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6. Jahrgang

Freitag, 17. März 1950

Nummer 42

Warum starben so viele?

Ein Arzt berichtet über seine Erfahrungen in russischen Kriegsgefangenenlagern

Diese Frage ist mir als einem Arzt, der jetzt nach fünfeinhalb jähriger Gefangenschaft aus Kußland heimkehrte, so oft gestellt worden, daß ich glaube, meine Meinung hierüber auf dem Wege einer Veröffentlichung dartun zu müssen. Will man die Tatsache, daß viele Kriegsgefangene in der Sowjetunion starben die eigentliche Zahl dürfte die Welt wohl niemals erfahren, verstehen, so muß man verschiedene Dinge in Betracht ziehen.

Die wenigsten derer, die nicht selbst im Osten waren, können sich eine auch nur an­nähernde Vorstellung von den Problemen die­ses Landes machen. Eines davon, und es ist vielleicht das allergrößte, ist das des Trans­ports. In diesem Kriege fielen hüben wie drüben solche Massen an Gefangenen an, daß es schon an sich ein großes Problem war, diese wegzuschaffen. Und keine Heeresführung stdllt den Abtransport von Kriegsgefangenen an erste Stelle, wenn es gilt strategische Er­folge auszunützen. So wurde ein großer Teil der in Gefangenschaft gefallenen deutschen Männer schon auf dem Transport ins Hinter­land vom Tode gezeichnet.

Die Truppen, die vorher schon großen Stra­pazen ausgesetzt gewesen waren, hatten zer­mürbende Märsche in Sonnenhitze oder stren­ger Kälte mitzumachen, waren mitunter wo­chenlang in Güterwagen aufs engste zusam­mengepfercht unterwegs. Bis sie in dem Be­stimmungslager ankamen, hatten sie keine warme Verpflegung zu erwarten und von den mitgeführten Lebensmitteln (in der Haupt­sache aus Trockenbrot und Fisch bestehend) bekamen sie so selten und unregelmäßig, daß sie bei der Ankunft im Lager, wenn sie über­haupt lebend dort eintrafen, am Ende ihrer Kräfte waren. Hatten sie das Glück in ein Lager zu kommen, .das schon einige Zeit be­stand, so wurden sie in Lazaretten und sog. OK.-Baracken gehalten, bis sie sich einiger­maßen erholt hatten.

Weit schlimmer war es jedoch um die be­stellt, die in ein eben erst eröffnetes Lager kamen. Irgendwelche Gebäude, halbfertige Fa­brikhallen usw. mußten als Unterkunft dienen und es fehlte an allem. Gewiß wäre dies noch nicht das Schlimmste gewesen, wenn es wenigstens mit der Verpflegung einigermaßen geregelt zugegangen wäre. Aber auch hier stand dasselbe Problem des Transports im Wege. Es dauerte monatelang bis Lebensmit­tel eintrafen, Bekleidung noch viel länger. So waren die Lagerleitungen gezwungen, das zu beschaffen, was eben an Ort und Stelle vor­handen war und das war in Industriegebie­ten, in denen es kaum Landwirtschaft gab, bitter wenig.

Man hört so häufig die Meinung, die Rus­sen hätten die deutschen Kriegsgefangenen absichtlich verhungern lassen. Dies ist nicht der Fall. Gewiß, sie liebten uns nicht, und wenn einer starb, so zeigten sie kein großes Mitleid. Aber wir waren für sie ais Arbeitskräfte von so wichtiger Bedeutung, daß sie versuchen mußten, uns am Leben zu erhalten.- Jeder von uns hat seinen Augen nicht getraut, als er die Tafeln las, die in den Speisesälen angebracht wurden und auf denen die Rationen, die uns täglich zustanden, ver­zeichnet waren. Sie ergaben zwar ausgerech­net höchstens die Menge von 2200 Kalorien was für einen schwer arbeitenden Menschen zu wenig ist, aber unsere Leute wären glücklich gewesen, hätten sie wenigstens dies bekommen. Konnte heute etwas nicht geliefert werden die Lebensmittel wurden nur im­mer für einen Tag ausgegeben, so wurde es nie - nachgeliefert, und außerdem waren die Sätze auch im Winter dieselben, obwohl der Mensch allein durch Wärmeverlust im Winter mehr essen muß als im Sohnmer, und wenn es gar die grimmige Kälte des Ostens ist, dann wäre die Berücksichtigung solcher Dinge erst recht wichtig gewesen.

