dem Namen „Ala- mannisches Sängergrab“ in die wissenschaftliche Literatur ein und wurde als „Sängergrab von Oberflacht“ weiterhin bekannt. Es gehört wie das gesamte bisher erforschte Grabfeld dem 6. bzw. 7. nachchristlichen Jahrhundert an und brachte Licht in das Dunkel der kulturellen Vorgeschichte unserer Ahnen. Leider haben die späteren Raubgrabungen vieles zerstört. Außerdem fehlen noch die ganz frühen und ganz späten Gräber.
Die Leier des Alamannen
Gräbern des
gen hierfür. Vornehmen Standes muß er gewesen sein, lag doch seine Leiche in einem Doppelsarg. Der innere bestand aus einem am oberen Rande mit einer Galerie geschmückten Kasten, der äußere war eine große aus Eichenplanken gezimmerte Kiste, deren Holz bei der Ausgrabung noch sehr gut erhalten war. Die reiche Ausstattung des Grabes ist uns aber auch ein Beweis für das hohe Ansehen, in dem dieser edle Vorfahr unserer schwäbischen Sänger bei seinen Volksgenossen gestanden haben muß. Wie auch bei anderen Völkern der Frühzeit war ebenfalls bei den Germanen der Stand des ritterlichen Barden ein sehr geachteter und geehrter. Man denke an Volker von Alzey, den kühnen Spielmann des Nibelungenliedes, der die Bur- gunden auf ihrem Hunnenzuge begleitete und in Etzels Burg fiel.
Die Leier
Die Leier dieses vornehmen Alamannen ist ein ganz besonders kostbares und seltenes Stück. Sie ist jedoch nicht die einzige, die auf uns gekommen ist. Die erhaltenen Trümmer befinden sich im Berliner Museum für Völkerkunde und würden nicht für eine detaillierte Beschreibung genügen, wenn nicht in einem vom gleichen Museum 1894 erworbenen Grabe des Oberflachter Friedhofes ein ähnliches Instrument gefunden worden wäre. Dieses war noch gut erhalten und nach ihm wurde die durch Kriegsereignisse zerstörte Nachbildung der Stuttgarter Sammlung angefertigt. So können wir uns über das Aussehen der Leier ein Bild machen. Sie hatte eine denkbar einfache Form. Auf den ersten Blick erscheint sie als ein 1,5 cm dickes Brett. Bei näherem Hinsehen bemerkt man, daß dieses Brett in Wirklichkeit hohl ist, also einen Resonanzboden besitzt. Mit sechs Saiten war dieses für die Kunstfertigkeit der Instrumentenbauer dieser Zeit zeugende Instrument bespannt, die allerdings nicht erhalten geblieben sind. Dafür waren aber noch die Löcher deutlich zu erkennen. Die ganze Leier war etwa 80 Zentimeter lang, die äußere Formgebung ist rechteckig, unten abgerundet, oben dagegen teilweise eckig. Das Grab des Sängers ist ein Beweis für die Richtigkeit der Vermutung, daß die Pflege von Musik und Gesang auch von den Alamannen geschätzt wurde.
Werkstoff Holz
Das Sängergrab und die übrigen Gräber sind für uns von großer Bedeutung, weil sie uns eine umfassendere Kenntnis als bisher
Das Sängergrab
Die Holztafel aus dem Sängergrab , deren Bedeutung und Ideengehalt noch unbekannt ist
Das Sängergrab (Nr. 31) war das reichste des Friedhofes von Oberflacht. Es war das Grab eines Jünglings. „Eine mächtige, schön gezimmerte Bettstatt barg seine Reste. In drei Hauptkammern war sie geteilt. In der vorderen, größten, ruhte der Tote selbst, das Haupt nach rechts geneigt auf sein gutes Schwert. Im Arm hielt er die Leier, welche er seinen Volksgenossen so oft geschlagen hatte, als er ihnen in seinen Liedern erzählte von den Fahrten und Wanderungen germanischer Stämme find Helden. Sein Gewand war zerfallen, von dem Gürtel, der es einst zusammenhielt, wurde nur noch der Rest einer Eisenschnalle mit zwei vergoldeten Zierknöpfen geborgen. Einst hing an ihm der kurze Sax in prächtiger, mit Bronzebeschlägen verzierter Lederscheide. Ein kleines Messer und eine große Anzahl Haselnüsse lagen bei dem Toten. Die zweite Kammer barg das reich mit silbertauschiertem Eisen- und getriebenem Bronzebeschlag gezierte Saumzeug seines Rosses und endlich die dritte die Reste des hölzernen Sattels und Teile des mit Bronze beschlagenen Pferdebrustgurts. Daneben standen ein hölzerner Leuchter mit zwei Feuersteinen zum Anzünden, eine große, vierfach umreifte Holzschale, ein hölzerner Schuhleisten und die hölzerne Tafel mit den eingeritzten Linienzeichnungen.“ (Veeck).
