6. Jahrgang

Montag, 8. Mal 1950

Nummer 70

Doch kein Wasserstoffbombenkrieg?

Amerikanische Zweifel, ob sich die Kosten lohnen

Seit der amerikanische Senator Johnson am 28. Oktober vorigen Jahres über einen Fern­sehsender über eine neue Atombombe sprach, dietausendfach wirksamer sei als die Bombe von Hiroshima, ist über die Wasserstoff­bombe so unendlich viel geschrieben und ge­sagt worden, daß aus den widerspruchsvollen Angaben nicht viel mehr als der verworren­dumpfe Eindruck zurückgeblieben ist, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion seien bereits in den H-Bombenproduktions- wettlauf eingetreten und nur ein himmlisches Wunder könne die Anwendung dieser allzer­störenden Waffe verhindern. Wie, wenn die­ser Eindruck falsch wäre, wenn die H-Bombe zwar theoretisch durchkonstruiert, ihre tat­sächliche Herstellung aber zu schwierig und auch /vom militärischen- Standpunkt aus un­ratsam wäre?

Die Wasserstoffbombe, soviel ist heute all­gemein bekannt, unterscheidet sich von der Plutonium-Bombe dadurch, daß sie nicht auf der Kernspaltung schwerer Elemente, sondern auf der Fusion leichter Elemente beruht. Während dem Umfang der Plutonium-Bombe durch diekritische Menge des spaltbaren Materials, bei deren Erreichung Selbstexplo­sion eintritt, eine Grenze gesetzt ist, besteht eine solche Begrenzung für die H-Bombe nicht; man kann also berechnen, daß sie bis zur Sprengwirkung von 20 Mill. Tonnen Tri- nitrotoluol gesteigert werden kann und im Umkreis von 20 km vom Explosionszentrum eine totale Vernichtung herbeiführen würde. Es ist weiter bekannt, daß nicht reiner Was­serstoff, sondern die Wasserstoffisotope Deu­terium oder Tritium (die sich nicht chemisch, sondern physikalisch durch eine größere An­zahl von Neutronen des Atoms unterscheiden), den Grundstoff der H-Bombe bilden, um, wie auf der Oberfläche der Sonne, zu einem He­lium-Atom vereinigt zu werden, und daß da­zu sonnenmäßige Hitzegrade von 10 bis 20 Mill. Grad erforderlich sind. Derartige Hitze­grade entstehen bei der Explosion einer Plu­tonium-Bombe, die also gleichsam denZün­der bilden würde.

Die Sprengwirkung eines Granat- oder Bombenzünders wird durch einen Stahlman­tel so langezusammengehalten, wie nötig ist, um den Sprengstoff selbst zur Explosion zu bringen. Nun vollzieht sich die Explosion einer Plutonium-Bombe aber in der unvor­stellbar kurzen Zeit von 'Jim nt Sekunde; ob es möglich ist, zu verhindern, daß die Explo­sionswirkung verpufft, bevor die Atomfu­sionsreaktion einsetzt, das ist das große Problem der H-Bombe!

Es kommt hinzu, daß Deuterium, wie es im schweren Wasser vorkommt, eine um 25mal langsamere Reaktionszeit hat als Tritium, das jedoch in der Natur nicht vorkommt, sondern künstlich durch Anreicherung von Neutronen an H2 (Deuterium) geschaffen werden muß, ähnlich wie Plutonium im Uranbrenner künst­lich aus Uran 235 hergestellt wird. Die Her­stellung von Tritium ist und zwar mit

Der Bottnische Meerbusen, der meist so harmlos scheint, kann eines der tückischsten Gewässer sein. Es gibt wenig, was einen Schären-Fischer, der hier seinem gefahrvollen Gewerbe nachgeht, bange machen kann; aber wenn die Rede von einemgrundbrott ist, dann merkt man, daß er allein in der Erin­nerung lebt. Bei einemgrundbrott öffnet sich sozusagen das aufgewühlte Meer bis zum Fischerboote und der Meeresgrund in 810 Meter Tiefe wird für den Bruchteil einer Se­kunde sichtbar, während eine heranbrausende Riesenwoge das Boot in den Abgrund zu schlingen und in Atome zu zerschmettern droht. Gottseidank ist dergrundbrott eine seltene Erscheinung, aber wer von den Schä­renfischern einmal dem Tod auf diese Art und Weise ins Auge geschaut hat und es sind

Hilfe des Metalls Lithium natürlich mög­lich; seine Halbzeit beträgt aber nur 12 Jahre, gegenüber der Halbzeit des Plutoniums von 25 000 Jahren, in der jeweils die Hälfte des Materials zerfällt. H-Bomben eignen sich also nicht zurVorratsbildung.

