6. Jahrgang

Mittwoch, 1. März 1950

Nummer 33

Allerlei Mädchenhandel

Von Lorenz Berkau

Die Gefangenen des Unterhauses

Die einen verschieben blonde wie leicht­gläubige junge Damen, vorzugsweise nach Süd-Amerika. Man sagt, das sei ein blenden­des Geschäft. Wesentlich mehr wird von de­nen verdient, die darüber schreiben oder fil­men.

Ein noch besseres Geschäft als die lebendi­gen Mädchen sind die gedruckten. Umsonst gehen die Wogen der Diskussion um das Schund- und Schmutzgesetz nicht so hoch. Ganz abgesehen davon, daß solche Wogen eine ausgezeichnete Reklame sind; und nicht zuletzt sogar ein praktisches Tarnungsmittel: bisher mußte der brave Ehemann die Maga­zine sorgfältig im Geheimfach seines Empire- Diplomaten-Schreibtisches verschließen, zu dem höchstens die liebevolle Hausfrau einen noch geheimeren Nachschlüssel besaß. Heute kann er sie ganz offen betrachten. Studien­halber. Als wahlberechtigter Demokrat muß er sich doch sein eigenes Urteil über die ak­tuellsten Tagesfragen bilden.

Ist es bei so intensiv betriebenen Studien verwunderlich, daß sich gewichtigste Stim­men gegen die heraufziehende Gefahr der Schnüffelei und des Muckertums erheben?

Hie Anstand und Sitte, hie Pressefreiheit und Verfassungsgarantien, heißen die Paro­len, mit denen man zu Felde zieht.

Doch leider herrschen auch im Betriebe des Rechtes nicht allein die Ideale. Man muß sich vielmehr sehr gründlich überlegen, ob der Apparat, den man zur Erreichung seines Zie­les benötigt, in einem vernünftigen Verhältnis zum wahrscheinlichen Erfolg steht.

Es gibt viele Dinge, die nicht schön, ja so­gar verwerflich erscheinen, die man aber doch nicht ausrotten, kaum einschränken kann. Man denke nur an die Schwarzhändler der vergan­genen Jahre; nicht wenige von ihnen waren für die zu ihrer Bekämpfung bestimmten Ge­setze recht dankbar, weil sie erlaubten, die Preise um des Risikos willen zu steigern.

Von solchen Ueberlegungen ausgehend schlagen manche statt des Verbotes der lite­rarischen Unzucht eine Art Lustbarkeitssteuer vor. So wenig kann ein Mädchen gar nicht anhaben, daß noch viele 4 oder 5 Mark daran­rückten, ihr Foto zu erwerben. Das scheint recht vernünftig; zumal dabei auch noch et-

Folgen des Wahlausga

H.S. England hat sich erneut für die La- bour Party entschieden. Aber die Mehrheit ist so klein, daß es fraglich ist, ob die Partei ihres Sieges recht froh sein kann. Sie hat zwar die Konsequenz gezogen und wird eine neue Regierung bilden, ihr Stand wird jedoch so­wohl politisch wie regierungstechnisch ein schwieriger sein. Ihre absolute Mehrheit be­trägt nach den bisher vorliegenden Ergebnis­sen 2 Mandate, die wichtigere Mehrheit gegen­über der konservativen Opposition rund 10. Da das Kabinett aus 20 bis 30 Ministern be­steht, und da in England trotz der grundsätz­lichen Gewaltentrennung die Regierung doch nur eine Art Exekutivausschuß des Parla­ments ist und sämtliche Minister im Unter­haus sitzen, bedeutet das, zumal kein Frak­tionszwang besteht, daß sie stets anwesend sein müssen, um bei Abstimmungen nicht in die Minderheit zu geraten.

Da das Unterhaus aber an fünf Tagen der Woche den ganzen Nachmittag und Abend tagt, heißt das mit anderen Worten, daß die Minister nur vormittags regieren können und sich in der Arbeitsteilung zwischen Kabinett und Parlament aufreiben müssen. Sie sind praktisch Gefangene des Unterhauses. Reisen, Teilnahme an internationalen Konferenzen . usw. sind fast unmöglich, auch wenn man un­terstellt, daß die Opposition in der gleichen Weise in Anspruch genommen wird und ein altes System der paritätischen Abstimmung besteht, die es z. B. Morrison gestattet, eine Indienreise zu unternehmen, wenn Churchill sich in Madeira erholen will.

