Nr. 30
Schwarzwälöer Tageszeitung
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FarbsilA „KolbM" in LaMWle uxMgrUWt
Junkspruch Dr. Goebbels an den Festungskommandanten
Reichsminister Dr. Goebbels hat anläßlich der Urauffüh- «ina des Films „Kolberg" in der deutschen Atlantiksestung Za Rochelle am 30. Januar folgenden Funkspruch an den Festungskommandanten gerichtet:
„Ich habe Ihnen ckne erste Kopie des eben fertiggestellten Färb- . „"slllierg" zur Uraufführung in ihrer Festung am 30. Januar iy43 übersandt. Der Film ist ein künstlerisches Loblied auf die Tapferkeit und Bewährung, die 'bereit ist, auch die größten Opfer für -Volk »nd Heimat zu bringen. Er wird also seine würdigste Uraufführung «n Zeichen der engen kämpferischen Verbundenheit von Front und Hei- «at bei den Männern erfahren, die die in diesem Film dargestellten Tugenden der ganzen Nation Vorleben. Möge der Film Ihnen und Ihren tapferen Soldaten als ein Dokument der unerschütterlichen Standhaftigkeit eines Volkes erscheinen, das in diesen Tagen eines weltumspannenden Ringens, eins geworden mit der kampfenden Front gewillt ist, es den großen Vorbildern seiner ruhmvollen Geschichte aleich- Mtun. Herl unserem Führer!" ^
Der Kommandant von La RocheAe an Dr. Goebbels Der Kommandant der deutschen Atlantiksestung La Rochelle, Vizeadmiral Schirlitz, hat aus den Funkspruch von Reichsminister Dr. Goebbels mit folgendem Funkspruch geantwortet:
„Uraufführung Farbfilm ,Dolberg" hat heute im Theater La Rochelle vor Soldaten aller Einheiten des Verteidigungsbereiches statt- gefunden. Tief beeindruckt vo» der heldenhaften Haltung der Festung Kolberg und ihrer künstlerisch unübertrefflichen Darstellung verbinden Wir mit dem Dank für die Uebersendung des Filmes zum 30. Januar erneut das Gelöbnis, es der heldenhaft kämpfenden Heimat gleich- Mtun und ihr an Ausdauer und Einsatzbereitschaft nicht nachzustehen. Es lebe Deutschland, es lebe unser Führer!"
Wegen Feigheit standrechtlich erschossen
. Auf Befehl des Gauleiters von Niederschlesien, Hanke, V«rde der 2. Bürgermeister von Breslau. Ministerialrat Dr. Spielhagen, wegen Feigheit von einem Kommando des Bolkssturms vor dem Denkmal Friedrichs des Großen am Breslauer Rathaus standrechtlich erschossen. In einer Bekanntmachung, die in allen schlesischen Zeitungen veröffentlicht - wurde, gibt Gauleiter Hanke die Gründe der Erschießung des Ministerialrats Spielhagen bekannt, der ohne Befehl die Stadt Breslau und seinen Posten verlassen wollte, um sich anderswo eine neue Beschäftigung zu suchen. Die Erklärung des Gauleiters schließt mit den Worten: „Wer den Tod in Ehren fürchtet, stirbt ihn in Schande".
Mrssirase W KriegsunriMstsverdkechen
Ein Volksschädling übelster Art erhielt die gerechte Strafe für sein gewissenloses Treiben vom Sondergericht Nürnberg, das ihn zum Tode verurteilte. Johannes Scheck aus Hemau betrieb dort neben seiner Druckerei ein Gemischtwarengeschäft, in dem er Schreibwaren aller Art, Haushaltartikel. Galanterie- und Tabakware» verkaufte. Die durch den Krieg bedingte Mangellage aus diesen Gebieten gab dem Angeklagten die willkommene Gelegenheit, sich durch zahlreiche KrisgSverbrechen zu bereichern und sich auf Kosten der Allgemeinheit Vorteile zu verschaffen. Die in seinem Laden feilgchaltenen, im Laufe des Krieges immer knapper gewordenen Waren gab er vorzugsweise an Kunden ab, die ihm Lebensmittel jeder Art im Tauschwege lieferten. Diese Tauschgeschäfte nahmen «inen solchen Umfang an, daß er mit den eingehandelten Tauschwaren, den darüber hinaus zu Nobelpreisen erworbenen Lebensmitteln und den auf unrechtmäßige Weise erlangten Lebensmittelkarten auch seine Lieferanten versorgen konnte, die ihn dafür wieder bevorzugt mit Waren belieferten. Weitere zusätzliche Lebensmittel verchaffte sich Scheck durch. Schwarzschlachtungen.
