6. Jahrgang;

Mittwoch, 5. Juli 1950

Nummer 102

Fachkräfte auf Reparationskonto

Wann läßt Rußland verschleppte deutsche Spezialisten wieder frei?

Vorspiel 1945

Als die amerikanische Armee im Spätsom­mer 1945 unter Einhaltung ihrer Potsdamer Vertragsverpflichtungen den Rückzug ihrer Einheiten von der Mulde bis hinter die Thü­ringer Grenze befahl, wurde ein großer Teil wissenschaftlicher und industrieller Fachkräfte nach dem Westen überführt und dort, gewis­sermaßen z. b. V.auf Eis gelegt. Diese teilweise untersanftem Druck durchgeführ­ten Evakuierungen wurden durch zahlreiche Freiwilligenmeldungen ergänzt, als deren Hauptmotiv einerseits verständliche Russen­angst, zum anderen wirtschaftlichen Opportu­nismus angenommen werden darf. Die Lebens­bedingungen jedoch die diese Menschen in ihren hessischenExilien antrafen, waren kaum dazu angetan, die anfänglichen Hoffnun­gen auf einen neuen Start zu bestätigen und zu rechtfertigen. Die damals bestehende Lebensmittelknappheit zwang viele Hochschul­lehrer, Chemiker und Ingenieure zu berufs­fremder, meist landschaftlicher Arbeit. In die­serMorgenthau-Atmosphäre schlug die an­fängliche Evakuierungsbegeisterung bald in Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung um. Erst heute mag vielen der damals Betroffenen klar geworden sein, weshalb diese amerika­nischen Maßnahmen durchgeführt und wes­halb auf eine plausible Begründung zunächst verzichtet werden mußte.

Remigranten und Handlanger

Unter obigen Voraussetzungen war es nur zu verständlich, daß die immer stärker for­cierten Bemühungen russenhöriger Wer­bungsagenten auf einen wohlvorbereiteten, fruchtbaren Boden fielen. Sowjetische Repa­rationsoffiziere hatten frühzeitig erkannt, daß ihre Demontagen ohne aktive Mithilfe der ehemaligen Betriebsführer nur langsam und unsachgemäß vorangetrieben werden konnten. Was lag also näher, als diesen Menschen durch günstige finanzielle und materielle An­gebote die Rückkehr auf ihre früheren Po­sten schmackhaft zu machen? Hinzu kam fer­ner, daß der politischen Vergangenheit im Gegensatz zum Westen seitens der Russen kaum Beachtung geschenkt wurde. (Als bei­spielsweise imSondertechnischen Büro in Halle ein ehemaligeralter Pg. und früherer Abwehrbeauftragter (!) zum Abteilungsver­trauensmann gewählt wurde, erhielt der so­fort protestierende SED-Betriebsrat vomGe­nossen Werksleiter, Oberst Wlassow, einen strengen Verweis.) Die russischen, Rüstungs­interessen und Demontagen durften durch po­litische Quertreibereien kleiner deutscher Funktionäre nicht gestört werden.

Solche Beispiele und die meist gefärbten Berichte remigrierter und politisch rehabili­tierter Direktoren und Abteilungsleiter aus der Sowjetzone gaben den Anstoß dazu, daß selbst Männer, denen bis dahin ein Mangel an politischem Fingerspitzengefühl kaum nachgesagt werden konnte, den östlichen Si­renenklängen nachgaben. Die Sowjets konn­ten in vieler Hinsichtgroßzügig sein: Aus den damals bereits liquidierten bzw. blockier­ten Bank- und Sparkonten stand ihnen soviel Geld zur Verfügung, daß sie anstandslos die durch die Westevakuierungen entstandenen Gehaltsausfälle rückwirkend vergüten konn­ten.Stalin-Pakete streng nach Leistung und Dienstgrad gestaffelt sorgten für das leibliche Wohlbefinden. Die russische Rech­nung ging prompt auf; wohlgenährt und gut bezahlt hatten auch ehemalsnational ge­sinnte Spezialisten keine Hemmungen mehr, sich als Handlanger der mitteldeutschen To­taldemontagen mißbrauchen zu lassen.