Da die Unterschiede zwischen den beiden Parteien gering sind und England sich in ei­ner Krisenlage befindet, wäre nach kontinen­talen Begriffen eine Nationale, d. h. eine Koa­litionsregierung, das Ei des Kolumbus. Das scheidet jedoch nach den vorausgegangenen Erklärungen der Parteien aus.

Es ist andererseits auch nicht anzunehmen, daß eine der beiden Parteien an baldigen Neuwahlen interessiert sein kann, da die künftige Haltung der 2,5 Millionen Liberalen durchaus ungewiß ist. Wenn auch die Bedeu­tung der liberalen Vertretung im Unterhaus

ngs in Großbritannien

heute gleich Null ist, so spielen ihre Wähler­massen jetzt doch eine ganz andere Rolle als 1945/50, als Labour eine große Mehrheit hatte. Jede der beiden Parteien wird sich bei jeder Maßnahme die Reaktion dieser liberalen Re­servearmee sehr genau überlegen müssen. Nie­mand weiß, ob sie bei einer neuen Macht­probe wieder einen eigenen Kurs steuern oder auf welche Seite sie sich schlagen werden. Ihre bedingte Erklärung für Labour, die eine der großen Ueberraschungen am Vorabend der Wahl war, läßt eher eirfen'Zuwachs für La­bour erwarten und dürfte die Churchillianer veranlassen beim Herbeiführen von Neuwah­len vorsichtig zu sein.

Wahrscheinlicht ist daher, daß sich das labile Gleichgewicht so lange halten wird, bis Fra­gen auftauchen, die so entscheidend sind, daß das Risiko einer Neuwahl sich lohnt. Das An­fang April vorzulegende Budget wird das kaum sein. Eher schon die Stahlverstaat­lichung, die am 1. Oktober in Kraft tritt und ab 1. Januar durchgeführt werden soll. Ein Kompromiß erscheint hier wenig wahrschein­lich, da Labour dadurch ihre Wähler zu sehr vor den Kopf stoßen würde.

Die Konservativen haben sich 1931 aller­dings einen ähnlichen Umfall geleistet, als sie gewählt wurden, um das Pfund zu halten, und es dann doch abzuwerten. Ohne Kompromisse auf manchen Gebieten wird es auch jetzt kaum gehen. Das ist eine Lage, die für die Parteien vielleicht schlecht sein mag, für England aber innerpolitisch auf jeden Fall gut ist.

Wenn jedoch im Innern eine Gleichgewichts­politik das für England Richtige ist, und eine schwache Regierung nichts, schaden kann, so ist die Lage außenpolitisch weniger erfreu­lich. Hier wird kein Gleichgewicht hergestellt, sondern entsteht ein Schwebezustand, der vor allem für die englische Europa-Politik, wo die Entscheidungen nicht mehr länger hinausge­schoben werden dürfen, ungünstig ist. Ein gu­ter Schuß Churchill in einem Fifty-Fifty- Cocktail aus konservativem Gin und Labour- Wermut würde allen Beteiligten gut tun und könnte aus der Schwebe ein Gleichgewicht machen.

Nachrichten aus aller Welt

was für den Staat herausspringt.

Und trotzdem dürfte auch diese Rechnung nicht aufgehen. Zwar ist sie nicht ohne den Wirt, dafür aber ohne die Gäste gemacht: Denn wenn man auch in Bonn ein raffiniertes Gesetz zur Bekämpfung aller Unkeuschheit erließe und in München die zweifellos offen bleibenden Hintertürchen energisch verrie­gelte, den Druck von pin-up-Bildern in mora­lisch im übrigen weit höher stehenden Län­dern könnte man damit nicht unterbinden.

Wir wissen nur zu gut, wie viel man heut­zutage mit Kaffee verdienen kann, weil einer­seits die Steuern zu hoch sind und anderer­seits die Ueberwachung der Grenzen durch die deutschen Zollbeamten allein nicht genügt. Warum soll man mit Gewalt diese Verhält­nisse auf ein neues Gebiet ausdehnen? Der Handel mit gedruckten Mädchen wird nicht aufhören; der einzige Unterschied wird sein, daß ahdere daran verdienen.

