6. Jahrgang

Mittwoch, 10. Mai 1950

Nummer 71

Held oder Verräter?

Oberst Hardy zum zweiten Male freigesprochen

PARIS. Der ehemalige französische Wider-schießungen. Zu denen, die erschossen wur-

standskämpfer Rene Hardy, während des Krieges unter dem NamenOberst Didot be­kannt geworden, wurde am Montag von einem Militärgericht von der Anklage, Angehörige der französischen Widerstandsbewegung an die Gestapo verraten und den deutschen Besat­zungsbehörden einen Plan zur Sabotage des französischen Eisenbahnbetriebs übergeben zu haben, freigesprochen. Hardy stand bereits vor drei Jahren wegen Verrats vor Gericht. Auch damals war das Gericht zu einem Frei­spruch gelangt.

Hierzu schreibt uns unser Pariser Dr. E. G. P.-Korrespondent:

PARIS im Mai

Ein Militärgericht hatte zu entscheiden, ob der einstige Chef der Widerstandsgruppe ..Resistance Fer und Chef derSection Sa­botage seine Kameraden und unter ihnen den Präsidenten desNationalrats der Resistance, Jean Moulin, welchen Posten nach dessen Tod der heutige französische Ministerpräsident Georges Bidault einnahm, der Gestapo in Lyon auslieferte oder nicht. Wir wissen von Hardy, daß er zumObersten der Wider­standsarmee aufrückte, daß er zu den ersten gehörte, die aktiven Widerstand gegen die deutsche Besatzung leisten wollten, daß er ein gefeierter Held der ersten Nachkriegszeit war. Wir wissen, daß er unter dem Jubel des Pu­blikums am 24. Januar 1947 mangels Bewei­ses in seinem ersten Prozeß freigesprochen und wenige Wochen später, gerade als er im Schmucke seiner Uniform und Orden als Eh­rengast bei dem Gouverneur von Rheinland- Pfalz, Bronzen-Favereau geweilt hatte in dem französischen Grenzort Forbach erneut ver­haftet wurde. Wir wissen heute, daß dieser blasse, abgemagerte Mann, dessen Tuberkulose fortschreitet und dessen schmale Lippen hoch­mütige Antworten formen, in einem funda­mentalen Punkt ih seinem ersten Prozeß ge­logen hat und auf Grund dieser Lüge frei­gesprochen wurde. Damit wissen wir aber noch nicht, ob er wirklich als Agent des deutschen Gestapochefs in Lyon, Barbier, tä­tig war, oder nicht.

Die Falle von Caluire

Als am Nachmittag des 21. Juni 1943 die Verschworenen sich aufmachten, um im Hause des Doktor Dugoujou, der nicht weit von Lyon in dem Vorort Caluire wohnte, eine Sitzung desNationalrats der Widerstands­bewegung abzuhalten, ahnten sie nicht, was ihnen bevorstand. Die Sitzung der Verschwo­renen, zu denen auch Hardy als Mitglied des Nationalrats der Resistance gehörte, dauerte nicht lange. Plötzlich erschienen SS-Männer: Hände hoch. Das Gesicht zur Wand. Die Verschworenen hörten ein Laufen, einige Schüsse, als sie sich wieder umdrehen konn­ten und festgenommen waren, fehlte Hardy. Im Anschluß an diesenFang des SD, den der so viel zitierte Gestapochef Lyons, Bar­bier, der heute unter amerikanischer Protek­tion in München lebt, machte, folgten die üb­lichen Verhöre, Torturen, Geständnisse, Er-

Dr. Reinhold Maier protestiert

Unwillen über amerikanische Kritik STUTTGART. Ministerpräsident Dr. Rein­hold Maier hat dem amerikanischen Lan­deskommissar, General Gross, im Auftrag des Ministerrats schriftlich das Befremden über die Kritik an der Prozeßführung gegen die Angeklagten im Entnazifizierungsprozeß Mayer-Keßler, die Gross am 4. Mai vor der Presse in schärfster Form geübt hatte, aus- gedrückt. Dr. Maier erklärte, die Richter die­ses Prozesses sowie auch alle anderen Richter seien über die Erklärungen des Landeskom­missars sehr beunruhigt, weil sie während eines schwebenden Verfahrens abgegeben worden seien und infolgedessen die Freiheit der Rechtsfindung beeinträchtigten.

