6. Jahrgang
Mittwoch, 28. Juni 1950
Numm«r 98
Spaniens politisches Gesicht
Von Prof. Dr. Wilhelm Röpke
seiner allzu großen Geschäftstüchtigkeit zu verantworten hatte, mit einer Verwarnung bestraft. Es wurden ihm Unwahrheit, ein falsches Ehrenwort, Vertrauensmißbrauch und andere Kleinigkeiten vorgeworfen. Gleichzeitig wurde ihm bescheinigt, daß er „sich seit 1930 für die Bewegung insbesondere in der Kampfzeit eifrig betätigt und sie vor allem durch Geldspenden unterstützt hat“. Allerdings wurde gleichzeitig hinzugefügt:
„Daß der Angeschuldigte auch den größten Teil des ihm aus dem Verkauf der Magirus-Aktien zugeflossenen Gewinnes der Partei, insbesondere der SS, gespendet, hatte, kann dabei allerdings nicht berücksichtigt werden. Denn einmal hat er nach der Ueberzeugung des erkennenden Gerichts diese Spenden nicht zuletzt unter dem Druck der Verhältnisse gegeben, da er gewußt hat, daß, wenn er — nachdem die Magirus- Transaktion an sich schon stärkstes Mißfallen in der Partei sowie auch in der Oeffentlichkeit hervorgerufen habe und stark angefochten war — auch noch den riesenhaften Gewinn aus dem Ma- girus-Geschäft für sich behalten hätte, seine Stellung in Württemberg schlechthin nicht mehr haltbar gewesen wäre. Zum anderen aber waren diese Spenden geeignet — und darauf war auch das Bestreben des Angeschuldigten gerichtet — sein Ansehen bei den von ihm bedachten Organisationen erheblich zu steigern. Auffallenderweise hat er nämlich seine Spenden, wie aus den von ihm eingereichten Spendenlisten hervorgeht, fast ausschließlich nur solchen Gliederungen, so vor allem der SS, gegeben, bei denen er irgendwelche Vorteile, wie etwa die Hebung des Ansehens, erhoffte, während er Organisationen, wie der NSV oder dem WHW, bei denen er nicht so als der große Spender in Erscheinung getreten und bekannt geworden wäre, so gut wie gar nicht gespendet hat. Jeder andere Fabrikant mit demselben Einkommen, wie es der Angeschuldigte hat, spendet für das WHW mehr, als was der Angeschuldigte aus seinem Magirus-Gewinn gespendet hat.
Mit Rücksicht darauf, daß der Angeschuldigte selbst erklärt hat, daß er seine öffentlichen Aem- ter binnen sechs Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses niederlegen werde, hat das erkennende Gericht davon Abstand genommen, auch auf Aberkennung der Aemterfähigkeit anzutra- gen.“
Einem solchen Mann, über den schon ein bekanntlich nicht allzu zimperliches Parteigericht so »urteilte, gibt der Staat Württemberg- Hohenzollern einen Wechselkredit in einer so erstaunlichen Höhe zur Erhaltung (nicht Neuschaffung!) von rund 350 Arbeitsplätzen, weil angeblich niemand anderer sonst in der Lage gewesen wäre, die Chiron-Werke zu retten. Armer Staat und noch ärmere Demokratie, denen heute bereits wieder die Leute helfen müssen, die von ihnen, ob auf mehr oder weniger starken Druck der Besatzungsmächte spielt letztlich keine Rolle, denn der Staat hat sich ja nicht ernsthaft geweigert, jahrelang im Lager gehalten worden sind! Der höhere SS-Führer und MdR Fritz Kiehn als Retter — es fällt sehr schwer keine Satire zu schreiben. Aber einen Rat wollen wir dem süd- württembergischen Kabinett doch geben. Heben Sie schleunigst das Ermächtigungsgesetz vom Dezember 1948 auf. Denn Sie messen mit zweierlei Maß. Es geht nicht an, daß Sie einen Beamten, nur weil er eine nazistische Ueberzeugung hatte, nicht mehr .in seiner früheren Stellung zum Zuge kommen lassen, während Sie gleichzeitig dem Fabrikanten Kiehn, der keine Ueberzeugung hatte, aber ..finanzstark“ ist, einen Kredit gewähren, damit er sich noch mehr ausbreiten kann! Denn von allem anderen abgesehen, hat man Kiehn in der Praxis jedenfalls schon jetzt die Möglichkeit gegeben, durch Aufkäufe seine Monopolstellung zu festigen. Dazu sollen wir ihn als Retter der Chiron-Werke feiern? Mit Verlaub Herr Ministerialrat Vowinkel: Da machen wir nicht mit! Das ist uns zu kühn, Verzeihung, zu „kiehn“ natürlich.
