6. Jahrgang
Montag, 8. Mal 1950
Nummer 70
Doch kein Wasserstoffbombenkrieg?
Amerikanische Zweifel, ob sich die Kosten lohnen
Seit der amerikanische Senator Johnson am 28. Oktober vorigen Jahres über einen Fernsehsender über eine neue Atombombe sprach, die „tausendfach wirksamer sei als die Bombe von Hiroshima“, ist über die Wasserstoffbombe so unendlich viel geschrieben und gesagt worden, daß aus den widerspruchsvollen Angaben nicht viel mehr als der verworrendumpfe Eindruck zurückgeblieben ist, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion seien bereits in den H-Bombenproduktions- wettlauf eingetreten und nur ein himmlisches Wunder könne die Anwendung dieser allzerstörenden Waffe verhindern. Wie, wenn dieser Eindruck falsch wäre, wenn die H-Bombe zwar theoretisch durchkonstruiert, ihre tatsächliche Herstellung aber zu schwierig und auch /vom militärischen- Standpunkt aus unratsam wäre?
Die Wasserstoffbombe, soviel ist heute allgemein bekannt, unterscheidet sich von der Plutonium-Bombe dadurch, daß sie nicht auf der Kernspaltung schwerer Elemente, sondern auf der Fusion leichter Elemente beruht. Während dem Umfang der Plutonium-Bombe durch die „kritische Menge“ des spaltbaren Materials, bei deren Erreichung Selbstexplosion eintritt, eine Grenze gesetzt ist, besteht eine solche Begrenzung für die H-Bombe nicht; man kann also berechnen, daß sie bis zur Sprengwirkung von 20 Mill. Tonnen Tri- nitrotoluol gesteigert werden kann und im Umkreis von 20 km vom Explosionszentrum eine totale Vernichtung herbeiführen würde. Es ist weiter bekannt, daß nicht reiner Wasserstoff, sondern die Wasserstoffisotope Deuterium oder Tritium (die sich nicht chemisch, sondern physikalisch durch eine größere Anzahl von Neutronen des Atoms unterscheiden), den Grundstoff der H-Bombe bilden, um, wie auf der Oberfläche der Sonne, zu einem Helium-Atom vereinigt zu werden, und daß dazu sonnenmäßige Hitzegrade von 10 bis 20 Mill. Grad erforderlich sind. Derartige Hitzegrade entstehen bei der Explosion einer Plutonium-Bombe, die also gleichsam den „Zünder“ bilden würde.
Die Sprengwirkung eines Granat- oder Bombenzünders wird durch einen Stahlmantel so lange „zusammengehalten“, wie nötig ist, um den Sprengstoff selbst zur Explosion zu bringen. Nun vollzieht sich die Explosion einer Plutonium-Bombe aber in der unvorstellbar kurzen Zeit von 'Jim nt Sekunde; ob es möglich ist, zu verhindern, daß die Explosionswirkung verpufft, bevor die Atomfusionsreaktion einsetzt, — das ist das große Problem der H-Bombe!
Es kommt hinzu, daß Deuterium, wie es im „schweren Wasser“ vorkommt, eine um 25mal langsamere Reaktionszeit hat als Tritium, das jedoch in der Natur nicht vorkommt, sondern künstlich durch Anreicherung von Neutronen an H2 (Deuterium) geschaffen werden muß, ähnlich wie Plutonium im Uranbrenner künstlich aus Uran 235 hergestellt wird. Die Herstellung von Tritium ist — und zwar mit
Der Bottnische Meerbusen, der meist so harmlos scheint, kann eines der tückischsten Gewässer sein. Es gibt wenig, was einen Schären-Fischer, der hier seinem gefahrvollen Gewerbe nachgeht, bange machen kann; aber wenn die Rede von einem „grundbrott“ ist, dann merkt man, daß er allein in der Erinnerung lebt. Bei einem „grundbrott“ öffnet sich sozusagen das aufgewühlte Meer bis zum Fischerboote und der Meeresgrund in 8—10 Meter Tiefe wird für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar, während eine heranbrausende Riesenwoge das Boot in den Abgrund zu schlingen und in Atome zu zerschmettern droht. Gottseidank ist der „grundbrott“ eine seltene Erscheinung, aber wer von den Schärenfischern einmal dem Tod auf diese Art und Weise ins Auge geschaut hat und — es sind
Hilfe des Metalls Lithium — natürlich möglich; seine Halbzeit beträgt aber nur 12 Jahre, gegenüber der Halbzeit des Plutoniums von 25 000 Jahren, in der jeweils die Hälfte des Materials zerfällt. H-Bomben eignen sich also nicht zur „Vorratsbildung“.
