6. Jahrgang

DIE BUNTE SEITE

Nummer 12

Wachdienst mit der Hellebarde

Interview mit einempäpstlichen Schweizer

Wir kennen uns bereits, ich und der stäm­mige, wangenrote Jüngling, der in der Ewi­gen Stadt sein Züridütsch nicht verlernen wird und der mir bei der Vatikaneinfahrt »eine Hellebarde mit der traditionellen, pit­toresk mittelalterlichen Landsknechtgeste in den Weg stellt. Er gehört zu den neuen päpstlichen Rekruten, die erst seit kurzem in der Guardia Svizzera Pontificia Dienst tun. Am Bronzetor, in den Höfen und inneren Ge­mächern, bei den Audienzen, wie es bei der Ausgabe der Parole für den nächsten Tag be­stimmt wird. Erst im nächsten Frühjahr, an einem bestimmten Gedächtnistag der Papst­geschichte. erfolgt die förmliche Angelobung dieser neuen Gardisten Bis dahin müssen sie in alle Geheimnisses, ihres nicht so sehr auf­reibenden. als interessanten Dienstes tadel­los eingeweiht sein.

Es ist, erzählt mir der Schweizer, nicht leicht, bei der Garde unterzukommen. Denn vor allem werden weit weniger gebraucht, als sich jedes Jahr zu der ausgeschriebenen Musterung melden.

Die für den Dienst eventuell in Betracht kommen könnten, werden in der fcittä del Va- ticano nochmals von einem eigenen Arzt un­tersucht, und wenn nun alles stimmt, wird der Neue für das kleine Heer von knapp hun­dertfünfzig Mann aufgenommen.

Die ersten drei Dienstwochen im Vatikan werden zunächst darauf verwendet, den Re­kruten mit der nicht ganz einfachen Topo­graphie der Cittä des Vaticano vertraut zu machen. Vor allem muß er im Palast selbst jeden Winkel kennen, was keine geringe Ortskenntnis und Orientierungsgabe verlangt. Denn dieses von den Jahrhunderten gebaute Gewirr von Palästen hat mehr als zwanzig Höfe, die Zahl der Säle und Gemächer be­trägt weit über tausend, was ganz genau übrigens kaum zu ermitteln sein dürfte. Es gibt Geheimgänge, die niemand außer den Schweiezm kennt und die kein von draußen kommender Mensch je passieren darf.

Viel Arbeit erfordert es auch, den jungen Rekruten die erforderlichen Personalkennt­nisse einzudrillen. Nach Photographien müs­sen sie alle bedeutenden Funktionäre und Würdenträger, die im Vatikan regelmäßig zu tun haben oder hier wohnen, kennenlemen.

Münchner Straßenbahn

Ein älterer Mann, leidgeprüft durch 25jäh- rige Ehe, fuhr mit seiner Gattin der Stra­ßenbahn zum Zahnarzt.

Er, still ergeben in seinem Schmerz. Sie, spitz wie das Schwert des Damokles, außer­dem beißend und nörgelnd.

Sie trat von einem Fuß auf den anderen; nicht achtend, daß sie dem offenen Ausstieg immer näher kam. Plötzlich bremste unvor­hergesehen der Wagen, die Arme verlor die Balance und stürzte zur Tür hinaus. Dann war Ruhe...

Der Schaffner eilte herbei, sich durch das Gedränge kämpfend, und schrie:Herr, Ihre Frau ist aus der Straßenbahn gefallen! Die­ser verzieht keine Miene. Ais ihn der Schaff­ner anstößt mit der Bemerkung, ob ihn dies nicht aufrege, meint verdrossen der Mann- Lachen Sie, wenns so a gschwollenes Gsicht ham!

