6. Jahrgang

Mittwoch, 25. Januar 1950

Summer 13

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besserung in dem törichten Glauben an ein gol­denes Zeitalter vollends verbaut werden.Die Stadt vom morgen ist eine Fiktion, ein Luft­gebilde; die vorgeben sie zu planen, verhin­dern das Mögliche und fördern das Schlechte, weil sie das Nächstliegende übersehen. Diese Beschäftigung führt schließlich weil die wirtschaftlichen Realitäten nicht wegzudispu­tieren sind zur Vernichtung des kulturellen Besitzes der Bevölkerung, der Grünflächen und Baudenkmale, wie wir das am Beispiel Stutt­garts gesehen haben. Die Vergötzung der Tech­nik ist nicht nur eine Irrlehre, sondern eine Krankheit, die nur krankhafte Vorstellungen erzeugen kann und zu unsozialen Maßnahmen auf allen Gebieten, besonders aber auf dem der Stadtplanung führt.

Westerling gefährdet Indonesien

Armee der himmlischen Heerscharen kämpft für westjavanischen Staat

JAKARTA. Die Truppen des früheren hol­ländischen Hauptmanns Westerling, der fti Westjava eine von oppositionellen Javanern gebildete Armee von etwa 15 000 Mann unter- . hält, rückten am Montag in Bandung, der größten Stadt Westjavas, ein. Wenige Stun­den vor dem Angriff auf Bandung hatte We­sterling einem Zeitungskorrespondenten er­klärt, er wolle die Regierungstruppen in West­

zog sich jedoch Westerling mit seinerArmee" überraschend wieder von Bandung zurück.

Das Armeehauptquartier der Vereinigten Staaten von Indonesien bestätigte am Montag die bewaffnete Revolte gegen die neue Re­publik und sprach von gut bewaffneten Re­bellenstreitkräften, die zum Teil aus Deser­teuren der holländischen Armee bestünden.

Hauptmann Westerling, der Befehlshaber

haften und eine neue Regierung in den Sattel heben. In späten Abendstunden des Montag

Deutsche Gemeinschaft

Umbenennung derNotgemeinschaft / Dr. Mattes zum Vorsitzenden gewählt

-th. STUTTGART. DieNotgemeinschaft Dr. Mattes erklärte vor Pressevertretern, Württemberg-Badens hat den NamenDeut- die Deutsche Gemeinschaft werde sichwie sehe Gemeinschaft angenommen. Zum Vor- jede andere Partei an kommenden Wahlen sitzenden wurde der ehemalige Finanzminister beteiligen. Welche politischen Gruppen in der Dr. M a 11 e s, der schon als Initiator der Not- Deutschen Gemeinschaft aufgegangen sind, gemeinschaft gewirkt hat, gewählt. Er wurde vermochte Mattes nicht genau anzugeben. An auch, zusammen mit dem Bundestagsabgeord- eine Eingliederungin corpore" etwa des Zen- neten der Notgemeinschaft, Dr. Ott, Eßlingen, tralverbandes der Flieger- und Währungsge- in dasDirektorium der Deutschen Gemein- schädigten, deren Präsident Mattes ist, oder Schaft delegiert. Dieses Gremium, das aus der Heimatvertriebenen-Verbände, sei, so Vertretern der einzelnen Landesverbände zu- meinte Mattes, nicht gedacht, sammengesetzt ist, wird Ende Februar ver- Aus den Ausführungen von Dr. Mattes über mutlich in Frankfurt erstmals zusammentre- das Parteiprogramm ist zu schließen, daß ten, um die politischen Leitsätze der Partei die Deutsche Gemeinschaft beispielsweise die

Kriegslastenverteilung als eine Staatsaufgabe verstanden wissen will. Der Staat müsse als Repräsentant der Gesamtheit die verloren ge­gangenen Vermögen anerkennen und not­falls auch durch eine Staatsanleihe (Mattes nannte den Betrag von 40 Milliarden Mark) die Besitzlosen entschädigen. Obgleich sie den Sozialismus ablehne, weil er zur Bürokrati-

auszuarbeiten

Saar-Schuljgesetj zurückgestellt

Stimmungsumschwung ln den USA?