Berücksichtigt man weiter, daß auch für die H-Bombe auf den — begrenzten — Vorrat von Uranium zurückgegriffen werden muß. so hat man einige der Elemente beisammen, die im Verein mit rein militärisch-strategischen Erwägungen in Amerika lebhafte Zweifel hervorgerufen haben, ob es sich überhaupt lohnt, die ungeheuren Kosten für den Versuch einer H-Bombenkonstruktion aufzuwenden. Es scheint auch nicht bei bloßen Zweifeln geblieben zu sein: nach verläßlichen Angaben ist anzunehmen, daß mindestens gegenwärtig nicht mehr als Routine-Laboratoriumsarbeiten zur Entwicklung der H-Bombe im Gange sind. Weder sind im Staatshaushalt Mittel bereitgestellt, deren Größenordnung auf eine Konstruktion der H-Bombe schließen ließe, noch ist bei der Tätigkeit der führenden Atomphysiker zu beobachten, daß sie ihre ganze Kraft einem neuen großen Projekt widmeten. Einer von ihnen, Nobelpreisträger Dr. R. Millikan von der Technischen Hochschule Kalifornien, der bei der Herstellung der Plutoniumbombe mitgewirkt
Minden i. W. In vier Wochen vielleicht schon, wenn die launischen Frühjahrsstürme vorüber sind, wird in den Weserdörfern unterhalb der Porta Westfalica das große Rüsten und Abschiednehmen beginnen. Seit Generationen hat sich hierin nicht viel geändert: Wenn sich der Wonnemonat Mai der Neige nähert, tönen in den Dörfern nördlich vom westfälischen Minden die gelben Messinghörner der Blaskapellen zum großen Kehraus der deutschen Heringsfänger. Dann kommt täglich wieder der große Reederei- Omnibus aus Bremen-Vegesack, der die Männer zu den Loggern und zwischen den Fangreisen für kurze Stunden zu ihren einsamen Frauen bringt.
Es mag merkwürdig erscheinen, daß Kapitäne und Besatzungen der in den Mündungshäfen von Weser und Ems beheimateten Heringsfängerboote nicht etwa an der unteren Weser oder in den großen Küstenstädten, sondern fast ausnahmslos in den „Herings- fängerdörfern“ des Kreises Minden beheimatet sind. Aber die Chronik des Amtes Lahde erhellt diese Merkwürdigkeit zu einer durchaus plausiblen Angelegenheit. — Nicht etwa der lockende Ruf des zum Meere treibenden Stromes, sondern die bittere Not ist es gewesen, die aus Häuslern und Köttern sturmerprobte Fahrensleute machte. Wie so viele im Minden-Ravensberger Land, für die es
nicht viele — wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen ist, wird von- einer solchen Panik gepackt, daß er seinen Fischerberuf aufgeben will.
Amandus Nordgren aus Skaten hatte dieses Schreckensabenteuer in den 90er Jahren erlebt, als er mit seinem 10jährigen Neffen im Boot von Horsten auf die Möja-Schären zusegelte.
„Ich kann Ihnen sagen, als ich direkt in den Meeresgrund hineinstierte, da war ich vor Schreck meiner nicht mehr mächtig — ich hab’ mir in die Buchsen gemacht...“
„Na. und Ihrem 10jährigen Neffen ging es wohl ebenso...?“
Verständnislos sieht Amandus uns an: „Der? Nee... Der verstand das noch nicht — der war ja viel zu klein dazu!!!“ LK
hat, erklärte vielmehr vor kurzem, er „bezweifle, daß die Herstellung einer richtigen H-Bombe im Bereich menschlicher Möglichkeiten liege“, und Dr. Millikan war noch vor nicht langer Zeit Mitglied der amerikanischen Atomenergiekommission. Admiral Ch. Nie- mitz, der während des Krieges die pazifische Flotte kommandierte, hat sich im gleichen Sinne geäußert.