Berücksichtigt man weiter, daß auch für die H-Bombe auf den begrenzten Vorrat von Uranium zurückgegriffen werden muß. so hat man einige der Elemente beisammen, die im Verein mit rein militärisch-strategi­schen Erwägungen in Amerika lebhafte Zwei­fel hervorgerufen haben, ob es sich überhaupt lohnt, die ungeheuren Kosten für den Ver­such einer H-Bombenkonstruktion aufzuwen­den. Es scheint auch nicht bei bloßen Zwei­feln geblieben zu sein: nach verläßlichen An­gaben ist anzunehmen, daß mindestens ge­genwärtig nicht mehr als Routine-Laborato­riumsarbeiten zur Entwicklung der H-Bombe im Gange sind. Weder sind im Staatshaus­halt Mittel bereitgestellt, deren Größenord­nung auf eine Konstruktion der H-Bombe schließen ließe, noch ist bei der Tätigkeit der führenden Atomphysiker zu beobachten, daß sie ihre ganze Kraft einem neuen großen Projekt widmeten. Einer von ihnen, Nobel­preisträger Dr. R. Millikan von der Techni­schen Hochschule Kalifornien, der bei der Herstellung der Plutoniumbombe mitgewirkt

Minden i. W. In vier Wochen vielleicht schon, wenn die launischen Frühjahrsstürme vorüber sind, wird in den Weserdörfern un­terhalb der Porta Westfalica das große Rü­sten und Abschiednehmen beginnen. Seit Ge­nerationen hat sich hierin nicht viel geän­dert: Wenn sich der Wonnemonat Mai der Neige nähert, tönen in den Dörfern nördlich vom westfälischen Minden die gelben Mes­singhörner der Blaskapellen zum großen Kehraus der deutschen Heringsfänger. Dann kommt täglich wieder der große Reederei- Omnibus aus Bremen-Vegesack, der die Män­ner zu den Loggern und zwischen den Fang­reisen für kurze Stunden zu ihren einsamen Frauen bringt.

Es mag merkwürdig erscheinen, daß Kapi­täne und Besatzungen der in den Mündungs­häfen von Weser und Ems beheimateten He­ringsfängerboote nicht etwa an der unteren Weser oder in den großen Küstenstädten, sondern fast ausnahmslos in denHerings- fängerdörfern des Kreises Minden beheima­tet sind. Aber die Chronik des Amtes Lahde erhellt diese Merkwürdigkeit zu einer durch­aus plausiblen Angelegenheit. Nicht etwa der lockende Ruf des zum Meere treibenden Stromes, sondern die bittere Not ist es ge­wesen, die aus Häuslern und Köttern sturm­erprobte Fahrensleute machte. Wie so viele im Minden-Ravensberger Land, für die es

nicht viele wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen ist, wird von- einer solchen Panik gepackt, daß er seinen Fischer­beruf aufgeben will.

Amandus Nordgren aus Skaten hatte dieses Schreckensabenteuer in den 90er Jahren er­lebt, als er mit seinem 10jährigen Neffen im Boot von Horsten auf die Möja-Schären zu­segelte.

Ich kann Ihnen sagen, als ich direkt in den Meeresgrund hineinstierte, da war ich vor Schreck meiner nicht mehr mächtig ich hab mir in die Buchsen gemacht...

Na. und Ihrem 10jährigen Neffen ging es wohl ebenso...?

Verständnislos sieht Amandus uns an:Der? Nee... Der verstand das noch nicht der war ja viel zu klein dazu!!! LK

hat, erklärte vielmehr vor kurzem, erbe­zweifle, daß die Herstellung einer richtigen H-Bombe im Bereich menschlicher Möglich­keiten liege, und Dr. Millikan war noch vor nicht langer Zeit Mitglied der amerikanischen Atomenergiekommission. Admiral Ch. Nie- mitz, der während des Krieges die pazifische Flotte kommandierte, hat sich im gleichen Sinne geäußert.