Ein Kaufmann, der in so verbrecherischer Weise seine Pflichten zur gerechten Verteilung der Waren eigennützig und gewissenlos verletzt, der Waren, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, zurückhält oder nur gegen Tauschwaren oder gegen Wucherpreise abgibt, ist ein Feind der Volksgemeinschaft. Der Angeklagte Scheck ist deshalb mit Recht aus der Volksgemeinschaft ausgemerzt und zum Tode verurteilt worden. Seine Ehefrau, der zugute gehalten werden konnte, daß sie stark unter dem Einfluß ihres Ehemannes gehandelt hat, erhielt vier Jahre Zuchthaus und lll OVV RM Geldstrafe.
Kurze Nachrichten
Nach einer amtlichen römischen Mitteilung ist der USA-Außen- minister Stettinius in Italien gewesen.
Im Zuge des immer weiter steigenden sowjetischen Einflusses im Frankreich de Gaulles ist jetzt ein französisch-sowjetisches Gewerkschaftskomitee gebildet worden.
Viele Einwohner von Paris, insbesondere alte Männer und Frauen sowie kleine Kinder sterben infolge der großen Kälte in den nicht geheizten Häusern, zu der auch noch die Unterernährung kommt, meldet „Daily Mail" aus Paris.
Die Londoner Zeitschrift „News Review" meldet eine rapide Steigerung der Jugendkriminalität in England. 1944 wird die Zahl der verurteilten Jugendlichen auf rund 8VVVÜ geschätzt.
In Indien hat eine neue Verhaftungswelle gegen führende Mitglieder der indischen Kongreßpartei eingesetzt.
Gouverneur Dewey erklärte für New Aork einen Not- 1 » st and. Alle Geschäfte außer Lebensmittelgeschäften und Apotheken wurden geschlossen, da in den USA durch starke Schneeblockierungen ernster Mangel an Lebensmitteln und Kohlen herrscht.
Die Burg, in der 150 Kaiser wohnten
„Des Heiligen Römischen Reiches Statt . . ."
Durch die jüngste» attglo-anicritauiichen Terrorangrisfi wurde auch die Nürnberger Altstadt mit der weltberühmten Burg vernichtet.
„Es liegt die weitberühmte deß Heiligen Römischen Reiches Swli Nürnberg im Fränkischen Creiß an der Pegnitz, so b;y Fürth in die Pegnitz und diese förrers in Mavü fallet, aufs einem sündigten gar harten Boden, da weder Weinwnchs noch Schiffahrt ist, die auch nicht eben, sondern aus etlichen Berglein erbauet, deren Hand jedoch durch alles Land gehet." Man erkennt schon aus diesem Auszug aus Maltheus Merians „Topographie Germania" vom Jahre 1642, welche Machtstellung Nürnberg dereinst einnahm. Kunst und Wissenschaft, Handel und Verkehr reichten sich die Hand, um die alte, freie Reichsstadt zu einem Brennpunkt deutscher Kultur zu machen. Noch vor einigen Monaten stieß man in Nürnberg auf Schritt und Tritt aus die Zeugen einer stolzen Vergangenheit, die in den Reichsparteitagen wieder lebendigste Gegenwart geworden war, Malerische Fachwerkbauten mit Erkern. Luken und Chörlrin, wie man sie in dieser Etaenwilligkeit sonst nirgends findet, romantische Wallgräben mit trutzigen Festungstürmen und still verträumte Stadtwinkel, an denen die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein schien, wurden dem Beschauer zum unvergeßlichen, Erlebnis. Vor dem sogenannten Nassauer-Haus, Karolinenstraße Nr. 2, entdeckte man, an den Eingang zu einem Zigarettengeschäft gelehnt, die holzgeschnitzte Figur eines Patriziers, der einen wohlgesüllten Geldsack in seinen Händen hielt. Eine Inschrift erläuterte die Bedeutung des merkwürdigen Torwächters: „In diesem Hause wurde 1431 die deutsche Kaiserkrone um 1500 rheinische Gulden an den Patrizier Ulrich Ortlieb verpfändet." Erschütternde Schicksals- tragik-deutscher Geschichte, wie sie auch in der Verschleppung der später in der Wiener Hofburg wiedervereinigten Reichskleinodien — Kaiserkrone. Reichsapfel, Kreuz und Schwerter — aus Nürnbergs getreuer Obhut nach Aachen und Prag zum Ausdruck kommt!
