6. Jahrgang
Freitag, 27. Januar 1950
Nummer 14
Unsere Reportage: flodlStapler Unter UI1S
Der Mann, der mit Rita Hayworth frühstückte
I.
Wenn in Deutschland der Titel „phantasievollster Hochstapler der Nachkriegszeit“ zu vergeben wäre, hätte Robert Seeger alle Aussicht, ihn zu gewinnen. Vom Geflügelzüchter bis zum General, vom Widerstandskämpfer bis zum Filmmaneger reicht die Verwand- longskunst des heute 30jährigen Zimmermannssohns aus Bulach bei Karlsruhe.
Nach dem Motto: „Wer angibt, hat mehr vom Leben“, bluffte sich Robert durch die Nachkriegsjahre. Behörden, Besatzungsdienststellen, Wohltätigkeitsorganisationen, Chefredakteure, Filmstars, Kriminalbeamte fielen auf den gutaussehenden jungen Mann herein, bis im März 1949 vor einem Karlsruher Gericht der Schleier über seinem abenteuerlichen Dasein gelüftet wurde.
Karl Zuckmayer soll die Absicht geäußert haben, aus der Lebensgeschichte Robert See- gers ein Bühnenstück zu machen. Was in der Karlsruher Gerichtsverhandlung zutage kam, läßt die Absicht des Dichters verständlich erscheinen.
Roberts große Schwäche war schon in jungen Jahren der Film. Es gehörte zu seinen Jugendträumen, sich selbst in Großaufnahme auf der Leinwand und auf den Seiten der Filmmagazine vorzustellen,, die er mit Begeisterung las. Vielleicht ist ein entscheidender Zug in Roberts Charakter, daß er Traum und Wirklichkeit nie recht auseinanderhalten konnte. Träume waren für ihn dazu da, verwirklicht zu werden.
Wäre Robert nicht bei der Realisierung seiner Visionen von Ruhm und Reichtum hin und wieder vom Pfad der Tugend abgewichen — er wäre vielleicht heute wirklich ein Filmschauspieler von Rang. Denn schauspielern konnte er, das mußte ihm selbst das Gericht bescheinigen. <
Mit 14 Jahren trieben die Film träume Robert Seeger eines Tages auf die Landstraße nach Berlin. In Berlin winkte das Glück, dort wohnte Liane Haid, eine von Robert sehr verehrte Schauspielerin, der er sein Talent zu Füßen legen wollte. Aber der kurzbehoste Filmanwärter kam nur bis Würzburg. In der Mainstadt holte ihn die Polizei aus einem HJ- Heim und schickte ihn nach Bulach zurück.
Der nächste Vorstoß zum Film erfolgte ein Jahr später. Diesmal war der Berliner Regisseur Wolfgang Liebeneiner das Ziel. Robert erreichte es wieder nicht. Die zweite Trampfahrt endete in der heimatlichen Erziehungsanstalt Sinsheim. „Verbummelt, exzentrisch, wirklichkeitsfremd, hpchstaplerisch“ notierten die badischen Erzieher in ihren Papieren hinter dem Namen Seeger. Nach einem Jahr wurde er wieder entlassen und begann eine Kaufmannslehre.
Aber Robert wurde nicht warm auf dem Kontorschemel. Portokasse und Aktenablage boten wenig Reize für seine schweifende Phantasie. Man schrieb das Jahr 1936. Die Zeitungen berichteten mit großer Aufmachung von der bevorstehenden Himalaya- Expedition Professor Filchners. Roberts Entschluß war schnell gefaßt: auf nach Persien!
Er riß zum drittenmal aus und gelangte auf verschlungenen Wegen wirklich in das Land des Schachspiels. Nur bei Filchner hatte Robert kein Glück.
Anstatt auf dem Himalaya landete der Ausreißer halb verhungert und in heruntergekommenem Zustand bei der deutschen Blindenmission in Isfahan. Missionar Christoffel fütterte den abgerissenen Landsmann eine Zeitlang mit durch. Dann verschwand Robert wieder, wie er angibt über China in Richtung Sowjetrußland.
In Moskau will Seeger mit dem deutschen Botschafter von der Schulenburg politische Gespräche geführt haben. Lange kann das „politische“ Intermezzo indes nicht gedauert haben, denn 1937 erschien der jugendliche
Filmstar-Forscher in Deutschland — auf der Stammrolle des Reichsarbeitsdienstes.