Fiammenwerferöl gegen Polizei

HANNOVER. Am Montag kam es in einer berüchtigten Schwarzhändlerstraße in Han­nover-Linden zu einem erbitterten Kampf zwischen den dort wohnenden Schwarzhänd­lern und der Polizei. Die Beamten wurden bereits bei dem Betreten der Straße aus den oberen Stockwerken der Häuser mit Steinen und Küchengeräten beworfen. Als sie aus einem Fenster sogar mit brennendem Flam­menwerferöl begossen wurden, mußten sich die Beamten sogar zurückziehen. Erst mit Hilfe von drei herangeholten Ueberfallkom- mandos konnte die Straße gestürmt werden. Unter den Verhafteten befindet sich auch die Flammenwerferin, eine berüchtigte Schwarz­händlerin. Auf beiden Seiten gab es zahl­reiche Verletzte. 18 Zentner Kaffee und große Mengen an Zigaretten wurden sichergestellt.

MÜNCHEN. Die Stadt und der Landkreis Mün­chen sowie vier an diesen angrenzende Kreise schlossen sich am Montag zurPlangemeinschaft äußerer Wirtschaftsraum München zusammen. Die Plangemeinschaft soll die Interessen Mün­chens und der umliegenden Landkreise aufein­ander abstimmen.

FRANKFURT. Die Hauptverwaltung der Deut­schen Buifdesbahn gibt bekannt, daß Privattele­gramme vom 1. März an wieder durch das Zug­personal angenommen werden.

BONN. Bundesinnenminister Heinemann gab bekannt, daß 26 Prozent aller Beamten und 32 Prozent aller Angestellten der Bundesministe­rien Heimatvertriebene seien.

BONN. Vom Bundesflüchtlingsministerium wird bekanntgegeben, daß sich gegenwärtig täglich 50 deutsche Jugendliche bei der Werbestelle für die französische Fremdenlegion melden. Es handelt sich in der Hauptsache um arbeitslose und illegal in den Westzonen wohnende Jugendliche.

DÜSSELDORF. Der Besitzer eines Hundezwin­ger steht im Verdacht, seinen Freund zur Brand­legung angestiftet zu haben, um in den Besitz der Versicherungssumme zu gelangen. Der Freund ist aber, als er einige Strohballen mit Benzin übergoß und anzündete, selbst vom Feuer er­faßt worden und verbrannt.

DÜSSELDORF. Eine Frau übergoß während einer Auseinandersetzung ihren betrunkenen Mann mit Benzin und steckte seine Kleidung in Brand. Der Mann erlag seinen Verbrennungen. Die verhaftete Ehefrau gab an, ihr Mann sei seit Rosenmontag ständig betrunken gewesen.

HANNOVER. Auf der eingleisigen Neben­strecke HildesheimKreiensen stieß am Montag­morgen eine Lokomotive mit einem entgegen­kommenden Personenzug zusammen. Drei Eisen- bahner wurden getötet, vier andere und ein Rei­sender verletzt.

STOCKHOLM. Wie bekannt wird, gehören zu den Kandidaten, .die für den diesjährigen Nobel­preis vorgeschlagen wurden, Präsident Truman und Winston Churchill. Unter den Kandidaten befinden sich auch noch der indische Minister­präsident Pandit Nehru, der ehemalige austra­lische Außenminister Dr. Evatt und der Leiter des UN-Sekretariats, Ralph Bunre.

PARIS. Vier bewaffnete Banditen überfielen am Montag im Zentrum von Paris Boten einer Versicherungsgesellschaft, die bei der Lyoner Kreditbank Lohngelder geholt hatten und ent­kamen mit 3 Millionen Francs.

TOULOUSE. Ein Teil der britischen Mittelmeer­flotte wird am Freitag in Toulouse zu einem achttägigen Besuch eintreffen.

SOFIA. Das bulgarische Außenministerium klagt in einer energischen Protestnote, die der jugoslawischen Botschaft überreicht wurde, jugo­slawische Grenzwachen des Mordes an zwei Sol­daten an. Die' Anklage fordert Entschädigung und strengste Bestrafung der Verantwortlichen.

WASHINGTON. Das Staatsdepartement der USA erklärte am Montag alle Pässe für Reisen nach Bulgarien für ungültig und wies ebenso wie Großbritannien die ungarische Note, in der eine Verringerung des Gesandtschaftspersonals in Bu­dapest gefordert worden war, zurück.

LAKE VIEW (Georgia, USA). Hjer ist ein Mann verhaftet worden, der seine Frau an die rück­wärtige Stoßstange seines Autos gebunden und zu Tode geschleift hat, weil sie angeblich ein Verhältnis zu einem anderen Mann unterhalten hatte.

