6. Jahrgang

UMSCHAU IM LANDE

Nummer 12

Aufruhr im Hühnerstall

Gagah gagagah gagagah! Welch Spek­takel herrscht im Hühnerhof! Man hat sich um die Lieblingsfrau des Hahns, Frau Gaggeleia, versammelt, die als einzige im Nest sitzt, und schimpft und redet stürmisch auf sie ein. Der sonst die diktatorische Macht verkörpernde Hahn ist ausgeschaltet und hat sich verzogen. Seine diplomatischen Annäherungsversuche, das zarteste und lieblichste Kikeriki oder die An­kündigung der Verteilung von Lebensmitteln (Regenwürmern) nach sozialen Gesichtspunkten können heute flichts ausrichten. Eine aufrühre­rische Gesinnung hat das Hühnervolk ergriffen.

Da hört sich doch alles auf! gackert es durch­einander.Wir streiken! Eine solche Unver * 1 schämtheit! Eine Herabwürdigung unserer Ar­beit! Na, Frau Gaggeleia, und Sie machen da noch mit, wo sie doch genau wissen, daß Ihre Mühe nur noch zwanzig Pfennig wert Ist? Nein, um diesen Spottpreis ist es unter meiner Würde, noch zu arbeiten!

Frau Gaggeleia aber läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie bleibt hocken, drückt noch ein wenig und legt mit großem Geschrei ihr Ei: Ihr könnt sagen, was ihr wollt! Ich war schon immer für soziale Gerechtigkeit. Seither habe ich nur für die Reichen gearbeitet, Jetzt darf ich endlich auch für die Armen legen.

Und mit stolz erhobenem Kopf verläßt sie den Kampfplatz, während die andern verlegen gak- kern

Doch da kommt der Hahn Kriahn, den seine vergeblichen Loderufe verdrießlich gemacht haben. Würdevoll fliegt er auf einen alten Wei­denkorb, kündet seine Rede mit lautem Kikeriki an und beginnt: ..Mein liebes Weibervolk, es wäre ratsamer, weniger zu debattieren und mehr zu arbeiten. Harte Zeiten stehen uns bevor. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das Hühnervolk, in den letzten Jahren stark ange­wachsen, nun schnell wieder abnehmen wird, wenn wir nicht arbeiten wie die Wilden. Ich weiß aus sicherer Quelle, daß die Bäurin kürz­lich die Bemerkung machte dies bitte ich aber streng vertraulich zu behandeln:Om sechzig Pfennich hot sichs Hühnerhalte glohnt, aber jetzt bei zwanzig Pfennich und vielleicht no we­niger . .? Om den Preis essa mr dEier liaber selber! Ond dHälfte von de Henna reicht ons au no Also, liebes Weibervolk, die goldenen Hühnereierzeiten sind vorbei. Wollt ihr streiken, so geht es euch an den Kragen. Und übrigens die Eier sollen früher noch billiger gewesen sein, und unsere Vorfahren haben dennoch ge­lebt! Kikeriki! ich habe gesprochen!

Hei, wie diese Rede wirkt. Mit lautem Ge­schrei flattert das liebe, dumme Hühnervolk auseinander, und etwas später hört man aus Hühnerstall und Scheuer das laute Gackern der legenden Hühner . . . WH.

hast würbe betidjiei

Ein Jungbauer aus dem Kreis Backnang kam dieser Tage auf die Idee, sich als Stier­kämpfer aufzuspielen. Er beschaffte sich zu die­sem Zweck ein rotes Tuch und hielt es einem Stier vor die Nase. Dieser stürzte sich auf den Matador und brachte ihm erhebliche Verletzun­gen bei. Der Besiegte mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden.

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In V nt e r t ürkh ei m fanden zwei Polizei- beam'e bei ihrem abendlichen Kontrol Igang auf der Straße eine Frau, die dort soeben einem Kind das Leben geschenkt hatte. Ihr Mann hatte, so gut er es verstand, als Hebamme fungiert. Mutter und Kind befinden sich nun in guter Ge­sundheit in einer Cannstatter Klinik.

Bei einer Theateraufführung in der Gemeinde Seckmauern bei Wertheim a. M. sollte ein Wilderer den Förster erstechen. Der Wilderer zog aus seiner Lederhose ein feststehendes Mes­ser und stach, in der Meinung, daß die Klinge in der Scheide steche, auf den Förster ein. Mit einer klaffenden Wunde mußte der Schauspie­ler ins Krankenhaus gebracht werden. Beim Her­ausziehen des Messers aus der Hosentasche hatte sich die Scheide von der Klinge gelöst.