Robert brauchte nicht an den Hauptmann von Köpenick erinnert zu werden, um die Möglichkeiten zu erkennen, die sich einem Uniformträger im Hitler-Deutschland boten. Er benutzte seinen ersten Urlaub, um als forscher junger Arbeitsdienstführer „Ehrenpatenschaften“ für sein Lager zu sammeln.
Die reichlichen Spenden süddeutscher Geschäftsleute steckte er in die eigene Tasche. Acht Monate Gefängnis wegen fortgesetzten Diebstahls und Befugnis brachte ihm dies Gesellenstück ein. Ein knappes Jahr darauf mußte er nochmals hinter die Gitter: 4 Monate Gefängnis, verhängt wegen Diebstahls vom Amtsgericht Freiburg.
In Roberts phantasievollen Memoiren nehmen diese Zwangspausen nur schmalen Raum ein.
Dann kam der Krieg. Robert Seeger verspürte keinen Drang nach Fronterlebnissen. Dafür gewann er endlich Anschluß an den Film: — als Statist bei Arnold Franck in Berlin. Von der Kamera weg mußte er wieder ins Gefängnis, diesmal wegen unbefugten Tragen einer Amtswalter-Uniform der NSDAP.
Anschließend nahm Hermann Görings Luftnachrichtentruppe den 21jährigen in ihre stolzen Reihen auf. Er diente auch bis zum Obergefreiten hinauf. Als Robert 1944 einsah, daß seine militärische Laufbahn mit diesem Dienstgrad ihr Ende erreicht hatte, beschloß er selbst nachzuhelfen.
In Majorsuniform mit fesch heraushängendem Ritterkreuz trat er in Berlin auf und ließ sich von der „Heimatfront“ gebührend feiern. Das Ritterkreuz will er sich im Führerhauptquartier von Hitler selbst erschwindelt haben. Ungeschickt gefälschte Lebensmittelkar- ten-Ausweise brachten ihn vor das Feldgericht einer Fallschirm-Division. Urteil: 6 Monate Gefängnis.
Robert witterte Morgenluft, als die Amerikaner ihn 1945 aus dem Militärgefängnis Torgau befreiten. Müßig zu erwähnen, daß der Häftling Seeger sich seinen Befreiern als politisch Verfolgter vorstellte. Um eine zugkräftige Story war er nicht verlegen.
„Einen Tag später und ich wäre erhängt worden“, verkündete er seinen andachtsvoll lauschenden Befreiern. Als Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ sei er nach
Die bisher größte Tiefensprengung der Welt soll im April in 1200 m Tiefe in Kirchbichl (Oberbayem) stattfinden. In Nord- und Süddeutschland finden gegenwärtig Versuchssprengungen statt, deren Ergebnisse für die große Sprengung in Bayern erst abgewartet werden sollen. Die bayerische Tiefensprengung soll neue Unterlagen über den geologischen Aufbau des Voralpengebiets bringen und eventuell noch verborgene Erdölquellen aufzeigen.
Die langen Wellen, die bei dieser Explosion entstehen, werden von 30 Stationen, besetzt mit den besten Fachleuten Deutschlands, mit Seismographen im Gebiet Oberbayern aufgefangen. Das Ergebnis, für das sich Gelehrte der ganzen Welt interessieren — in Oesterreich, Italien und der Schweiz werden ebenfalls mehrere Stationen von Wissenschaftlern besetzt — wird die ersten Erkenntnisse über den tieferen Aufbau des Voralpenlandes bringen.
Ein neuer Abschnitt geophysikalischer Forschung wird durch diese „seismische Tiefensprengung“ eingeleitet. Unter Führung der im März vorigen Jahres gegründeten „Frauen-
dem 20. Juli zum Tode verurteilt worden. Das zog.
Alles andere kam wie von selbst: die Villa in Garmisch, die elegante Garderobe und das eigene Auto. Aus Geschäftsgründen legte sich „Widerstandskämpfer“ Seeger einen zweiten Namen zu: Dr. Peter Hartl. Der Start war gelungen, Robert sah seine große Zeit kommen.
Sie kam. Zunächst mußte der Film herhalten. Da es eine deutsche Produktion noch nicht gab, dachte Robert sich etwas aus, um die nötigen Beziehungen zu schaffen. Er gründete „Pitts private Künstlerpost“, eine Korrespondenz mit rund 400 gut zahlenden Abonnenten, darunter viele bekannte Persönlichkeiten von Film und Bühne.