Nur für die Besatzungsmacht

Dem aus Hamburg kommenden D-Zug ent­stieg ln Stuttgart kürzlich, wie derWiesbade­ner Kurier berichtet, aus einem für die Besat­zung reservierten Abteil eine charmante junge Dame, die ihren Pelzmantel lässig über einem Flauschmantel trug. Alle Reisenden, die hinter ihr gingen, lächelten schadenfroh. Auf dem Rük- ken der Dame baumelte nämlich an einer Schnur ein kleines Schild, das sich vermutlich beim Aus­steigen festgehakt hatte. Darauf stand:Nur für die Besatzungsmacht.

Schwierig ists auch mit den Waffenübungen. Die Hellebarde, wohl die merkwürdigste .Waffe, deren sich ein modernes stehendes Heer bedient, muß man nach den jahrhun­dertealten Vorschriften handhaben lernen. Auch Schießübungen gibt es. Und wie sich im Vatikan überall Neuestes und Uraltes be­gegnen, besteht die Bewaffnung der Guardia Pontificia neben der mittelalterlichen Helle­barde aus dem letzten Modell moderner Mi­litärkarabiner.

Schon drei Wochen nach der Einrückung in die päpstliche Kaserne beginnt der reguläre Postendienst. Die Hauptwache befindet sich hinter dem berühmten Bronzetor des Vati­kans, rechts von der Pet.erskirche. In den Ge­mächern und Sälen des von Seiner Heiligkeit bewohnten Trakts sind überall Schweizer po­stiert: alle anderen Räumlichkeiten und die Gärten und Straßen des Vatikanstaates wer­den von päpstlichen Karabinier! bewacht. Zwei Tage ist Dienst, den dritten hat der Schweizer frei und darf ihn völlig unkon­trolliert nach seinem Gutdünken verwenden. Interessant ist, daß die meisten Gardisten ihren Dienst eigentlich als Zwischenstation

Teenager (sprich: Tieneedscher) nennen sich die Backfische und Jünglinge eines Lan­des, das die furchtbaren Auswirkungen des Krieges nur am Rande kennenzulernen brauchte. Mit der europäischen Jugend haben diese nicht viel mehr als das Alter gemeinsam. Jenseits des Atlantiks, in den USA, sind die Teenager zu einer Macht geworden, mit der nicht nur Eltern und Erzieher rechnen. Der Teenager-Klub ersetzt häufig das Elternhaus. Hier lesen die jungen Menschen ihre eigenen Zeitungen, verzehren gemeinsam das selbst zubereitete Essen, spielen, treiben Sport und erhitzen sich die Köpfe überSex und poli­tische und soziale Probleme der Zeit.

Auch Teenager kennen eine gesellschaftliche Schichtung. Wenn sie wohlhabend sind, tra­gen sie Nylonstrümpfe, hohe Hacken und Newest Look und übertrumpfen so alsNy- lon-soxers dieBobby-soxers, die sich nur Ringelsöckchen leisten könnenBobby-soxers schlendern inJeans, den enganliegenden, bis zum Knie aufgekrempelten Mechaniker­hosen, schreiend bunten Pullovern und nied­rigen Sandalen durch die Straßen und ver­zehren in den alkoholfreien Trinkhallen Eis­drinks und respektable Berge von Fruchteis.

Beide Arten vonSoxers telefonieren stun­denlang mit dem Boy- oder Girlfreund, und selten findet jemand etwas dabei, wenn Tee­nagerpaare Mondscheinpartien im Auto ver­anstalten. Der Ton zwischen den Geschlech­tern ist kameradschaftlich, die Moral nicht schlechter als anderswo. Für Teenager gehört es zum guten Ton, wenigstens zweimal in der Woche ins Kino zu gehen. Puffmais kau­end, sitzen die Mädchen reihenweise in den Lichtspielhäusern, bewundern Bing Crosby oder Clark Gable und sticken zu Hause den Namen des Angebeteten in die winzigen Mütz- chen, die sie als Zeichen ihrer Zunft tragen.