Wenn die ersten Meldungen über die H- Bombe in Amerika die gefährliche Illusion aufkommen ließen, daß damit nach der ersten sowjetischen Atomexplosion der Vorsprung der USA wiederhergestellt sei, so sollen freilich auch die jetzigen einschränkenden Berichte nicht in dem Sinne mißverstanden werden, daß „der Wasserstoffbombenkrieg“ auf keinen Fall stattfinden werde“. Aus verständlichen Gründen verfügt die Oeffentlieh- keit gerade auf diesem Gebiet nur über Teilinformationen (was in Amerika zu heftigen Angriffen auf den „Heimlichkeitsfimmel“ der Regierung geführt hat), und über die sowjetischen Arbeiten auf diesem Gebiet wissen wir überhaupt nichts. Aber angesichts der vielen apokalyptischen Schilderungen der H-Bom- benwirkung auf der einen, der falschen Si- cherheitsgefühle auf. der anderen Seite erscheint es notwendig, sich etwas mehr als bisher mit der wissenschaftlichen, technischen und finanziellen Problematik der H-Bombe vertraut zu machen: Noch hat kein Staat der Erde eine solche Bombe konstruiert, und ob dies je gelingen wird, ist mindestens zweifelhaft. E. H.
keinen Platz mehr auf den Höfen oder hinter den Webstühlen gab, verließen die Männer Jahr für Jahr die kinderreichen Stuben, um als Wanderarbeiter auf holländischen Bauernhöfen ihr Brot zu verdienen.
Es mag so gewesen sein, daß es der schiere Zufa*i war, der einen dieser Wanderarbeiter mit holländischen Heringsfängern in Berührung brachte. Gewiß hat ihm das lustige Geklimper der Silbermünzen in den Taschen der gebauschten Hosen weidlich imponiert, — vielleicht auch der würzige Ueberseeknaster in den langen Tonpfeifen der holländischen Schiffer und der scharfe Schnaps, der so deftig in der Kehle brannte. Kurz entschlossen nahm er Heuer und berichtete — mit dem Ende der Fangzeit in sein Heimatdorf zurückgekehrt — an den langen Vorweihnachtsabenden derart begeistert von der Jagd nach dem silbernen Segen des Meeres, daß die Hollandgänger im nächsten Frühjahr nicht mehr auf die Höfe, sondern von da ab in hellen Scharen in die Häfen zogen. Sie wurden Heringsfänger.
Als später an den Mündungen von Weser, Elbe und Ems deutsche Heringsfängergesellschaften mit eigenen Reedereien und Loggern gegründet wurden, da richteten die Mindener Heringsfänger fortan ihren Frühjahrskurs steil nach Norden und wurden Kapitäne, Steuerleute und Matrosen auf den deutschen Heringsbooten. Die alte Tradition aber haben sie über Generationen hinweg gewahrt, und so sind auch heute noch die Männer aus den Heringsdörfern zwischen Lahde. Windheim und Ilvese auf den Loggern so gut wie unter sich.
Das Bestreben der westfälischen Heringsfänger, sich möglichst über alle Zeiten hinweg auch in den Kapitäns- und Steuermannskajüten ihre Vormachtstellung zu erhalten, ist verständlich. Wenn es schon als eine Seltsamkeit erscheint, mitten im Binnenlande Berufsschulklassen für Heringsfänger anzutreffen, so ist jedoch Kapitän Simonsmeiers binnenländische Seefahrtschule in Windheim gewiß eine Sehenswürdigkeit für sich. Fünfzig Monate auf See, davon fünfzehn Monate als Hochseefischer, müssen die Heringsfänger hinter sich haben, ehe sie auf den Schulbänken bei Kapitän Simonsmeier das Kapitänsund Seemannspatent erpauken können. Jahr für Jahr tritt von hier aus der jüngste Nach -
General mit gebrochenem Bein
