6. Jahrgang
WIRTSCHAFT
Kummer 108
Europäische Zahlungsunion
Von D r. Ernst Schwenk
Bei den ersten Verhandlungen über die Verteilung der Marshallplangelder machten sich bereits jene nationalstaatlichen Kräfte bemerkbar, die der Schaffung eines größeren europäischen Wirtschaftsraumes entsgegenwirken, Die politischen und wirtschaftsstrukturellen Gegensätze zeigten sich später sowohl in der staatlichen Investitionspolitik mit ERP-Geldern, als auch in der protektionistischen Zollpolitik und in der zögernden Anwendung der Liberalisierungsmaßnahmen im europäischen Handel. So war die europäische Situation, als im Dezember 1949 der amerikanische Vorschlag auf Schaffung einer europäischen Zahlungsunion (EPU) unterbreitet wurde, der erst nach vielen Aenderungen bei den Marshallplanländern Zustimmung fand.
Zugeständnisse an England Die Konzeption der Zahlungsunion beruht auf dem Gedanken, daß eine großzügige europäische Arbeitsteilung zu einem automatischen Ausgleich der Handelsbilanzen führen würde. Um noch bestehenden struktuellen und entwicklungsmäßig bedingten Störungsfaktoren Vorbeugen oder diese ausgleichen zu können, ist im nunmehrigen Plan ein struktueller Hilfefond in Höhe von 300 Millionen Dollar vorgesehen, aus dem devisenschwache Länder wie Oesterreich, aber auch Deutschland, durch Gewährung von Ziehungsrechten Hilfe erhalten sollen. (Beispiel: Deutschland kann aus der Türkei Tabak einführen. Die hieraus entstehende Schuld wird mit Marshallplanmitteln bezahlt.) Oesterreich wird wohl einer ständigen Hilfe bedürfen, während Deutschland nur auf Grund seiner Vorleistungen in der Liberalisierung einen Debetsaldo in Höhe von 120—150 Mill. Dollar hat, der bei weitgehend freiem Handelsverkehr zwischen den Marshallplanländern vermieden werden könnte.
England konnte für den Plan nur gewonnen werden durch das Zugeständnis, daß die laufenden Sterlingsalden der Teilnehmerländer mit dem Sterlingsgebiet voll in die Verrechnung ein- gehen und die Teilnehmerländer jederzeit Sterlingsreserven benützen können, um Schulden gegenüber der EPU zu bezahlen oder bei dieser unterhaltene Guthaben in Sterling umzuwandeln. Damit wird der Sterling, mit dem heute noch etwa 50 Prozent aller Zahlungsverpflichtungen auf dem Weltmarkt bezahlt werden, zu einer Art Reservewährung, was im Hinblick auf die künftig notwendige stärkere Einbeziehung der Sterlingländer in den europäischen Handelsverkehr sich vorteilhaft auswirken könnte.
Keine Bank
Die Organisation der EPU sieht ein zentrales Büro (keine Bank) vor, bei dem jeden Monat die zunächst bilaterial (von Land zu Land) aufgelaufenen Konten der 18 Marshallplanländer saldiert werden. Jedem Teilnehmerland wird eine sogenannte Kreditlinie (bestimmter Kreditbetrag) in Höhe von jeweils 15 Prozent des Außenhandelsvolumens des letzten Jahres eingeräumt. Das sind für Deutschland 320 Millionen Dollar. Die Kreditlinie gibt den Rahmen, innerhalb dessen ein Land mit passiver Zahlungsbilanz. also ein Schuldnerland, nach einem bestimmten Schema Kredite bekommen kann oder in Gold bzw. Dollar bezahlen muß, oder innerhalb
dessen ein Land mit aktiver Zahlungsbilanz, also ein Gläubigerland, für seine Zahlungsüberschüsse nach einem bestimmten Schema Kredite einräumen muß oder Gold bzw. Dollar bekommen soll. Im Rahmen der Kreditlinie wird ein Passivsaldo bis zu 20 Prozent durch die EPU kreditiert. Zahlungen in Gold oder Dollar sind also insoweit nicht erforderlich. Erst wenn der Passivsaldo mehr als 20 Prozent der Kreditlinie ausmacht, müssen die Schulden in einem bis auf 80 Prozent steigenden Anteil in Gold oder Dollar bezahlt werden. Die Gläubigerländer dagegen erhalten ihre Ansprüche erst dann in Gold oder Dollar ersetzt, wenn 20 Prozent der Kreditlinie erreicht sind. Darüber hinausgehende Salden werden in Höhe von 50 Prozent in Gold oder Dollar ausbezahlt. Im ganzen gesehen, sieht das Verhältnis zwischen Kredit und Gold- bzw. Dollarzahlung im Rahmen der Kreditlinie so aus, daß bis zu 60 Prozent Kredite eingeräumt werden und bis zu 40 Prozent Dollarzahlungen erfolgen. Wenn die Kreditlinie überschritten wird, muß das Schuldnerland in vollem Umfange in bar bezahlen und jedes
Wichtiges in Kürze
Gläubigerland erhält den die Kreditlinie überschießenden Betrag voll in Gold oder Dollar vergütet.