Das Geld für ihre Vergnügungen verdienen sich die Teenager meist selbst. Die Fünfzehn­oder Sechzehnjährigen gehen im Sommer als Kellner oder Geschirrabwäscher in die Bade­orte, gleich, ob der Vater Rechtsanwalt oder Straßenkehrer ist. Selber Geld verdienen, ist die Hauptsache.

Amerikanische Geschäftsleute haben aus der Begeisterungsfähigkeit der Jugend ein Ge­schäft gemacht. Die Teenager stellen eine zah­lenmäßig starke Käufergruppe dar, die ganze Industriezweige ernährt. In Mittel- und Kleinstädten bestimmen die Teenager, wie lange ein Film läuft Institute zur Erfor-

bis zu einem später zu erwählenden Hauptberuf betrachten. Es gibt Schweizer, die in ihren freien Stunden Universitätsvorlesungen be­suchen und später ihren Doktor machen wer­den. Andere lernen ein Handwerk, auch auf die römischen Kunstakademien gehen fast immer einige. Erst vor kurzem haben zwei den Dienst quittiert, von denen der eine sich als Maler, der andere als Bildhauer selb­ständig gemacht bat. Man betrachtet es als etwas ganz Reguläres, daß der junge Rekrut im Vatikan in der Regel keine Lebensstel­lung anstrebt, sondern nur so lange hier bleibt, bis er sich mit dem ersparten Geld in irgendeinem Beruf selbständig machen kann.

Vom Kostgeld der Garde wird jedes Jahr ein bestimmter Betrag erübrigt, der zur Ver­anstaltung einer Weihnachtsfeier für die Ka­meraden dient. Die Leute haben im Vatikan sehr hübsche Dienstwohnungen, die sich je­der nach seinem Geschmack und mit vielen Erinnerungen an die ferne Heimat eingerich­tet hat und in denen sie sich vollkommen zu Hause fühlen. Wer zehn Jahre gedient hat, hat Anspruch auf den vollen Gehalt als Pen­sion. Die meisten gehen aber schon früher weg. Eine Verdienstmöglichkeit findet sich leicht, denn es gilt als gute Empfehlung, in der Guardia Pontificia gedient zu haben.

Peter Seil

schung der öffentlichen Meinung bemühen sich herauszubekommen, welche Schallplatten und Getränke die Teenager in der neuen Saison bevorzugen werden. Die Filmindustrie produ­ziert Teenager-Filme, Modehäuser kleiden den Teenagervorbildlich für Tee, Sport, Auto­party. Es fehlt nicht an Stimmen, die diesen Teenager-Kult kritisieren. Elternzuschriften an führende Zeitungen sprechen sogar von einemTeenager-Fimmel, mit dem man endlich Schluß machen sollte.

Währenddessen haben Teenager auch in Europa Fuß gefaßt. Englische Jungen und Mädchen bemühen sich, es ihren Altersgenos­sen in Amerika gleich zu tun. Großbritannien kann bei diesem Konkurrenzkampf einen Teenager aus königlicher Familie ins Treffen führen: Prinzessin Margaret Rose von Eng­land. Die Prinzessin ist durch ihre enge Freundschaft mit der Tochter des amerikani­schen Botschafters Sharman Douglas zu einer begeisterten Teenager-Freundin geworden. An einer kürzlich in London veranstalteten Ausstellung für die Teenager beteiligten sich auch die großen Jugendorganisationen YWCA und Girl Guide. Hierbei wurden Wettbewerbe im Schönschreiben, in Handarbeiten und der Auswahl der richtigen Schuhe für die ver­schiedenen Arten von Kleidern, die dasper­fekte Schulmädchen trägt, abgehalten. Als Ehrengast bei der großen Veranstaltung die­ser Art, die durch jugendliche Besucher aus 16 Nationen internationalen Charakter trug, waren auch Premierminister Attlee und der Herzog von Edinburgh zugegen. Die hohen Gäste durften sich stundenlang todernste De­batten von fünfzehnjährigen Jungen und Mädchen über aktuelle politische Probleme anhören. S. G.