SAARBRÜCKEN. Das Parlament des Saar­gebiets hat am Montag die weitere Behand­lung der beiden neuen Gesetzesvorlagen der slerung und folglich zur Erstarrung der Wirt- Regierung zum Schutze der inneren Sicher- schaft führe, wolle die Deutsche Gemeinschaft heit, die Ministerpräsident Hoffmann als Ge- die Arbeitnehmer zuMitbesitzern der Be- genmaßnahme gegen etwaige künftige pro- triebe" machen, indem sie am Gewinn be- deutsebe Propaganda an der Saar vorgelegt teiligt werden. Aus demMitbesitz werde hatte, auf unbestimmte Zeit vertagt Die Ur- sich zwangsläufig auch eineMitbestimmung Sache zu diesem Beschluß dürfte die lebhafte der Arbeitnehmer in den Betrieben ergeben, Diskussion über dieses Gesetz gewesen sein, so daß eine vernünftige Lösung dieses heiß- Der Landlagspräsident sah sich sogar genötigt, umstrittenen Problems sich von selbst ergebe, zu erklären, daß die Annahme des Gesetzes in der ersten Lesung keine endgültige Stel­lungnahme des Parlaments bedeute, sondern lediglich die Behandlung in einem Ausschuß ermöglichen solle.

Unterrichtete Kreise in London glauben, daß Großbritannien bemüht ist, Frankreichs Verhandlungen mit der Saarregierung zu ver­langsamen. London will offenbar den Ab­schluß der geplanten vier Saarkonventionen hinauszögem.

Die amerikanische Nachrichtenagentur INS glaubt ln der Saarfrage einen Stimmungsum­schwung in Amerika feststellen zu können.

In Washington habe man den Eindruck ge­wonnen, daß das Saargebiet bei Deutschland verbleiben muß, wenn Deutschland wirtschaft­lich wieder auf eigenen Füßen stehen soll.

java vernichten, die Regierung Soekarno ver- k der illegalen sogenanntenArmee der himm- - 1 -**-' lischen Heerscharen, ein früherer hollän­discher Hauptmann, holländisch-türkischer Abstammung mit holländischer Staatsange­hörigkeit, ist 30 Jahre alt. Er diente als Ab­wehroffizier in der holländisch-indonesischen Armee, aus der sich auch ein großer Teil sei­nerPrivatarmee rekrutiert, die er als offi­zielle bewaffnete Streitmacht eines innerhalb der Vereinigten Staaten von Indonesien un­abhängigen westjavanischen Staates aner­kannt wissen möchte.

Wassil Kolaroff gestorben

Schwager Dimitroffs Nachfolger?

SOFIA. In der Nacht vom Sonntag auf Montag starb der 72jährige bulgarische Mini­sterpräsident Wassil Kolaroff an einem Herz­schlag. Kolaroff litt seit längerer Zeit an Ar­teriosklerose.

Der verstorbene bulgarische Ministerpräsi­dent wurde als Sohn eines Schuhmachers ge­boren, verbrachte viele Jahre als Flüchtling, verbüßte mehrere Gefängnisstrafen, die die Gerichte der alten bulgarischen Monarchie über ihn verhängt hatten und wurde einmal in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaf­ten in der Schweiz arbeitete er ab 1920 mit Georgi Dimitroff zusammen, war zeitweise Komintemsekretär und kehrte nach dem letz­ten Kriege mit Dimitroff nach Bulgarien zu­rück. Nach Dimitroffs Tod im Juli 1949 wählte die bulgarische Sobranje Kolaroff einstimmig zum Ministerpräsidenten.

Für das ganze Land wurde eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Nachfolger Kolaroff3 dürfte der 49jährige Schwager Dimitroffs, Tscherwenkoff, werden, der als aussichts­reichster Kandidat gilt.

Nachrichten aus aller Welt

Nur Aufschub

Der deutsch-französische Handelsvertrag PARIS. Der Leiter der Wirtschaftsabteilung

MÜNCHEN. Der ehemalige Obergebietsführer von Bayern, Helmut Klein, wurde am Montag von der Hauptkammer München in die Gruppe der Hauptschuldigen eingestuft und auf drei Jahre in ein Arbeitslager eingewiesen.

KREFELD. Der 48jährige Expreisboxer Schmitz, genanntHeros, der seit dem 5. Dezember ln einer Krefelder Gaststätte in einem versiegelten Glaskasten ohne Nahrungsaufnahme lebt, hat am Dienstag seinen eigenen, im Jahre 1S26 auf­gestellten Hungerweltrekord von 48 Tagen und 13 Stunden überboten. Nach genau 50tägiger Hungerkur verließ er sein freiwilliges Gefängnis.

