6. Jahrgang
Freitag, 17. März 1950
Nummer 42
Minus Atombombe
Höchste Zeit für neuen außenpolitischen Kurs der USA
H.S. Die Oeffentlichkeit der USA wird beunruhigt durch so widerspruchsvolle Erklärungen, wie die des Verteidigungsministers Johnson, daß er „Joe“ jederzeit aufs Haupt schlagen könne, und seines eigenen Luftwaffenministers Symington, die Sowjetunion sei den USA schon heute auf dem Meer, in der U- Boots- und der Panzerwaffe überlegen, in der Luft werde es auch bald so sein und die Verbesserung der Luftabwehr mache den Abwurf von Atombomben auf die sowjetischen Rüstungszentren bald zu einer problematischen Sache, Es ist eine regelrechte Kampagne gegen Johnson im Gang, weil er durch sein Sparprogramm in der Rüstung und seine Ueberheblichkeit die Sicherheit der USA gefährde.
Auch Truman wird angegriffen, weil er sich mit Rücksicht auf die Wahlen zu sehr der Innen- und Sozialpolitik widme, am unpopulären Wehretat spare, gleichzeitig aber ebenfalls Reden halte, in denen von Gewaltanwendung zur Abwehr eines aggressiven Kommunismus gesprochen wird, obwohl die USA nach dem heutigen Stand ihrer Ab- und der sowjetischen Aufrüstung dazu garnicht in der Lage wären. Trumams und Achesons starre Haltung in der Frage eines neuen Gesprächs mit dem Kreml ist auch im Kongreß auf Ablehnung gestoßen und eine ganze Reihe von Senatoren beider Parteien haben die Regierung unter Druck gesetzt, um eine Revision der Außenpolitik zu erzielen.
Diese Außenpolitik ruhte bisher auf der Voraussetzung, daß die USA die Atombombe und die Zeit haben, eine Einigung abzuwar- ten»- Aber die Atombombe ist, selbst wenn die Sowjets bluffen sollten, kaum noch ein Monopol. Selbst der Zeitfaktor ist fragwürdig geworden.
Bemerkenswert war die Erklärung McCloys, die USA hätten höchstens noch 18 Monate Zeit, die Deutschlandfrage zu lösen.
In den USA selbst ist die Politik durch Wahlen behindert. Englands außenpolitische Position ist ungeklärt. In Frankreich, Italien und dem strategisch wichtigen Nahen Osten herrscht Unstabilität. Das ERP ist in einer Krise. Und ausgerechnet in dem Moment, wo die amerikanischen Waffen in Westeuropa einzutreffen beginnen, droht die ganze Konzeption des Atlantik-Pakts ins Schwimmen zu geraten, weil Westeuropa nach dem Auftauchen der Wasserstoffbombe nicht mehr das Gefühl hat, von USA geschützt werden zu können und in seinen Verteidigungsbemühungen zudem durch die zögernde Haltung in Washington demoralisiert wird.
Indien zeigt die gleiche Tendenz, sich einer Entscheidung für eines der beiden Lager zu entziehen. Demgegenüber stehen die (profitn
Wellenkrieg
BERLIN. Dänemark hat beim amerikanischen Armeekommando in Europa dagegen protestiert, daß ein deutscher Sender in der amerikanischen Besatzungszone eine auf Grund des Kopenhagener Abkommens Dänemark zugeteilte Frequenz benützt. Aus Moskau wird bekannt, daß die sowjetischen Rundfunksender seit Mittwoch auf den von der Kopenhagener Konferenz beschlossenen Wellenlängen senden.
Amerikanische ■ Funküberwachungsbeamte wurden am Mittwochabend über das ganze Gebiet der amerikanischen Zone Deutschlands auf „Lauscherposten“ geschickt, um mögliche Störungen von Rundfunksendungen durch russische Sender festzustellen.
Der Berliner Sender des Nordwestdeutschen Rundfunks wird die lieue Welle gemeinsam mit den Rundfunksendern in Irland und Italien benützen. Beide Länder haben dieser Regelung zugestimmt. Der Südwestfunk soll vorerst noch auf der alten Welle senden.