Die pikantesten Klatschgeschichten ließ sich „Pitt“, wie er sich fortan nannte, persönlich von den Heldinnen der Leinwand erzählen. Die fühlten sich durchweg geschmeichelt, wenn der weltgewandte junge Herr bei ihnen vorsprach und gesprächsweise seine Beziehungen zur amerikanischen und deutschen Behördenprominenz durchblicken ließ.
Daß er als „General Pitt“ bei der Besatzungsarmee eine zwar zwielichtige aber bedeutende Rolle spielte, konnte ein Mann seines Formats natürlich nur am Rande erwähnen.
Nebenbei organisierte Pitt in Berlin Auto- und Motorradrennen für wohltätige Zwecke, wobei er nicht versäumte, sich selbst in den Bereich der Wohltätigkeit einzubeziehen. Nach einer mißglückten Großschiebung in Zigaretten interessierte sich der amerikanische Geheimdienst für, „General“ Pitt. Er wurde verhaftet und in Bremen festgesetzt. Am 16. Juli 1946 fand der Wärter, der Pitt den Morgenkaffee bringen sollte, nur noch eine leere Zelle vor. Wie Seeger aus der vergitterten und verriegelten Zelle entfliehen konnte, ist nie geklärt worden.
1947 tauchte Seeger als Ostflüchtling Peter Bauer in Grötzingen bei Karlsruhe auf. Sein neuer Beruf stand im Zeichen der Eierknappheit: er war Geflügelzüchter geworden. Ein gefälschter amerikanischer Ausweis hatte ihm den Weg in die neue Branche geebnet. Seine 250 Hühner stammten aus dem 20 km entfernten Dorf Sperlingshof. Pitt hatte sie „im Auftrag der Besatzungsmacht“ beschlagnahmt.
Auf dieser nahrhaften Grundlage baute
hofer-Gesellschaft“ zur Förderung der angewandten Forschung als Rechtsträger haben sich die besten Fachleute der Geologie, der Geophysik, der Spreng- und Tiefbautechnik zusammengeschlossen, um gemeinsam dieses Werk, dessen Kosten sich auf mehrere hunderttausend DM belaufen, für neue Erkenntnisse zu schaffen. Wissenschaft und Wirtschaft werden an die Arbeit gehen und aus der Kenntnis des tektonischen Profils für spätere Oelbohrungen vortasten.
Ansiedlung chinesischer Kulis
Wie der polnische Rundfunk meldete, hat die Volksrepublik Polen mit der Volksrepublik China ein Abkommen geschlossen, wonach binnen kurzem eine große Anzahl chinesischer Arbeiter in die „wiedergewonnenen Westgebiete“ kommen soll, um hier zunächst zwei Jahre zu arbeiten und dann — je nach Wunsch — nach China zurückzukehren oder ihre Familien nach- kommen zu lassen und sich dauernd anzusiedeln. Der erste Transport dieser chinesischen Arbeiter sei bereits eingetroffen. Allwöchentlich werden zwei Transporte aus China in Schlesien eintref- fen. (hvp)
Größte Tiefensprengung der Welt
Gemeinschaftswerk der „Frauenhofer-Gesellschaft“
Seeger alias Bauer sein zweites Unternehmen, eine Film- und Theateragentur, auf. „Ich mußte eben mit Künstlern zu tun haben“, bekannte er später vor Gericht.
Als Filmagent erschien Pitt bald darauf in Frankfurt, wo Rita Hayworth, damals noch nicht Frau Ali Khan, vor US-Soldaten auftrat „Deutsche nicht zugelassen“, stand an den Saaltüren. Pitt wurde zugelassen, nicht nur in den Konzertsaal, sondern auch in das Hotel der angebeteten Schönen. Sein erstes Interview mit Rita dauerte über 24 Stunden.
Der rothaarige Filmstar war von dem „nice German boy“ begeistert. Pitt mußte neben Rita stehen und mitsummen, während sie vor den GI’s sang. Dann nahm Rita plötzlich drei Tage Urlaub — mit Pitt.
Pitt und Rita Arm in Arm auf einer abendlichen Bootspartie, Rita und Pitt am nächsten Morgen gemeinsam am Frühstückstisch. Ritas amerikanische Freunde staunten. Sie selbst antwortete auf alle Fragen nur mit einem amüsierten Lächeln. Ein Album mit über hundert Aufnahmen, die ihn zusammen mit Rita Hayworth zeigen, ist heute Pitts sorgsam gehüteter Schatz.