*

Ein Bauer in Oberlustadt (Pfalz) wollte seinem Vieh eine tüchtige Portion Kraftfutter zukommen lassen und mischte den Inhalt eines Papiersacks ins Viehfutter. Das Ergebnis waren am anderen Morgen eine tote Ziege und die Not­schlachtung einer wertvollem. Milchkuh sowie eines Schweines. Der Bauer hatte übersehen, daß der Papiersack kein Kraftfutter, sondern ein Arsenspritzmittel enthielt.

FRANZ WILHELM KIELING

(jJ^a-LseL UM 2>c.jL a lIz KRIMINALROMAN

Alle Rechte bei Feutlletondienst Molxnder, Tübingen-Lustnau

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Das Telefon, Franz, so hör doch schon .. energisch hat die noch halb verschlafene Frau ihren Mann an der Schulter gefaßt.

Mit einem plötzlichen Ruck fährt Justizrat Reuter in seinem Bett hoch und lauscht.

Tatsächlich, du hast recht, das Telefon, Mitten in der Nacht?

Es ist zwei Uhr, Franz. Hoffentlich ist Paul schon da. Ihm wird doch nichts zugestoßen sein?

Die Frau erhält keine Antwort. Inzwischen hat sich der alte Herr in den flauschigen Schlafrock gehüllt und geht nach seinem Ar­beitszimmer. aus dem noch immer das schrille Glockenzeichen des Fernsprechers klingt.

Frau Reuter lauscht angstvoll. Hoffentlich ist es eine Falschverbindung Ist dir in letzter Zeit etwas an Sanitäts­rat Falk aufgefallen Frieda? Mit diesen Wor­ten kehrt d^r alte Herr nach kurzer Weile in das ehe!'che Schlafzimmer zurück.

Ich wüßte nicht. Er ist doch nicht etwa krank geworden Vorgestern traf ich ihn er machte Krankenbesuche und war freund­lich und lebhaft wie immer.

Denke dir. ich soll sofort zu ihm kommen, er will sein Testament machen.

Sicherlich fühlt er sich nicht wohl, er ist ja auch nicht mehr der Jüngste Es wird doch nichts Ernsthaftes sein?

Das ist ja das Merkwürdige! Als ich ihn besorgt nach seinem Gesundheitszustand fragte, erklärte er mir, er sei völlig gesund wie immer. Trotzdem bestand er darauf, daß

Ueber 40 Zünfte in Radolfzell

Das Narrentreffen in der Bodenseestadt zog Zehntausende in seinen Bann

WB. Radolfzell. Es war vorauszusehen, daß das Radolfzeller Narrentreffen eine ganz große Sache werden würde. Schon den am Samsiag in der Bodenseestadt eintreffenden Gästen bot sich ein Bild ungemein bunten Lebens, das am Nach­mittag durch das Setzen des riesigen Narren­baums auf dem Marktplatz einen ersten Mit­telpunkt fand. Die Stockacher Narren konnten da'-»i ihre Meis erschaff zeigen und wurden ge-

Auch die Rottenburger Ahlande waren in Radolfzell Foto-Dohm

bührend bewundert. Von Stunde zu Stunde wurde das Treiben auf den Straßen durch die eintreffenden Zünfte lebhafter und phantasti­scher. Es erfüllte in der einbrechenden Dunkel­heit alle Gassen und Plätze wie die Gaststätten und Lokale.

In der als Festraum hergerichteten großen Viehmarkthalle begann um 19.30 Uhr als eine

Hauptveranstaltung die Vorführung der Ma s k e n von 30 Zünften und Narrenvereini­gungen und Darbietungen au3 deren Brauch­tum, die bis in die Morgenstunden hinein über 2500 Zuschauer in ihrem Bann hielt und immer wieder zu stürmischem Beifall anregte. Zunft auf Zunft vom Oberrhein bis Oberschwaben, vom Neckar bis zum Bodensee, in den abwechs­lungsreichen und farbenfrohen Kostümen stell­ten sich vor. Die berühmten Narrenflecken hat­ten ihre Vertreter entsandt, und zwischen ihnen erlebte man manchmal fast noch köstlichere Dinge von den kleinen Plätzen. Während im Schwarzwald und auf der Baar die Schnitzmas­ken aus Holz in ihren Abwandlungen mit ent­sprechender Tracht den Eindruck bestimmten, spielten in der Bodenseegegend die verschiede­nen Hansele-Figuren eine Hauptrolle. Dazwi­schen wurden noch allerlei eigene Züge sichtbar.