Duvieusart bei Leopo’d
GENF. Nach einer Rücksprache mit König Leopold erklärte der belgische Ministerpräsident Duvieusart, König Leopold werde in naher Zukunft nach Belgien zurückkehren.
Nach seiner Rückkehr von einer mehrwöchigen Vortragsreise durch Spanien charakterisiert Prof. Dr. Röpke im folgenden Artikel die Grundtendenzen des politischen Lebens im heutigen Spanien.
Spanien ist dasjenige Land, das durch seinen unglückseligen Bürgerkrieg zuerst von der furchtbaren Sozialkatastrophe des letzten Jahrzehnts ergriffen worden ist. Es gibt in Madrid noch heute Außenbezirke, die in ihrer Zerstörung entfernt an Frankfurt erinnern, und der Alcäzar in Toledo scheint so hoffnungslos verloren wie die Burg zu Nürnberg.
Aber das sind nur wenige unverheilte Wunden. Das äußere Bild des Landes macht — vor allem wenn man im Wagen auf den großenteils vorzüglichen Straßen und nicht mit- der noch immer schwer mitgenommenen Eisenbahn reist — durchaus den Eindruck eines einigermaßen abgeschlossenen Wiederaufbaus, vollends wenn man mit den Maßstäben der späteren Opfer der großen Sozialkatastrophe, Italiens, Frankreichs oder gar Deutschlands, mißt. Sauberkeit, Ordnung und der gut gehaltene Zustand der Häuser in Stadt und Land sind ein guter Maßstab der ungebrochenen — oder wiedergekehrten? — Moral des liebenswerten spanischen Volkes, das in so einzigartiger Weise die verfeinerten Lebensformen ritterlicher Kultur mit demokratischem Selbstbewußtsein und unerschütterlicher individualistischer Selbstbehauptung verbindet.
Obwohl wir wissen, wie außerordentlich schwer noch immer das Leben breiter Schichten, vor allem der großstädtischen Industriearbeiterschaft, ist, so ist es dem Beobachter nicht leicht, das Elend in seiner nacktesten Gestalt aufzuspüren. Noch schwerer ist es für ihn, zu entscheiden, ob die Gesamtsumme dieser untermenschlichen Existenzen heute größer oder kleiner als vor dem Bürgerkriege ist. Selbst die informiertesten Spanier scheinen sich darüber nicht einig zu sein.
Die Sicherheit im Lande ist heute vollkommen, ohne daß man das Bewußtsein hat, daß diese Ordnung mit einem Polizeidruck erkauft würde, der sich, so schwer er ist. auch nur entferqjt mit demjenigen eines totalitären Regimes Vergleichen ließe.
WÜRZBURG. Die Strafkammer des Landgerichts Würzburg verurteilte am. Montag den 23- jährigen Angestellten Helmut Schweißer und den 17jährigen Lehrling Heinz Lingstädt wegen Grab- und Friedhofschändung sowie Religionsbeschimpfung zu zwei Jahren Gefängnis bzw. einem Jahr Jugendgefängnis. Die beiden Angeklagten waren in der Nacht zum 7. Mai 1950 in den israelitischen Friedhof in Würzburg eingedrungen und hatten in einer Gruftkapelle die Sarkophage beschmutzt.
MÜNCHEN. Das Kreisschiedsgericht München der Bayernpartei hat den Bundestagsabgeordneten Hermann Aumer aus der Bayernpartei ausgeschlossen. Aumer wurde vorgeworfen, er habe sich bei der Abstimmung über den Sitz der Bundesregierung vorigen Jahres in „Geldgeschäfte“, die damit im Zusammenhang standen, eingelassen.