Dieser junge Alamanne war also ein Krieger und ein Sänger. Bogen, Pfeil, Schwert und eine in ihren Holzteilen noch gut erhaltene für sechs Saiten eingerichtete Leier zeu
von der materiellen und geistigen Kultur unserer schwäbischen Ahnen vermitteln. Infolge besonders günstiger Bodenverhältnisse kamen in Oberflacht Kulturgüter auf uns, wie sie in solcher Mannigfaltigkeit in keinem frühgermanischen Friedhof erhalten geblieben sind. Durch diese Eigenart der örtlichen Verhältnisse ist die Erhaltung einer Menge von hölzernen Gegenständen zu erklären. Aus Holz ist zum Beispiel die kunstvoll gedrechselte Lade, in der der Sänger beigesetzt war. Ebenso die Anrichte, die am Fußende der Lade stand und in der verschiedene hölzerne Gefäße, Flaschen, Schalen usw. untergebracht waren. Aus Holz ist auch eine jetzt entzweigebrochene Tafel, deren Vorderseite mit eingeschnittenen Linien verziert ist, deren. Rückseite unter der oberen Kante eine tiefeingeschnittene schmale Furche aufweist. Ueber die Verwendung dieser Tafel ist sich die Wissenschaft noch nicht im klaren. Daneben wurden noch eine ganze Anzahl von Stoffresten aus Wolle, Leinen, Seide und Filz gefunden, bei denen aber die urspüngliche Farbe nicht zu erkennen ist. Ein Bild von der Gewandung der Alamannen zu dieser Zeit können wir uns aus diesen Resten nicht machen. Auch zwei Ledersandalen, die aus feinem Material gefertigt wurden, fanden sich in den Gräbern.
Die sonstigen Oberflachter Gräber bergen sogenannte Totenbäume als Särge, die aus Eichen- oder Birkenholz gefertigt sind. Sie haben eine durchschnittliche Länge von etwas
Der Weihestein des Sängergrabes
über zwei Meter und sind aus einem Stammstück mit der Axt zugehauen. Der Baumstamm ist der Länge nach gespalten und innen trogartig ausgehüllt. Beide Hälften wurden dann wieder übereinandergelegt, so daß eine den Deckel bildet. Infolge der Spalten sind die Ränder beider Häliten ungleich. Der Deckel zeigt eine sorgfältige Arbeit, und mitten über ihn zieht sich ein kantig aus dem Holz gehauener Schlangenkörper, dessen Rük- ken einen durch Einschnitte angedeuteten Kamm trägt. Vorne und hinten endigt die Schlange in einem Kopf. Im Innern der Särge standen zwischen den Knien der Toten die Holzgegenstände. Die Waffen lagen in der Regel auf der rechten Seite, während links des Toten die Messer und meisten Gerätschaften vorgefunden wurden. Ueber die Lage der kleineren Funde kann nichts Genaueres mehr ausgesagt werden. Im linken Arm hielt unser Sänger die Leier.
Vor 1300 Jahren
So geben uns die Oberflachter Funde Zeugnis vom alamannischen Totenkult und der Höhe der Kultur unserer engeren Heimat im 6. und 7. nachchristlichen Jahrhundert. Die 'Schlange ist das Symbol frühgermanischen Unsterblichkeitsglaubens. Für die Germanen war sie ein heiliges Tier und auf den Totenbäumen von Oberflacht ist sie sicher nicht nur rein ornamental verwandt worden. Der Tod bedeutete den Alamannen kein Aufhören, sondern ein Hinüberwechseln ins Jenseits, das man sich ganz irdisch vorstellte. Man glaubte, daß der Tote all der Dinge, die er im Leben nötig hatte, auch im Jenseits bedürfe. Darum legte man ihm seine Waffen, sein Gerät, Schmuck, Speise und Trank mit ins Grab und unserem edlen Sänger und Fiedler seine Leier. Das Sängergrab wie auch die einfacheren Oberflachter Gräber zeigen deutlich einen Bestattungsbrauch, der trotz Abweichungen in Einzelheiten doch in großen Zügen immer derselbe ist. Die Grabbeigaben sind nicht in erster Linie durch den Reichtum des Verstorbenen bedingt und sollen nicht allein die alltäglichen Verhältnisse seiner Umwelt widerspiegeln, sondern Ajrt und Menge richten sich vor allem nach der sozialen Stellung, nach dem Ansehen, in dem der Tote bei seinen Volksgenossen stand. Der Sänger von Oberflacht muß großes Ansehen genossen haben.
Viele Aufschlüsse über die kulturellen Zustände unserer Vorfahren verdanken wir dem Grab des Sängers, das seit etwa 1300 Jahren der Vergessenheit anheim gefallen war. Der Zufall des ersten Fundes und die allmählich einsetzende Forschung lüftete den Schleier, der bislang über dem kulturellen Leben der Alamannen lag. Wir wissen, daß auch sie Musik und Gesang schätzten, daß der Sänger, der mit seiner Leier ihnen von fernen und nahen Zeiten kündete, von ihnen sehr geehrt wurde. Diesem frühen Sänger wird ein Denkmal und zugleich ein Mahnmal entstehen. Wir wollen hoffen, daß eines Tages der ganze Friedhof ausgegraben sein wird und unsere Vorstellung von der Frühzeit des schwäbischen Volksstammes noch besser wird. Wilfried Nölle
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Unser Bildstreifen vermittelt einen Eindruck von dem lieblichen Tal zwischen Lupfen und Karpfen (links) bei Oberflacht. Im Mittelgrund, gekennzeichnet durch den Telefonmasten, lag der Alamannenfriedhof mit dem Sängergrab
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