Wenn die ersten Meldungen über die H- Bombe in Amerika die gefährliche Illusion aufkommen ließen, daß damit nach der er­sten sowjetischen Atomexplosion der Vor­sprung der USA wiederhergestellt sei, so sol­len freilich auch die jetzigen einschränkenden Berichte nicht in dem Sinne mißverstanden werden, daßder Wasserstoffbombenkrieg auf keinen Fall stattfinden werde. Aus ver­ständlichen Gründen verfügt die Oeffentlieh- keit gerade auf diesem Gebiet nur über Teil­informationen (was in Amerika zu heftigen Angriffen auf denHeimlichkeitsfimmel der Regierung geführt hat), und über die sowjeti­schen Arbeiten auf diesem Gebiet wissen wir überhaupt nichts. Aber angesichts der vielen apokalyptischen Schilderungen der H-Bom- benwirkung auf der einen, der falschen Si- cherheitsgefühle auf. der anderen Seite er­scheint es notwendig, sich etwas mehr als bisher mit der wissenschaftlichen, technischen und finanziellen Problematik der H-Bombe vertraut zu machen: Noch hat kein Staat der Erde eine solche Bombe konstruiert, und ob dies je gelingen wird, ist mindestens zweifel­haft. E. H.

keinen Platz mehr auf den Höfen oder hin­ter den Webstühlen gab, verließen die Män­ner Jahr für Jahr die kinderreichen Stuben, um als Wanderarbeiter auf holländischen Bauernhöfen ihr Brot zu verdienen.

Es mag so gewesen sein, daß es der schiere Zufa*i war, der einen dieser Wanderarbeiter mit holländischen Heringsfängern in Berüh­rung brachte. Gewiß hat ihm das lustige Ge­klimper der Silbermünzen in den Taschen der gebauschten Hosen weidlich imponiert, viel­leicht auch der würzige Ueberseeknaster in den langen Tonpfeifen der holländischen Schiffer und der scharfe Schnaps, der so def­tig in der Kehle brannte. Kurz entschlossen nahm er Heuer und berichtete mit dem Ende der Fangzeit in sein Heimatdorf zurück­gekehrt an den langen Vorweihnachtsaben­den derart begeistert von der Jagd nach dem silbernen Segen des Meeres, daß die Holland­gänger im nächsten Frühjahr nicht mehr auf die Höfe, sondern von da ab in hellen Scharen in die Häfen zogen. Sie wurden Heringsfänger.

Als später an den Mündungen von Weser, Elbe und Ems deutsche Heringsfängergesell­schaften mit eigenen Reedereien und Loggern gegründet wurden, da richteten die Mindener Heringsfänger fortan ihren Frühjahrskurs steil nach Norden und wurden Kapitäne, Steuerleute und Matrosen auf den deutschen Heringsbooten. Die alte Tradition aber haben sie über Generationen hinweg gewahrt, und so sind auch heute noch die Männer aus den Heringsdörfern zwischen Lahde. Windheim und Ilvese auf den Loggern so gut wie un­ter sich.

Das Bestreben der westfälischen Herings­fänger, sich möglichst über alle Zeiten hin­weg auch in den Kapitäns- und Steuermanns­kajüten ihre Vormachtstellung zu erhalten, ist verständlich. Wenn es schon als eine Selt­samkeit erscheint, mitten im Binnenlande Be­rufsschulklassen für Heringsfänger anzutref­fen, so ist jedoch Kapitän Simonsmeiers binnen­ländische Seefahrtschule in Windheim gewiß eine Sehenswürdigkeit für sich. Fünfzig Mo­nate auf See, davon fünfzehn Monate als Hochseefischer, müssen die Heringsfänger hinter sich haben, ehe sie auf den Schulbän­ken bei Kapitän Simonsmeier das Kapitäns­und Seemannspatent erpauken können. Jahr für Jahr tritt von hier aus der jüngste Nach -

General mit gebrochenem Bein

Tachikawa, Flugplatz (Japan). Kürzlich er­hielt die amerikanische Dienststelle hier mit­ten in der Nacht die Nachricht von irgend­einem Zwischenfall in einem Lagerhaus des Stützpunktes und sandte einen der Patrouille- Jeeps aus, um die Sache zu untersuchen. Die Angelegenheit war anscheinend unbedeutend, aber der Sergeant am Funkgerät bekam doch einen ziemlichen Schrecken, als er folgende Nachricht von dem Jeep erhielt:

General mit gebrochenem Bein berichtet alles in Ordnung Ende.