den, gehörte auch der ehemalige Präfekt von Chartres und oberste Chef der Widerstands­bewegung, Jean Moulin. In der Widerstands­bewegung aber herrschte nach dem Vorfall von Caluire eine begreifliche Nervosität. Wer hatte der Gestapo diese Zusammenkunft ver­raten, wer hatte den General Delestraint, den Beauftragten des Generals de Caulle für Frankreich, der wenige Tage zuvor in Paris verhaftet worden war, verraten? Der Mann, gegen den sich nun der Verdacht richtete, war Rene Hardy.

Die verhängnisvolle Reise

Die verhängnisvolle Reise, derentwegen Rene Hardy vom Dezember 1946 bis zum Januar 1947 und vom März 1947 bis jetzt in Untersuchungshaft im Gefängnis Fresnes und zumeist in Zellengemeinschaft mit seinen ärg­sten Feinden, den Vichysten und Kollabora- tionisten gesessen hat, begann am Abend des 7. Juni 1943, also 2 Wochen vor den Ver­haftungen in Caluire auf dem Hauptbahnhof

von Lyon, wo Hardy den Schlafwagen nach Paris bestieg. Seine Freundin, Lydie Bastien, hatte die Schlafwagenkarte besorgt. In Chä- lons-sur-Saone erschienen Beamte der'Gesta­po in Zivil und Hardy wurde mit vorgehalte­nem Revolver aus dem Schlafwagenabteil her­aus verhaftet. Heute wissen wir, daß dies der Fall war, Hardy hat diese Verhaftung, die er jahrelang ableugnete, nach seinem Frei­spruch am 24. März 1947 gestanden. Während des ersten Prozesses standen Aussagen gegen Aussagen. Hardy bestritt, jemals von den Deut­schen verhaftet gewesen zu sein. Etwa einen Monat nach dem ersten Prozeß Hardy, Ende Februar 1947, findet man nach einigem Suchen das Schlafwagen-Kon trollheft mit dem Ver­merk, daß der Fahrgast von der deutschen Polizei in Chälons aus dem Zug geholt und das Bett für den Rest der Fahrt bis Paris an­derweitig vermietet wurde.

Aber wieso Hardy vorzeitig das Treffen in Caluire verraten konnte, da er noch eine halbe Stunde vor der Zusammenkunft nicht wußte, wo diese stattfindet, sondern wie andere Teil­nehmer erst von einer Straßenbahnhaltestelle abgeholt und bis zu dem streng geheim ge­haltenen Versammlungsort gebracht wurde, das ist eine der offenen Fragen gewesen, in diesem mysteriösen Prozeß, in dem einiges

Abzug aller Besatzungstruppen

7 Bedingungen der Sowjets für Wahl in ganz Berlin / Nur ein Nein umgangen

BERLIN. Der amtierende Vertreter der so­wjetischen Kontrollkommission in Berlin, Oberst Jelisarow, forderte am Montag in seinem Antwortschreiben auf die von den Kommandanten der drei Westmächte ihm zu­geleitete Stellungnahme zu einem Vorschlag des Westberliner Magistrats, freie Wahlen in ganz Berlin abzuhalten, denAbzug aller Be­satzungstruppen aus Berlin als Vorausset­zung für die Durchführung der Wahlen.

Jelisarow nannte sieben Bedingungen: Vier­mächtekontrolle, Bildung einer deutschen Kom­mission auf paritätischer Grundlage, Anwen­dung der Wahlordnung vom Oktober 1946 bei Ueberprüfung des wahlberechtigten Personen­kreises, Zulassung von Kandidaten aller von der alliierten Kommandantur genehmigten politischen Parteien und öffentlichen Organi­sationen, Annullierung des Besatzungsstatuts für Berlin und Verpflichtung der gewählten Stadtverwaltung auf die Verfassung von Großberlin im Jahr 1946, sowie Aufhebung der Teilung Berlins in Sektoren und Heraus­

ziehung der Truppen aller Besatzungsmächte aus Berlin, um einen ruhigen Ablauf der Wah­len zu gewährleisten.