Erfolge der Sowjets in Asien, die Straffung des Ostblocks, die Rubelaufwertung, und ob Stalin schon einen Atombombenvorrat hat öder nicht — er benutzt ihn als politische Waffe, um die USA aus Europa und Asien in die Isolation zurückzudrängen, in einem Kalten Krieg, der sich immer mehr auf die Frage der künftigen Orientierung Deutschlands und Japans zugespitzt hat.
Die Voraussetzungen für ein Gespräch sind in diesem Moment, da Moskau so viele Trümpfe hält, in der Tat ungünstig. Aber auch die völlige Vereisung der Fronten in diesem Krieg kann nicht ewig währen. Die Völker weigern sich, eine Lage als unausweichlich hinzunehmen, deren einzige Lösung die Wasserstoffbombe sein soll.
Man will einen Hoffnungsschimmer sehen. Es darf daher nicht der Eindruck entstehen, daß die USA es sind, die die Tür zugeschla
gen haben und auch heute noch in den Begriffen von 1946 denken. Acheson sucht nach etwas Neuem, wenn auch noch nicht abzusehen ist, worin es bestehen wird.
Der Versuch, das Gespräch von der asiatischen Peripherie wieder nach dem europäischen Zentrum zu verlegen und das Verhältnis Moskau— Washington dadurch zu entlasten, daß man die Gesprächsführung den Deutschen beiderseits der Elbe überläßt, mag ein Hinweis gewesen sein.
Man weiß, daß Moskau seine Beziehungen zum Westen überprüft und registriert mit Interesse, daß die Sowjetzensur Korrespondentenmeldungen passieren ließ, in denen die Möglichkeit des modus vivendi angedeutet wurde. Die wenigen Staatsmänner des Westens, die mit Stalin persönlich zu tun hatten, wie Churchill, wissen, daß das heute eines seiner Lebensziele ist, und sollen daher die Hoffnung nicht aufgegeben haben, daß einmal ein annehmbares Wort aus Moskau erklingt. Der Kreml könnte es sich heute leisten. Aber noch- entscheidender bleibt, welchen Kurs die USA finden werden.
Uebertriebene Besa&ungskosten
BONN. In einem Bericht von Associated Press werden einige Beispiele dafür angegeben, wie luxuriös die Besatzungsangehörigen in Deutschland leben. Danach zeigen die Unterlagen und Berichte deutscher Behörden einige Beispiele für Rechnungen, die von den Deutschen beglichen werden müssen.
Der amerikanische Hohe Kommissar Mc- Gloy verfügt über drei Häuser, eines in Berlin, eines in Frankfurt und ein neues Haus in Bonn. In jedem dieser Häuser ist ein Stab von Angestellten und Gärtnern beschäftigt. Das Haus in Berlin wurde im Raufe von acht Wochen nur einmal benutzt. Die Miete für dieses Gebäude beträgt jährlich 16 800 DM.
Der britische Hohe Kommissar Sir Robertson unterhält ebenfalls drei Wohnsitze, ein Schloß in der Nähe von Osnabrück, ein Schloß bei Köln und ein Haus in Berlin. Nach deutschen Schätzungen sind für Robertson etwa 60 Hausangestellte beschäftigt.
Der britische Landeskommissar für Nordrhein-Westfalen, General Bishop, bewohnt in Mühlheim a. d. Ruhr eine Villa mit 74 Zimmern, für deren Renovierung kürzlich 390 000 DM ausgegeben wurden.
Der amerikanische Landeskommissar für Hessen, Newman, der Junggeselle ist, bewohnt ebenfalls zwei Häuser, eines in Wiesbaden und ein Landhaus. Eine Reihe von deutschen Angestellten hat keine andere Aufgabe, als die von den Alliierten beschlagnahmten unbewohnten Häuser und Villen zu bewachen. Ein Beispiel ist die Villa vom Rath in Kron- berg bei Frankfurt, ein großer, schön ausgestatteter Wohnsitz, der seit fünf Jahren dauernd leer steht und in dem das ständig heiße Wasser und die warmen Räume größtenteils nur von den neun dort beschäftigten Angestellten ausgenutzt werden.