Hunger tut weh und. macht den Menschen zur rücksichtslosen Bestie. So kamen außer den oben angeführten Gründen auch noch solche hinzu, für die man die Russen nicht direkt verantwortlich machen konnte. Die Köche scho­ben ihren Freunden vieles zu, was der Allge­meinheit verloren ging, Kameraden bestahlen sich gegenseitig, brachen in die Brotschneide­rei ein usw. Was auf diese Weise verloren ging, wurde selbstverständlich niemals ersetzt. Auch dem Rauchen muß ich in bestimmten Fällen eine gewisse Schuld zuschreiben, nicht weil es an sich schon schädlich sein kann, sondern weil man Tabak fast nur gegen Brot bei der Zivilbevölkerung eintauschen konnte, und mancher leidenschaftliche Raucher lieber sein Brot weggab, als, daß er auf das Rauchen

verzichtete. Die Gefangenschaft in der Sowjet­union war mindestens in den Jahren 1942 bis 46 eine so schwere Prüfung, daß neben allem, was an äußeren Dingen eine Rolle spielte, nur starke Charaktere sie überstehen konnten oder abgefeimte Betrüger, die entweder die anderen bestahlen oder sich dem Russen für unsaubere Geschäfte auslieferten, um so Vor­teile zu erlangen.

Das Tempo, mit dem die einzelnen Män­ner abmagerten, war nach den jeweiligen in­dividuellen körperlichen und geistigen An­lagen verschieden. Die jüngeren waren weni­ger widerstandsfähig als etwa diejenigen um 30 Jahre. Aeltere Männer über 50 Jahre überstanden meist schon den Transport in die Lager nicht oder wurden dort von einer leich­ten Erklältung, Halsentzündung usw. umge­worfen.

Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich den russischen Aerzten klarmachen konnte, daß man die Leute zeitig aus dem Arbeitsprozeß herausnehmen muß, wenn sie in den Zustand der sog. Dystrophie kamen, und nicht erst, wenn sie in völlig entkräftetem Zustand von Kameraden ins Lager geführt wurden. Wenn ein bestimmter Grad von Unterernährung und Entkräftigung eingetreten war, dann waren die armen Kameraden nicht mehr zu retten, auch wenn sie Ruhe und etwas besseres Es­sen im Lazarett bekamen.

Auch über das Sterben selbst herrschen

falsche Vorstellungen. Die meisten stellen sich den Tod an Hunger und Entkräftigung schreck­lich vor. Die Natur hat aber den Menschen, die dieses Schicksal ereilt, ein sanftes Ende geschenkt. Für uns Aerzte hatte es fast dia­gnostische Bedeutung, wenn die kranken und schwachen Ausgezehrtenguter Dinge wur­den. Ein Zustand der Euphorie (sorglose Hei­terkeit ohne Einsicht in die Schwere des Zu­standes) ging ihrem Ende voran. Sie sprachen von der Heimat, von ihren Lieben, wußten, daß sie bald Post bekommen sollten und hat­ten große Hoffnungen für den nächsten Tag, an dem sie aber dann schon die Augen für immer geschlossen hatten.

So sind die Ursachen für die Tatsache des Todes vieler Kriegsgefangener in den verän­derten Bedingungen der Lebensweise, in der harten Arbeit, in der nicht ausreichenden Er­nährung und in Dingen psychologischer Natur zu sehen, für die eben diejenigen die Verant­wortung haben, in deren Händen die Versor­gung der Kriegsgefangenen lag. Daß die So­wjetregierung in letzter Zeit versucht, die deutschen Aerzte für die hohe Sterblichkeit verantwortlich zu machen, erscheint mir ein Beweis dafür, daß sie selbst nur zu deutlich empfindet, worin die wahren Ursachen liegen. Denn es hat sich ja viel weniger um die Be­handlung von Krankheiten gehandelt als dar­um, für die Gefangenen auch nur einigerma­ßen angehende Lebensbedingungen (Unter­kunft, Ernährung, Bekleidung und entspre­chende Arbeit) zu schaffen, was bekanntlich, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie eine ärztliche Aufgabe ist. Dr. med. K. W.