Der amerikanische Hohe Kommissar M c - C1 o y bezeichnete den sowjetischen Vorschlag am Dienstag als einen kleinenScherz. Die endgültige Stellungnahme müsse jedoch einer Nachprüfung Vorbehalten bleiben. Der ameri­kanische Kommandant in Berlin, Taylor, äußerte, auf den ersten Blick könne den so­wjetischen Vorschlägen kein ermutigendes An­zeichen entnommen werden. Der britische Kommandant, B o u r n e , sprach von einer Umgehung des Nein. Enttäuschend sei, daß die Sowjets nicht nur fünf von Wyschinski im letzten Jahr in Paris bereits gestellten Be­dingungen wiederholt, sondern noch zwei neue hinzugefügt hätten. Ein hoher britischer Beamter erklärte inoffiziell, die Zurückzie­hung der westlichen Besatzungstruppen aus Berlin komme praktisch einer Aufforderung an die Kommunisten, in die Westsektoren einzu­ziehen und die Gewalt an sich zu ziehen, gleich.

Nachrichten aus aller Welt

WORMS. Ein vor kurzem aus der Sowjetunion zurückgekehrter ehemaliger deutscher Offizier berichtete Anfang dieser Woche, der frühere deutsche General v. Seydlitz sei im vergangenen November zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Gegen den ehemaligen Generalfeldmar­schall Paulus werde zurzeit ein ähnliches Ver­fahren vorbereitet.

BONN. Nach einer Uebersicht des Bundesar- beitsministeriums waren Ende Februar zwei Drittel aller Arbeitslosen jünger als 45 Jahre. Bei den Frauen betrug der Anteil der 18- bis 45jährigen an der Gesamtzahl der weiblichen Arbeitslosen sogar 78,1.

MARBURG. Die Staatsanwaltschaft in Marburg hat gegen einen Marburger und einen Göttinger Studenten, die in Göttingen einen Säbelzwei­kampf austrugen, Strafantrag gestellt. Außerdem soll ein Gerichtsverfahren gegen zwei Verbin­dungen eingeleitet werden, die 200 Mensurklin­gen und Säbel, die unerlaubt in Kisten in der Nähe von Marburg aufbewahrt worden waren,, wieder an sich genommen hatten.

KIEL. Die Minenräumungsaktion in der Ost- und Nordsee wird nach Schätzung deutscher Be­hörden noch bis zum Jahre 1957 dauern. Selbst dann müsse aber noch mit treibenden Minen ge­rechnet werden. Bis 1957 seien die noch nicht ge­räumten Minen durch Rost und Versagen der Zündbatterientot.

BERN. Bei den Ratswahlen im Kanton Bern verlor am Sonntag die kommunistischePartei der Arbeit ihre bisherigen drei Sitze und ver­

schwindet damit aus dem Kantonal-Großrat. Die Sozialisten konnten ihre 68 Sitze halten, die Li­beralen 6 gewinnen, so daß sie nunmehr. 32 Man­date haben.

GENF. Der Generalsekretär der UN, Trygve Lie, der zurzeit an der dritten Konferenz der Weltgesundheitsorganisation teilnimmt, wird sich am Donnerstag mit einem von der sowjetischen Regierung gestellten Sonderflugzeug von Prag, aus nach Moskau begeben.

BUDAPEST. Das ungarische Parlament bil­ligte am Montag die Ernennung des bisherigen Außenhandelsministers Sandor Ronai zum Prä­sidenten des Präsidentschaftsrates und wählte ihn durch Zuruf zum Oberhaupt der ungarischen Volksrepublik. Ronai gehörte früher der sozial­demokratischen Partei an.

HELSINKI. Die finnischen Gewerkschaften haben, nachdem sie mit den Arbeitgeberverbän­den zu einer Einigung über ihre Lohnforderun­gen gekommen sind, den für Montag angekün­digten Generalstreik abgeblasen. Audi der Ei­senbahnerstreik ist beendet worden.

ISTANBUL. Am Montag wurden im nördlichen Anatolien 25 Personen getötet und 24 schwer ver­letzt, als eine Brücke unter einem Autobus zu­sammenbrach.