Ir weiter man sich der im Stadtinnern auf hohen Burgfelsen thronenden ehemaligen Kaiserpfalz näherte, desto stärker wurde man vom Mittelalter umfangen. Schon der malerische Marktplatz mit dem berühmten „Schönen Brunnen" hintrrließ unvergängliche Eindrücke. Am Burgberg stieß man dann aus ein altes Haus mit eitrem in Stein eingehauenen Familienwappen und den Jahreszahlen 1486—1886. Eine Gedenktafel trug folgende Inschrift: „Hier wohnte als Gast Kaiser Max, der letzte Ritter." Hochragende Wachttürme, gewaltige Ringwälle und steil abfallende Terrassen vereinigten sich rund um die alte Königsburg zu Deutschlands besterhaltenem Befestigungsgürtel. soweit man größere Städte zum Vergleich heranzieht Während von der frühesten Verteidigungslinie aus dem 12. Jahrhundert keine sichtbaren Reste mehr vorhanden waren, ist die zweite Umwallung aus dem frühen 13. Jahrhundert noch deutlich erkennbar. Der letzte Mauerring jedoch kam erst in der Zeit vom 14. bis 17. Jahrhundert zur Vollendung. Ein besonderer Reiz der Nürnberger Befestigungsanlagen lag in der schier unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Türmformen.
Erst vor elf Jahren wurde die Kaiserburg von Grund aus renoviert und in ihrem ursprünglichen Bancharakter wiederhergestellt. So hat man in der Doppelkapelle in romanischem Stil aus dem 12. Jahrhundert prachtvolle Handmalereien aus dem 16- Jahrhundert sreigelegt, die übertüncht waren. Kaiser Friedrich Barbarossa chatte in dieser Kapelle eine eigen- Loge, von der aus er aus die zu ebener Erde knienden übrigen Fürstlichkeiten herabblicken konnte. Das Gefolge aber mutzte mit einer tiefen, kellerartigen Versenkung vorliebnehmen, von der aus man nicht einmal die Altäre sehen konnte.
Mit kostbaren Fürstenporträts aus dem Mittelalter war der große Ritter- oder Festsaal geschmückt. An einer Wand fand man dort ein umfangreiches Verzeichnis von Kaisern und Königen — angefangen von Heinrich III. (1060) —, die die Burg zu ihrem Lieblingsaufenthalt erkoren. Insgesamt haben im Laufe der Jahrhunderte nicht weniger als 150 Kaiser in den prunkvollen Räumen gewohnt. In den einst als Kaiserliche Kanzlei dienenden Räumlichkeiten entdeckte man bis zum Jahr; 1444 zurückreichende Wandsprüche, ferner ein Burgmodell aus dem Jahre 1858. Doch alles liegt nun fast restlos in Schutt und Asche — ein Mal der Schande für die Anglo-Amerikaner und ihre systematische Kulturvernichtung.
wie die Heimat zur Front spricht
Mehr als 100 000 Platten und Tonsolien liegen in dem Archiv des Rundfunks. Die Chronik dieses Krieges. Der Lärm der ersten Schlachten, die Stimmen der gefallenen Helden und Kämpfer. Vieles davon ist zur Veröffentlichung einer späteren Zeit Vorbehalten, denn zu groß ist das Geschehen, als daß im Rahmen des Tagesprogramms eine Wiedergabe aller ausgenommenen Sendungen ermöglicht werden könnt;. Rund 28 000 Frontberichte alljährlich laufen über den Rundfunk, über die
Reichssender, die Soldatensender, und in 17 Sprachen, unter anderem auch über Richtstrahler. Sie geben einen Eindruck von dem gewaltigen Ringen unserer Soldaten und künden der Welt vom Heldenkampf unseres Volkes. An allen Fronten des Krieges stehen di; Frontberichter des Rundfunks. Sie sind Soldaten, deren Ruhm sie preisen. 50 von ihnen haben ihre« Einsatz mit dem Leben bezahlt.
So wie der Rundfunk Brücke zwischen Front und Heimat ist, so wird er in seinen zahlreichen Soldatensendern das berichtende Instrument für die Truppe selbst. Mehr als 70 000 Folien wurden bis heute an die einzelnen Stationen versandt und vermittelten der kämpfenden Truppe Stunden der Ent- spannnung, der Erbauung und auch der politischen Belehrung. In der Stunde des Soldaten, die alltäglich von 21 bis W Uhr über di; Soldatensender ausgestrahlt wird, hört der Landser das. was ihn am mehsten bewegt.