LÜNEBURG. Der frühere Generalmajor Re- mer sprach am Sonntag auf Versammlungen der sozialistischen Reichspartei in Orten nahe der Zonengrenze, obwohl das niedersächsische In­nenministerium den örtlichen Polizeibehörden empfohlen hatte, Remer das öffentliche Reden zu verbieten.

STOCKHOLM. Nach Angaben der schwedischen staatlichen Telegrafengesellschaft kann die

des französischen Außenministeriums, Herve UdSSR die meisten Telefongespräche Schwedens

Alpha njd, erklärte am Sonntagabend, die westdeutsche Bundesregierung habe das deutsch-französische Handelsabkommen ange­nommen, jedoch um Aufschub der Unterzeich­nung gebeten.

Alphand erklärte:Wir hoffen, daß das Ab-

mit dem Ausland abhören, da diese über Stral­sund in der russischen Zone Deutschlands lau­fen. Auch ein Großteil des Telegrammverkehrs werde über diese Stadt geleitet.

PRAG. Nach der Meldung einer tschechoslo­wakischen Zeitung werden die Angestellten eines , , verstaatlichten Prager Schönheitssalons jeden

Kommen, das dem allgemeinen Interesse der Monat eine andere Fabrik aufsuchen, um den europäischen Allgemeinheit dient, in Kürze weiblichenAktivisten eine kostenlose kosme-

unterzeichnet wird. Die deutschen Verhand­lungspartner vertraten den Standpunkt, daß das Abkommen in der gegenwärtigen At­mosphäre der Unstimmigkeit in der Saar­frage nicht unterzeichnet werden sollte. Wir

tische Behandlung zuteil werden zu lassen.

MOSKAU. Die sowjetamtliche Nachrichten­agentur Taß dementierte Meldungen der fran­zösischen und Schweizer Presse, wonach die UdSSR über dritte Staaten einen Handel mit Franco-Spanien unterhalten und vor der Auf­

VHnnon n o aiooo- _ , rranco-apamen unternaiten una vor uer mu-

«enKV 1 n ser Auffas g na turlich nicht nähme direkter Verhandlungen stehen sollte, ansenneuen. Alle derartigen Gerüchte entsprächen nicht der

Wirklichkeit und seienErfindungen von Vaga­bunden und Betrügern.

TEHERAN. Ein Gletscher begrub Ende voriger Woche ein Dorf südwestlich von Sananday, der Hauptstadt von Kurdistan. Bisher konnten von den unter den Eismassen mit ihrem gesamten Viehbestand begrabenen 44 Familien nur 55 Lei­chen geborgen werden.

BOMBAY. 60 000 Mitglieder der Ismaeli-Sekte feierten am Sonntag in den Straßen Bombays den 73. Geburtstag ihres Oberhauptes Aga Khan und brachten eine Stunde lang den gesamten Verkehr zum Erliegen. Aga Khan konnte wegen einer Unpäßlichkeit an den Feiern nicht teil­nehmen.

CANBERRA. Aus den Aeußerungen verschie­dener Minister geht hervor, daß die australische Regierung bestrebt ist, noch vor Ablauf dieses Jahres die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, nachdem alle Bemühungen, Freiwillige zu re­krutieren, ergebnislos verliefen.

LAKE SUCCESS. Die sowjetrussische Delega­tion verließ am Montag die Sitzung des Aus­schusses für private Organisationen des UN- Wirtschafts- und Sozialrats und hat sich damit in den letzten 14 Tagen aus insgesamt 10 Aus­schüssen zurückgezogen.

Vereinfachte Ausreise

FRANKFURT. Wie von amerikanischer Seite mitgeteilt wird, sollen die Bestimmungen für Auslandsreisen Deutscher vereinfacht werden. Es ist damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit deutsche Staatsangehörige andere Län­der ohne größere Schwierigkeiten und zeit­raubende Vorbereitungen besuchen können. Die bisherige bürokratische Handhabung soll möglichst eingeschränkt werden.