Die Geisterinsel im Lago Maggiore

,,Gräfin aus Königsberg wurde zur Seehexe / Schweiz kauft das Eiland für 600 000 Franken

Von Leila Danbury, Locarno

Es gibt nur wenige Bewohner der Schweizer Küste des Lago Maggiore, die jemals ihren Fuß auf die Geisterinsel des Sees, die man Brissago-Insel nennt, gesetzt haben. Zuerst lebte hier eineGräfin, die man für eine Hexe hielt. Dann wurde die Insel von einem reichen deutschen Magnaten bewohnt, dessen Orgien berüchtigt waren und der seinen Be­sitz von deutschen Schäferhunden bewachen ließ, die jeden Eindringling vertrieben.

Es sind eigentlich zwei Inseln, eine größere und eine kleinere, die im Frühjahr 1950 zum Ziele Tausender Touristen im italienisch spre­chenden Tessin werden sollen. Der Kanton Ronco und Ascona haben zusammen 600 000 Schweizer Franken aufgebracht, um die Insel in den Besitz des Staates zu bringen. Weitere 100 000 Franken wurden von dem Besitzer des Hotels Ascona, Baron von der Heydt, beige­steuert, mit welchem Betrage der weiße Pa­lazzo und die wundervollen Gärten mit exoti­schen Pflanzen und Blumen auf der größeren Insel instandgesetzt werden. Wenn man eine Karte des Lago Maggiore betrachtet, der rund 90 Quadratkilometer groß ist, so sieht man die Bissago-Inseln nur als kleinen Punkt darauf. .Die größere der beiden Inseln ist nur 325 m lang und 170 m breit. Die kleinere hat etwa ein Drittel dieser Größe.

Ein gewisses Fräulein Jäger

Seit 75 Jahren sind die Inseln in Privatbe­sitz. Viele romantische Geschichten ranken sich um sie. Sie beschäftigen sich vor allem mit derGräfin von St. Leger, die im Anfang des Jahrhunderts Besitzerin der Geisterinsel wurde. Sie verhielt sich so, daß sie zu vielen Geschichten Anlaß gab. Sie behauptete, die Enkelin des Großherzogs Alexander, Kusine und Schwägerin des Zaren und außerdem noch mit der britischen Adelsfamilie von Saint Le­ger blutsmäßig verwandt zu sein. Andere Ge­schichten wollen wissen, daß sie polnischer- Herkunft war.

Das ist alles Unsinn, erzählte mir Baron von der Heydt, als wir auf der Terrasse seines Hotels saßen.In Wirklichkeit handelt es sich um ein gewisses Fräulein Jäger aus Königs­berg. Sie war eine Abenteurerin, die viel Ge­schäftsgeist und Vorstellungskraft hatte. Ba­ron von der Heydt kann sich noch genau daran erinnern, als er ihr im Jahre 1926 einmal in Ascona begegnete.Sie war ein häßliches und unsauber angezogenes Frauenzimmer mit dunklen ungepflegten Haaren. Manche Leute hielten sie für eine Hexe oder glaubten, sie sei eine Magierin. DieGräfin hatte die Manie, in einer kleinen Werkstatt auf ihren Inseln Puppen machen zu lassen. Die Leute behaup­teten, daß diese Puppen Personen darstellten, die sie verhext hat.

Der reiche Herr aus Hamburg

Die Tessiner sprechen, jedenfalls im Zusam­menhang mit dem Fräulein aus Königsberg

Weltraumreise noch nicht möglich

Verschiedene Probleme noch ungelöst

Von Robert Goldstein, Korrespondent der Associated Press

Erst müsse das Problem der Sonnenstrahlen, der Schwerelosigkeit und der Meteore gelöst werden, ehe der Mensch den Flug in den Welt­raum wagen könne, erklärten vier deutsche Raketen-Sachverständige, die zurzeit im Dienste der US-Armee in Amerika weilen.

Ueber den voraussichtlichen Verlauf einer Fahrt im Weltraumschiff gaben die deutschen Wissenschaftler und zwei amerikanische Ra­ketensachverständige folgende Schilderung:

Das Weltraumschiff müßte eine Geschwin­digkeit von 720 000 km/st entwickeln. Das Nervensystem des Menschen reagiert jedoch nicht schnell genug für eine so ungeheure Ge­schwindigkeit. In den zwei Zehntelsekunden, die der Insasse des Weltraumschiffes zu einer bewußten Reaktion auf irgend welche Vor­gänge benötigen würde, hätte das Schiff be­reits 40 km zurückgelegt. Vielleicht wäre fern­gelenkte Elektronensteuerung eine Lösung.