Inzwischen hatte auch die Kriminalpolizei gemerkt, daß Dr. Peter Hartl. General Pitt, Peter Bauer und Robert Seeger ein und derselbe waren. Sie schickte bald nach der Hay- worth-Episode einen Beamten zum Karlsruher Architektenball „Fest der Feste“ (Veranstalter Peter Bauer), um Pitt verhaften zu lassen.
Pitt zeigte sich der Situation durchaus gewachsen, als der Beamte ihm im Gewühl des Ballsaals die Hand auf die Schulter legte. „Natürlich müssen Sie ihre Pflicht tun“, sagte er, ohne sich lange zu besinnen, „aber Sie geben mir wohl noch drei Minuten Zeit, damit ich mich von General Clay verabschieden kann!“ Sprachs und verschwand — durch das Garderobenfenster. General Clay war weder angekündigt noch anwesend.
Es dauerte fast ein Jahr, bis Pitt endgültig festgesetzt werden konnte. Im August 1948 erschien er auf der Redaktion des „Hamburger Echo“, um eine Heimkehrer-Hilfsaktion unter dem Motto „Berliner helfen Berlin“ zu starten.
„Ganz große Sache“, renommierte Pitt. Der Berliner „Telegraf“ und der „Tagesspiegel“ hätten schon zugesagt. Gleichzeitig versuchte er einen Pump beim Verlagsdirektor der Zeitung. Aber Seeger war diesmal doch an die falsche Adresse gekommen. Noch am selben Tag fand er sich in einer Zelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses wieder.
„Ich werde freikommen“, sagte Robert Seeger kurz vor der Gerichtsverhandlung im März 1949 zu einem Freund. Er behielt recht
Das Belastungsmaterial der Karlsruher Staatsanwaltschaft reichte gerade für 12 Monate Gefängnis wegen des Besitzes von Druckstöcken und Kopfbögen der US-Militärregie- rung aus. 5 Monate waren in der Untersuchungshaft verbüßt, für 6 Monate erhielt er Bewährungsfrist. Nach vier Wochen war Pitt frei.
In München betätigte er sich zuletzt erfolgreich als Journalist. Er hatte sogar die Absicht, das westdeutsche Lesepublikum mit einem Buch zu beglücken. Pitts Gröning-Bio- graphie sollte ein Verkaufsschlager werden. Nun hat ihm die Justizbehörde zunächst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Karlsruher Staatsanwalt erließ Haftbefehl, als Seeger einer Vorladung im November 1949 nicht Folge leistete.
Kurz vor seiner Ausreise nach Südamerika konnte dieser Tage Seeger in Kitzbühel von der österreichischen Kriminalpolizei verhaftet werden, da ihm von der Polizei in Karlsruhe bereits wieder zahlreiche Betrügereien, die er nach der Verbüßung seiner kurzen Gefängnisstrafe begangen hat, vorgeworfen werden. Er hat u. a. ein großes Automobilwerk um Zehntausende von Mark geschädigt. Er war nach Oesterreich gegangen, als ihm der Boden in Deutschland zu heiß geworden war.
In der nächsten Nummer:
Arzt aus Zufall
In Scribo Satanis
Uraufführung am Stuttgarter Staatstheatcr Die Russen lieben besonders das Ballett. Ihre größten Komponisten schufen musikalische Meisterwerke zu irgend einem meist metaphysisch überwölbten Tanzgeschehen. Der junge Stuttgarter Komponist Otto-Erich Schilling, ein Liebhaber und Kenner des vorbolschewistischen Russentums, tritt nicht zufällig mit einer Ballettmusik zu einem legendär-religiösen Text vor die Oeffentlichkeit, nachdem seine Lieder, Improvisationen und Tanzillustrationen Freunden der jungen Musik durch den Stuttgarter Sender in nicht kleiner Zahl bekannt geworden waren. Was bisher von Schilling gehört werden konnte, zeigt unterschiedliche Güte und ist auf die Kleinformen des musikalischen Ausdrucks beschränkt geblieben. Auch seine Ballettmusik, die wir zu der Choreographie „In Scribo Satanis“ („Im Siebe des Satans“) in der Stuttgarter Oper am Mittwoch hörten, hat sehr begabte Ansätze, ist im Duktus eigenwillig (aber nicht originell), modern in einem gemäßigt-abgewogenen Sinne und am Besten in ihren rein illustrativen Eingebungen zu tänzerischen Szenen. Sie wächst