2 Prozent = 80 Pfennig

lh. Zahlreiche Verbraucher werden am Montag- morgen , als ihnen ihr Einzelhändler das Pfund Butter anstatt wie bisher zu 2.52 DM zu 2.92 DM berechnet hat, daran gedacht haben, daß vor 14 Tagen die Bundesregierung und auch die Tü­binger Preisbehörde nach der Aufhebung der Butterrationierung vom Festhalten an den bis­herigen Preisen gesprochen haben. Also sind diese Behörden wortbrüchig geworden oder haben sich die Kontrolle über die Preise aus den Händen nehmen lassen? Der Verbraucher fürchtet das, aber ist andererseits gewillt, Preis­erhöhungen für die Grundnahrungsmittel nicht ohne weiteres hinzunehmen. *

Die wilden Preiserhöhungen für Butter an­fangs dieser Woche sollen, wie aus zuverlässi­ger Quelle berichtet wird, auf ein Mißverständ­nis zurückzuführen sein, wobei man es freilich dem Verbraucher nidit verübeln kann, wenn er dahinter so etwas wie eine Absicht sieht. Bei einer Tagung der Molkereigenossenschaften am Freitag in Stuttgart wurde nämlich dagegen Stel­lung genommen, daß der ausländischen Butter, die mit einem Fettgehalt von 82 Prozent, das ist der übliche Friedensfettgehalt, auf den deut­schen Markt kommt, ein Kilopreis von 5.92 DM zugestanden wird, wohingegen die SOprozentige deutscheKriegsbutter nur 5.12 DM kosten darf. Der größte Teil der Molkereifachleute sprach sich für eine Erhöhung des Fettgehaltes der deut­schen Butter aus, und einer der maßgeblichen Herren, der von dieser Forcierung telefonisch das Bonner Landtoirtschaftsministerium in Kenntnis setzte, glaubte, von dort gehört zu haben, daß man einer Erhöhung des Fettgehaltes auf 82 Prozent und des Kilopreises auf 5.84 DM nicht widerspreche.

Von dieser Auskunft aus Bonn setzte er die Versammlung in Stuttgart in Kenntnis. Die Mol­kereibesitzer fuhren nun schnnrstraks heim und machten ihre Butter fetter Einen halben Tag lang wurde also frisch drauf losgebuttert und auch der angeblich genehmigte höhere Preis ge­fordert, aber schon am Samstag sah sich der Landwirtschaftliche Verein in Biberach genötigt, seine Mitglieder danon in Kenntnis zu setzen, daß das Stuttgarter Telefongespräch nicht den Tatsachen entspreche und bei der Butter alles beim alten, d. h. also beim alten Fettgehalt von 80 Prozent und beim alten Preis von 5.12 DM bleibe. In der Zwischenzeit war aber schon But­ter mit erhöhtem Fettgehalt und mit erhöhtem Preis auf den Markt gekommen und hatte eine Unruhe unter den Verbrauchern hervorgerufen.

Es ist auch von Verknappungserscheinungen gesprochen worden, die. soweit sie nicht aus preispolitischen Gründen künstlich erzeugt wor­den sind, daher rühren, da ft Einkäufer aus dem Rheinland jetzt nach Aufhebung der Butterratio­nierung die oberschwäbisrhev Molkereien abgra­sen. Diese Erscheinungen werden aber aufhö­ren, sobald etwa Anfang Mai. wenn das Vieh auf die Weiden getrieben wird, die Bntterschmemme einsetzt.

Vorläufig ist also der Buttemrets offiziell noch der alte, aber man erwartet heute eine Erklä­rung aus Bonn darüber, ob auch die deutschen Buttererzeuger im Hinblick auf die ausländi­sche Konkurrenz zu einem höheren Fettgehalt der Butter übergehen dürfen was dann auch einen höheren Preis zur Folge haben würde. Diesen konkurrenzwirtschaftlichen Gesichtspunk­ten steht die Ueberleoung gegenüber, daß schon heute Butter wegen ihres an s*rh hohen Preises nicht mehr von allen Verbrauchern gekauft wer­den kann. Für 2 Prozent Fett 80 Pfennig mehr zu zahlen, darauf verzichtet wohl jeder gerne.

Keine konfessionslosen Leierer

FREIBURG. Das südbadische Kultusmini­sterium hatte es abgelehnt, 17 konfessionslose Lehrer, die im Zusammenhang mit ihrer Ent­nazifizierung vorübergehend entlassen worden waren, wieder einzustellen. Das Ministerium hat sich bei seinem Vorgehen auf das Schul­gesetz von 1910 berufen, nach dessen Artikel 34 Schüler von Lehrern gleicher Konfession unterrichtet werden sollen. Die südbadischen Schulen seien, so erklärte das Ministerium, Simultanschulen christlichen Charakters und das christliche Glaubensbekenntnis sei ein Be­standteil der Lehrbetätigung. Die SPD-Land- tagsfraktion hatte gegen diese Entscheidung des Kultministeriums Klage beim südbadischen Staatsgerichtshof eingereicht. die aber jetzt abgelehnt worden ist mit der Begründung, der angezogene Artikel 34 sei als im badischen Rechtsempfinden verankert zu betrachten.