Bei der ungeheueren Geschwindigkeit des Weltraumschiffes würde sich seine Metallhülle auf 600 Grad Celsius erhitzen. Dann aber, im Weltraum, würden erst die wahren Schwierig­keiten beginnen, wie die Wissenschaftler aus­führten. Da wären zum Beispiel die Meteore.

Selbst ein winziger Meteorsplitter könnte zu einer Gefahr für das Weltraumschiff werden, während ein größerer Meteor es unweigerlich vernichten würde.

Die Passagiere des Weltraumschiffes würden nie Erlebtes erfahren. Sie wären schwerelos und die Luft um sie herum würde ebenfalls schwerelos sein. Ohne ein geeignetes Ventila­tionssystem würde bald ein warmer Nebel ihren Körper einhüllen. Ihr eigener Atetn würde zum Problem. Er würde vor ihrem Munde stehen bleiben, und jeder Tropfen Schweiß würde eine Nebelbildung hervorrufen. Ihre Haare, jeder Erdenschwere ledig, würden emporstehen und die Kleidung sich sackartig aufblähen.

Eine weitere große Gefahr wären die Son­nenstrahlen. Wollte man zum Schutze gegen sie die Metallwände des Weltraumschiffes mit dünnen Bleiplatten isolieren, wäre, die Gefahr anderer tödlicher Strahlen durch komische Par­tikelchen gegeben.

Die Brennstoffversorgung sei nach Ansicht des zurzeit in Amerika weilenden V-2-Sach- verständigen Dr. W. v. Braun kein Problem mehr»

nur von derGräfin. Auf jeden Fall hatte sie wertvolle exotischen Pflanzen nach der Hauptinsel bringen lassen, und als sie 65 Jahre alt war, verkaufte sie die Inseln an Dr. Max Emden, einen reichen Magnaten aus Ham­burg, der 350 000 Schweizer Franken auf den Tisch legte. Außerdem hat er noch 3Va Mil­lionen Franken in sie hineingesteckt, erzählte der Baron weiter.Den schloßartigen Besitz ließ er renovieren und machte bauliche Zu­sätze. Ein Hafen wurde gebaut. In dem schö­nen Palazzo waren äußerst wertvolle Gobelins und Gemälde von van Gogh, Manet und Re­noir zu sehen. Dr. Emden ließ auch ein Unter­wassertelefonkabel legen. Seine zahllosen Be­sucher, insbesondere junge Mädchen, verfügten über den luxuriösesten Komfort, Der reiche Be-

Leuchtende Rettungsanzüge

Tp. Wir alle erinnern uns der furchtbaren Katastrophe des englischen Unterseebootes Truculent. Fast siebzig Seeleute kamen da­bei ums Leben, obwohl es ihnen gelang, das Boot lebend zu verlassen und die Oberfläche der an der Unglücksstelle flachen See zu er­reichen nur weil man sie im Dunkeln nicht auffischen konnte. Es waren genügend Ret­tungsschiffe zur Stelle und eigentlich hätte nicht einer der Aufgetauchten zu sterben brauchen.

Die britische Admiralität hat jetzt einen aus Nylon und Gummi bestehenden Rettungsan­zug konstruiert, der mit dieser unglückseligen Möglichkeit Schluß machen soll. Dieser Anzug wiegt nur sieben Pfund. Er kann durch ein Schlauchventil aufgeblasen werden, so daß Nichtschwimmer nicht zu befürchten brauchen, beim Auftauchen wieder unterzugehen, wenn sie nicht sofort aufgefischt werden. Das Be­merkenswerte an diesem Anzug ist jedoch, daß sich an dessen linker Schulter ein elek­trisches Licht befindet, das von einer im An­zug eingebauten kleinen Trockenbatterie ge­speist wird. Sobald der Anzug das Wasser berührt, schaltete sich die elektrische Leuchte ein und verbreitet ein viele hundert Meter weit sichtbares Zeichen auf dem Wasser.

sitzer der Geisterinsel hatte nicht weniger als 5 Motorboote, um seine Besucher spazieren zu fahren. Der Sohn von Dr. Emden, der in Südamerika lebt, erklärte sich nunmehr be­reit, den Besitz an die Tessiner Behörden zu verkaufen.