In die mehr als kurze Nachtruhe der Teilneh­mer hinein klang am Sonntag schon vor der Frühglocke der Lärm der Eizacher und Wolf- acher Tagrufer hinein. Der Himmel verhieß einen schönen Tag. Unter den morgendlichen Sonnenstrahlen entwickelte sich in den Straßen dann ein Bild von unerhörter Farbenpracht und fröhlichstem Leben, in das straßauf, straßab die Narrenmärsche der Musikkapellen und das Knal­len der Karbatschen klangen. Narros, Hansels, Butzen trieben in kleinen Gruppen ihren Unfug, eintreffende Zünfte zogen geschlossen auf, um einen Brunnen schickten sich die Sigmaringer zum Bräutein des Radolfzeller Bürgermei­sters und Narrenvaters an und lockten damit viele Zuschauer an sich.

Als der Festzug sich um i4.00 Uhr ln Be­wegung setzte, waren die Straßen und Plätze gesäumt von Menschenmassen aus nah und fern, die nach Zehntausenden zählten. Mehr als 40 Zünfte marschierten jetzt, von etwa 15 Kapel­len begleitet, bei herrlichem Wetter als ein un­absehbarer Strom von leuchtenden Farben und lustigem Leben durch die Straßen und Gassen, die Zuschauer immer wieder zu fröhlichem Ge­lächter verlockend und durch ihre Eigenart be­geisternd. Nach der Auflösung des Zuges schien die Stadt vom Narrenvolk überzuquellen, das sich gegen Abend noch einmal zum H e x en­treißen der Offenburger sammelte.

Der in jeder Hinsicht ausgezeichnet vorberei­tete Tag war für die S*adt Radolfzell wie für die Vereinigung der schwäbisch-alemannis'hen Narrenzünfte ein großer Erfolg, für seine Teil­nehmer und Besucher wird er eine prächtige Erinnerung bleiben.

Straße zwischen Gmünd und Lorch auf einen Kilometerstein auf und überschlug sich. Zahl­reiche Ferkel wurden getötet. Der Gesamtscha­den wird auf 1 500 DM geschätzt.

.. und hier ein Wildschwein Heidenheim. In der Nacht zum Freitag fuhr ein Heidenheimer Gastwirt mit seinem Liefer­wagen in hohem Tempo auf der Bundesstraß« 19 zwischen Ulm und Heidenheim in ein Rudel Wildschweine hinein, das von einer Straßenseite auf die andere wechseln wollte. Eines der Tiere wurde von dem Wagen erfaßt und blieb tot lie­gen.

Sie sangen das Horst-Wessel-Lied Heldenhelm. Die Ermittlungen der Landespo­lizei gegen den ehemaligen Spruchkammervor- »itzenden Walter Urban und dessen Schwager, den Gemeinderat Egon Müller aus Dischin- gen, die kürzlich in einer Dischinger Gastwirt­schaft in angetrunkenem Zustand mit erhobe­ner Hand das Horst-Wessel-Lied gesungen ha­ben, sind jetzt abgeschlossen. Die Akten wurden der amerikanischen Landeskommission überge­ben.

Termin verlängert

Tübingen. Auf Abordnung des Bundesinnen­ministeriums wurde der Termin für die Erfas­sung der verdrängten Beamten, ehe­maligen Berufssoldaten usw. bis einschließlich 28. Januar 1950 verlängert. Die Bürgermeister­ämter liefern die bei ihnen noch bis zu diesem Zeitpunkt abgegebenen Zählkarten am 30. Januar 1950 an das Landratsamt ab.

Einberufung einer Diözesansynode Rottenburg. Bischof Dr. Leiprecht hat auf den 9. Oktober eine Diözesansynode nach Rottenburg einberufen. Die letzte Diözesansynode hat 1929 stattgefunden.