Der beunruhigte Sergeant, der verständ­licherweise fürchtete, daß er es mit einem jäh­zornigenhohen Tier mit gebrochenem Bein oder Schlimmerem zu tun hatte, funkte, tat­sächlichBitte wiederholen und erhielt noch­mals den alarmierenden FunkspruchGeneral mit gebrochenem Bein berichtet alles in Ord­nung Ende.

Der Sergeant war nun der Meinung, er habe sich vielleicht falsch eingeschaltet und fragte mit steigender Besorgnis:

Bitte um Ihren Namen, Herr General. Und wenn Sie ein Bein gebrochen haben, sagen Sie mir bitte, wo Sie sind, und wir werden sofort einen Krankenwagen schicken.

Die Unruhe des Sergeanten kam mit der Aufklärung zu einem plötzlichen Ende:

Dies ist Sergeant Harold General, beglei­tet von Corporal, Gebrochenes Bein. Wir be­richten, daß im Lagerhaus alles in Ordnung ist und kommen zurück.

Es stellte sich dann heraus, daß Corporal Gebrochenes Bein ein Sioux-Indianer und di­rekter Nachkomme des berühmten Sitting Bull (Sitzender Bulle) ist. (ONA)

Eiikas schwache Seite

Karlsruhe. Als ein entwurzeltes Pflänzchen er­scheint die 22jährige Erika F. aus Waldshut auf dem Sünderbänkchen. Ihr reichliches Vorstrafen­register hängt damit zusammen, daß meist etwas verschwindet, wo sie auftaucht. Schwindel und Diebstahl sind ihre schwachen Seiten, während sie um Arbeitsgelegenheiten Kurven schlägt. Zu Hause batte sie wenig Freude. Mit der Stiefmut­ter gabs häufig Streit. Dem Elternhaus kehrte sie den Rücken. Sie zog über die Landstraßen in wechselnder, nicht immer förderlicher Gesell­schaft.

Wegen diesen blöden Schuhen habe ich mich verleiten lassen..., bekennt sie unter Tränen. In Friedrichshafen hatte sie ein Verhältnis mit einem Polen, der sie auch heiraten wollte, ob­wohl er nicht der einzige war, dem sie ihre Gunst schenkte. Am 4. März klaute sie aus sei­nem Schrank 200 DM und verschwand unter Mit­nahme von Damenkleidern, Schmucksachen und einer Einkaufstasche aus der Wohnung des Po­len. Am 7. März wurde Erika von der Polizei in Karlsruhe angehalten, weil sie keine Papiere hatte. Wegen Rückfalldiebstahls und Unterschla­gung wird sie für die nächsten 8 Monate nicht auf die Landstraße angewiesen sein.

Wildschweine im Kurviertel

Wiesbaden. Im Wiesbadener Kurviertel tauchte ein Rudel Wildschweine auf und versetzte Spa­ziergänger und Autofahrer in panischen Schrek- ken. Ein Verkehrsomnibus mußte bremsen, um keines der Tiere zu überfahren, und einige ängst­liche Passanten ergriffen die Flucht in nähege­legene Häuser. Als die Schwarzkittel bemerkten, welches Aufsehen sie erregten, ergriffen sie ihrer­seits im Schweinsgalopp die Flucht und ver­schwanden im Gelände. Nur eines der Tiere hatte sich in den Vorgarten eines Hauses verirrt, wo es von zwei fünfzehnjährigen Jungen gestellt und mit Prügeln bearbeitet wurde. Die Jungen, einer davon ein Metzgerlehrling, trieben das Tier in einen Bach und machten ihm dort den Garaus.

wuchs der deutschen Heringsfängerflotte die stolze Reise zu den Kommandobrücken an. In diesen Jahren werden es besonders viele sein, die aus ihren frischen Patenten den Nutzen ziehen können, denn zahlreiche neue Motorlogger werden auf den Bremer Werf­ten zur Jagd nach dem Hering gerüstet.

Heinz Meyer-Wrekk

Kehraus der deutschen Heringsfänger

Landratten besitzen Monopol / Seefahrtsschule im Binnenland

Er war noch zu klein dazu

Haarschneiden

Von Jo Hanns Rösler

Es gibt drei Dinge, die ich verabscheue, sagte Hiob,Zahnziehen, fotografiert werden, und Haarschneiden. Meine Freunde sagen mir öfter: Laß dir die Haare schneiden, Hiob! Schon wieder?

Du siehst unmöglich aus!

Aber ich war doch erst vor vier Wochen.. Keine Ausrede! So gehen wir nicht mehr mit dir über die Straße!