Die europäische Zahlungsunion ist mit vielen Hypotheken belastet und ein automatisches Funktionieren daher noch nicht in vollem Umfange gewährleistet. Deshalb soll von der ECA ein sogenannter Betriebsfond in Höhe von 350 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt werden. Damit sind die Grundlagen für die europäische Zahlungsunion geschaffen. Während der zweijährigen Dauer ihres vorläufigen Bestehens soll es weder Hart- noch Weichwährungsländer geben, weil alle Währungen bei der zentralen Verrechnungsstelle auf Grund einer bestimmten auf Gold beruhenden Kursrelation ln die von allen Ländern angenommene und anerkannte „Verrechnungseinheit“ umgewandelt werden können. Ob es gelingt, den Bilateralismus in allen seinen Formen auszuschalten, hängt von der Einsicht und dem Willen der politischen Kräfte in den einzelnen Ländern ab. Nunmehr entfällt der bisher häufig gemachte Einwand, daß eine multilaterale Außenhandelspolitik wegen Devisenschwierigkeiten nicht tragbar sei. Das Funktionieren der Zahlungsunion wird aber in erster Linie von der Bereitschaft der Teilnehmerländer abhängen, ihre protektionistischen Maßnahmen abzubauen.
Hermes: Keine Bedenken gegen Liberalisierung
BREMEN. Das Präsidium des Deutschen Bauernverbandes, das unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichsministers Dr. Hermes zusammentrat, nahm eine Reihe von Entschließungen an, die sich mit den Obst- und Gemüseeinfuhren, dem Lastenausgleich und den Marktgesetzen beschäftigen. Es wird zum Ausdruck gebracht, daß keine Bedenken gegen liberalisierte Einfuhren bestehen, wenn vorher eine Verständigung mit der Landwirtschaft über die Einfuhrtermine erfolgt ist.
Mit Rücksicht auf die Lage der Landwirtschaft und den noch in diesem Jahre zu erwartenden Lastenausgleich wird gefordert, die Soforthilfe nicht mehr zu erheben. Der Zentralausschuß der Deutschen Landwirtschaft, in dem der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Raiffeisenverband, der Verband der Landwirtschaftskammern und die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft vereinigt sind, nahm zu verschiedenen wichtigen Fragen der deutschen Landwirtschaft Stellung. Es wurde die Errichtung einer Marktberichts- und Beobachtungsstelle mit Sitz in Bonn beschlossen. Die Berichterstattung beginnt sofort auf dem Gebiete des Gemüse- und Obstbaues und soll in Kürze auch auf die übrigen landwirtschaftlichen Zweige ausgedehnt werden.
Die zwischen den deutschen und französischen landwirtschaftlichen Organisationen getroffene Vereinbarung über eine engere Zusammenarbeit wurde einstimmig gebilligt.
Kirschenförderungsprogramm in Württemberg
TETTNANG. Zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Obstbaues hat der Landesobstbauverband Württemberg in Zusammenarbeit mit dem -Landwirtschaftsministerium ein „Kirschenförderungsprogramm“ ausgearbeitet, das im kommenden Jahr anlaufen soll, ln den Kreisen Tettnang und Ravensburg soll im nächsten Früh
jahr eine große Sortenschau abgehalten werden, um eine einfachere Klassifizierung der Sorten zu erreichen. Darüber hinaus sollen Anbaupläne ausgearbeitet werden und besondere landschaftlich bedingte „Kirschenlagen“, ja sogar verschiedene „Sortengruppenlagen“ unterschieden werden. Ausgiebige Düngung, Schädlingsbekämpfung, vor allem der gefährlichen Kirschfruchtfliege, die weite Gebiete• Südwestdeutschlands befallen habe, sind wichtige Ziele; als bedeutendster Faktor in bezug auf die Wirtschaftlichkeit des Obstbaues sei jedoch die Wasserversorgung anzusehen, denn die Dürreschäden hätten ein weit größeres Ausmaß angenommen als die Frostschäden und die Erträge würden infolge der Wassernot immer weiter zurückgehen.