nicht wie eine Strawinskyszene aus einer souveränen Musikalität und theoretischen Bestimmbarkeit, sondern wirkt im Ganzen quälerisch und grüblerisch, dunkel und zähflüssig, beschwert mit Gehalten, die sich am biblischen Stoff von der Ausfahrt und Heimkehr des „verlorenen Sohnes“ gebildet haben. Man muß freilich diesen Stoff schon tüchtig, wie das in Meistererzählungen schon Rilke und Andrd Gide taten, modernisiert haben, man muß beispielsweise das Ausfahrtmotiv, wie im Falle unseres Komponisten und seines Anregers, mit einer typisch zeitgenössischen existentialen Dämonologie verknüpfen und den Sohn als neugierigen Abenteurer und Machtmenschen im Maschinenzeitalter darstellen, der zuletzt sein Freiheitsstreben (ein Motiv Sartres) freiwillig aufgibt und in die Geborgenheit der Familie zurückkehrt, damit sich interessante Möglichkeiten für eine Tanzballade ergeben. Wenn auch die tiefsinnige Auslegung dem Komponisten und seiner Grundge- stimmtheit entgegenkamen, so vermißte man an der Musik doch den Griff und Zug ins Dämonische, ins Außer-sich, sie war zu gleichmäßig über einen Leisten gespannt, sie war wohl sehr geschickt timbriert. aber wenig gut
rhythmisiert, sie funkelte gelegentlich parodisch und schwang sich zuletzt zu einem feierlichen Hymnuschoral auf, nachdem sie die Klippen einer billigen Liebessentimentalität glücklich umschifft hatte. Ihre Abweichungen ins Atonale wirkten eher wie Fehler denn wie Stil.
Das Elementare, das der Musik mangelte, besaß dagegen ohne Kompromiß das Bühnenbild und das Kostüm, für die Willi Baumeister, Lehrer an der Stuttgarter Akademie, verantwortlich war. Den Bühnenbildner interessierten mit Recht alle psychologischen Finessen des Balletts überhaupt nicht. Er ließ die Tänze auf einer dreigestuften, nach dem Hintergrund sich erhöhenden Bühne abspielen, er hüllte die Tänzer in einfarbige, stark kontrastierende Stoffe und Kunststoffe, das Satansgesinde in Purpur und Schwarz, die Zugehörigen des Menschenreiches in weiße Schleier und enganliegende sportdreßähnliche Kostüme in kalten und warmen Primärfarben, das Maschinenballett in die Nichtfarben Schwarz-Weiß, womit ihre pure Seelenlosigkeit angezeigt war, er symbolisierte das Nachtreich der Technik mit chinesisch urtümlichen Ideogrammen und das Familien- und Liebesglück mit einem malerisch fabelhaften abstrakten Formbild leuchtender pflanzenähnlicher Kurven. Was dem Ohr entging, hat das Auge in reiner Dezenz bekommen. Die Meisterleistung eines Bühnenbildes, das die Phantasie nicht fesselt und verkitscht, sondern wahrhaft frei macht und erhebt. Baumeister hat — für ein Ballett ist dies auch am ehesten möglich, weil es von jeder Art von Naturalismus am weitesten entfernt ist — hier wieder bewiesen, in welchem starkem Maße die moderne Malerei im Gleichklang mit den Bestrebungen der modernen Musik und der Theaterkunst gehen kann und muß, damit wir w.üterkommen und endlich, endlich einsehen lernen, daß der Naturalismus nicht mehr auf die Musikbühne gehört.
Der Ballettmeister Osvalds L e m a n i s hat mit seiner erlesenen Schar von Solotänzern und Mädchen das Exempel statuiert, daß kein anderer Tanzstil für das Ballett auf der Bühne in Betracht kommen als derejnige, der sich der klassischen in Rußland zu höchster Blüte entfalteten Kunst des Spitzen- und Pirouettentanzes bedient und den Ausdruckstanz nur soweit zuläßt, als er vom Geschehen gefordert wird und sich in den alten Stil einordnen läßt.
Man will im Bühnentanz gleichfalls die Freiheit von der Musik bewahren, um den eigenen Gesetzen folgen zu können, man will keine Vorherrschaft der Musik und noch weniger das musikdramatische Monstrum eines Gesamtkunstwerkes. Reicher, wohlverdienter Beifall für den Komponisten, den Bühnenbildner und die Tänzer.