Aber man hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der seit Jahrzehnten in den UdSSR herrschende Mangel an Fachkräften mußte den endgültigen Erfolg der russischen Demontagen in Frage stellen, wenn nicht gleichzeitig der sachgemäße Aufbau und Pro­duktionsstart am neuen Standort garantiert werden konnte. Die sich hieraus ableitenden Konsequenzen wurden seinerzeit von vielen Spezialisten vorausgeahnt, diskutiert und ignoriert. Die vage Hoffnung, daß eben doch nicht jeder zum Opfer solcher Entwicklung werden müßte, gab dem einzelnen die innere Rechtfertigung für sein weiteres Verbleiben am wohlbezahlten Arbeitsplatz. Das traurige Erwachen aus dieser Illusion folgte schneller als geahnt.

Das UnternehmenOssawakim

Im Morgengrauen des 23. Oktober 1946 star­tete von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze, von der Oder-Neiße-Linie bis Thüringen die unter dem StichwortOssawakim berüchtigt gewordene Aktion. Der ausgezeichnet orga­nisierte Ablauf dieser ersten Deportierung größten Stiles sei in seinen traurigen Einzel­heiten kurz in Erinnerung gebracht:

Zwischen 3 und 5 Uhr früh wurden die Op­fer aus den Betten geholt. In der kurzen rus­sischen Erklärung des verantwortlichen GPU-

O.M. Seit Deutschland, genauer: die Bun­desrepublik, nicht mehr absolut isoliert da­steht und wieder lebendige Beziehungen zum Ausland unterhält, ist der Fremdenverkehr wie früher ein wichtiger Faktor unserer wirt­schaftlichen Entwicklung. Unter den Auslän­dem, die in diesem Jahr nach Deutschland kommen, stellen die Amerikaner einen be­achtlichen Prozentsatz. Sie werden uns um so lieber besuchen und vor allem: sie werden wiederkommen, wenn sich ihre Erwartungen erfüllen, die sie an das Reiseland Deutsch­land stellen. Ihr Wiederkommen werden sie sicherlich nicht zuletzt davon abhängig ma­chen, wie man sie bei uns behandelte und wie man auf ihre Lebensgewohnheiten und Eigen­art einging.

Nicht jeder Hotelier und Pensionsinhaber weiß genau Bescheid darüber, was der ameri­kanische Tourist im Umgang mit seinen Quar­tiergebern, soweit er sich aus dem Aufent­halt in Hotels (Gaststätten) ergibt, als ange­nehm empfindet und was er nicht erleben möchte. Um den Menschen, die jeweils als die ersten in Berührung mit amerikanischen Gä­sten kommen, an die Hand zu gehen, haben die Fremdenverkehrs-Organisationen in meh­reren Ländern Europas, darunter in Oester­reich, ein beratendes Merkblatt für Hoteliers ausgearbeitet, das bereits gesammelte Erfah­rungen in 10 Punkten, gleichsam 10 Geboten für den Umgang mit Amerikanern, zusam­menfaßt. Es könnte für den deutschen Frem­denverkehr gewiß von Nutzen sein, wenn er sich das zum Vorbild nähme. Die 10 Gebote, die z. B. die Wiener Handelskammer dem österreichischen Hotelgewerbe zur Beachtung empfohlen hat, lauten:

1. Der Amerikaner schätzt es sehr, wenn ihn das Hotelpersonal beim Namen nennt und wenn das Gepäck schnellstens auf das Zim­mer gebracht wird.