In dem Büro McCloys sowie in dem seines Stellvertreters in Bonn wurden mit Schweinsleder überzogene Schreibtische aufgestellt, von denen jeder einen Wert von 3000 DM hat. Das Konferenzzimmer wurde mit einer seidenen' Wandbespannung ausgeschlagen. Diese Ausstattung hatte die deutsche Regierung angeordnet. Als McClöy die Einrichtung sah, ordnete er an, daß der prunkvolle Schreibtisch in den Keller geschafft und durch einen wirklichen Arbeitstisch aus Holz ersetzt wurde.
Nachrichten aus aller Welt
STUTTGART. An den Folgen eines Schlaganfalles ist in Stuttgart der ehemalige württem- bergisch-badische Wirtschaftsminister Josef Andre gestorben. Andre, der aus der kath. Arbeiterbewegung kam, gehörte von 1906—1933 dem württembergtschen Landtag an. Reichstagsabord- neter war er von 1920—1927. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges war er an der .Gründung der CDU beteiligt und leitete das württember- gisch-badische Wirtschaftsministerium bis 1946.
MÜNCHEN. Die Strafkammer des Landgerichts München erklärte am Donnerstag den 69j8hrlgen ehemaligen Münchner Oberbürgermeister Dr. Carl Scharnagl für schuldig, durch Nacktbaden öffentliches Aergernis erregt zu haben, beschloß jedoch das Verfahren einzustellen, da es unter das Bundesamnestiegesetz falle.
MÜNCHEN. Der Herausgeber der illegalen Zeitschrift „Der Scheinwerfer“, Joachim Nehring, hat sich am Mittwoch der Münchener Polizei gestellt und ihr erklärt, daß der. „Scheinwerfer“ sein Erscheinen sofort einstellt.
BONN. Bundeskanzler Dr. Adenauer empfing kürzlich eine Abordnung der Besatzungsbetroffenen, der er zusagte, eine eigene Abteilung bei dem Bundesfinanzministerium zu errichten, welche die Vereinheitlichung der Abgeltung der Besatzungsleistungen und Besatzungsschäden im Bundesgebiet herbeiführen, Neubauten für den Wohnraumbedarf der Besatzung in eigener Regie errichten und alle einschlägigen Verhandlungen mit der Hohen Kommission führen soll.
DÜSSELDORF. Der ehemalige General Hasso von Manteuffel erklärte am Mittwochabend, daß ihm eine deutsche Zwischenstelle das Angebot
übermittelt habe, die in Freiheit befindlichen deutschen Generale sollten zur Verkürzung der Haft verurteilter deutscher Feldmarschälle und Generale eine Gefängnisstrafe von je einem Jahr antreten. Die deutsche Stelle habe ein Schreiben dieses Inhalts als Angebot Churchills erhalten. Der Sekretär Winston Churchills dementierte diese Meldung. Hasso von Manteuffel soll diesen Vorschlag abgelehnt haben.
BRAUNSCHWEIG. Das Braunschweiger Schwurgericht verurteilte am Dienstag den 45jährigen staatenlosen Arbeiter Theodor Bohnet zu fünf Jahren Zuchthaus. Das Gericht wies ihm 19 Fälle von gefährlicher Körperverletzung, zwei Fälle von leichter Körperverletzung und einen Fall von Körperverletzung mit Todesfolge nach, die er als Dolmetscher und späterer Kommandant in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern an deutschen Gefangenen verübt hatte. . '
KIEL. Das Entnazifizierungsverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hedler wurde vertagt, da der Verteidiger Hedlers ein ärztliches Attest vorlegte, wonach Hedler wegen einer mittelschweren Gehirnerschütterung und mehreren Schlagstellen am Körper für mindestens 21 Tage nicht vernehmungsfähig ist.
LONDON. Zwei viermotorige Bomber der Royal Air Force stürzten am Mittwoch innerhalb einer Stunde ab. Elf Personen fanden dabei den Tod.
ROM. Die Einwohner von Comiso auf Sizilien wollen eine helleuchtende „fliegende Untertasse“ gesehen haben, die mehrere Stunden über der Stadt kreiste. — Der schweizerische Techniker Gardiol^vill am Strande von Peru ebenfalls eine fliegende Untertasse beobachtet haben.