Hiob trat zum Spiegel. In der Tat, er sah einem Apostel nicht unähnlich.Freunde! rief er verzweifelt,wenn ihr wüßtet, was mir wieder bevorsteht! Wie man mich beim Haar­schneiden martert! Ich habe kaum Platz ge­nommen, da beginnt es: die Schere klappert und das Mundwerk schnattert. Unaufhörlich läßt der Mann den Fluß seiner Rede strömen. Er redet über die schlechte Arbeit seines Vor­gängers, jammert über die Stufen und Ecken, die mir der andere geschnitten hat. Dann lobt er mein Haar und beklagt es in einem Atem­zuge, spricht von dürrem Haar und dichtem Haar, von dickem Haar und dünnem Haar, er redet von den Mitteln dafür und von den Mit­teln dagegen, vom Vorteil der Massage und vom Nachteil der Bürste, und daß für mich überhaupt nur ein individueller Haarschnitt in Frage käme und daß er dem Wiener Haar­schnitt vor dem Pariser den Vorzug gebe. Dann aber hebt es erst richtig an, denn nach dem fachlich-sachlichen Teil beginnt nun der unter­haltende. Er schwäztt vom Wetter dieses Som­mers, des vorigen Sommers und des vorvorigen Sommers, er schwätzt vom Schnee des letzten Winters, des vorigen Winters und des vorvor­letzten Winters. Er redet vom Einfluß eines Krieges auf die Wolkenbildung und von den Gewitterwolken am politischen Horizont. Er malt auf den Staub des Spiegels die früheren Grenzen, die jetzigen Grenzen und die kom­menden Grenzen und rechnet auf den Zinken Seines Kammes die voraussichtliche Welternäh­

rungslage aus. Jetzt beginnt das Kopfwäschen. Hier liegen Themen der Innenpolitik nahe. Er schimpft auf die Beamten im allgemeinen und auf die Steuer im besonderen. Ich aber hänge halbtot in meinem Sessel und taumle wie trun­ken zur Kasse, begleitet von frommen Wün­schen und Verbeugungen: Vielen Dank, der Herr! Bald wieder, der Herr! Meine Empfeh­lung, der Herr! Auf Wiedersehen, der Herr! Freunde, das hält der Zehnte aus!

Die Freunde Hiobs wußten Rat. Hiob fiel ihnen vor Dankbarkeit um den Hals.

Als Hiob das nächste Mal zum Haarschnei­der ging, wählte er mit Bedacht einen Salon, wo man ihn nicht kannte. Er trat ein, erwi­derte den Gruß mit einem stummen Kopfnik- ken und nahm schweigend auf dem dargebote­nen Stuhl mit dem schnell umgedrehten Kis­sen Platz, eine Bewegung, mit der die Friseure die besseren Kunden zu ehren pflegen. Dann zog Hiob seine Brieftasche heraus, entnahm ihr einen Zettel und überreichte ihn dem Haar­schneider.

Bitte, schneiden Sie mir das Haar, hatte Hiob geschrieben,ich bin taubstumm!

Der Friseur las es. Ein seliges Lächeln glitt über sein Gesicht. Mit heftigen Gesten drang er auf Hiob ein, dann stürzte er zur Kasse, riß einen Zettel vom Block und schrieb darauf: Taubstumm? Welches Glück! Ich bin es näm­lich auch! Wir werden uns herrlich unter­halten!

Karl Bleyle 70 Jahre alt

Zum Geburtstag des schwäbischen Komponist

Am Sonntag beging der schwäbische Kon-, ponist Karl Bleyle seinen 70. Geburtstag. Bleyle der einem alten schwäbischen Geschlecht ent­stammt, wurde 1880 in Feldkirch in Vorarlberg geboren. In jungen Jahren schon übersiedelte er nach Stuttgart, wo er das Kgl. Konservatorium, die heutige Hochschule für Musik, absolvierte. Seine Studien in der Komposition vollendete er bei Ludwig Thuille in München und wurde da­

durch einer der namhaftesten Vertreter der Münchener Schule. Später war Bleyle vorüber­gehend in Graz, Weimar und Veldes und nahm dann dauernden Aufenthalt in Stuttgart, wo er ganz seiner künstlerischen Tätigkeit lebt. Schon in jungen Jahren fand Bleyle als Nietzsche-Kom­ponist reiche Anerkennung. Die Uraufführung seines Flagellantenzuges, die anläßlich des Ton­künstlerfestes des Allgemeinen Deutschen Musik­vereines in München im Jahr 1908 unter Leitung von Felix Mottl staftfand, wurde mit Begeiste­rung aufgenommen.