Rätselhafter Todesfall

Reutlingen. Der 23jährige Hilfsarbeiter Erich L e u z e aus Pfrondorf, Kreis Tübingen, nahm am Freitagabend an einem Richtfest teil. Dabei kam es zu einer Schlägerei, bei der sich Leuze besonders hervortat. Die Polizei war ge­nötigt einzugreifen und brachte ihn zur Wache, wo er sofort in einen eigenartigen Schlaf ver­fiel. Nachts um 2 Uhr ließ ihn die Polizei ins Kreiskrankenhaus Reutlingen verbringen, wo er am Samstag früh um 6 Uhr starb. Da die Todes­ursache nicht einwandfrei geklärt werden konnte, wurde die Leiche zur gerichtsmedizinischen Un­tersuchung nach Tübingen gebracht. Man nimmt an, daß Leuze an einer Alkoholvergiftung ge­storben ist. Möglicherweise waren es aber auch Verletzungen aus der Schlägerei, denen er er­legen ist. Die Untersuchungen sind noch im Gange.

Neue Motorsportschau

Reutlingen. Der Gemeinderat genehmigte in seiner letzten Sitzung die Abhaltung einer neuen Motorsportschau vom 13. bis 22. Mai in der List­halle. Als Träger der Schau ist eine Messegesell­schaft mit einem von der Stadt gegebenen Ka­pital von 15 000 DM gegründet worden.

Neue Donaubrücke bei Ulm Ulm. Hier wird in wenigen Wochen mit den Arbeiten für eine neue Donaubrücke zwschen Ulm und Neu-Ulm begonnen werden. Die Stadt­bauverwaltung hofft, die neue Brücke noch in diesem Jahre fertigstellen zu können.

Schwarzhändler gefaßt Biberach a. R. Zwei junge Burschen aus dem Kreis Kaufbeuren, die seit Dezember vorigen Jahres rund 16 000 Liter Benzin im Schwarz­handel abgesetzt haben, wurden von der Lan­despolizei in der Umgebung festgenommen. Auf dem Lastwagen der Schwarzhändler befanden sich noch 600 Liter Treibstoff, die vermutlich aus amerikanischen Heeresbeständen stammen.

Tot auf dem Felde gefunden Kehl. Ein 51 jähriger Land- und Gastwirt wurde auf offenem Feld neben seinem Pferde­fuhrwerk mit schweren Schädelverletzungen auf­gefunden. Er starb, ohne das Bewußtsein wie­dererlangt zu haben. Nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung dürften die Verletzun­gen nicht von den Zugpferden herrühren. Die Gendarmerie ist mit der Aufklärung des rätsel­haften Falles beschäftigt.

Wie wird das Wetter?

Wetteraussichten bis Dienstagabend: Nach vorübergehendem Wolkenaufzug und geringer Milderung des Frostes in der Nacht zum Diens­tag wieder aufheiternd und Absinken der Tem­peratur auf 10 bis 15 Grad unter 0.

Südwestdeutsche Chronik

Der Fall MayMeyer

Stuttgart. Bei den polizeilichen Ermittlungen in der Affäre May hat jetzt der Inhaber der Maschinenfabrik Gebr. Heller in Nürtingen, Hermann Heller, zugegeben, an dasVer­mittlungsbüro Meyer in Nürtingen rund 7500 D-Mark für die Entnazifizierung seines Bruders Werner gezahlt zu haben. Hermann Heller ist der dritte Industrielle, der während der Unter­suchung ln der Affäre May eine aktive Beste­chung zugegeben hat. Die Firma Heller unter­hält Niederlassungen in Köln, Hannover und New York.

Der ehemalige Flüchtlingskommissar Ernst Stockinger erklärte, er habe Ministerialrat Karl S t r ö 1 e zweimal in Gegenwart von zwei Anwälten auf die Korruptionen in seiner Abtei­lung aufmerksam gemacht und über Bestechun­gen unterrichtet. Ströle habe jedoch kein akti­ves Interesse gezeigt, der Angelegenheit nachzu­gehen.

Der amerikanische Landeskommissar für Würt­temberg-Baden, Charles P. Gross, erklärte am Freitag zu dem Entnaziflzierungsskandal May- Meyer, er glaube, die Aufdeckung dieses Falles helfe der Demokratie.Wir freuen uns", sagte Gross,daß die deutschen Zeitungen hier ihren Verpflichtungen nachkommen. Die Bevölkerung wiederum hat Gelegenheit, ihr Interesse an ihrer Regierung zu zeigen Wir bewundern vor allem die Zivilcourage der Landespolizei in der Be­handlung dieses Falles."