Kommunalwatalen in Dänemark
Niederlage der KP / Sieg der Bürgerlichen
KOPENHAGEN. Bei den dänischen Kommunalwahlen entfielen nach dem am Mittwoch bekanntgegebenen amtlichen Ergebnis auf die Sozialdemokraten 580 Mandate (— 6), die Radikalen 67 (+ 7), die Konservativen 274 (+ 28), Venstre 135 (— 19), die Rechtspartei 49 (+ 48), die Kommunisten 25 (— 51), andere Listen 130 (— 2).
Die Ergebnisse der Kreistagswahlen sind proportional ähnlich. Hier gewann die deutsche Minderheit in Nordschleswig 4 Mandate.
In den Kommentaren zu den Wahlen wird auf die schwere Niederlage der Kommunisten und den Erfolgrder bürgerlichen Parteien besonders hingewiesen. Qje SPD kam als Regierungspartei mit kleinen Verlusten davon.
Polen verläßt Weltbank
WASHINGTON. Die Weltbank gab bekannt, daß Polen die Bank verlassen habe mit der Begründung, daß ein polnischer Antrag auf Gewährung einer 200-Millionen-Dollar-Anleihe nicht erfüllt worden sei. Man rechnet darru*, daß auch noch die Tschechoslowakei die Bank verlassen, und daß dann eine Clearing-Union der Ostblockstaaten auf der Grundlage des Goldrubels gebildet wird. Die Zentrale werde, so wird in Washington behauptet, in Moskau oder in Prag sein. Sie hätte die Aufgabe, zur Finanzierung industrieller und landwirtschaftlicher Vorhaben der Ostblockstaaten Rubel- oder Goldkredite zu gewähren.
Neues Europa-Hllfswerk?
WASHINGTON. Im außenpolitischen Ausschuß des Repräsentantenhauses werden bereits Gespräche darüber geführt, was nach Erlöschen des Marshallplans im Jahr 1952 ge« schehen soll. Ein republikanischer Abgeordneter hat vorgeschlagen, eine Studienkommission einzusetzen, die ein neues Beistandsverfahren ausarbeiten soll, das die durch den gegenwärtigen Wiederaufbauplan erzielten Fortschritte sichert.
Weitere amerikanische Senatoren haben im Senat die unverzügliche Einstellung der Demontage in der britischen Besatzungszone gefordert.
Kritik an Deutschland-Politik
BONN. Vor sozialdemokratischen Presse« Vertretern erklärte der SPD-Vorsitzende Dr, Schumacher, Watenstedt-Salzgitter droh« zu einem „Symbol der höhnischen Resignation“ zu werden. Es sei zu befürchten, daß sich in der Nähe der sowjetischen Zonengrenze ein explosives Elendsgebiet bilde. Das „soziale Versagen der Bundesregierung“ sowie das „psychologisch-ungeschickte Vorgehen der Alliierten“ in der Demontage- und der Flüchtlingsfrage seien schuld an dem Wiederaufkommen des Nationalismus in den Elendsgebieten in Holstein und Oldenburg. Es sei auf allen Gebieten Initiative dringend nötig.
Hohenzollerns Selbst Verwaltung
• TÜBINGEN. Im Artikel 2 Abs. 2 der Verfassung von Württemberg-Hohenzollem war vorgesehen worden, daß durch ein besonderes Gesetz die Selbstverwaltung der hohenzolle- rischen Kreise im einzelnen festgelegt werden sollte und zwar in dem Umfang, in dem sie ihnen am 1. 1. 1933 gegeben war. Zu einer Aussprache über ein solches Gesetz, das in absehbarer Zeit vom Landtag beraten werden soll, fanden sich unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten Dr. Gebhard Müller eine Reihe von führenden Persönlichkeiten aus dem Lande Hohenzollern zusammen. Unter ihnen befanden sich u. a. der bisherige Landeshauptmann M o s e r, der stellvertretende Landeshauptmann S t i e g 1 e r, die Landräte und Bürgermeister von Sigmaringen und Hechingen, die Landtagsabgeordneten für Hohenzollern, Vertreter der Wirtschaft und Gewerkschaften, sowie Vertreter der Kreistage.