2. Er möchte über sein Zimmertelefon Aufträge in englischer Sprache geben können und sicher sein, daß man ihn versteht.

Offiziers, die anschließend vom begleitenden Dolmetscher übersetzt wurde, erfuhr der Be­troffene, daß er und seine Familie sich zum Abtransport in die UdSSR fertig zu machen hätten. Unter verschiedenen anderen Ver­sprechungen wurde der Einzug inmoderne Siedlungen mit allem Komfort in Aussicht gestellt. Vor der Haustür war inzwischen ein Lastwagen mit bewaffneten Rotarmisten vor­gefahren, die zuerst die Wohnungseingänge bewachten und sich später am Möbeltransport beteiligten. Die erschütternden Szenen, die sich bei zufälliger Abwesenheit einzelner Fa­milienmitglieder abspielten, berührten die gutmütigen Slawen nur am Rande. Nach Ueberführung des Hausrates in einen bereit­stehenden Güterzug wurde den Familien ein D-Zug-Abteil zugewiesen, das von da ab un­ter schärfster Bewachung von GPU-Mann- schaften stand. Ein Hohn auf die spätere rus­sische Behauptung, es habe sich bei ihrem Unternehmen lediglich um Freiwilligen - Transporte mit langfristigen Verträgen ge­handelt!

Die Fahrt in denmodernsten Sozialstaat der Welt, in dasArbeiterparadies, in die große Ungewißheit, begann. Heute ist bekannt, daß vielfach schon beim Transit durch das polnische Staatsgebiet vonnationalen Wi­derstandskämpfern und Partisanen einzelne

3. Er ist dankbar für einen Hinweis, ob das Wasser im Badezimmer auch trinkbar ist. Da er mit wenig Gepäck reist, verlangt er oft das Bügeln seiner Kleidung über Nacht und die Reinigung der Wäsche in der gleichen Zeit.

4. Er erwartet heißes Wasser durch 24 Stun­den und Seife auf dem Toilettentisch, auch täglich frische Handtücher.

5. Keine überflüssigen Möbel im Zimmer, weniger Ballast, mehr praktische Einrich­tungsgegenstände.

6. Der Amerikaner liest gern im Bett. Er wünscht sich richtig angebrachte Leselampen. Das Bett soll bequem sein. Die französischen Doppelbetten liebt er besonders.

7. Es ist nicht tunlich, amerikanische Gäste im Speisesaal abgesondert zu placieren, denn sie wollen mit den Einheimischen in Kontakt kommen.

8. Unaufgefordert soll als erstes Eiswasser serviert werden.

9. Es empfiehlt sich, neben dem üblichen Frühstück auch einAmerican Club Break- fest- zu festen Preisen bereitzuhalten, das Orange-Juice, Dry-Cereal, Bacon, Eggs, Toast, Marmelade und Kaffee bietet.

10. Die Hotelrechnung soll auf Verlangen sofort vorgelegt werden. Langwierige Rück­fragen sollen vermieden bleiben.

Schließlich wird daran erinnert, daß nicht jeder amerikanische Gast steinreich ist und daß nur wenige besonderen Luxus suchen. Wichtig sind aber allen Amerikanern tadel­lose hygienische Einrichtungen und eine überall gute Beleuchtung. Viele, wenn nicht alle dieser Hinweise sind gewiß nicht nur für den Umgang mit Amerikanern be­herzigenswert, nicht zuletzt auch für den er- holungsuchenden Inländer, der genau wie der auswärtige Gast erwarten darf, daß ihm sein Aufenthalt in den Ferien so angenehm wie möglich gemacht wird.

Güterwagen abgehängt und ausgeraubt wur­den. Die letzten Reste der durch Bomben­nächte geretteten Habe wurden so zu einem Teil der illegalenReparationsbegleichung. Die Nhchrichten, die inzwischen trotz schärf­ster Briefzensur oder neuerdings durch die Aussagen entlassener Kriegsgefangener über die sowjetische Grenze hinaus durch den Eisernen Vorhang sickerten, beleuchten schlaglichtartig die deprimierende Situation der deutschen Fachkräfte in Rußland. Aus der Fülle geschmuggelten Briefmaterials, das dem Verfasser dieser Zeilen vorliegt, seien einige charakteristische Auszüge zitiert:

. unser Leben verläuft hier sehr eintönig.

