Nr. 289. ' Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

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Freitag, den 10. Dezember ISIS.

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Ein großer Tag im Reichstag.

Der Reichskanzler über unsere militärische Lage. Die sozialdemokratische Inter­pellation. Die Antwort.

* Mch Hallen uns die tönenden Phrasen der ita­lienischen Staatsmänner wie Narreirglöcklein in den Ohren, die von Freiheit, Gerechtigkeit und Humani­tät faseln, und damit den Grundion angeben für die von allen unseren Feinden zur Schau getragene Politik der Täuschung und Heuchelei, denn während sie vorgabeu, die West vom deutschen Militarismus befreien zu wollen, und die kleinen Staaten und schwachen Nationalitäten vor unserer Raubgier zu beschützen, läßt ihr ganzes Treiben immer mehr er­kennen, weshalb die deutsche Macht zertrümmert werden sollte, und wessen sich die kleinen Nationen zu versehen hätten, wenn Deutschland und seine Bundesgenossen geschlagen würden. Mit Recht hat der Reichskanzler in seiner gestrigen vorbereiteten Rede über die Kriegslage hcrvorgehoben, daß. so­lange unsere Feinde die Großmacht Lüge benützen, um die Welt und ihre eigenen Völker über unsere Erfolge und unsere Aussichten für die Zukunft zu täuschen, solange sähe er sich gezwungen, diesen Täuschungsversuchen entgegenzutreten. Und gegen­über den vielen Machenschaften, die eingeleitet wur­den, um der Welt vorzutäuschen, daß Deutschland und seine Bundesgenossen endlich doch bezwungen werden würden, hat sich der Reichskanzler wieder veranlaßt gesehen, den Phrasen und phantastischen Prophezeihungen die wirklichen Tatsachen entgegen­zustellen. Wie wohltuend stachen aber die Ausfüh­rungen des ersten deutschen Staatsmannes von der überhebenden, jeglicher Logik und Berechtigung baren Rhetorik seinerKollegen" im feindlichen Lager ab! Echt deutsch war die Haltung und Er­widerung unseres Reichskanzler auf die Reden und Erklärungen in den feindlichen Parlamenten. Eine nüchterne Schilderung unserer militärischen Lage, keine überschwengliche Hoffnungsseligkeit im Hin­blick aus unsere glänzenden Erfolge gegenüber den übermächtigen Feinden, aber doch die Zuversicht, die das Vertrauen auf eigene Stärke für die Zukunft

Siebt.

Der Reichskanzler gab zuerst eine Scksilderung über die Entwicklung auf dem Balkan seit der letz­ten Tagung des Reichstags. Er wies darauf hin. wie die Entente auf liberalste Weise österreich-ungari­sches, türkisches, griechisches ja serbisches Gebiet den Bulgaren angeboten hätte, um diese für den Angriff auf die Türkei zu gewinnen. Aber Bulgarien wußte, daß es seine nationalen Ansprüche in Mazedonien auf die Dauer nur sichern kannte, wenn es von Ser­bien die Rückgabe der ihm zustehenden Gebiete ver­langte. Durch die Siege in Serbien, durch die heute fast das ganze serbische Heer vernichtet ist, ist die Donau freigeworden, die Verbindung mit der Tür­kei hergestellt. Durch die Tapferkeit der Türken stehen die Dardanellen, deren Fall Mister Asquith schon im Sommer prophezeite, heute fester als je. Auch der Trost mit Bagdad ist nun ins Wasser gefallen, denn die Engländer haben dort eine empfindliche Schlappe erhalten. Bedeutsam ist, was der Reichs­kanzler über die Bedeutung des offenen Weges nach dem Orient sprach. Es sei ein Markstein in der Ge­schichte. Militärisch fei der Zusammenhang mit der Türkei von unschätzbarem Werte. Wirtschaftlich er­