Professor Baade: Chance Nutzen
BONN. „Unter den Ueberschußgebieten der Welt wird wie nach dem ersten Weltkrieg ein Wettlauf um den deutschen Absatzmarkt einset- zen, dessen Aufnahmefähigkeit durch die Steigerung der Eigenerzeugung in Zukunft begrenzter sein wird als bisher. Diese Chance zu nutzen, ist Aufgabe der westdeutschen Außenhandelspolitik“, erklärte der Leiter des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel, Prof. Dr. Baade auf der Jahresmitgliederversammlung der Vereinigung der deutschen Ernährungsindustrie in Bonn.
Handelsvertrag mit Schweden FRANKFURT. Ein neuer Handelsvertrag zwischen Schweden und Westdeutschland, der soeben paraphiert wurde und vom 1. Juli bis zum 31. Dezember d. J. läuft, sieht die volle Anwendung der schwedischen Warenfreiliste für deutsche Exporte vor.
Keine Einigung über griechischen Tabak FRANKFURT. Die Handelsbesprechungen mit Griechenland sind ergebnislos abgebrochen wor-
Für den Autofahrer
Kiaitfahrzeug-Versidierungstarif bis auf weiteres gültig
BONN. Die am 30. Juni ablaufende Regelung für die Kraftfahrzeugversicherung bleibt auf Anordnung des Bundeswirtschaftsministers bis auf weiteres, längstens aber bis zum 30. September dieses Jahres, in Kraft. Damit bleiben die erhöhten Prämiensätze für die Unfallversicherung, die Kasko- und die Haftpflichtversicherung vorläufig gültig.
Das Bundeswirtschaftsministerium läßt nach einem Uebereinkommen mit dem Versicherungsund dem Kraftfahrzeuggewerbe bei 12 Versicherungsunternehmen die Kosten untersuchen; das Ergebnis soll als Grundlage für die endgültige Gestaltung der Fahrzeugversicherung verwendet werden.
Fast 8000 Volkswagen im Juni
WOLFSBURG. Die Produktion des Volkswagenwerks wurde im Juni erneut gesteigert und erreichte mit 7 924 Wagen einen neuen Höchststand (Mai 6617). Auch die Ausfuhrsteigerung setzte sich fort, und zwar im Juni 2921 Wagen für den Export gegenüber 2838 im Vormonat. — Das Völkswagenwerk legt im Juli, während der Urlaubszeit, ein zweites Endband und will bereits im August die Volkswagenproduktion auf 9000 Stück bringen. Im Jahre 1951 soll das. Werk mit einer Gesamtproduktion von 120 000 Wagen voll ausgelastet sein.
Produktionserhöhung bei Opel
DÜSSELDORF. Die Produktion der Opelwerke in Rüsselsheim belief sich im Juni auf 5051 Personenwagen und 1001 Nutzfahrzeuge gegenüber 4665 Pkw und 816 Lkw im Mai. Vom Juniergebnis entfielen auf den „Olympia“ rund 3551, auf den „Kapitän“ 1500. 2504 Fahrzeuge gingen in den Export.
NSU: Höchste Ausnutzung der Fabrikations- möglichkeiten
NECKARSULM. Die NSU-Werke in Neckarsulm steigerten ihre Produktion im Juni auf 6745 Motorfahrräder und Motorräder und 10 000 Fahrräder. Trotz höchster Ausnutzung aller Fabrikationsmöglichkeiten liegen die Lieferzeiten für NSU-Motorräder nach tuie vor bei vier bis sechs Monaten.
Auch bei Borgward Produktionsanstieg
BREMEN. Die Borgward GmbH, in Bremen stellte im Juni zusammen 1236 Personen- und Lastkraftwagen her, gegenüber 1147 im Vormonat.
den, weil keine Einigung über die Einfuhr griechischer Tabake erzielt werden konnte.
Rückgang der Arbeitslosigkeit
TÜBINGEN. Aus einem Ueberblick über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den ver-' scbiedenen Arbeitsamtsbezirken von Württem- berg-Hohenzollprn, der vorrt Landesarbeitsamt zusammengesteHt wurde, ergibt sich ein Rückgang der Arbeitslosenziffern um insgesamt 2090 Personen, und zwar von 12 229 am 31. 12. 1949 auf 10 139 am 31. 5. 1950. Die größten Rückgang verzeichnet Ravensburg mit 610 Personen, gefolgt von Nagold mit 473, Sigmaringen mit 419 und Biberach mit 301 Personen.
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