FRANKFURT. 50 Schwaben, die größtenteils vor über 30 Jahren nach Amerika auswanderten und in Kuba eine neue Heimat gefunden hatten, trafen am Sonntag mit einem Flugzeug der „Scandinavian Airlines“ in Frankfurt ein. Sie hatten sich für den Besuch in der alten Heimat kurzerhand ein Flugzeug gechartert.
KOBLENZ. Am Sonntagabend versuchten in Bingen etwa 900 Personen auf dem Rochusberg eine „Friedenskundgebung“ zu veranstalten, wurden aber von der Polizei zerstreut. Unter den Teilnehmern befanden sich auch drei kommunistische Abgeordnete von Rheinland-Pfalz.
ROM. Nach einer Mitteilung des mit der Bekämpfung des sizilianischen Banditentums beauftragten Carabinierioberst Luca befinden sich von der Bande Salvatore Giulianos nurmehr fünf Mitglieder auf freiem Fuß. Seit September 1949 wurden 423 Angehörige der Bande gefangen oder erschossen, soweit sie sich nicht der Polizei stellten oder Selbstmord begingen.
Da auch der wirtschaftliche Beobachter nicht umhin kann, dem politisch-moralischen Rahmen der spanischen Wirtschaft große Bedeutung beizumessen, so sind hierüber einige weitere Worte am Platze. Die Schwierigkeit besteht darin, weder den streng hierarchischautoritären Charakter des Regimes zu beschönigen noch ihn so zu übertreiben, daß der Unterschied gegenüber einer echt totalitären Herrschaft verwischt wird.
Vielleicht trifft man diesen Charakter in aller Kürze einigermaßen damit, daß man an das frühere Gömbös-Regime in Ungarn oder an das Schuschnigg-Regime, in Oesterreich als nicht allzu entfernte Parallelen denkt. Von einer schweren inneren Spannung, von Angst oder Gedrücktheit ist nichts zu spüren: niemand flüstert oder wirft den so wohlbekannten scheuen Blick.
Wie weit die Grenzen der geistigen Freiheit heute bereits in der Oeffentlichkeit gesteckt sind, habe ich durch meine eigenen freimütigen Vorträge selber erproben können, aber wie eng diese Grenzen anderseits immer noch sind, wird durch das mir gemachte Geständnis beleuchtet, daß heute ein Spanier noch nicht hätte wagen dürfen, sie zu halten.
Es spricht für die politische Klugheit der Spanier, daß sie selber in ihrer Mehrheit die rechte Mitte in ihrem Verhältnis zum Regimegefunden zu haben scheinen. Sie sind voll kühler oder abweisender Reserve nach oben, nehmen das Regime als das kleinere Ugbel hin, sind vielleicht auch nicht blind gegenüber seinen Verdiensten, sie verteidigen es patriotisch gegenüber dem unverständigen Weltboykott, richten sich in diesem politischen Zweckbau ein, so gut es gehen will, mit der nicht unbegründet erscheinenden Hoffnung auf eine ständig wohnlichere Einrichtung und auf eine evolutionäre Fortbildung zu einem normaleren und freieren Staatswesen.
Dabei drängt sich die erfreuliche Beobachtung • auf, daß sich in der Bevölkerung unter Abstoßung der Extreme eine Konzentration auf einen breiten Gürtel der Aussöhnung oder der gegenseitigen Toleranz vollzogen zu haben oder zu vollziehen scheint.
Copyright 1950 by „elite“
WIESBADEN. Auf der 50. Jahrestagung des Verbandes des werbenden Buch- und Zeitschriftenhandels wandten sich rund 400 Buch- und Zeitschriftenhändler aus dem Bundesgebiet, Berlins und der Sowjetzone einstimmig gegen das geplante Bundesgesetz zum Schutz der Jugend vor Schund und Schmutz und schlugen vor, statt dessen Eta'tmittel für Jugendbüchereien freizumachen.