Wieviel wiegt der Regenschauer?

Man macht sich kaum einen Begriff von den Wassermengen, die als Regen oder Schnee auf die Erde kommen. Schon bei einem schwa­chen Regen von einem Millimeter fallen auf einen Quadratkilometer 20 000 Zentner Was­ser. Platzregen mit 2030 Mülimeter Regen­höhe entspricht 400 000 bis 600 000 Zentner Wassergewicht je Quadratkilometer. In Deutschland fallen im Durchschnitt jährlich 660 Millimeter Regen oder Schnee, das be­deutet für den qkm 660 MUL Liter, und diese Wassermenge wiegt etwa 7,6 Billionen Zentner. w. k.

Veisteigertes Kulturgut

Im Geschäft des Auktionators geht ein jun­ges Ehepaar umher und sucht nach Gebrauchs­gegenständen für seinen jungen Haushalt. Das Biedermeierzimmer mit der beruhigen­den grünen Stuhlpolsterung und dem Edel­holz gefällt mir, sagt der junge Ehemann, aber es ist mir etwas zu teuer.Wer es kauft, tut ein gutes Werk, erwiderte der Auktionator,meine Auftraggeberin gehört zu den vielen verarmten Reichen, denen der Krieg und die Geldumstellung alles genom­men haben. Sie wartet lange auf den Erlös. In den Augen der Frau steht ein sinnendes Mitleid.Wir nehmen die Möbel, sagt sie leise, ..ich möchte sie haben und lege etwas ^zu.

Solche Fälle sind selten geworden, er­zählt der Auktionator,heute heißt die Losung: billig. Viele Käufer wissen nicht, daß die mei­sten Gegenstände, auch die Kunstwerke, schon um 90 Prozent ihres Wertes . herabgesetzt sind. Vielen fehlt auch die Kenntnis des Wer­tes echter Kunst

Rings stehen sie, dicht gedrängt nebenein­ander, wie Fremde die sich erst aneinander gewöhnen müssen und doch so verschieden bleiben: die wundersamen Satsuma-Vasen aus China neben der graziösen Biedermeier­standuhr, die ornamentierte Truhe aus der Barodezeit neben den orientalischen Rauch­gefäßen, die entzückenden Kleinplastiken aus China und Japan, wahre Musterstücke aus Bronze neben Meißner Porzellan, Gemälde aus dem vergangenen Jahrhundert und der Empireuhr, die so napoleonisch-wuchtig in sich ruht. All diese Dinge haben Menschen gehört, die einmal reich und glückliche Be­sitzer waren, und deren Blicke aufleuchteten, wenn sie sich sagten: , Wir sind in der Um­gebung dieser schöngeformten Möbel, Vasen und Bilder aufgewachsen Und jedes Ding hatte seine Seele.

Stumme Zeugen der Vergangenheit sagt der Auktionator in die Stille hinein,und wenn sie zu mir kommen, die sich von ihnen trennen müssen, muß ich oft an mich halten, um meine Bewegung zu verbergen, die ich bei der Schilderung des sozialen Elends emp­finde, in das sie unverschuldet infolge der Grausamkeit der Verhältnisse hineingeschleu­dert worden sind. Mitunter bin ich aber ehr­lich enttäuscht, wenn Käufer, die wirklich das Geld besitzen, um mit dem Kauf von Möbeln meinen Auftraggebern zu helfen, sich Dinge zulegen, die weder ihrem Stil noch ihrer Kulturgeschichte nach keinen wirkli­chen Wert haben. Sie fühlen nicht, was hier steht . . .

Und manchmal steht vieles sehr lange: ein Vermögen, das keine Zinsen trägt. Auch die Sessel aus echtem chinesischem schwarzen Kantonholz mochte niemand bisher trotz ihres hohen künstlerischen Wertes und des küm­merlichen Daseins, das ihre Auftraggeber mit- dem Verkaufserlös etwas verbessern könn­ten. Barockmöbel in jeder Form sind zurzeit sehr gesucht; aber sie müssen echt sein.