Ueber diesen Soldatensender aber läuft auch der Kameradschaftsdienst des deutschen Rundfunks. Das ist däs einzige Band, das noch zwischen der Heimat und jenen fernen, von der Umwelt abgeschlossenen Stützpunkten besteht, in denen deutsch« Soldaten befehlsgemäß ausharren. Zu ihnen kommen di« Grüße ihrer Frauen und Mütter über den Aether, und übrr diesen Kameradschaftsdienst schicken auch die Eingeschlossene« ihre Wünsche in die Heimat.
6000 bis 7000 Briefe laufen am Tage mit Durchsagebitte» ein, von denen im Verlauf; von vierundzwanzig Stunden rund 2000 durchgegeben werden. Nach Lorient und St. Nazaire, nach Dünkirchen, in die Aegäts. nach Kreta und in den Hohe» Norden.
Ueber diesen Kameradschaftsdienst sprachen am Weih- nachstage die fernen Stützpunkte zu uns. Nach wochenlange« Bemühungen gelang es den Eingeschlossenen, sich aus ihre» kleinen Geräten starke Sendeanlagen zu bauen, so daß sie, teilweise noch in letzter Stunde, an d;r Ringsendung teilnehme» konnten. '
Brücke zwischen Front und Heimat. Mehr denn je ist da- heute der Rundfunk. Mögen auch Tausende von Kilometern zwischen uns und unseren tapferen Kämpfern liegm. Sie hören uns, und wir hören sie, sie wissen, daß sie auch in ihren abgeschnittenen Festungen nicht allein sind. H. T.
Aphorismen
von Frhr. v. Sültlingen.und v. Schlepegrell
Man entbehrt nicht, was man nicht besessen.
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Menschen, die ein weites Gewissen haben, benutzen es, um weit zu gelangen.
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Jede Stunde im Leben kommt einmal wieder und präsentiert ihre Rechnung.
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Laß den plötzlich sterben, über den die Lästerzungeki redeten, und er wird — heilig gesprochen werden.
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Gleiche Antipathien führen Menschen oft leichter zusammen als gleiche Sympathien.
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Schweigen erfordert oft mehr Selbstzucht und Nut als Reden.
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In dem Verständnis und der Beobachtung der Aatur und ihrer Geschöpfe liegt eine gute Erziehung für Gemüt und tzer-z.
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„Geschmack ist Ansichtssache" — für den, der ihn nicht reilt.
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Immer den Humor sich erhalten! Der Fröhliche ist der Stärkere.
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Man muß sich von den Menschen gelegentlich entfernen, um sie bester zu sehen.
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Ls hat wohl ein jeder im Leben einmal ein verlorenes Paradies.
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Ls sind nicht immer die Menschen, die uns die Linsamkeit vertreiben, es sind die Erinnerungen.
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Manche Menschen fragen nur, um ihre eigenen Antworten hören zu lasten. -
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Wer die geringsten Ansprüche machen kann, macht regelmäßig die größten.
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Rein Weg ist weiter als der vom Wort zur Tat.
^ von »ANTtHiN
^Urheberschutz durch E. Ackermann, Romanzentrale Stuttgart) '441
Es ist lächerlich! Wenn der Mann mich wenigstens liebte, so liebte, wie man sich das als junges Mädel denkt, dann könnte man sich schließlich sagen: vielleicht geht's doch! Aber, das tut er ja gar nicht. So ein Mensch kann überhaupt nicht lieben. Ich sehe gut aus, ich bin nicht gerade auf den Kopf gefallen; er hat wohl das Gefühl, daß ich ihm im Geschäft nützlich sein kann und deshalb — übrigens hat er erst hübsch abgewartet, bis sich die Sache hier so einigermaßen wieder zusammengezogen hat. Ich bin überzeugt, wenn's schief gegangen wäre —"
„Sie dürfen selbstverständlich Werner Pistor nicht heiraten," wandte Zangenberg ein.
„Dann bleibt also der Betrug auf mir sitzen."
„Wenn Sie ihm keine direkten Versprechungen ge> macht haben — ich weiß nicht. Jetzt reden Sie einmal ganz offen und tun Sie so, als ob ich so etwas wie ein Onkel wäre: ist es wirklich nur die Abneigung gegen Herrn Distor oder steht, kaufmännisch gesprochen, diesem Pas- flvum Ihres Herzens ein Aktivposten nach anderer Richtung gegenüber?"
„Das vielleicht auch, und das ist eine neue Gemeinheit von mir."
Zangenberg lächelte.
„Sie haben da eine eigentümliche Art, von Ihren Herzensangelegenheiten zu sprechen."