GUATEMALA. Bei der Eröffnung der 6. mit­telamerikanischen und karibischen olympischen Spiele wurde die Fahne der USA von einer Po­lizeikapelle statt mit der amerikanischen Natio­nalhymne 'mit einem Volkslied aus Puerto-Rico begrüßt, was den Botschafter der USA in Guate­mala veranlaßte, einen Protest wegenBeleidi­gung" der amerikanischen Flagge anzukündigen.

Macdiiavell zur Entnazifizierung

Nichts verwundet so gefährlich einen Staat, als wenn er alle Tage das Ressenti­ment von Staatsbürgern durch immer neue Beleidigungen, die er diesem oder jenem un­ter ihnen zufügt, wachruft. So war es in Rom nach dem Decemvirat. Alle zehn Dezemvirn und eine Unzahl anderer Bürger wurden zu verschiedenen Zeiten angeklagt und verur­teilt, so daß der römische Adel von dem größ­ten Schrecken erfüllt wurde und glaubte, daß nur sein völliger Ruin den Verurteilungen ein Ende setzen würde.

Das hätte die bösesten Folgen haben kön­nen, wenn nicht der Volkstribun Manlius Duellius durchgesetzt hätte, daß verboten wurde, innerhalb eines Jahres einen römi­schen Bürger unter Anklage zu stellen. Man sieht an diesem Beispiel, wie 'gefährlich es für eine Republik oder einen Fürsten ist, durch solche dauernden politischen Verurtei­lungen unaufhörlich bei ihren Untertanen Verdacht, Unruhe und Aufregung zu erhalten. Man kann sich garnichts Gefährlicheres den­ken. Die Menschen, die man in diese furcht­bare Ungewißheit für ihre Existenz bringt, sichern sich mit jedem Mittel gegen die Ge­fahr, und werden bald kühner, so daß ihnen alles recht ist.

Man muß also entweder niemand etwas antun oder ein einziges Mal Strenge walten lassen, dann aber sofort die Geister beruhi­gen und alles tun, um Ruhe und Vertrauen wiederherzustellen.

Aus Macchiavelli: (Reden über Titus, Livius, Buch I. Kap. XIV.)

Macchiavelli lebte von 14691527. Man war damals offenbar etwas klüger.

Bonn zieht an

BONN. Das städtische Gesundheitsamt von Bonn kündigte am Montag eine Serie von Polizeirazzien gegen dieseit einem Jahr in Bonn ständig zunehmende heimliche Prosti­tution an. Nach Schätzungen der Behörden hat die Wahl der Stadt zum Sitz der Bundes­regierung in den letzten Monaten mindestens 200 weibliche Personen nach Bonn gezogen, die heimlich der gewerblichen Unzucht nach­gehen. Dagegen sei die Zahl der offiziell Pro­stituierten in der gleichen Zeit lediglich von 4 auf 42 gestiegen. Ein Viertel der von der Polizei auf den Straßen Bonns aufgegriffenen geschlechtskranken Mädchen sei minderjährig.

Stuttgart läßt sich Zeit

STUTTGART. Die CDU-Landes Vorsitzenden von Nordwürttemberg und Nordbaden hatten . in einem Brief an das Staatsministerium eine erneute Initiative in der Frage des Südwest­staates gefordert. Das Kabinett hat beschlos­sen. erst das Ergebnis von Verhandlungen der Regierungsparteien über diese Frage abzu­warten, bevor die Möglichkeit weiterer Schritte untersucht werden soll.

Gegen Neofaschismus

STUTTGART. Der gesamtdeutsche Rat der VVN hielt in Stuttgart seine 16. Ratssitzung ab. Der Vorsitzende in der amerikanischen Zone, Ketterer, erklärte, die VVN wolle im Kampf um den Frieden in vorderster Li­nie stehen. In einer Pressekonferenz wurde erklärt, daß in Zukunft der Kampf um den Frieden sich in erster Linie gegen den wie­derauflebenden Neofaschismus und gegen die Remilitarisierung richten werde. In einer Ent­schließung wird gesagt, die neutrale Haltung in der Frage um den Frieden bedeute Hilfe­stellung für die Kriegstreiber.

Spezialarbeiter

BERLIN. Der Berliner Magistrat hat 750 Firmen überprüfen lassen, die Kurzarbeiter­unterstützung empfangen. Dabei wurde fest­gestellt, daß 650 Unternehmen 140 000 DM West Kurzarbeiterunterstützung zu Unrecht bezogen haben. Die Betriebsleiter dieser Fir­men hatten Familienangehörige, Dienstmäd­chen und Verwandte alsSpezial- und Stamm­arbeiter geführt.