Auslieferungsantrag für Jedlin

Stuttgart. Wie die amerikanische Staatsanwalt­schaft mitteilt, wurde von ihr ein Auslieferungs­antrag für den nach Palästina geflohenen Mör­der Jedlin an die zuständigen Stellen in Wa­

shington geleitet. Jedlin hatte vor einem Jahr einen deutschen Wachtmeister in Stuttgart er­schossen und neulich, wie wir berichteten, aus Tel Aviv einen höhnischen Brief an die Stutt­garter Kriminalpolizei geschrieben.

Elfjähriger stiehlt 11 Fahrräder Stuttgart. Hier wurde ein lljähriger Junge aufgegriffen, welcher im letzten Sommer von zu Hause in Plauen im Vogtland weggelaufen war und sich seither in Bayern und Württemberg bettelnd herumgetrieben hatte. Vor der Polizei gestand er, teils allein, teils mit einem anderen Jungen 11 Fahrräder gestohlen zu haben.

Protest gegen Entnazifizierungsmethoden Schwäbisch Gmünd. Auf einer Gemeinderats­sitzung übte der Oberbürgermeister Kah scharfe Kritik an demrechtlich völlig unhaltbaren Ni­veau der Entnazifizierungsmethoden. Gewisse Praktiken, mit denen versucht werde, der Stadt­verwaltung ehemalige Spruchkammerangehörige aufzuzwingen, könne man alsGangstermetho­den bezeichnen. Er werde in Zukunft weitere derartige Versuche ablehnen. Es habe sich all­mählich herumgesprochen, aus welchen Kreisen oftmals jene kämen, die sich in besonderem Maße berufen fühlten, über die politische Auf­fassung anderer zu Gericht zu sitzen. Es sei keine unbedingte Empfehlung, wenn jemand bei seiner Bewerbung auf eine Spruchkammertätig­keit hlnweisen könne. Die Städte seien nicht ge­willt, sich zumPrügelknaben mißglückter staatlicher Experimente machen zu lassen.

Ferkel als Verkehrsopfer Schwäbisch Gmünd. Ein mit siebzig Ferkeln beladener Lkw. prallte auf der kurvenreichen

ich sofort käme, er wolle keinesfalls bis mor­gen früh warten. Er war boshaft genug, mir zu sagen, daß er als Arzt auch fast jede Nacht herausgerufen würde und ich ja höhere Ge­bühren bekäme, wenn ich nachts eine Amts­handlung vomähme

Nachdem er sich im Arbeitszimmer alles Notwendige geholt hat, verläßt Reuter das Haus und schreitet kräftigen Schrittes durch die stillen, menschenleeren Straßen.

Beim Hause des Sanitätsrats angekommen, findet er das Gartentor offen und auf sein Läuten wird ihm sogleidi von Falk selbst geöffnet.

Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie meiner Bitte Folge geleistet haben, lieber Reuter. Seien Sie überzeugt, daß ich Sie nicht in der Nachtruhe gestört hätte, wenn ich nicht gute oder vielmehr schlechte Gründe dazu hätte.

Sie schütteln sich die Hände. Falk führt den Notar in sein Arbeitszimmer, das sehr behaglich eingerichtet ist und in nichts daran erinnert, daß es dem Arzt als Empfangsraum dient. Es gleicht mit seinen hohen Bücher­borden mehr der stillen Studierstube eines Gelehrten.

Falk hatte eine Flasche Burgunder bereit­gestellt, von dem er weiß, daß der Justizrat ihn nicht verachtet. Auf dem Tisch liegt das Bürgerliche Gesetzbuch.

Sie wollen mir wohl die Vorarbeit abneh­men, Doktor? scherzt der Justizrat und zeigt auf das Buch,da werde ich mich wohl näch­stens um die Arzneikunde kümmern müssen.

Falk lächelt.Es gibt einige Punkte, um die ich ohne Ihren Rat nicht herumkomme, Herr Justizrat. Aber ich denke, wir wollen zuerst eine kleine Stärkung nehmen!

Reuter tut Bescheid Er ist sehr nachdenk­lich geworden. Ihm ist nicht entgangen daß des Arztes sonst so ruhige Hand beim Ein­schenken stark gezittert hat; ein paar Trop­fen sind auf die Tischdecke gefallen.

Der Notar öffnet seine Aktentasche, ent­nimmt ihr Aktenbogen. Petschaft, Siegellack

und eine Kerze er hat an alles gedacht.