„Das heißt, eigentlich kann ich auch dafür nichts. »Sehen Sie mal: wenn mein Vater ganz einfach seine Tisch- ttrret weiter behalten hätte und mein Onkel Färber nicht M die Quere gekommen wäre, dann hätten Alfred und ich
nicht die hohe Schule besucht. Ich wäre vielleicht irgendwo Tippmädel geworden und jetzt wahrscheinlich schon lange Fritz Kuhlekamps Frau und hätte einen Haufen Kinder."
„Ahal Sie haben Fritz Kuhlekamp lieb?"
Eigentlich machte der Herr Revisor ein verwundertes Gesicht, wenn er sich Irma Weigels selbst in einfacher Kleidung vornehme Erscheinung neben dem jungen Menschen im Arbeiterkittel vorstellte.
„Fritz Kuhlekamp ist der beste Mensch von der Welt. Wir waren Iugendgespielen. Wir waren eigentlich schon als Kinder überzeugt, daß wir zusammengehörten. Ich weiß ganz bestimmt, wenn ich zu Fritz Kuhlekamp sagte: ,laß dich in hundert Stücke zersägen', er täte es augenblicklich. Glauben Sie, ich fühle es nicht, wie er um mich herumschleicht, wie er mich mit seinen großen, guten Augen so ansteht und ganz genau fühlt, daßetwas mit mir los ist, was er nicht versteht?"
„Und Sie?"
„Natürlich Hab ich ihn lieb. Wie sollte man so einen prachtvollen Menschen nicht lieb haben!"
,Za, Gott, dann —"
„Sehen Sie, das ist eben die Gemeinheit von mir. Das ist eben das Unglück, daß wir dabei nicht geblieben sind. Ich bin auf die hohe Schule gegangen, ich war ein Jahr in einer Pension, ich bin mit allen möglichen ,feinen Menschen' in Berührung gekommen und — da sind Hemmungen. Hemmungen, die ich selbst sehr häßlich empfinde. Was kann Fritze Kuhlekamp dafür, daß er derselbe geblieben ist, der er war, und daß ich anders geworden bin? Was kann Fritze Kublekamp dafür, daß er Berliner Dialekt spricht? Das ist einfach natürlich, daß er so ist, und unnatürlich ist nur, daß ich nicht mehr so bin. Ist Fritze Kuhlekamp etwa deshalb weniger wert mit seinem treuen Herzen? Wenn ich aber daran denke — da sind eben diese Hemmungen! Da ist die Gemeinheit. Soll ich an dem Mann, der mich so lieb hat und den ich auch lieb habe, herummeckern und versuchen, ihn zu .erziehen'? Was glau
ben Sie, wie das ihm wehtun würde, und außerdem — wenn eine Frau schon so was anfängt, ist's von vornber- ein verpatzt. Wenn eine Frau schon die blödsinnige Ueber- zeugung hat, sie wäre was Besseres als ihr Mann! Bin ich gar nicht. Weiß ganz genau, daß dos olles äußerlich ist, aber ich Hab mich doch nun mal an all den Zimt gewöhnt. Ich Hab ihn lieb, ganz gewiß, aber — ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, ob das überhaupt ein Mensch verstehen kann."
Zangenberg nickte.
„Doch, Fräulein Irma, ich kann das sehr gut verstehen."
„Wirklich? Aber nicht wahr, mit Vater oder Mutter kann ich doch über sowas nicht reden, ohne ihnen auch' wehzutun und —"
Jetzt widerstrebte es bereits wieder ihrer Natur, daß sie sich diesem in Wahrheit doch ganz fremden Menschen gegenüber so ausgesprochen hatte; sie stand auf und versuchte zu lachen.
„Und da bildet man sich ein, ein moderner Mensch zu sein, und hat doch überall Hemmungen."
Zangenberg ging auf und ab.
„Es ist selbstverständlich, daß Sie sich heute nicht mit Werner Pistor verloben."
„Und der Betrug?"
„Ist ja Unsinn. Inzwischen ist doch die Billa verkauft, und er hat sein Geld wieder."
„Ganz offen, Herr' Zangenberg, Sie meinen das tatsächlich?"
„Ich will Ihnen etwas sagen: ich würde an Ihrer Stelle Vorbeugen und ihm ganz offen schreiben, ehe er kommt. Schreiben, daß Sie das Gefühl hätten, er würde — und so — und daß Sie nun einmal nicht könnten, weil ihr Herz jemand anderem gehörte — brauchen ja keinen Namen zu nennen — aber das ist leichter, als wenn er - erst kommt."
(Forts, folgt.)