Bleyle hat sieh auf fast allen Gebieten der Musik erfolgreich betätigt und ist besonders durch seine Chor- und Qrchesterwerke in weite­sten Kreisen des In- und Auslandes bekannt ge­worden. Sein Schaffen ist tief ln der Heimat ver­wurzelt, was besonders sinnfällig in seinen prächtigen Liedern von Hölderlin, Uhland und Christian Wagner zum Ausdruck kommt. Seine lustige OperDer Hochzeiter (Hannesle und Sannele) ging erfolgreich über viele Bühnen, Uraufführung 1923 im Württ. Staatstheater. Audi auf dem Gebiet der Kammermusik kann Bleyle auf bedeutende Erfolge zurückblicken. Die mei­sten Schöpfungen Bleyles wurden unter Lei­tung und Mitwirkung namhafter Künstler aus der Taufe gehoben. Die Uraufführung der Or­chesterlegende fand 1914 unter Bruno Walter statt. Karl Flesch spielte die Uraufführung des Violinkenzertes. Der Wiener Operndirektor Franz Schalk brachte in Wien das Zarathustra- ChorwerkLernt Lachen zur Uraufführung; das Wendling-Quartett hob das Streichquartett op. 37 aus der Taufe.

Zur Feier seines 70. Geburtstages veranstaltet das Württ.-Bad. Kultministerium am 21. Mai im Großen Haus des Staatstheaters unter Leitung von Generalmusikdirektor Ferdinand Leitner und unter Mitwirkung namhafter Solisten ein Sinfo­niekonzert, wobei u. a. dieDionysische Suite zur Uraufführung gelangt Auch der Süddeut­sche Rundfunk ehrte Bleyle durch die Auffüh­rung der KantateDas Lied des Lebens (Frei­tag, den 5. Mai von 20 bis 21 Uhr), sowie durch die Uraufführung des h-moll-Streichquartetts durch das Steinbäuser-Quartett (Sonntag, den 7. Mai, zwischen 18 und 19 Uhr).

Wenn sich in der Wirrnis der Zeit die Werke

des Komponisten Bleyle dauernd zu behaupten vermögen, so darf das als ein Beweis für ihren inneren Gehalt und ihre positive Lebenskraft ge­wertet werden. Mögen dem Jubilar noch viele Jahre gegeben sein, in denen er uns noch man­ches Werk aus der Fülle seiner Schaffenskraft schenken möge. F. St.

Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fa­kultät der Universität Tübingen erneuerte dem Biologen Wilhelm Pfeffer aus Metzingen nach 50 Jahren den Titel eines Doktors der Natur­wissenschaften.

Für den Bücherfreund

Schwäbische Dichtung

Otto Heuscheie, Ins neue Leben. J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart 160 S. Halbl. DM 3.80.

Otto Heuscheie, Leonore. J. F. Stein­kopf Verlag, Stuttgart. 120 S. Halbl. DM 3.50.

Otto Heuscheie, Zwischen Blumen und Gestirnen. J. F. Steinkopf Verlag, Stutt­gart. 130 S. Halbl. DM 3.50.

Otto Heuscheie, Geisteserbe aus Schwa­ben 17001900. J. F. Steinkopf Verlag. Stutt­gart. 351 S. Halbl.

Otto Heuscheie, Betrachtungen und Deutungen. Essays. J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart. 175 S. DM 4.80.

Otto Heuscheie, der heute fünfzig Jahre alt wird, hat sich durch sein umfassendes Werk als Dichter einen Namen weit über die Grenzen sei­ner schwäbischen Heimat hinaus erworben. Er gehört zujenen stillen, fleißigen Arbeitern, die in ihren Bemühungen um den Geist getreu und trostfrei ihres Weges gehen. In Schramberg im Schwarzwald geboren, lebt Otto Heuscheie heute in Waiblingen. Besonders möchten wir auf den BandGeisteserbe aus Schwaben 17001900 hin- weisen. in dem ein eindrucksvolles Bild des schwäbischen Menschen und seiner Kultur durch eine sorgfältig erwogene Auswahl gültiger Prosa­stücke aus den Werken schwäbischer Dichter, Denker, Gelehrter und Forscher geboten wird. Eine Bibliographie und die kurzgefaßten Lebens­läufe der 31 aufgenommenen Schwaben machen dieses Buch noch wertvoller.