Ich besuchte .die Insel und stellte allerorten fest, daß wertvolle tropische Pflanzen und seltene Blumenarten von wildem Gras über­wuchert waren.Vor ein paar Jahren hätten Sie es kaum wagen können, sich der Insel zu nähern, erklärte mir mein Führer.Dr. Em­den hatte ein Rudel Schäferhunde, die ins Wasser sprangen, wenn jemand herankam. Natürlich gab es viele, die versuchten, etwas von den Orgien zu sehen, die der Doktor liebte. Besonders junge Mädchen waren seine häufig­sten Besucher...

Der Hamburger hat allerdings die Insel auf jeden Fall in jeder Hinsicht verschönert und die Fremdenverkehrsbüros von Locarno und Ascona nehmen an, daß dieses Jahr viele Tau­sende Touristen die Insel besuchen werden. Ein Teil des weißen Palastes wird in eine Gemäldegalerie und ein Flügel des Schlosse* in ein Restaurant umgewandelt werden.

Mitten im 20. Jahrhundert entdeckt die Schweiz neue Schätze für den internationalen Tourismus. Reuter Features

Du bist mein Geheimnis!

Schlagerkönig incognito / Ralph und Rolf plaudern aus der Schule

Von Paula Stuck von Reznicek

Vor einigen Tagen stellten wir mißbilligend fest, daß auf unserer Kegelbahn Unbekannte Totenkistl schoben. Vor allem fiel ein fana­tisch auf denKranz zielender, kräftiger, passionierter Sportler auf, der mir irgendwie bekannt vorkam. Einige Stunden später be­obachte ich ihn, wie er am Tischbillard Serie auf Serie stößt und nicht zu schlagen ist!

Die Neugiere ist in mir erwacht, und wir raten, welchen Beruf er haben könnte. Wir verfolgen ihn. Er steigt in eine beigefarbene Limousine, fährt an einem am Auslauf des Englischen Gartens liegenden Hause vor und schließt den Wagen ab.

Um meine Wette, er sei ein Mittelgewichts- .champion oder gar ein bekannter Cricketspie- ler, zu gewinnen, folge ich ihm in die Parterre­wohnung und bitte ihn auf gut Glück um ein Autogramm.

Eine siegreiche Laufbahn

Der Angeredete ist gar nicht erstaunt, nimmt mich einladend mit in die Wohnung, macht mich mit einer höchst attraktiven Dame be­kannt, die erSternchen nennt und die seine Frau ist. Er bittet mich Platz zu nehmen und reitet mit seinem Sohn, den erOpus I be^ titelt, auf dem Boden Huckepack. Dann staubt er, völlig vertieft, eine seltene Vase aus der Mingdynastie ab und stellt die-Figuren sei­ner porzellanenen Philharmoniker von der Ludwigsburgkapelle liebevoll zurecht,

Ist dieser Sportsmann, der sich in Smyrna­teppichen genau so auskennt wie Im­pressionisten und Picasso und Marc er­läutert, etwa ein Museumsdirektor oder ein bekannter Gemäldehändler?

Auf dem Gang hängen Bilder von Bühnen- und Film-Prominenten, und ich begegne von Ilse Werner bis Margot Hielscher und von Johannes Heesters und Franz Lehär bi* Franz Grothe, Will Höhne und Theo Lingen lauter Bekannten.

Da läutet das Telefon. Mein Gastgeber spricht fließend französisch. Ich frage ihn, ob er auch Englisch kann. Er antwortet perfekt. und akzentlos und weist auf italienische Zei­tungen, die auf dem Schreibtisch liegen. Also Italienisch kann er auch.

Es klingelt an der Haustür. Ein gut aus­sehender Herr tritt herein, den ich auch schon mal irgendwo gesehen haben muß. Und nun setzen sich die beiden Herren ans Klavier. Der eine summt halblaut vor sich hin, der andere improvisiert dabei.

Nun kann ich mich nicht länger halten und bestürme Sternchen, die einen fraisefarbenen Angorapullover trägt.