RIMOUSKI (Kanada). Am Sonntag wurde die 15 000 Einwohner zählende kanadische Industrie- und Hafenstadt Rimouski am Südufer des St.- Lorenz-Stromes durch ein Großfeuer zu etwa einem Drittel eingeäschert. Der Sachschaden wird auf 20 Millionen Dollar geschätzt. Neun Persqnen fanden den Tod.

Befreiungstag

Heftige Angriffe gegen die Westalliierten

BERLIN. In der Ostberliner Staatsoper fand am Montag ein Festakt der Sowjetzonenre­gierung anläßlich de sBefreiungstages des fünften Jahrestages der deutschen Kapitula­tion 1 statt, an dem Grotewohl, Ulbricht, Nytschke und Prof. Kästner, sowie der sowjetische Bot­schafter Puschkin teilnahmen. Vor dem Ehren­mal der Roten Armee defilierten mehrere Stunden lang Betriebsdelegationen vorbei und legten Kränze nieder. Bei. dieser Gelegenheit behauptete das Mitglied des Zentralsekreta­riats der SED, Dahlem, die westlichen Ok­kupationsmächte bereiteten einen neuen Krieg vor. Es gebe aber keinen Zweifel darüber, daß die westlichen Aggressoren in einem künf­tigen Krieg noch vernichtender geschlagen würden wie bei Stalingrad und Berlin.

Bei a^len Feiern in der Ostzone dankten die Redner der Sowjetunion für diegroße Tat der Befreiung vom Hitlerjoch und for­derten den Abzug der westlichenInterven­tionsarmeen.

vomKrieg im Dunkeln ans Licht gezogen wurde. Recht merkwürdig ist es auch, daß Lydie Bastien, die Geliebte Hardys, die in die­sem Abenteuerroman eine ganz besondere Rolle spielt, plötzlich wegenmangels an Exi­stenzmitteln von der Schweizer Fremdenpo­lizei just in dem Moment aus der Schweiz ausgewiesen wurde, als man die Bettkarte fand und Hardy zum zweitenmal verhaftet wurde.

Das Belastungsmaterial, das im zweiten Prozeß vorlag, stammt in erster Linie von dem Gestapochef Barbier, der in München vernommen wurde und mit keiner Gewalt nach Frankreich zu bringen ist.Deshalb, weil dieser Mann sein schmutziges Geschäft der Spitzelei heute gegen seine eigenen Landsleute betreibt, wie sich der Gerichtspräsident aus­drückt.

Die Risse in der Resistance

Das politisch Bemerkenswerte am Fall' Hardy ist, daß er sehr dazu beigetragen hat, die Risse in der Resistance zu vertiefen. Das Band, das Kommunisten, Rechtsradikale, auf­richtige Demokraten und zweifelhafte Aben­teurer im Abwehrkampf gegen die deutsche Besatzung und den Nazismus umschlungen hielt, ist längst zerrissen.

Ob Hardy ein Verräter war, ob er Pech hatte, oder ob es Kräfte gibt, die ihn vernich­ten wollen, ist durch die Prozedur dieses Pro­zesses nicht einwandfrei geklärt. Dafür aber, daß es im Krieg im Dunkelnobskur her­geht, ist er ein neuer Beweis.

Krach bei der Bayernpartei

Baumgartner scheint sich durchzusetzen

NÜRNBERG. Auf der außerordentlichen Landesausschußsitzung der Bayempartei spra­chen am Sonntag die Delegierten dem Lan­desvorsitzenden Dr. Baumgartner und Generalsekretär Dr. Falkner einstimmig das Vertrauen aus. Als nach neunstündiger Sitzung dem stellvertretenden Landesvorsit­zenden Donhauser das Mißtrauen ausge­sprochen werden sollte, verließen die Dele­gierten der Kreisverbände Bayern und Un­terfranken die Tagung.

Donhausen und Bundestagsabgeordneter v. A r e t i n erklärten, Baumgartner habe die Zusammensetzung des Landesausschusses durch satzungswidrige Manipulationen be­einflußt. Es gehe jetzt darum, ob die Bayem­parteieine Führerpartei oder eine demokra­tische Partei sein solle. Zuvor hatte der Aus­schuß die Abberufung des bisherigen Landes­schatzmeisters Konsul Dr. Schmidhuber gebilligt.