gänze die Zufuhr aus den Balkanstaaten und der Türkei unsere Vorräte in der vollkommensten Weise. Der Reichskanzler nahm dann die Gelegenheit wahr, die niedrige Heuchelei unserer Feinde, und nament­lich Englands, im Hinblick auf ihre Verhalten gegen­über Griechenland gebührend an den Pranger zu stellen. Was unsere Gegner politisch und militärisch auf dem Balkan eingebüßt haben, das suchen sie jetzt durch Akte der Gewaltpolitik gegen neutrale Staa­ten einzubringen. Venizelos habe selbst die Be­hauptung widerlegt, daß die Ententemächte von Griechenland zu Hilfe gerufen worden seien. Es werden nun die brutalsten Gewaltmittel benutzt, um Griechenland zur Verletzung der ihm als neutralem Staat obliegenden Verpflichtungen zu zwingen. Die griechische Regierung fei aber trotz der schwierigen Lage entschlossen, ihre Neutralität zu wahren. (Hört! Hört'-Nufes. Abgeschlossen sei diese Angelegenheit noch nicht. Der Reichskanzler ritz dann den englischen Heuchlern in einen: Vergleich mit der Neutralität Belgiens, mit deren vorgeblichem Schutz England bekanntlich in der gairzen Welt moralische Geschäfte gemacht hatte, die Maske vom Gesicht. Es scheint übrigens, als sähe man auch in England bald ein, daß solche Geschäfte aus die Dauer nicht zu machen sind. Denn dieWestmrnster Gazette", die der Re­gierung nahe stehen soll, hat am llO. November ge­schrieben. England habe gegen Deutschland die Waf­fen ergriffen, weil Deutschland sonst nicht hätte be­zwungen werden können. Die Welt, so meint dazu der Reichskanzler, weiß jetzt wenigstens, weshalb auf Englands Befehl dieser Völkermord fortgesetzt wird, lieber die vermutliche Weiterentwicklung der militärischen Operationen stellte der Reichskanzler keine Betrachtungen an. Er ging sodann auf unsere Erfolge im Osten und Westen ein, sowie auf die Ver­teidigungsstellung der österreichisch-ungarischen Ar­mee gegen Italien, die fest und intakt sei. Hierauf gedachte der Reichskanzler der Arbeiten, die auf wirtschaftlichem Gebiete hinter der Front geleistet worden seien, in Nordfrankreich und Belgien, in Polen und Litauen. Wohl noch nie in der Weltge­schichte sei in einem Kriege, während vorne Millio­nen im Todesringen standen, hinter der Front soviel geleistet worden. Ueber die Lage in Deutschland sagte der Kanzler, es seien genug Lebensmittel da, wenn sic richtig verteilt würden und man sich danach richte.Mir selbst haben vor dem Kriege unsere eigene Kraft unterschätzt, und wenn dies unsere Feinde heute immer noch tun, so müssen sie sich eben später der Macht der Tatsachen beugen. Durch Worte wer­den wir uns nicht beugen lassen. Wir kämpfen eben dann entschlossen weiter, um zu vollenden, was Deutschlands Zukunft von uns fordert. Es folgte dann die sozialdemokratische Interpellation, die fol­genden Wortlaut hat:

Die Interpellation der Sozialdemokraten.

Der Abg. Scheidemann führte aus: Unser Dank gebührt unseren Truppen, die unerhörte Strapazen und Entbeh­rungen ertragen haben. (Lebh. Bravo!) Die heldenmütigen Kämpfe stehen beispiellos in der Geschichte da. Die Zahl der Opfer und die Not in allen Ländern werden stetig größer. Ist es da verwunderlich, wenn aus allen Ländern die Frage kommt: Wie lange noch? .... Dank unserer Erfolge können wir vom Frieden reden und deshalb mästen wir es tun. Er­oberungsabsichten, die man uns von gegnerischer Seite zu­schreibt, weisen wir zurück. Aber Europa richtet sich syste­matisch zugrunde, während Amerika ein glänzendes Geschäft macht. Anshnngern kann man »ns nicht, diese Epelnlation