Der Verkauf wie das ganze Verhältnis zu meinen Auftraggebern ist eine Vertrauens­sache, erklärt der Auktionator.Ich halte konsequent fest an den mit ihnen vereinbar­ten Verkaufspreisen, denn nur so ist es mög­lich, ihnen für die Dinge, auf die sie schwe­ren Herzens verzichten, einen Gegenwert zu bieten, der gerecht ist. Ich sehe eine uner­läßliche Forderung der Berufsethik in diesem Grundsatz. Vor der Geldreform hatte ich oft nicht Ware genug, um die Wünsche der Käu­fer zu befriedigen, aber seit Beginn des ver­flossenen Jahres ist infolge der Wirtschafts­schwierigkeiten und der Geldverknappung der Verkauf immer mehr zurückgegangen. Und bei den Auktionen erlebe ich es immer wieder, daß viele Menschen gern kaufen möchten. Aber im entscheidenden Augenblick fehlt ihnen dann doch das notwendige Geld. Ein hemmendes Moment, das es früher nicht gab, ist auch der Mangel an Wohnraum. Große antike Möbelstücke brauchen Raum.

Der amerikanische Backfisch

Er Lebt seinen eigenen Stil / Auch Prinzeß Margaret macht mit

Des Meeres und der Liebe Wellen

Erstaufführung der Tragödie von Grillparzer in Tübingen

Kurve und Mitte des Stückes bilden nicht des Meeres, sondern der Liebe Wellen und zwar nicht die Wellen der männlichen, sondern die Erregungen der weiblichen Liebe. Grillparzer schrieb keine Tragödie eines Liebespaares, viel­mehr den Mythus der zur Frau werdenden Jung­frau, für die der liebende Jüngling eben gerade nur Anreger und Auslöser einer sehr weitge­spannten, weitreichenden Skala von Gefühlsent­deckungen bedeutet. Der Hörer dieses unendlich subtilen, feingetönten Minnesanges in der Form einer das klassische Maß anstrebenden Tragödie braucht weder das antike Gewand ernst zu neh­men, noch die antike Idylle des Musaios zu ken­nen, aus der unser Dichter die Namen der Per­sonen (sogar wegen des Wohlklangs auch den Titel) und den Stoff zur Handlung schöpfte, er braucht nur die Laute dieser abgestimmten, die Leidenschaft mehr verhüllenden als offenbaren­den Verse zu vernehmen, das äußere Ohr auf das innere Ohr einzustellen, und er wird, sofern die Darstellung auf der Höhe ist, mit Genuß und Ernst eine Dichtung begreifen, die zu den schönsten gehört, die in deutscher Sprache ge­lungen sind. Wo gibt es noch einmal eine so keusche und doch sinnlich-geistige Aussprache zweier Menschenherzen wie in dem dritten Auf­zug, wo wandelt sich Inniger und freier ein im Grunde heiteres Frauengemüt in den höchsten Traumzustand einer Sele um, wie in dem herr­lichen vierten Aufzug? Wo erfüllt sich ein Lie- besgeschick einfacher und schöner unter völligem Verzicht auf klassische Konflikte als in der Szene, wo Grillparzers Hero die letzten Reste ihrer Sprödigkeit verliert und mit dem Namen des Geliebten auf den Lippen vor dessen Leiche entseelt niedersinkt? Daß diese Hero Priesterin wie Goethes Iphigenie ist, wird von Szene Zu Szene unwichtiger Wenn sie auch aus den Quel­len des Weimarer Humanismus getrunken bat. wird sie doch nicht in ideal-höhere Sphären gehoben, sondern nur um so tiefer weiblich, sinnenhaft-seeliscb und schöner gemacht. Man spürt, wie Schuberts weiche Melodien sie um­fließen, der Kenner wird merken, daß sie aus dem Geiste der Wiener Musik gezeugt ist und in