DORTMUND. Im Prozeß gegen den ehemaligen Stabschef der SA und zeitweiligen Polizeipräsidenten von Dortmund, Wilhelm Schepmann, beantragte am Montag der Staatsanwalt des Dortmunder Schwurgerichts wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in mindestens 48 Fällen eine Gesamtstrafe von drei Jahren und drei Monaten Gefängnis.
DÜSSELDORF. Der deutsche Generalkonsul für New York, Dr. Heinz Krekeler, flog am Dienstagvormittag nach London ab, um in der Nacht zum heutigen Tage die Weiterreise nach New York anzutreten.
LILLE. Am Montag beendigte der Fakir Bur- mah sein 53tägiges Fasten. Er ist der Ansicht, daß er den Hungerrekord des Frankfurter Willi Schmitz, genannt „Heros“, um eine Stunde überboten hat. Anschließend gab er bekannt, daß er seine 30jährige Sekretärin heiraten und keine weiteren Fasten veranstalten werde.
ROM. Der Sender des Vatikans meldete am Montagabend, daß in der Nacht zum 10. Juni in Ungarn annähernd 1000 Priester, Mönche und Nonnen verhaftet und in Konzentrationslager gebracht worden seien.
WEST UNION (Virginia). Bei den Ueber- schwemmungen, die am vergangenen Sonntag in Westvirginia auftraten, sind bisher mindestens 21 Personen ums Leben gekommen, während 33 weitere noch vermißt werden.
„Es ist gar nidit so einfach“
Ministerpräsident Maier zum Südweststaat
TÜBINGEN. Der Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Dr. Reinhold Maier, befaßte sich in seiner Ansprache auf der Tagung der nord- und südwürttembergischen Landesfachverbände des Bäckerhandwerks in Tübingen (über diese Tagung berichten wir ausführlich an anderer Stelle dieser Ausgabe, die Red.) u. a. mit der Frage der Ländervereinigung im südwestdeutschen Raum und äußerte zu den Wünschen auf Wiedervereinigung Württembergs: „Es ist, so sehr wir dies wünschen, gar nicht so einfach, daß wir in der alten Form uns wiederfinden. Deshalb müssen wir wohl oder übel den Weg gehen, welcher nach Maßgabe der Verhältnisse gangbar ist. Unter dem Druck dieser Verhältnisse hat sich seit einigen Jahren der Gedanke stark in den Vordergrund geschoben, Württemberg und Baden sind in ihren oberen nördlichen Enden vereinigt, laßt uns überhaupt Zusammengehen, bilden wir einen Staat; welcher ungeteilt beide alten Länder Württemberg und Baden umfaßt. Er wird, falls er zustande kommt, einen Namen erhalten. der ihn in Deutschland und in der Welt empfiehlt, nämlich genau so wie Nordrhein-Westfalen, wie Rheinland-Pfalz, wie Schleswig-Holstein wird er an die Bestandteile erinnern, aus welcher er zusammengesetzt ist. Das neue Land wird den Namen- Württemberg-Baden erhalten.“
Seit altersher seien die Württemberger die „Melkkuh“ ihrer Nachbarländer und anderer deutscher Länder, was mit der großen Steuerkraft von Nordwürttemberg Zusammenhänge: „Wenn wir schon zahlen müssen, so lassen wir doch lieber dieses Geld den stammesgleichen und stammesverwandten Nachbarn zukommen, greifen damit unserem südwürttembergischen Bruder unter die Arme, machen einen internen Finanzausgleich zwischen Württemberg und Baden.“
Als weiteren Punkt führte Dr. Maier auf, die drei jetzt bestehenden Länder hätten in Bonn recht wenig zu sagen, da sich ihre Stimmen vielfach gegenseitig aufhöben. Und schließlich: „Brauchen wir in diesem Gebiet drei Regierungen, zwei Staatspräsidenten, einen Ministerpräsidenten und zusammen 22 Minister?“
Die bestehenden Schwierigkeiten seien zu meistern, wenn man am 24. September, dem Tag der Volksbefragung, den rechten Weg gehe. Komme eine starke Mehrheit für den Südweststaat zustande, dann schiebe man damit „alle Paragraphen und Militärbefehle“ zur Seite, da an- einem klaren Volkswillen niemand vorbeikomme, weder im In- noch im Ausland.