Wie ich Ihnen schon am Fernsprecher sagte, können wir ein rechtsgültiges Testa­ment nur machen, wenn zwei Zeugen zuge­gen sind.

Ich habe meinen Assistenzarzt Berning und die Nachtschwester gebeten, sich bereit­zuhalten. Es wird wohl genügen, wenn ich sie erst herüberrufe, nachdem wir uns über alle Einzelheiten verständigt haben.

Gewiß, antwortete der Justizrat.

Es kommt im wesentlichen darauf an, fest­zulegen, daß niemand irgendwie geartete An­sprüche an meinen dereinstigen Nachlaß gel­tend machen kann als meine Tochter.

Sagten Sie mir nicht einmal, lieber Dok­tor, es lebten nur ganz entfernte Verwandte von Ihnen außer Dorothea?

Ich fand beim Durchblättern des Bürger­lichen Gesetzbuches, daß ein Testament an- gefochten werden kann, wenn ein naher Ver­wandter vom Erblasser versehentlich über­gangen wurde. Ich bitte Sie, in die Urkunde vorsorglich aufzunehmen, daß ich mich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte befinde, daß ich nach reiflicher Ueberlegung meine Tochter Dorothea Charlotte als Alleinerbin bestimme, jeden Anspruch von anderer Seite ablehne und ausschließe, und zwar in genauer Kenntnis dieses Paragranhen des Gesetzes. Reuter ist zwar diese Besorgnis Falks nicht ganz klar, er entspricht aber seinem Wunsch. Dann, nachdem der Arzt noch eine Anzahl beträchtlicher Vermächtnisse für treue Dienst­boten und Klinikpersonal ausgesetzt hat. ist der Entwurf fertig. Falk ruft Dr. Berning im Sa­natorium an. um seinen Assistenten und die diensttuende Nachtschwester herüber zu bit­ten.

Als Dr. Berning sich vor Reuter verneigt, nimmt dieser zum erstenmal Gelegenheit, sich den Mann näher anzusehen, dem sein Freund Falk so große Befähigung und so viel Zielbe­wußtsein nachrühmt. Berning ist das, was man einenschönen Mann nennt, eine statt­

liche Figur, ein ebenmäßiges Gesicht, Augen, die Energie und Klugheit erkennen lassen, in denen allerdings zuweilen ein blitzendes, un­ruhiges Flimmern erscheint Man sagt dem Arzt nach, daß er äußerst ehrgeizig sei und sich bereits einen Namen in Fachkreisen ge­macht habe. Man munkelt allerdings auch boshafterweise in der Stadt, daß viele der Pa­tientinnen Falks weniger ihrer Krankheit, als seines schönen Assistenten wegen Aufnahme im Sanatorium suchten

Nachdem der Notar kurz erläutert hat, un­terzeichnen alle das Protokoll des Testaments, Reuter versiegelt es und rüstet sich zum Auf­bruch. Falk begleitet ihn bis ans Gartentor. sich nochmals herzlich bedankend. Als Reuter sich schon zum Gehen wendet, ruft ihn der Arzt zurück.

Lieber Justizrat, ein Wort noch. Sie wer­den sich über meinen Entschluß und die Ei­genart meines Testamentes wohl Gedanken machen. Darf ich Sie bitten, keinem Menschen gegenüber auch meiner Tochter nicht von dem heute Geschehenen zu sprechen Und sollte mir vielleicht zufällig etwas zustoßen, bevor Dorothea ihre Prüfung bestanden und ihr praktisches Jahr vollendet hat. bitte ich Sie. ihr auszurichten, daß sie getrost Dr. Berning die Leitung des Sanatoriums belas­sen kann, seine Tüchtigkeit habe ich hundert­fach erprobt, sie steht außer Zweifel

Ich will mich nicht in Ihr Vertrauen drän­gen. Herr Sanitätsrat, aber glauben Sie nicht, däß es besser wäre wenn Sie ganz offen zu mir von dem sprächen, was Sie bedrückt? Natürlich ist es selbstverständlich, daß ich mich ihrer Tochter annehme, zumal ich ja das Mädel wirklich gern habe, aber ich hoffe, daß sich nie Gelegenheit dazu ergeben wird.

Einen Augenblick scheint es. als ob Falk sprechen will, dann aber begnügt er sich mit einem herzlichen Händedruck und geht rasch ins Haus zurück.

(Fortsetzung folgt)