kein humanes und kein ästhetisches Programm hineinpaßt. Sie hat so gar kein antikisierendes Pathos, sie sagt keine Schicksallieder her, sie läutert sich nicht, sie fragt nur beklommen, was diese Liebe sei, die dem eignen Selbst so entfremdet und gibt im Tempelraum die simple Antwort: Nicht übermorgen, komme morgen schon zu mir, Geliebter. Mit ihrem voll erwach­ten Gefühl lebt und stirbt sie, auch noch am Ab­grund mozartisch anmutig.

Christine Gerlach ist Hero. Im derzeitigen Ensemble die einzige Schauspielerin, die in die­ser Rolle ihr hohes Sprechtalent und die Ver­wandlungen eines fraulichen Herzens überzeu­gend zeigen kann. In den ersten Gesprächen mit dem Oheim, der Mutter und Leander ist sie nach Grillparzers Deutung wirklichein Bach, der durch Kiesel schäumt und gleich wieder hell wird. Ihr verkünsteltes Priestertum trägt s'e fast männlich und energisch ohne einen einzigen Ton der sich hier so leicht einstellenden Me­lancholie einer Einsamen. Erst beim Gedanken an die kurze Begegnung mit dem Jüngling findet sie die demütige, naive Sprache. In der Turm­szene wechseln ihre Register rasch: im Wider­streben noch fast zu heftig, in der Furcht fast zu kühl, sinkt sie doch in der Hingabe ins pia- nissimo einererschütterten Glut hinab und entwickelt in diesem Zustand ihre empfindsam­sten und schönsten Augenblicke. Das Traumge­baren nach der Liebesnacht hätte man doch gerne um Nüancen inniger gesehen. Auf der Stufe des durch den beleidigten Instinkt hell­sichtig gewordenen Verstandes zeigt sich Chri­stine Gerlach in der pathosgeladenen Verflu­chung ihres Oheims, während sie sich zu den Vorgängen an der Leiche merkwürdig distan­ziert verhält. Im ganzen aber eine sehr schöne, sehr erprobte darstellerische Leistung.

Ihr Partner ist nicht der Leander von Ulrich G o e t s c h, der seine Rolle in einem angenehm zurückhaltenden Liebhaberstil aufs Naive ge­dämmt und ohne den hohen Stil zu verletzen, tm Tausch des zaghaften Werbers und des kühn begehrenden Jünglings gab, sondern der Prie­ster-Oheim von Jörg Schleicher, der einen k'assisch strengen Widersacher und Hüter der Tempelordnung aus einem Guß auf die Bretter stellte. Sehr gut, wie Schleicher die Grillparze­rische Sentenzenweisheit, das Erbe Schillers,

placierte und eine ruhige, überlegene Mittellage innehielt. Dem Vers und dem ästhetischen Schein zuliebe hätte etwa der Vertraute und Freund Leanders, der Naukleros von Joachim H a g e - m a n n, weniger die possenhaften, wienerischen Züge seiner Rolle betonen müssen und ausspie­len dürfen. Die Auflockerung der Mimik und des Sprechens ist hier nicht gerechtfertigt, ge­boten wäre ein Einfügen in den Stil der hohen Personen gewesen, das heißt eine Dezenz des Komischen und Burschikosen. Die Stileinheit wahrte trotz verschiedener Sprechweisen, die Grillparzer gefordert hat, ausgezeichnet der Tem­pelhüter von Walter Starz, der vielleicht auch keinen schlechten Leander gegeben hätte. Nicht ganz befriedigend war die Janthe von Ruth H ä h n 1 e, die gelegentlich' tragische Töne an­schlug, die ihrer Herrin eher geziemt hätten. Als das Elternpaar der Hero traten Johannes Liebsch auch diese kleine Rolle erinnerte eher an ein Schäferspiel denn an eine Tragödie und Valeria Verden auf.