Wir sitzen zu fünf in einem kleinen Zimmer an primitiven Holztischen auf harten einfachen Stühlen gewöhnlicher Art. Dort schreiben wir sseit vier Jahren Berichte ohne Hilfsmittel aus dem Gedächtnis. Literaturunterlagen sind sehr knapp, auch alle sonstigen Materialien. Diese Berichte müssen wir selbst ins reine auf unse­ren eigenen Schreibmaschinen schreiben.

... Du machst Dir keine Vorstellung von der unglaublichen Armut, die überall herrscht. Alle Zeichnungen muß man selbst anfertigen, kurz, ich tue Dinge, die ich als junger Chemiker nicht zu machen brauchte, geschweige denn als Ab­teilungsleiter oder Direktor. Die Verhältnisse hier und auch schon in Moskau, wo es keinen Deut besser war, sind so ärmlich, wie wir sie uns in den schlechtesten Zeiten in Deutschland nicht vorstellen konnten. Es fehlt an allem und jedem., Das einzige, woran wir Deutschen nicht Not leiden, ist Essen und Anzuziehen.

... Die Armut ist riesenhaft. Die Wohnver­hältnisse sind schauderhaft. Jede Familie hat im allgemeinen nur ein Zimmer, Küche mit anderen gemeinsam. Klosettverhältnisse ver­heerend. Die meisten einfachen Leute haben kein Bett. An Waren gibt es das meiste nicht oder schlecht, dann wieder mal alles auf ein­mal. Lohnzahlungen sehr unregelmäßig. Viel Hunger und Schmutz. Bei den wenigen Besser­gestellten keine Lebensart, keine Kultur. Hier im Ort gibt es ein kümmerliches Kino, sonst nichts. Verkehr mit Einheimischen wird unter­bunden. Gewissens- und Redefreiheit besteht nicht. Die Leute sind schrecklich eingeschüch­tert, die Redensart vom freiesten Land der Erde ist ein reiner Hohn. Es gibt unheimlich viele Strafgefangene Einheimische.

... russische Offiziere, die ich aus L. kenne, blicken zur Seite und tun, als ob sie mich nicht kennen> Einladungen gibt es selbstverständlich nicht. Von unseren Berichten hören wir nie et­was wieder. Keiner fragt irgend etwas daraufhin. Das Werk ist im Bau weit zurück. Es soll ein russisches L. werden. Fast alle Aggregate, welche in L. abgebaut worden sind, befinden sich auf den riesigen Apparatelagern auf freier Wiese, werden durch die Witterungseinflüsse immer schlechter, so und soviel wird gestohlen oder zu Küchengeräten verarbeitet... Wenn wir diese Aufgabe tatsächlich ausführen sollen, das Werk in Betrieb zu nehmen, müssen wir noch 2 bis 3 Jahre aushalten. Aber hier hoffen auch unter der einheimischen Bevölkerung viele auf einen Krieg und auf eine andere Staatsfüh­rung. Das Volk ist sehr verschüchtert, weil jede Kleinigkeit streng bestraft wird. Die Wolfener in Rubeschnaja dürfen nicht in die Betriebe. Sie werden unter Bedeckung ins Werk geführt, in ihre Laboratorien und von dort wieder ans Werkstor und in geschlossenen Omnibussen heim. Ich denke, uns anderen Industriesklaven wird es wohl einmal ähnlich ergehen.

... man muß hier sehr auf der Hut sein. Alles und jedes wird bespitzelt. Man lebt hier in einem Polizeistaat schlimmster Sorte. Uns traut man nicht über den Weg. Alle früheren russischen Bekannten gehen uns im weiten Bo­gen aus dem Wege und werden sichtlich ver­legen, wenn man sie anspricht Sicher haben sie Anweisung von oben, jedem Verkehr mit uns auszuweichen. Im Institut sind wir auf unser kleines Zimmer und die Bücherei festgelegt. Ich sage immer morgens: ,Nun stecken wir wie­der 8 Stunden in unserer Arrestzelle'. Seit Mo­naten dürfen wir nicht mehr allein ausgehen. Immer und überall ist eine Begleitung dabei.