Flugzeugunglücke
Australien—Madagaskar—USA
PERTH. Beim Absturz eines Verkehrsflugzeugs der australischen Luftfahrtgesellschaft wurden am Montag 26 Personen getötet. Der einzige Ueberleben.de war ein 67jähriger Ingenieur, der mit schweren Brandwunden aufgefunden wurde.
Die Frage nach dem Schicksal der seit 14 Tagen über Madagaskar vermißten französischen Militärmaschine Typ Ju 52 wurde am vergangenen Wochenende dadurch, geklärt, daß zwei halbverhungerte Soldaten nach einem beschwerlichen Marsch durch den Dschungel sich retten konnten und berichteten, von den 16 Soldaten, die sich an Bord der Maschine befanden, seien 10 beim Absturz ums Leben gekommen. Die übrigen vier hätten sie schwer verletzt bei dem Flugzeugwrack zurücklassen müssen. Am Montag konnten nun auch diese Ueberlebenden der Katastrophe geborgen werden.
Die Suche nach den Ueberlebenden der am vergangenen Wochenende in den Michigan- See abgestürzten amerikanischen Maschme, die 58 Personen an Bord hatte, verlief bisher erfolglos. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind alle Insassen ums Leben gekommen.
Nachrichten aus aller Welt
4. Fortsetzung
„Danke; ich stehe bereits wieder!“
„Haben Sie sich wehegetan?“
„Nein . . . nur erschrak ich. als ich plötzlich den Boden unter den Füßen verlor; zum Glück ist der Sand weich, die Rutschpartie hat mir nichts geschadet!“
Sie hatte eine warme, volle Stimme; ein fremder Akzent war in ihrem Sprechen.
Kurzes Schweigen entstand; dann sagte der Fremde:
„Haben wir uns nicht schon gesehen?“
„Wir fuhren gestern mit dem gleichen Schiff von Norddeich herüber; auch am Badestrand sah ich Sie heute vormittag!“
Etwas wie leichte Verlegenheit zeigte sich in den Mienen der Fremden, als sei ihr der sehnsuchtsschwere Unterton in Laurens Worten nicht entgangen. Sie sah auf ihre Uhr.
„Schon so spät? ... Da muß ich an den Rückweg denken!“ Sie reichte Lauren die Hand. „Vielen Dank, daß Sie mir helfen wollten!“
Länger als nötig hielt Lauren die schmalen Finger in den seinen.
..Ist es sehr unbescheiden, wenn ich die Bitte ausspreche, Sie begleiten zu dürfen, gnädiges Fräulein? Wer weiß, ob Ihnen unterwegs nicht noch einmal ein Ungemach zustößt — da möchte ich für alle Fälle gleich zür Hand sein!“
Sie schien zu zögern; dann sagte sie lächelnd:
Ich" glaube zwar kaum, daß ich auf dem Heimweg abermals in Versuchung gerate, Kletterkünste zu probieren; da Sie mir aber so bereitwillig zu Hilfe kamen, will ich Ihre Bitte nicht abschlagen!“
Sie gingen am Strand hin, anfangs schweigend wie von Befangenheit ergriffen. Nach und nach kam eine Unterhaltung zustande; von Norderney sprachen sie, vom Fremdenbetrieb der herrschte, vom strahlenden Sommerwetter -belanglose Dinge waren es,
aber für Lauren war dieses Gespräch, war
k -V/ £ ROMAN VON HERMANN WEICK fh
ROMAN VON HERMA
das Zusammensein, mit der Fremden wie ein Geschenk, das ihm unerwartet zugefallen war.
Immer wieder betrachtete er unauffällig Seine Begleiterin.
Schöner noch als gestern auf dem Dampfer und an diesem Vormittag am Badestrand erschien sie ihm jetzt. Wie ein wundersames Bild war für ihn ihr schmales Antlitz mit den großen, sprechenden Augen und dem feingeschwungenen Mund.