Josef Keim erwies sich wieder als kenntnis­reicher Spielleiter, dessen logische dramaturgi­sche Anordnungen im ganzen Spiel zu bemerken waren. Immerhin darf man Hero nicht so weit entpriesterlichen, daß man ihr keine Gelegen­heit gibt, ihren Gürtel an der Leiche des Gelieb­ten abzulegen. Das symmetrische, helle Tem- pelbild von Manfred Hinzpeter und die gut funktionierende Geräuschkulisse (Meeresrau­schen) unterstützten sehr gut das ganz dem Wort und der Stimmung verpflichtete hohe Spiel der Liebenden. Fühlbar war die innere Spannung, mit der das zahlreiche Publikum dem Gesche­hen folgte. Herzlicher Beifall und viele Vorhänge am Schluß. em

Kulturelle Nnrhrirhten

Die Galerie Valentlen in Stuttgart zeigt bis zum 31. Januar eine Ausstellung mit Gemälden, Zeichnungen, Graohik des in USA lebenden Brücke-Malers Otto Müller und Zeich­nungen von Arehipenko aus dem Jahre 1949.

Carl Zuckmayer hat kürzlich ein neues Stück beendet, das nach Mitteilungen seiner Gat­tin Alice Herdan kein Zeitdrama, sondern ein überzeitliches Werk in einer ganz neuen Form ist. Das Ehepaar will im Herbst dieses Jahres

nach Amerika zurückkehren und dort seine Farm aufgeben, damit Zuckmayer sich ungestört sei­nen literarischen Arbeiten widmen kann.

Als Nachfolger der kürzlich zurückgetretenen Präsidenten des Berufsverbandes Deut­scher Komponisten, Professor Joseph Haas und Mark Roland, sind Hugo Herrmann und Professor Dr. Hermann Unger gewählt worden.

Der amerikanische Kommandant von Berlin, Generalmajor Maxwell Taylor hat dem Rektor der Freien Universität Berlin eine zweite Spende in Höhe von 2501)00 DM überge­ben.

In Köln wurde das Petrarca-Institut, das sich die Förderung der kulturellen Bezie­hungen zwischen Italien und Deutschland ange­legen sein läßt, neu konstituiert.

Die amerikanische Negerschauspiel­truppe Cleveland- A!l-Negro-Karamu-Theatre ist von der Schweizer Regierung zur Teilnahme an den 4. Internationalen Theaterfestspielen in Zürich aufgefordert worden.

Gedächtnisfeier für Prof. Stadclmann

Am Samstagvormittag fand im Festsaal der Landesuniversität eine akademische Gedächtnis­feier für Professor Dr. Rudolf Stadelmann statt. Außer Prof. Dr. Eduard Spranger, der die große Gedächtnisrede hielt, ergriffen der Prorektor Prof. Dr. Hermann Schneider, der Dekan der philosophischen Fakultät, Prof Dr. Bittel und ein Schüler von Prof Stadelmann das Wort. Einen ausführlichen Bericht über die Feier wer­den wir in unserer Mittwoch-Nummer veröffent­lichen.

Hilpert verläßt Konstanz am 1. Februar

Der Stadtrat von Konstanz hat dem Wunsche des Intendanten Heinz Hilnert, bereits am 1. Fe­bruar seinen Vertrag zu lösen, stattgegeben. Die Stadt wird die Verbindlichkeiten Hilperts in Höhe von etwa 10 000 DM übernehmen. Zum Nachfolger Hilperts wurde der bisherige stell­vertretende Intendant Dr. Arthur Schmiedham­mer, ein gebürtiger Konstanzer. gewählt, der das Theater als selbständiges Unternehmen wei­terführen wird. Die Hälfte des jetzigen Kon­stanzer Ensembles wird mit Hilpert nach Göt­tingen gehen.