All diese Klagen sind für den Kenner rus­sischer Gepflogenheiten nicht überraschend oder neu.

Eiswasser zuerst

10 Gebote für den Umgang mit amerikanisch eri Touristen

Kinderprobleme Problemkinder

Von Nervenarzt Dr. med. R. Reihnert

In der Kindheit fallen die Entscheidungen fürs Leben. Der Volksmund spricht von der Kinderstube, die ein jeder genießt und die ihn für sein späteres Leben prägt. Diese .Kinderstube ist nicht nur für äußerliche Lebensweise, Sitte und Anstand im Leben des Einzeinen von Wichtigkeit, sie formtauch deninneren Menschen, sein psychisches Leben und Verhalten.

Glauben wir nicht, daß Kinder keine Pro­bleme hätten! Sie sind oftmals größer und umwälzender als Erwachsene vermuten deshalb aber auch um so folgenschwerer. Das Kind muß sich mit seiner Umwelt auseinan­dersetzen, die nicht ohne weiteres als etwas Angenehmes ihm entgegentritt. Es muß sich auseinandersetzen mit dem Willen der El­tern, mit dem Anspruch der Geschwister, mit Ansichten und Absichten anderer Menschen. Mögen schon in sog. normalen Zeiten diese Dinge dem Kind Schwierigkeiten bereiten, wieviel mehr in Zeiten der Raumenge, des Existenzkampfes, der Sorgen, der Zerrüttung herkömmlicher Begriffe von Moral und Ethik. Die kindliche Warum-Frage findet oft weder befriedigende Antwort noch Lösung. Es ver­sucht die Probleme von sich aus zu lösen, sich seine Welt zu bauen und steht dabei in der Gefahr neurotisch zu werden, d. h in einer irgendwie gearteten Verkrampfung zu enden. Der vom Kinde aus dieser Ver­krampfung heraus gesuchte Ausweg muß ohne geeignete Führung zum Irrweg werden. So werden Kinderprobleme Ursache für Pro­blemkinder

Problemkinder gibt es mehr als wir ver­muten. Ihre Nuancierungen sind vielgestal­tig. Zwei augenfällige Erscheinungen seien erwähnt: Das Stottern und das Bettnässen. Das Psychische ist hierfür weithin von aus­schlaggebender Bedeutung. Da ist ein schul­

pflichtiges Kind; der Vater ein Pedant, die Mutter eine egozentrische, kühle Frau. Tadel­loses Benehmen, hervorragende Schulleistun­gen, Haltung wahren das alles steht im Vordergrund elterlicher Forderungen. Die Gefühlsbeziehungen des Kindes zu den Eltern leiden dadurch Not, durch Ueberforderungen wird es zum Einzelgänger. Es verliert den Kontakt zur Umwelt, die Beziehungen zwischen ihm und der Mitwelt sind zerstört es fängt an zu stottern. Aehnlich ein fünfjähriges Kind, im Kreis der Geschwister aufwachsend.Die häuslicheAtmosphäre zeich­net sich aus durch übermäßigen moralischen Druck auf die Kinder. Uebersteigerte Sau­berkeitsansprüche der Mutter entwickeln beim Kind gesteigerte Schuldgefühle. Sein Verhältnis zur Umwelt wird von der Furcht bestimmt, den Anforderungen nicht genügen zu können. Es flüchtet zurück in sein Baby­dasein und beginnt das Bettnässen.