FRANZ WILHELM KIEHNQ
UM vZ)*. -J-'CilL
31 KRIMINALROMAN
Alle Rechte bei FeniUecondieost Molander, Tiibingen-Luttnau
Mit dieser Schilderung begnügte sich Reuter. vorerst, es dem Oberregierungsrat überlassend, welche Folgerungen er daraus ziehen wollte.
„Dast ist allerdings ein sehr eigenartiges Zusammentreffen. Wissen Sie übrigens zufällig, ' ob Dr. Falk eine sehr hohe Lebensversicherung abgeschlossen hatte?“
„Von meinem Vater habe ich erfahren, daß die Versicherung auf hunderttausend Mark festgesetzt war; sie war den Verhältnissen Dr. Falks angemessen und lief seit vielen Jah- , ren, so daß ein Versicherungsschwindel oder etwas Derartiges wohl kaum in Frage kommen kann.“
Werner sagte anerkennend: „Sie folgern schnell und richtig. Ich dachte allerdings daran, daß Dr. Falk den Unglücksfall vorgetäuscht habe, um dahinter einen Selbstmord zu verbergen, für den wahrscheinlich Gift in Frage kommen könnte. Ein nicht sofort wirkendes schmerzloses, tödliches Gift, dessen Anwendung er als Arzt ohne weiteres beherrscht hätte. Herr Rank dagegen war sehr lebenslustig, er hätte bestimmt nicht Selbstmord begangen.“
Da war dieser scheußliche Gedanke, der auch ihm vorhin gekommen war. Sollte Falk wirklich zu Gift gegriffen haben, um sich des Erpressers zu entledigen? Was hatte Rank von ihm gewußt, daß er ihm dafür den Tod gewünscht haben. könnte? War es nicht etwas ganz Unsinniges, wenn man sich die Persönlichkeit Dr. Falks vor Augen hielt, daß man ihm das zutraute? Falk und Gift? Falk und
Selbstmord? Nein und tausendmal nein! Das brachte Reuter in aller Klarheit und mit leidenschaftlichem Eifer zum Ausdruck.
„Ich habe Dr. Falk nicht gekannt“, meinte Werner, „ihn nur im Tode gesehen. Sie mögen recht haben: so sieht kein Mann aus, der mordet. Aber manche schlimme Tat wurde schon aus gutem und edlem Beweggründe getan, auch hätte er sie ja gesühnt. Es war eine Torheit, daß wir damals nicht soforf darauf bestanden, Ranks Leiche genauer untersuchen zu lassen. Wenn ich jetzt eine Obduktion Dr. Falks verlange, haben wir sofort das, was wir verhindern wollen: einen Riesenskandal. Aber die ganze Sache einfach auf sich beruhen lassen, können wir auch nicht; wissen wir denn, ob nicht vielleicht noch ein Dritter die Hand im Spiele hat? Wäre es , nicht naheliegend, anzunehmen, daß beide Männer von fremder Hand fielen? Unterstellen wir einmal, daß beiden eine ähnliche Verletzung beigebracht wurde, dann konnte dies nur von jemanden geschehen, der sie beide kannte und von beider Tod einen Vorteil hatte.“
„Glauben Sie nicht, daß die Einbeziehung eines unbekannten Dritten die Sache sehr kompliziert? Daß für eine derartige Annahme auch nicht der Schatten eines Beweises vorhanden ist?“
„Je länger ich überlege, desto mehr komme ich zu der Ueberzeugung, daß es nur eines gibt; beide Leichen nachträglich untersuchen zu lassen.“
„Das wäre furchtbar, aber ich muß Ihnen leider recht geben. Nur bitte ich Sie sehr: sprechen Sie vorher mit Fräulein Falk, bereiten Sie sie so schonend wie möglich vor; es muß entsetzlich für sie sein.“
„Wäre es sehr Unbescheiden von mir, wenn ich Sie bitten würde, dies für mich zu tun? Zurzeit bin ich dienstlich so überlastet, daß ich unmöglich schon morgen wiederkommen könnte. Die Sache drängt, und Herrn Kom
missar Flodmann möchte ich mit diesem doch recht persönlichen und schwierigen Auftrag nicht betrauen. Ich weiß, daß es eine unangenehme Aufgabe ist, aber Sie kennen ja die junge Dame näher, Sie werden leichter die rechten Worte finden. Daß alles so still wie möglich vor sich gehen soll, ist selbstverständlich. Ich bin mir aber im klaren, daß sich in einer kleinen Stadt etwas Derartiges schwer verheimlichen lassen wird.“
Paul Reuter zögerte, er dachte an die frische, aber derbe Art des Kommissars; wenn der morgen zu Dorothea kommen und ihr erzählen würde... Nein, das war nicht auszudenken! Lieber wollte er diesen schlimmen Auftrag selbst übernehmen, und so sagte er schweren Herzens zu.