FRANZ WILHELM KIELING

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« KRIMINALROMAN

Alle Rechte bei Feuilletondienst MoUnder, Tübingen-Lustnau

Auf dem Heimweg hat Reuter Muße genug, seinen Gedanken nachzugehen. Was mag Sa­nitätsrat Falk zu diesem merkwürdigen Ent­schluß getrieben haben, überlegt sich der Ju­stizrat. In seiner dreißigjährigen Praxis hat er es oft genug erlebt, daß Menschen, von ei­ner plötzlichen Panikstimmung befallen, so überstürzt und scheinbar ohne Anlaß ihren letzten Willen aufsetzen zu müssen glaubten. Aber so gut meint er Dr. Falk doch zu ken­nen, daß er nicht anStimmungen bei dem so ruhigen und kraftvollen Manne glaubt. Dem sonderbaren Wunsch muß eine ganz nüchterne Kette von Tatsachen und daraus abgeleiteten Ueberlegungen zugrunde liegen. Warum will Falk eine letztwillige Verfügung mit jenem Zusatz erlassen? Soweit ihm be­kannt, ist doch nur ein Mensch da, dem der ganze Falksche Besitz zufallen wird: seine Tochter Dorothea, die in Berlin Medizin stu­diert und kurz vor dem Staatsexamen steht. Ein prächtiges Mädel, diese Dorothea.

Bei diesem Gedanken seufzt der Justizrat auf. Sein Junge, Paul, stand ihr gegenüber doch beinahe schandbar leichtsinnig und ziel­los da. Es war schon ein Kreuz mit dem Ben- geL Hochbegabt, hat er aber doch nur mit Mühe das Abitur gemacht, weil er sich dauernd mit anderen Dingen als der Schule beschäf­tigte. Auf heftiges Drängen des Vaters schlägt er die Juristeniaufbahn ein. Jeder Ehrgeiz scheint ihm zu fehlen, noch als Referendar treibt er die tollsten Späße, stellt das ganz« Amt mit seinen Einfällen auf den Kopf. Da­bei hat er gute Ideen, und eine Karriere würde er als Sohn des Justizrats Reuter leicht

machen. Aber so geht es ja oft, wenn die Jun­gen sich in das warme, gemachte Nest setzen dürfen. Dorothea allerdings ist ein anderer Kerl. Der alte Justizrat hat direkt eine Schwäche für das Mädchen. Wenn er der Junge wäre, er wüßte genau, was er täte. Dann würde er versuchen, Dr. Berning, der sich offensichtlich um das schöne Mädchen bemüht, den Rang abzulaufen. Das Ziel wäre jedes Einsatzes wert, zumal auch der Sani­tätsrat Paul sicherlich gern als seinen Schwie­gersohn sehen würde. Immer wieder kreisen Reuters Gedanken um Dorothea Falk, und er ist fest entschlossen, mit dem Sohn einmal ein deutliches Wort zu reden. Unter diesen- Be­trachtungen langt er zu Hause an.

*

Mühsam unterdrückte Referendar Reuter ein Gähnen. Die dozierende Stimme des Land­gerichtspräsidenten, der die Kammerberatung dazu benutzte, die beiden Referendare über juristische Probleme aufzuklären, hatte et­was Einschläferndes.

Die Beratung fand im geräumigen Dienst­zimmer des Herrn von Baumgarten statt. Die altmodische Standuhr zeigte halb drei Uhr. Um neun Uhr vormittags hatte die Sitzung der Zivilkammer begonnen, gegen ein Uhr war sie beendet, und nun saß man schon über eine Stunde und beriet.

Der Referendar bemühte sich, den Ausfüh­rungen möglichst aufmerksam zu folgen, er wollte es seinem alten Herrn doch nicht an­tun, womöglich hier am heimischen Landge­richt ein schlechtes Zeugnis zu bekommen.

Herr Kollege Reuter, welche Vorausset­zungen hat die Erteilung des Armenrechtes? schreckte ihn die Frage seines Chefs auf.

,Da kennst du Paul Reuter schlecht, wenn du glaubst, ihn hereinlegen zu können; wenn ich auch zuweilen döse, das meiste habe ich trotzdem gehört. Der Referendar warf sich in Positur und gab In ziemlich wohlgeordneter Rede Bescheid über das Armenrecht

Sehr gut, ich sehe mit Freude, daß Sie Ihrer praktischen Tätigkeit doch mehr Geschmack abzugewinnen scheinen, als der rein theore­tischen Studienausbildung.