Daß man im Anschluß an das Ballett, das keinen ganzen Abend füllte, Carl Orffs „Die Kluge“ in einer frischen, volksmäßigen Neuinszenierung gab, geschah wohl darum, um die Zuschauer aufzuhellen, ihnen auf das ernste Stück ein heiteres zu bieten. Freilich neben dem großen Stilisten Orff, dem Wiedererneuerer altdeutscher Melodik und dem bewundernswerten Beherrscher der musikalischen Szene, wurde dem Hörer vor allem erst recht die Problematik der Schilingschen Komposition bewußt. In dieser Geschichte von dem König und der klugen Frau gehen gereimter volkstümlicher Text und scharf und hell kompinierte Vokalstimme und Orchesterpart dank einer glänzenden dramaturgischen Verteilung der zwei Elemente eine geradezu klassische Ehe ein. Der Hörer fühlte sich nicht nur köstlich unterhalten, sondern nahm auch die Gewißheit mit. daß es heute außer der großen Oper noch Musikstücke gibt, die jeden Wettbewerb aufnehmen. Volksstücke auf der Grundlage einer ganz eigenständigen Kunstmusik.
Ferdinand Leitner hat das Ballett und den Orff mit seinem bravourös spielenden Orchester ausgezeichnet wiedergegeben. Besonders wohltuend die exakte Ausarbeitung des Rhythmus und der Verzicht auf verschleiernde Theatralik.
„Der versiegelte Bürgermeister“ Uraufführung der Oper von Brehme in Münster
Hans Brehme, Professor für Komposition am Staatlichen Hochschulinstitut in Trossingen und ab Herbst wieder Lehrer an der Staatlichen Hochschule für Musik in Stuttgart, hat eine neue komische Oper geschrieben, die er „Der versiegelte Bürgermeister“ genannt hat; sie wurde von den Städtischen Bühnen ln Münster urauf- geführt. Ihr vorausgegangen waren die Oper „Der Uhrmacher von Straßburg“ (Uraufführung 1941 In Kassel) sowie zahlreiche Orchester- und kammermusikalische Werke, die nicht nur in Deutschland Anklang gefunden haben.
Die neue Oper spannt, stilkritisch gesehen, einen weiten Bogen zwischen Mozart und Wolf- Ferrari, stellenweise klingen sogar Hindemith- sche Töne an. Obwohl der Komponist seine Impressionen durchaus eigenwillig verarbeitet hat und oftmals geradezu reizvolle Partien bietet, vermißte man die Herausstellung tragender Elemente; kaum eine Melodie prägte sich dem Ohr für ständig ein.
Das Libretto, das auf einen Text von Ernst Raupach zurückgeht, ist etwas dürftig. Infolg« der kargen Ausstattung mit Verwicklungen und Nebenhandlungen blieb es nicht aus, daß dl« Szene manchmal leer erschien; das konnte auch eine Traumvision im dritten Akt, die die an eine moderne Oper gestellten Erwartungen erfüllte, nicht mehr reparieren.
Generalmusikdirektor Heinz Dressei betreut« die Oper am Pult, Walter Pohl besorgte eine im Rahmen des Möglichen gelungene Inszenierung und Dr. Theo Döring schuf ein geschmackvolle» Bühnenbild, das die Atmosphäre der guten alten Zeit traf. Der Beifall war reichlich. K. H. H.
Dr. h. c. Theodor G. Wanner 75 Jahre alt
Der schwedische Generalkonsul a. D., Kommerzienrat Dr. h. c. Theodor G. Wanner, Ehrensenator, der Universität Tübingen, begeht am 28. Januar den 75. Geburtstag. Sein Nam« war vor 1933 weit über Württemberg hinaus fein Begriff für alles, was mit der Organisation de» Fremdenverkehrs und des Rundfunks zusammenhing. Er ist ein Wegbereiter des gesamtdeutschen Rundfunks, ein hochverdienter Förderer de» Fremdenverkehrs und als Gründer des Deutschen Auslands-Instituts in Stuttgart sowohl wl« als Gründer und Erbauer des Lindenmuseums ln Stuttgart auch im Ausland bekannt geworden.
Nach Kriegsende machte sich der Jubilar tatkräftig an den Wiederaufbau des Lindenmuseums, das Gelehrten und Laien bald wieder zugänglich sein wird. _
Die Bibliothek des Mathematischen Institut» der Universität Wien mußte geschlossen werden, weil das Gehalt des Bibliothekars in Höhe von 500 Schilling (etwa 100 DM) nicht mehr aufgebracht werden kann. Den Studenten ist damit die so dringend benötigte Fachliteratur nicht mehi- -cugänglidh.