FRANZ WILHELM K1ELINQ

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, 2] KRIMINALROMAN

Alle Rechte bei FeuiUetoadieast Molander, Tübing«n*Lu«mu

Flodmann hatte von dem Dienstmädchen der Frau von Haack nicht viel erfahren können. Rosa Hinrichs war bereits um drei Uhr aus dem Hause gegangen. Sie hatte einen freien Nachmittag gehabt und war zu ihrer Schwe­ster nach Nowawes gefahren. Ob ihre Herrin noch Besuch erwartet habe, war ihr unbe­kannt, besonders angemeldet sei niemand ge­wesen. Als sie gegangen sei, sei ihr auf der Treppe nur ein älterer, unbekannter Herr be­gegnet. Sie glaube gehört zu haben, daß dieser an der Wohnungstür von Frau von Haack ge­klingelt habe, ganz bestimmt könne sie das aber nicht angeben. Eine genaue Beschreibung des Mannes war nicht von ihr zu erhalten. Er sei schon älter gewesen und habe vornehm ausgesehen. Das war das einzige, was die Hin­richs von der Erscheinung des Unbekannten behalten hatte. Frau von Haack sei übrigens zu dieser Zeit allein in der Wohnung gewesen, ihr Sohn sei schon gegen zwei Uhr zum Ten­nisspiel weggegangen. Von den sonstigen Be­suchern der Ermordeten konnte die Hinrichs auch nicht viel sagen, sie kannte nur Rode­wald, von dem sie angab, daß er in der letz­ten Zeit ziemlich selten gekommen sei. Er habe sich wohl nicht mehr so gut mit der Gnädigen gestanden, sie hätten sich öfter ge­zankt; einmal sei es darum gegangen, daß Frau von Haack ihm verboten habe, mit ihrem Sohne zu verkehren. Mit Karl-Heinz habe die Mutter sich ausgezeichnet vertragen, sei im- pier auffallend zärtlich zu ihm gewesen, es habe nie ernsthaften Streit gegeben; der Sohn habe sie stets höflich und aufmerksam

behandelt. Daß er die Mutter getötet habe, hielt auch diese Zeugin für völlig undenkbar. Wo Karl-Heinz von Haack sich jetzt befand, wußte sie nicht, sie hatte keine Ahnung, wo er verkehrte. Sie erzählte, daß er manchmal abends nicht heimgekommen sei. dann habe ihm allerdings seine Mutter Vorhaltungen ge­macht, die er aber mit einem Scherz abgetan habe.

Die Beamten bemühten sich, festzustellen, ob nicht doch etwas entwendet worden sei. Das Mädchen mußte Auskunft geben. Die ziemlich zahlreichen Schmuckstücke der Ver­storbenen waren alle vorhanden. Bargeld fand sich in einer offenen Schublade des Damen­schreibtisches, es schien also wirklich nichts zu fehlen.

Flodmann begann sich nun für die Tätigkeit der Frau von Haack zu interessieren. Doch ließ sich aus ihrer Buchführung wenig oder gar nichts entnehmen. Eine geordnete Kassen­führung schien es auch nicht gegeben zu ha­ben. Durchschläge von Briefen waren nicht zu finden, Frau von Haack hatte keine Schreib­maschine besessen und alles mit der Hand ge­schrieben. Was sich an Papieren in ihrem Schreibtisch vorfand, war gänzlich unver­fänglich.

Das sieht wirklich nicht sehr verheißungs­voll aus, meinte Dr. Werner sorgenvoll.Wenn nicht der Sohn als Täter in Betracht kommt, haben wir so gut wie keinen Anhaltspunkt.

Flodmann nickte.Auch unsere Leute ha­ben nicht das geringste entdeckt, woran man sich halten könnte. Selbst auf der Lehne des Sessels, von dem ich annahm, daß der Mörder dort gesessen habe, ließen sich keine Finger­abdrücke finden. Ja, Inspektor Krüger meint sogar, daß die Armlehnen besonders sorgfäl­tig abgewischt worden seien.

Das wäre ja allerhand, dann müßten wir es ja wirklich mit einem ganz durchtriebenen und abgebrühten Burschen zu tun haben. Sie

kennen übrigens doch den Sohn, Flodmann, trauen Sie dem die Tat zu?