Tachikawa, Flugplatz (Japan). Kürzlich erhielt die amerikanische Dienststelle hier mitten in der Nacht die Nachricht von irgendeinem Zwischenfall in einem Lagerhaus des Stützpunktes und sandte einen der Patrouille- Jeeps aus, um die Sache zu untersuchen. Die Angelegenheit war anscheinend unbedeutend, aber der Sergeant am Funkgerät bekam doch einen ziemlichen Schrecken, als er folgende Nachricht von dem Jeep erhielt:
„General mit gebrochenem Bein berichtet alles in Ordnung — Ende.“
Der beunruhigte Sergeant, der verständlicherweise fürchtete, daß er es mit einem jähzornigen „hohen Tier“ mit gebrochenem Bein oder Schlimmerem zu tun hatte, funkte, tatsächlich „Bitte wiederholen“ und erhielt nochmals den alarmierenden Funkspruch „General mit gebrochenem Bein berichtet alles in Ordnung — Ende.“
Der Sergeant war nun der Meinung, er habe sich vielleicht falsch eingeschaltet und fragte mit steigender Besorgnis:
„Bitte um Ihren Namen, Herr General. Und wenn Sie ein Bein gebrochen haben, sagen Sie mir bitte, wo Sie sind, und wir werden sofort einen Krankenwagen schicken.“
Die Unruhe des Sergeanten kam mit der Aufklärung zu einem plötzlichen Ende:
„Dies ist Sergeant Harold General, begleitet von Corporal, Gebrochenes Bein. Wir berichten, daß im Lagerhaus alles in Ordnung ist und kommen zurück.“
Es stellte sich dann heraus, daß Corporal Gebrochenes Bein ein Sioux-Indianer und direkter Nachkomme des berühmten Sitting Bull (Sitzender Bulle) ist. (ONA)
Eiikas schwache Seite
Karlsruhe. Als ein entwurzeltes Pflänzchen erscheint die 22jährige Erika F. aus Waldshut auf dem Sünderbänkchen. Ihr reichliches Vorstrafenregister hängt damit zusammen, daß meist etwas verschwindet, wo sie auftaucht. Schwindel und Diebstahl sind ihre schwachen Seiten, während sie um Arbeitsgelegenheiten Kurven schlägt. Zu Hause batte sie wenig Freude. Mit der Stiefmutter gab’s häufig Streit. Dem Elternhaus kehrte sie den Rücken. Sie zog über die Landstraßen in wechselnder, nicht immer förderlicher Gesellschaft.
„Wegen diesen blöden Schuhen habe ich mich verleiten lassen...“, bekennt sie unter Tränen. In Friedrichshafen hatte sie ein Verhältnis mit einem Polen, der sie auch heiraten wollte, obwohl er nicht der einzige war, dem sie ihre Gunst schenkte. Am 4. März klaute sie aus seinem Schrank 200 DM und verschwand unter Mitnahme von Damenkleidern, Schmucksachen und einer Einkaufstasche aus der Wohnung des Polen. Am 7. März wurde Erika von der Polizei in Karlsruhe angehalten, weil sie keine Papiere hatte. Wegen Rückfalldiebstahls und Unterschlagung wird sie für die nächsten 8 Monate nicht auf die Landstraße angewiesen sein.
Wildschweine im Kurviertel
Wiesbaden. Im Wiesbadener Kurviertel tauchte ein Rudel Wildschweine auf und versetzte Spaziergänger und Autofahrer in panischen Schrek- ken. Ein Verkehrsomnibus mußte bremsen, um keines der Tiere zu überfahren, und einige ängstliche Passanten ergriffen die Flucht in nähegelegene Häuser. Als die Schwarzkittel bemerkten, welches Aufsehen sie erregten, ergriffen sie ihrerseits im Schweinsgalopp die Flucht und verschwanden im Gelände. Nur eines der Tiere hatte sich in den Vorgarten eines Hauses verirrt, wo es von zwei fünfzehnjährigen Jungen gestellt und mit Prügeln bearbeitet wurde. Die Jungen, einer davon ein Metzgerlehrling, trieben das Tier in einen Bach und machten ihm dort den Garaus.
wuchs der deutschen Heringsfängerflotte die stolze Reise zu den Kommandobrücken an. In diesen Jahren werden es besonders viele sein, die aus ihren frischen Patenten den Nutzen ziehen können, denn zahlreiche neue Motorlogger werden auf den Bremer Werften zur Jagd nach dem Hering gerüstet.