Der Oberregierurtgsrat dankte ihm herzlich, seine Zeit war um, Professor Stephan würde schon auf ihn warten. Er bat Reuter noch, so bald wie möglich Bericht zu erstatten. Möglicherweise könne auch Fräulein Falk noch einige Fingerzeige geben.
Als der Referendar heimkam, fand er ein feierliches Schreiben der juristischen Fakultät der Universität Freiburg vor, die ihm mitteilte, seine eingereichte Arbeit sei mit dem zweiten Preis ausgezeichnet worden. In vier Tagen finde die Preisverteilung statt, er werde eingeladen, den nicht unbeträchtlichen Geldpreis, das Diplom und die Medaille selbst in Empfang zu nehmen.
Zu anderer Zeit wäre Paul Reuter über diese Nachricht unbändig erfreut gewesen, in seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung aber war ihm alles gleichgültig. Ihn bewegte nur der eine Gedanke: arme Dorothea.
VIII
Am nächsten Morgen ließ der Referendar sich von seinem Vorgesetzten Urlaub geben und war gegen elf Uhr im Hause des verstorbenen Sanitätsrats. Er hatte diese Zeit gewählt, da er mit einiger Sicherheit anneh
men konnte, daß er Dr. Berning, dessen Sprechstunde' j etzt stattfand, nicht begegnen würde. Er hatte auch Glück: Dorothea ließ ihn sofort heraufbitten.
„Es ist nett von dir, daß du noch einmal kommst, hab’ Dank für deinen Brief und Anteilnahme. Es hat mir leid getan, daß du vorgestern vergeblich da warst. Dr. Berning hat es gewiß gut gemeint, ich war wirklich sehr abgespannt und elend und wollte keine Besuche haben, aber mit dir hätte ich natürlich eine Ausnahme gemacht.“
.Also hat der Kerl doch gelogen“, dachte Paul, und diese Feststellung befriedigte ihn sehr. Er war in einer verheerenden Stimmung. Wie sollte er Dorothea all das Schreckliche auseinandersetzen.? Sie bemerkte seine Verlegenheit, deutete sie aber falsch.
„Du brauchst mir jetzt wirklich nicht erst eine Trauerrede zu halten, Paülchen, ich kann mir denken, daß dir das nicht liegt. Ich habe auch schon viel zu viel .Tröstliches“ hören müssen. Erzähl’ mir lieber etwas anderes, es war wirklich für mich in den letzten Tagen ein wenig viel auf einmal. Zuerst die Examenshetzerei, und nun das Allerschlimmste. In meines Vaters Sinne liegt es nicht, nutzlos zu grübeln und zu klagen, also wollen wir versuchen, wieder froher zu werden. Wo hast du heute deine gute Laune? Sei verrfünftig, ich bin es ja auch.“
Paul Reuter war jammervoll zumute, am liebsten hätte er jetzt wie ein kleiner Junge zu heulen angefangen; dieses tapfere Mädel unternahm es noch, ihn zu trösten, und er mußte eine Wunde aufreißen, die heilen sollte. Er sah ihr schmal gewordenes, blasses Gesicht und ihre traurigen Augen. Tiefes Mitleid erfüllte ihn. Aber was half es? Sprach er nicht, so wurde alles nur schlimmer; also gab er sich einen Ruck und begann; „Erinnerst du dich noch unseres Gesprächs damals in Berlin, als du mir sagtest, daß dir dein Vater so verändert vorkäme?“ (Fortsetzung folgt)