Der Kommissar zögerte.Man kann sich na­türlich gewaltig täuschen. Ich habe den jun­gen Menschen nur einen Augenblick gesehen, aber wenn ich den Tatbestand überschaue, dann halte ich es fast für ausgeschlossen, daß der Sohn der Mörder ist. Ich glaube nicht, daß es sich um eine Affekthandlung, also Tot­schlag, handelt. Alle Indizien, soweit man von solchen überhaupt reden kann, weisen auf einen wohldurchdachten Mord hin. Den­ken Sie nur allein an die Beseitigung der Mordwaffe. Eine rasche Tat im Jähzorn oder in hochgradiger Erregung, dazu sind viele fähig, aber dann so kaltblütig der eigenen Mutter gegenüber zu verfahren, das ist denn doch ein bißchen viel, wenn ich auch auf das Gewäsch der Mädchen von wegen .aufmerk­samer Sohn und so weiter nicht viel gebe. Die Verliebtheit in den hübschen Laffen schreit den Frauenzimmern ja direkt aus den Augen!

Vorläufig dürfte unsere Arbeit hier wohl beendet sein. Ich werde dem Oberstaatsan­walt Nachricht zukommen lassen. Die Leiche bleibt beschlagnahmt. Vielleicht können wir durch eine genauere Untersuchung noch eini­ges über die Waffe erfahren, mit der die Tat begangen wurde. Lassen Sie zwei Beamte hier. Falls Haack kommen sollte, ist er sofort ins Präsidium zu bringen; bis ein Uhr habe ich mindestens noch zu arbeiten. Wird er nicht gefunden, müssen wir morgen einen Steckbrief erwirken. Bilder haben wir ja ge­nug von dem Jüngling, hier in diesem Zim­mer stehen allein vier. Kommen Sie mit, Flodmann?

Aber der Kommissar erklärte, noch bleiben zu wollen, er wolle in Ruhe die ganze Woh­nung noch einmal durchsuchen.

Falls Sie etwas entdecken, sagen Sie mir Bescheid. Sie können natürlich auch in mei­ner Wohnung anrufen. besonders, wenn etwa Haack sich einfinden sollte."

Gegen zwei Uhr der Oberregierungsrat lag im ersten, schönsten Schlaf klingelte das Telefon, das auf seinem Nachttisch stand, mit solcher Beharrlichkeit, daß er wohl oder übel, wenn auch noch vollkommen verschla­fen, den Hörer abnahm.

Mit einem freundlichenGuten Morgen begrüßte Kommissar Flodmann seinen Chef. Er hatte volles Verständnis dafür, daß ihm nur ein bösartiges Knurren antwortete.

Ich wollte nur mitteilen, Herr Oberregie­rungsrat, daß wir ihn haben. Zwar nicht den Mörder, aber doch den jungen von Haack. Er kam ganz ahnungslos vor einer halben Stunde in der Wohnung an; ich war noch dort, es hat eine scheußliche Szene gegeben. Ich habe den armen Teufel mitgenommen, wir müssen ihn sowieso in Schutzhaft nehmen, sonst stellt er womöglich etwas an.

Schicken Sie den Wagen her, ich bin in fünf Minuten fertig.

Als der Dienstwagen vorfuhr, kam Dr. Wer­ner bereits die Treppe herunter. Er war ge­spannt darauf, was Haack zu sagen haben würde.

Vor Flodmann, der in seiner ganzen Breite in seinem riesigen Schreibtischsessel klemmte, hockte ein jämmerliches Bündel Elend. Die Eleganz und Gepflegtheit des jungen Gecken war dahin. Das furchtbare Geschehnis hatte ihn bis ins Tiefste erschüttert.

Werner brauchte nicht an die Angaben der Mädchen zu denken, um sofort zu wissen, daß so kein Muttermörder aussah. Leichtsinnige Handlungen, Schwindeleien, ja, die wären dem jungen Manne vielleicht zuzutrauen ge­wesen. Eine Gewalttat, und noch dazu eine unter so erschwerten Umständen, keinesfalls.

Karl-Heinz von Haack war durch den Tod der Mutter vollkommen aus dem Gleichge­wicht geworfen. Jetzt zeigte sich, und das glaubten auch die Beamten, daß in dem ober­flächlichen, trägen und arbcitsunlustigen Men­schen doch ein guter Kern zu stecken schien.

(Fortsetzung folgt)