Heinz Meyer-Wrekk
Kehraus der deutschen Heringsfänger
Landratten besitzen Monopol / Seefahrtsschule im Binnenland
Er war noch zu klein dazu
Haarschneiden
Von Jo Hanns Rösler
„Es gibt drei Dinge, die ich verabscheue“, sagte Hiob, „Zahnziehen, fotografiert werden, und Haarschneiden. Meine Freunde sagen mir öfter: Laß dir die Haare schneiden, Hiob!“ „Schon wieder?“
„Du siehst unmöglich aus!“
„Aber ich war doch erst vor vier Wochen.. „Keine Ausrede! So gehen wir nicht mehr mit dir über die Straße!“
Hiob trat zum Spiegel. In der Tat, er sah einem Apostel nicht unähnlich. „Freunde!“ rief er verzweifelt, „wenn ihr wüßtet, was mir wieder bevorsteht! Wie man mich beim Haarschneiden martert! Ich habe kaum Platz genommen, da beginnt es: die Schere klappert und das Mundwerk schnattert. Unaufhörlich läßt der Mann den Fluß seiner Rede strömen. Er redet über die schlechte Arbeit seines Vorgängers, jammert über die Stufen und Ecken, die mir der andere geschnitten hat. Dann lobt er mein Haar und beklagt es in einem Atemzuge, spricht von dürrem Haar und dichtem Haar, von dickem Haar und dünnem Haar, er redet von den Mitteln dafür und von den Mitteln dagegen, vom Vorteil der Massage und vom Nachteil der Bürste, und daß für mich überhaupt nur ein individueller Haarschnitt in Frage käme und daß er dem Wiener Haarschnitt vor dem Pariser den Vorzug gebe. Dann aber hebt es erst richtig an, denn nach dem fachlich-sachlichen Teil beginnt nun der unterhaltende. Er schwäztt vom Wetter dieses Sommers, des vorigen Sommers und des vorvorigen Sommers, er schwätzt vom Schnee des letzten Winters, des vorigen Winters und des vorvorletzten Winters. Er redet vom Einfluß eines Krieges auf die Wolkenbildung und von den Gewitterwolken am politischen Horizont. Er malt auf den Staub des Spiegels die früheren Grenzen, die jetzigen Grenzen und die kommenden Grenzen und rechnet auf den Zinken Seines Kammes die voraussichtliche Welternäh
rungslage aus. Jetzt beginnt das Kopfwäschen. Hier liegen Themen der Innenpolitik nahe. Er schimpft auf die Beamten im allgemeinen und auf die Steuer im besonderen. Ich aber hänge halbtot in meinem Sessel und taumle wie trunken zur Kasse, begleitet von frommen Wünschen und Verbeugungen: Vielen Dank, der Herr! Bald wieder, der Herr! Meine Empfehlung, der Herr! Auf Wiedersehen, der Herr! — Freunde, das hält der Zehnte aus!“
Die Freunde Hiobs wußten Rat. Hiob fiel ihnen vor Dankbarkeit um den Hals.
Als Hiob das nächste Mal zum Haarschneider ging, wählte er mit Bedacht einen Salon, wo man ihn nicht kannte. Er trat ein, erwiderte den Gruß mit einem stummen Kopfnik- ken und nahm schweigend auf dem dargebotenen Stuhl mit dem schnell umgedrehten Kissen Platz, eine Bewegung, mit der die Friseure die besseren Kunden zu ehren pflegen. Dann zog Hiob seine Brieftasche heraus, entnahm ihr einen Zettel und überreichte ihn dem Haarschneider.
„Bitte, schneiden Sie mir das Haar“, hatte Hiob geschrieben, „ich bin taubstumm!“
Der Friseur las es. Ein seliges Lächeln glitt über sein Gesicht. Mit heftigen Gesten drang er auf Hiob ein, dann stürzte er zur Kasse, riß einen Zettel vom Block und schrieb darauf: „Taubstumm? Welches Glück! Ich bin es nämlich auch! Wir werden uns herrlich unterhalten!“
Karl Bleyle 70 Jahre alt
Zum Geburtstag des schwäbischen Komponist
Am Sonntag beging der schwäbische Kon-, ponist Karl Bleyle seinen 70. Geburtstag. Bleyle der einem alten schwäbischen Geschlecht entstammt, wurde 1880 in Feldkirch in Vorarlberg geboren. In jungen Jahren schon übersiedelte er nach Stuttgart, wo er das Kgl. Konservatorium, die heutige Hochschule für Musik, absolvierte. Seine Studien in der Komposition vollendete er bei Ludwig Thuille in München und wurde da
durch einer der namhaftesten Vertreter der Münchener Schule. Später war Bleyle vorübergehend in Graz, Weimar und Veldes und nahm dann dauernden Aufenthalt in Stuttgart, wo er ganz seiner künstlerischen Tätigkeit lebt. Schon in jungen Jahren fand Bleyle als Nietzsche-Komponist reiche Anerkennung. Die Uraufführung seines Flagellantenzuges, die anläßlich des Tonkünstlerfestes des Allgemeinen Deutschen Musikvereines in München im Jahr 1908 unter Leitung von Felix Mottl staftfand, wurde mit Begeisterung aufgenommen.