Welche Hilfe es gibt? Kinderpsychiatrie und -Psychologie haben Methoden der Be­handlung entwickelt, die in psychoanalyti­schen Erfahrungen und Erkenntnissen ihren Ursprung haben. So entstand vor wenigen Jahren der Sceno-Test (G. v. Staabs, Berlin). Er besteht aus verschiedenen kleinen Pup­pen, kleinen Hausgeräten» Möbeln, Tieren, Bäumen, einfachen Bauklötzen usw. Das al­les soll das Kind zum Darstellen einer Scene anregen (daher Sceno-Test). Und was es baut, zueinander ordnet, wie es Figuren und Tiere einsetzt, welche Erklärungen das Kind zu der geschaffenen Scenerie gibt das alles gibt Aufschluß über die Probleme des Kindes, leuchtet hinter die Kulissen der äußeren Er­scheinungsformen, die das Kind zu einem Problemkind gemacht haben. In England wird diese Methode gleichsam ins Große transponiert. In Birmingham gibt es eine ..Child Guidance Clinic. Es ist sozusagen ein Kinderparadies: ein großes Wasserbecken mit vielen Schiffen. Wassertieren ist dort zu

finden, ebenso wie eine große Sandkiste mit unzähligen Figuren, Menschen und Tieren friedlichen und bösen, angsterregenden und zahmen. Dazu große Papphäuser, Kinderma­lereien an den Wänden. Das alles soll dazu dienen, daß das Kind durch Spiel und Um­gehen mit diesen Dingen seine Spannungen, Konflikte und Probleme löst, die seine Per­sönlichkeit nicht zur Entfaltung kommen las­sen. Es stellt sein Weltbild und seine Bezie­hung zur Umwelt dar. Durch entsprechende psychische Leitung kann der Heilprozeß am Problemkind beginnen.

Zum echten Kindsein gehört, einheiles Weltbild zu besitzen. Hier sind Wege, Zer­störtes aufzubauen, Zerbrochenes zu heilen.

Randbemerkungen

Vier Anekdoten von Karl Lerbs

Wie viele Jahre geben sie mir? wollte ein Fräulein mit denkwürdigem Augenaufschlag von Mirabeau wissen.

Mirabeau betrachtete sie aufmerksam.

Nicht ein einziges, sagte er dann.Sie haben genug.

*

Ein überaus unschönes Mädchen fiel Mira­beau in einey Gesellschaft dadurch auf die Nerven, daß es sich der Nachstellungen rühmte, die ihm angeblich bereitet wurden: Denken sie, der Marquis de X. hat doch ge­stern den ganzen Abend versucht, mir schöne Augen zu machen!

Mirabeau betrachtete die junge Dame ein­gehend und aufmerksam.

Es ist ihm nicht gelungen, sagte er.

Denken sie", sagte ein aufgeplusterter jun­ger Gockel zu Mirabeau,auf was alles man gefaßt sein muß: Bietet mir doch der Graf X gestern wahrhaftig Ohrfeigen an! Mirabeau sah erwartungsvoll zur Seite:

Abendlied

Es steht ein Baum im Walde, Windwolke rührt ihn sacht,

Und seine Zweige dunkeln Im Kuß der kühlen Nacht.

Wer jetzt die frommen Augen Dem Himmel zugewandt,

Dem fallen lauter Sterne In die erstaunte Hand.

Und aller Seelen Kummer Verbrennt in ihrem Schein.

Gott läßt des Tages Pilger In seine Gnade ein.

KURT HEYNICKE

Hoffentlich haben sie sie genommen? fragte er.

*

Als die Julirevolution durch die Straßen von Paris lärmte, saß der alte Talleyrand in seinem großen Hause in der Rue St. Floren- tin, umgeben und in angstvoller Spannung beobachtet von seinen Freunden, und spielte gelassen Whist, wie es in Stunden politischer Entscheidung seine bewährte Gewohnheit war. Zuweilen hob er einen Augenblick lau­schend den Kopf. Als der Sommerwind dann fernes Triumphgeschrei, Flintenschüsse und Glockenläuten zu den offenen Fenstern her­eintrug, nickte Talleyrand befriedigt:

Aha hören sie? Wir siegen.

Wer wir? fragte einer der Anwesen­den erstaunt.

Pst - kein Wort! sagte Talleyrand.Das werde ich ihnen morgen sagen.

Geheimrat Professor Dr. Ernst Ferdinand Sauerbruch in Berlin, der Altmeister der deut­schen Chirurgie und weltbekannte Arzt, vollen­dete am Montag das 75. Lebensjahr.

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