Berichtigung: Im Leitartikel der Montag-Aus­gabe muß es im ersten Absatz natürlich heißen: 9. Mai als Tag nach der Kapitulation und nicht 9. November, wie es versehentlich hieß.

VIVECA sucht das Glück

VON CHARLOTTE KAUFMANN

191 Copyright by Carl Dunclcer, Berlin W3J

Es war schlechtes Wetter, man konnte nicht nach Ekedal fahren, ohne dort trüb­sinnig zu werden. Schließlich war er mit­gegangen, weil Emely sich viel Spaß von der Komödie versprach. Und da sah er Viveca. Er wußte nicht, ob sie gut spielte oder nicht. Er wußte nur, daß sie einen ungeheuren Ein­druck auf ihn machte, als sie die Bühne betrat in langen Hosen und kurzen Haaren. Wie ein Strom war das, wie ein magnetischer Strom, der von ihr zu ihm ging. Wenn sie nur die Hände hob oder lachte. Er begehrte sie, daß er glaubte, ohne sie nicht auskommen zu können. Der junge Elgström wußte ihm die Bekanntschaft mit Kongsbak zu vermitteln, und über Kongsbak wurde er Viveca vorge­stellt. Er nahm sie schon nach vierzehn Tagen aus dem Ensemble von Kongsbak, denn es war ihm unerträglich, daß sie für andere spielte, von anderen auf der Bühne begafft werden konnte. Nach weiteren vier Wochen heiratete er sie. Sie hatte merkwürdig rasch eingewilligt, obwohl er doch so viel älter war als sie. Und er hatte immer geglaubt, sie liebe ihn, die Heftigkeit seiner Empfindungen habe auch sie mitgerissen.

Konnte er sich geirrt haben? Er hatte ge­wünscht, und weil er wünschte, hatte er auch geglaubt. Es war so schön, zu glauben, man würde geliebt.

Björklund erhob sich unvermittelt von der Bank. Was dachte er nur alles. Sie liebte ihn ja doch. Warum sollte sie ihn nicht lieben? Weil sie zweimal mit Liljegren gesehen wur­de.... das war ja Narrheit.

Unvermittelt entschloß er sich, den Besuch

bei dem alten Elgström zu erledigen, wie es vorgesehen war, und er suchte nach einer Taxe, die ihn hinbringen konnte.

Auf der weiten Fahrt, unter dem grauen, verhangenen Himmel, der zunehmend dunkler wurde, durch den Wald, der bei dem Wetter schwer und traurig wirkte, bemühte er sich, nicht an Viveca zu denken, sondern an Ulf oder seine Patienten. Unversehens war er bei Liljegren, der keine Nerven hatte. Gar keine Nerven, hatte Professor Ullman gesagt . . . Wenn der Professor wüßte, was Liljegren in einer Nacht am Strand von Ekedal über seine Frau Ziska erzählt hatte.

Plötzlich wurde Dr. Björklund ganz heiter. Sicher hatte Liljegren wegen seiner Frau mit Viveca gesprochen. Das war es. Ungeheuer einfach. Wie war er nur nicht gleich darauf gekommen? Viveca hatte nur vergessen, ge­stern nacht noch etwas davon zu erzählen. Und heute ... heute hatte er sie ja noch nicht gesehen.

Er vergegenwärtigte sich einen Augen­blick Professor Ullman und seine Erzählung und sah sekundenlang den grauen Wagen mit Viveca am Steuer, wie er auf der Landstraße hielt und Liljegren heraussprang. Liljegren sprang heraus. Wenn er mit Viveca über seine Frau gesprochen hätte, würde sie ihn nicht auf der Landstraße ausgesetzt haben...

Irgend etwas stimmt nicht, dachte Björk­lund. Nein, etwas stimmt nicht. Woher kennt Liljegren Viveca überhaupt? Vielleicht von früher?

Viveca hatte nie viel davon gesprochen, was sie in früheren Jahren tat. Ihr Vater, das wußte er auch aus ihren Papieren, war Pastor gewesen in einer Gemeinde im Norden des Landes, hart an der Grenze. Kirkby hieß das Kirchspiel. Sie war dort zur Schule ge­gangen, hatte dem Vater eine Weile den Haushalt geführt. Vor drei Jahren war er gestorben. Da hatte, sie . ihren Wunsch ver­wirklicht, Schauspielunterricht zu nehmen,

um einmal ihren Unterhalt zu verdienen. Zu Hause war nicht viel Geld gewesen. Sie hatte das Glück gehabt, bei Kongsbak anzu­kommen.