Stundenlang hätte er so neben ihr hergehen mögen — da aber sagte die Fremde, sie hatten die ersten Häuser des Ortes erreicht:
„Hier bin ich zu Hause!“
„Schade, daß der Heimweg schon zu Ende ist!“ Und da die Fremde nichts darauf erwiderte: „Vielleicht darf ich ein andermal wieder mit Ihnen spazieren gehen, gnädiges Fräulein?“
Ein prüfender Blick traf ihn.
„Wenn wir uns zufällig wieder begegnen — gerne!“
Das war zwar eine einschränkende Antwort, doch Lauren war damit zufrieden. Ein Anfang war gemacht; alles weitere würde sich finden.
„Ich danke Ihnen für die Begleitung!“ sagte die Fremde zum Abschied und gab ihm die Hand. '
„Es war für mich eine Freude!“ Dann, wie aus dem süßen Bann der letzten halben Stunde
erwachend: „Verzeihen Sie: ich vergaß bisher ganz, mich Ihnen vorzustellen.“
Er nannte seinen Namen.
„Ich heiße Maud Smith“, erwiderte die Fremde.
„Gnädiges Fräulein sind Engländerin?“
„Amerikanerin ... ich bin in New York zu Hause.“
„.Für eine ■ Ausländerin sprechen Sie geläufig deutsch!“
„Meine Mutter war Deutsche; ich habe mich oft in ihrer Sprache mit ihr unterhalten!“
„Ausgeschlossen! Diesen faulen Zauber mache ich nicht mit!“ stieß der Maler Völker hervor und fuhr sich aufgeregt durch den dichten Haarschopf.
„Und wenn ich es will?“
„Auch dann nicht!“
„Hast du mich nicht mehr lieb, Fritz?“ Rasch sah Völker umher. Sie befanden sich an einer entlegenen Stelle des Weststrandes; kein Mensch war in der Nähe.
Blitzschnell riß er Trude in die Arme; er küßte sie stürmisch.
„Weißt du jetzt, wie lieb ich dich habe?“ „Und ob! Du hast mich ja fast zerdrückt! . . . Aber nun sei vernünftig. Fritz! Du weißt, daß ich dir gehöre und eher meinen Eltern davonlaufe, als daß ich mich von- dir trennen ließe! Gerade deshalb darfst du jetzt keine
Dummheiten machen! Wenn ich zum Schein auf Mamas Plan eingehe, geschieht es nur zu unserem Besten!“
„Und ich soll mitansehen, wie dieser Lauren dir die Kur schneidet . . . immer kann er in deiner Gesellschaft sein, dich sehen, mit dir sprechen . . . für mich bleiben dann manchmal nur ein paar Minuten, wenn wir uns heimlich treffen!“
Besänftigend strich Trude Wenckhaus ihm über die geröteten Wangen.
„Sind diese heimlichen Minuten nicht schön? Vielleicht würde Herr Lauren gerne mit dir tauschen!“
„Sage so etwas nicht noch einmal! Willst du mich noch eifersüchtiger machen, als ich es ohnehin schon bin?“
„Ich werde mich hüten! Dein Zustand ist schlimm genug! Schon heute morgen im Bad fiel Herrn Lauren auf. wie du ihn fixiertest; nicht viel hätte gefehlt, daß er dich zur Rede gestellt hätte!“
Völker lachte trotzig auf.
„Ich wäre ihm die richtige Antwort nicht schuldig geblieben!“
„Und alles wäre natürlich verdorben gewesen!“ erwiderte Trude zurechtweisend. „Wenn du keine Vernunft annehmen willst — meinetwegen! Dann mußt du aber gewärtig sein, daß Mama auf dem schnellsten Wege mit mir nach München zurückkehrt, und wie es dort mit unseren Zusammenkünften bestellt ist, weißt du zur Genüge!“
Dieses Argument schien seine Wirkung auf Völker nicht verfehlt zu haben; kleinlaut sagte er:
„Du meinst also wirklich, daß du es fertig bringst, deine alten Herrschaften umzustimmen?“
„Bei Mama bin ich davon überzeugt: und Papa wird, wenn er sieht, daß sein Widerstand auf die Dauer nichts fruchtet, schließlich doch nachgeben!“ (Fortsetzung folgt)