Wie heißt eigentlich Ihr Mann?

Das Sternchen lacht und sagt:An «einen Tönen müßt Ihr ihn erkennen: und dann in­tonieren der Herr aus Paris und der Unbe­kannte aus München ein Brillantfeuerwerk von Schlagern:Caprifischer,Hühner-Sam­ba,Manana,Wenn ich Musik hör, muß ich tanzen,Unter der roten Laterne von St. Pauli,Mein blonder Hans, Du hast schon graue Haare,Ich bleib Dir treu mein Kind, Schau mich bitte nicht so an,Halt Dich fest Marie...

Ich halte mich wirklich fest. Wie Schuppen fällt es mir von meinen Augen: Ralph Maria Siegel und Rolf Marbot amüsieren sich könig­

lich, daß ich so spät erst ihr Geheimnis lüfte!

Mich anpassend, entgegne ich:Eine Frau weiß genau, wann es Zeit ist und erfahre bei einerNiersteiner Auslese (davon versteht er also auch etwas) seinen Werdegang.

Siegels Vater war Generalmusikdirektor in Krefeld, und sein Bruder, der große Tennis­spieler, lebt heute noch dort. Eigentlich sollte der kleine Ralph Geiger werden. Als er aber dreimal seine Lehrer wechselte und jeder ihm klarzumachen versuchte, daß er von vorne anfangen müsse, wurde er vor Wut Operet­tenkomponist. Dann dirigierte er das Tanz­orchester am Deutschlandsender, übernahm Ettäs Orchester, als dieser 1939 eingezogen wurde, und spielte seehzigmal denVetter aus Dingsda. In der Fledermaus hat er nicht weniger als vier Rollen abwechselnd über­nommen und nach Kriegsende 332malDas weiße Rößl auf die Beine gestellt. 1941 lernte erSternchen als Rosalinde kennen und lie­ben, und sie sorgt nun für ihre beiden Män­ner und residiert als großzügige Gastgeberin auch am Herd. DieSpezialitäten des Hau­ses sindKartoffelteig gebacken mit Zwiebeln und Speck und mit köseumbackener Chicoree gefüllt,

Rolf Marbot, der französische Schlager­könig, klärt mich weiter auf:Der Verleger Siegel kann gegen den Dichter Siegel oder gegen den Komponisten Siegel, den Regisseur Siegel und Sänger Siegel Prozesse haben und von jedem einzelnen seine Rechte fordern... Er kann aber auch alle Siegels gleichzeitig belohnen...

Ich stelle fest, daß Ralph Maria ein ZWil- ling ist und am 8. Juni einem guten Wein­jahr, wie er ausdrücklich betont das Licht der Welt erblickte. 'Das war sein erster Schlager.

^ Heber 800 Schlager

Und nun sind es weit über 800 geworden. In, zwischen verspricht der französische Compag- non Rolf:Ich bleib Dir treu mein Kind, und erinnert mich, daß er als Juniorenmeister in Breslau von mir trainiert wurde. Ich darf nun ungestört die Attraktionen des Hauses besichtigen und stelle fest, daß selbst der Ort, der sonstabseits und unbeobachtet liegt, ein kleines einmaliges Museum ist. Inzwischen erzeugen die beiden Schlagerkönige ein 803tes Kind:Bei rotem Licht besehen, sind alle Frauen wunderschön ..

Der Niersteiner nimmt kein Ende, und es gibt keine leeren Gläser. Es klingelt schon wieder! Peter Schäffers. der Sohn von Willi Schaffers, kommt aus Berlin angeflogen; Miki holt Pappi zum Eisenbahnspielen, zwei Tele­gramme werden abgegeben. Der Trubel um Ralph Maria, das Tempo, das er vorlegt, ent­behren doch nicht einer beschaulichen An­nehmlichkeit, die von .allen produktiven Künstlern so wohltuend ausgeht. Es lebe die Schlagerwiege, die uns einlullt und gute Laune schenkt, die Tausenden von Menschen nach des Tages Arbeit, ablenkend und Entspan­nung bietend, Frohsinn verbreitet.

Auf Wiedersehen Jacki tönt es an mein Ohr, als ich die Treppen heruntergehe und

ich variiere:Auf Weiterhören: Siegel! _

Grüß mir die Marie!