Björklund erinnerte sich, daß bei ihrer Hochzeit eine einfache alte Frau erschienen war, die eine Tante von Viveca zu sein vor­gab. Es war die einzige Verwandte von ih­rer Seite, aber er hatte sich nicht viel um die alte Frau gekümmert, die still gewesen war und keinerlei Aufhebens von sich machte. Es waren so viele Gäste dagewesen, eine Menge Leute, von denen Emely behauptet hatte, sie müßten unbedingt eingeladen werden.

Von früher her... Björklund war einen Augenblick erregt bei dem Gedanken, daß in früheren Jahren ja auch schon in Vivecas Le­ben irgend etwas gewesen war. Gewiß, sie war jung, sehr jung. Aber immerhin... sie konnte vor ihm... sie konnte früher auch geliebt haben. Ihre erste Liebe beispielsweise, die der Mensch hat, wenn er noch lange nicht Zwanzig ist. Mit Sechzehn, mit Siebzehn... Wer war der Gegenstand ihrer ersten Liebe gewesen?

Und wiederum war er bei Viveca, dachte er an Viveca, bis das gemietete Auto vor dem Eingang zu Elgströms Haus hielt.

Der alte Elgström war bei seinen Hunden, als Björklund ihn suchte, um seine Gratu­lation anzubringen, während die Gäste, von dem jungen Elgström und seiner Frau unter­halten, im Musikzimmer saßen und lachten. Dr. Björklund brachte ganz beiläufig das Ge­spräch auf Liljegren, aber der alte Elgström kannte den Kunstflieger nicht, hatte nur von seinen Künsten gehört.

Will auch mit solchen Leuten gar nichts zu tun haben, sagte der Alte.Die bringen der Jugend bloß die Begeisterung für das Fliegen bei, und darüber vergißt sie die Schiffe und die Wikinger. Ich habe mein Geld mit Schiffen verdient, und wenn es keine

Schiffe mehr gibt, dann ... ach was, es wird immer Schiffe geben. Schau dir meine Hunde an, Björklund. Die wollen auch nichts von Flugzeugen wissen und von all dem hastigen Fortschritt. Sie leben heute noch so wie vor tausend Jahren. Sind damit beschäftigt, satt zu werden und sich fortzupflanzen. Das ist alles. Sie haben kein Verlangen nach Reich­tum und nach Macht. Das ist beruhigend. Wie geht es deiner Frau? Ist sie gut heimgekom­men, gestern? Sie hatte den Chauffeur nicht da und fuhr so allein mit dem großen Wa­gen aus dem Tor und in den .Wald..."

Sie ist gut heimgekommen, antwortete Björklund.

Dann ist es gut. Ich war ein wenig in Sorge. Seitdem sie das Trolnaes-Haus an den Weg gebaut haben, das Gasthaus von Trol- naes ... seitdem ist der Wald nicht mehr ge­heuer. Komm, wir wollen einen Whisky trinken.

Björklund wollte sich nicht lange aufhalten. Aber dann blieb er doch und ließ sich Neu­erwerbungen, chinesische Fayencen und alte Handschriften zeigen; denn der alte Elgström war ein Sammler.Die da im Musikzimmer verstehen ja nichts davon, sagte er.Aber du bist anders. Schau dir diese Vase an. Schön, nicht wahr?

Björklund nickte.Sehr schön.

Als er das Haus verließ und den Chauffeur des Mietwagens anwies, rasch zu fahren, war es bereits dunkel.

Dr. Björklund, zurückgelehnt auf dem nicht sehr bequemen Sitz des fremden Wagens, fühlte sich plötzlich müde.

Er mußte ein wenig eingeschlafen sein, denn er schreckte auf, als der Wagen an­hielt.

WAS gibts? fragte er. Sie hielten, noch mitten im Wald, vor einem Haus mit einer roten Lampe über der Tür.

(Fortsetzung folgt)