Bleyle hat sieh auf fast allen Gebieten der Musik erfolgreich betätigt und ist besonders durch seine Chor- und Qrchesterwerke in weitesten Kreisen des In- und Auslandes bekannt geworden. Sein Schaffen ist tief ln der Heimat verwurzelt, was besonders sinnfällig in seinen prächtigen Liedern von Hölderlin, Uhland und Christian Wagner zum Ausdruck kommt. Seine lustige Oper „Der Hochzeiter“ (Hannesle und Sannele) ging erfolgreich über viele Bühnen, Uraufführung 1923 im Württ. Staatstheater. Audi auf dem Gebiet der Kammermusik kann Bleyle auf bedeutende Erfolge zurückblicken. Die meisten Schöpfungen Bleyles wurden unter Leitung und Mitwirkung namhafter Künstler aus der Taufe gehoben. Die Uraufführung der Orchesterlegende fand 1914 unter Bruno Walter statt. Karl Flesch spielte die Uraufführung des Violinkenzertes. Der Wiener Operndirektor Franz Schalk brachte in Wien das Zarathustra- Chorwerk „Lernt Lachen“ zur Uraufführung; das Wendling-Quartett hob das Streichquartett op. 37 aus der Taufe.
Zur Feier seines 70. Geburtstages veranstaltet das Württ.-Bad. Kultministerium am 21. Mai im Großen Haus des Staatstheaters unter Leitung von Generalmusikdirektor Ferdinand Leitner und unter Mitwirkung namhafter Solisten ein Sinfoniekonzert, wobei u. a. die „Dionysische Suite“ zur Uraufführung gelangt Auch der Süddeutsche Rundfunk ehrte Bleyle durch die Aufführung der Kantate „Das Lied des Lebens“ (Freitag, den 5. Mai von 20 bis 21 Uhr), sowie durch die Uraufführung des h-moll-Streichquartetts durch das Steinbäuser-Quartett (Sonntag, den 7. Mai, zwischen 18 und 19 Uhr).
Wenn sich in der Wirrnis der Zeit die Werke
des Komponisten Bleyle dauernd zu behaupten vermögen, so darf das als ein Beweis für ihren inneren Gehalt und ihre positive Lebenskraft gewertet werden. Mögen dem Jubilar noch viele Jahre gegeben sein, in denen er uns noch manches Werk aus der Fülle seiner Schaffenskraft schenken möge. F. St.
Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen erneuerte dem Biologen Wilhelm Pfeffer aus Metzingen nach 50 Jahren den Titel eines Doktors der Naturwissenschaften.
Für den Bücherfreund
Schwäbische Dichtung
Otto Heuscheie, Ins neue Leben. J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart 160 S. Halbl. DM 3.80.
Otto Heuscheie, Leonore. J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart. 120 S. Halbl. DM 3.50.
Otto Heuscheie, Zwischen Blumen und Gestirnen. J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart. 130 S. Halbl. DM 3.50.
Otto Heuscheie, Geisteserbe aus Schwaben 1700—1900. J. F. Steinkopf Verlag. Stuttgart. 351 S. Halbl.
Otto Heuscheie, Betrachtungen und Deutungen. Essays. J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart. 175 S. DM 4.80.
Otto Heuscheie, der heute fünfzig Jahre alt wird, hat sich durch sein umfassendes Werk als Dichter einen Namen weit über die Grenzen seiner schwäbischen Heimat hinaus erworben. Er gehört zu „jenen stillen, fleißigen Arbeitern, die in ihren Bemühungen um den Geist getreu und trostfrei ihres Weges gehen“. In Schramberg im Schwarzwald geboren, lebt Otto Heuscheie heute in Waiblingen. Besonders möchten wir auf den Band „Geisteserbe aus Schwaben 1700—1900“ hin- weisen. in dem ein eindrucksvolles Bild des schwäbischen Menschen und seiner Kultur durch eine sorgfältig erwogene Auswahl gültiger Prosastücke aus den Werken schwäbischer Dichter, Denker, Gelehrter und Forscher geboten wird. Eine Bibliographie und die kurzgefaßten Lebensläufe der 31 aufgenommenen Schwaben machen dieses Buch noch wertvoller.