,Das hättest du mir nun auch wieder nicht zu sagen brauchen, daß ich ein so mäßiges Examen gemacht habe 1 , dachte der Referendar. Was wußte der Präsident davon, wie er seine Semester verbracht hatte. Langweilig waren sie bestimmt nicht gewesen, in den Kneipen hatte er sie auch nicht versessen, aber er hatte sich mancherlei Wissen und eine recht gute Menschenkenntnis zu verschaffen gesucht.

Das ließ Referendar Reuter natürlich nicht laut werden, er begnügte sich mit einer knap­pen Verbeugung. Der Fernsprecher auf dem Schreibtisch klingelte. Der Präsident erhob sich, ging gemessenen Schrittes nach seinem ge­wohnten Arbeitsplatz und sagte in die Mu­schel:Hier Landgerichtspräsident Dr. von Baumgarten.

Landgerichtsrat Dr. Gärtner dachte einen Augenblick: JDas wird meine Frau sein, die anfragt, ob ich noch nicht zum Essen komme. Des Assessors Gedanken waren bedenkliche­rer Art, Paul Reuter aber war am meisten im Druck; er gedachte der boshaften Drohung des Telefonisten, die häufigen Gespräche mit ei­ner gewissen jungen Dame, die mit dem Dienst nichts zu tun hatte, dadurch zu unterbinden, daß er sieversehentlich Ins Zimmer des Herrn Präsidenten leiten würde. Referendar Glasser, der dem Assessor zur Ausbildung zu­gewiesen war, dachte nichts. Er dachte selten etwas.

Inzwischen schien sich der Gesprächspart­ner gemeldet zu haben, die Spannung der Anwesenden war beträchtlich gestiegen. Der Präsident sagte vorwurfsvollen Tones:Herr Oberstaatsanwalt, wir befinden uns mitten in der Kammerberatung, der Herr Landge­richtsrat ist unabkömmlich. Wie? Sehr eilig? Unaufschiebbar?? Ich werde Sie mit Herrn Dr. Gärtner verbinden.

Landgerichtsrat Dr. Gärtner, dem die Ge­

schäfte des Untersuchungsrichters am Land­gericht übertragen waren und der nur aus­hilfsweise in der Zivilkammer, die der Präsi­dent leitete, saß, erhob sich sofort und nahm den Hörer:Selbstverständlich. Herr Oberstaats­anwalt, ich bin sofort bereit und komme mit Ihnen. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich auch den mir zur Ausbildung zugewiesenen Referendar mit, es kann ihm sehr wesentlich zur Erweiterung seiner Kenntnisse dienen.

Das gab dir der Himmel ein, mich von hier zu erlösen, dachte Reuter und er empfand, wie schon mehrfach, daß dieser Dr. Gärtner ein feiner Kerl sei.

Herr Präsident, der Herr Oberstaatsanwalt gibt mir soeben bekannt, daß auf der Ber­liner Strecke in der Nähe des Staatsforstes ein schwerer AutounfaH erfolgt ist, und zwar sollen die näheren Umstände so eigenartig sein, daß eine Untersuchung notwendig er­scheint. Ich muß mich sofort an die Unfall- steile begeben. Sie werden es sicherlich für richtig halten, daß ich Referendar Reuter mitnehme.

Etwas verkniffenen Gesichtes gab der Prä­sident seine Zustimmung.

In aller Eile verließen Dr. Gärtner und sein Zögling, Referendar Paul Reuter, die Be­ratung der Zivilkammer, die nun ohne sie zu Ende geführt werden mußte.

Vor dem Landgerichtsgebäude standen be­reits Oberstaatsanwalt Dr Bischoff und der Gerichtsarzt Dr. Berger Ein Taxi brachte die vier Männer zu einer Stelle, die sich etwa drei Kilometer von der Stadt entfernt auf der Berliner Landstraße am Staatsforst be­fand.

Aus dem Gespräch des Oberstaatsanwalts mit Dr. Gärtner entnahm Paul Reuter, daß der Landjägerposten Neudorf vor etwa zehn Minuten fernmündlich gemeldet habe, in sei­nem Bezirk sei ein schwerer Autounfall er­folgt. Die näheren Umstände seien aber so eigenartig, daß eine Untersuchung und Auf­nahme des Falles für nötig erachtet werde.