ist verfehlt. Alle Völker schreien nach Frieden. Auch unsere österreichischen Parteigenossen wollen wie wir das Vaterland verteidigen. Sie haben aber auch den gleichen Willen z»m Frieden. Einmütig und entschlossen find wir in den Krieg gezogen, aber das Volk will den Krieg keinen Tag länge» führen, als unbedingt nötig ist. Ich hoffe, daß der Herr Reichskanzler das erlösende Wort finden wird. Die ganze Welt wird sich ans die Seite dessen stellen, der die Hand zu« Frieden reicht. Wehe dem, der sie abweist.

Die Antwort des Reichskanzlers.

Der Reichskanzler gab darauf ein« Antwort, die wohl die erdrückende Mehrheit des deutschen Volkes gutheißen wird, denn sie bekräftigte wiederum die deutsche Friedensliebe, sie stellte aber auch in schar­fen Umrissen die Bedingungen fest, die wir zur Sicherung gegen ueue Ueberfälle und zur friedlichen Entwicklung unserer Zukunft verlangen können. Denn wir haben ungeheure Erfolge errungen. Eine Hoffnung nach der andern wurde den Feinden ge­nommen. Man sollte meinen, jetzt nach der Ent­scheidung Bulgariens, nach Oeffnung des Weges zu den türkischen Bundesgenossen sollte den Feinden die Erkenntnis kommen, daß das Spiel für sie ver­loren ist. Aber tatsächlich ist keiner unserer Feinde mit Friedensanregungen an uns herangetreten, tat­sächlich haben unsere Feinde uns Friedensangebote augedeutet, die unsere Erschöpfung und Schwäche darstellen sollen. Das ist eine Selbsttäuschung, die wir nur verschlimmern würden, wenn wir mit Frie- densvorschliigen an sie herantreten würden. Der Reichskanzler führte dann zuerst Beispiele an, wie inan sich im feindlichen Lager die Friedensbedinqun- gen vorstelll. Sie sind ja reichlich bekannt: Die Rück­gabe Elsaß-Lothringens, die Vernichtung des sog. preußischen Militarismus, die Vertreibung der Tür­ken aus Europa, die Herstellung eines Grotz-Ser- biens mit Bosnien, Abtretung der linken Rheiu- seite und des ganzen deutschen Kolonialbesitzes, und derLabour Leader" meint, mit dieser Forderung habe die Regierung einen Fühler ausstrecken wollen. Es bleibt eben noch alles beim Alten: Deutschland sott vernichtet werden. In Frankreich weiß man anscheinend nicht, daß in den Reichslanden von 1 900 000 Einwohnern über 87 Prozent deutscher und noch nicht 11 Prozent französischer Muttersprache sind. Der tatsächlichen militärischen Lage sind die Krieasziele der feindlichen Regierungen nicht ange­paßt. Als neuestes Reizmittel zur Aufstachelung blinder Kriegswut wird nun die Formel vom Er­schöpfungskrieg angewendet. Aber, führte der Reichs­kanzler zu diesem Schlagwort der Entente ans, un­sere Lebensmittel reichen, und ein Gebiet, das von Arras bis Mesopotamien reicht, kann wrtschaftlich nicht erdrückt werden. Wir sind auf eine sHr lange Kriegsdauer mit allem Nötigen versehen. Und die Erschöpfung der Menschen? Wir sind bei Heran­ziehung der Dienstpflichtigen nicht so weit gegaugen wie Rußland, auch nicht wie Frankreich, das die Wehrpflicht über das 45. Lebensjahr ausgedehnt hat. Unsere Verluste sind nicht nur relativ, sonder abso­lut geringer, als die französischen.

Die Friedensbedingungen.

Ueber Deutschlands Geneigtheit zum Frieden ließ sich der Reichskanzler ungefähr folgender­maßen aus:

Kommen unsere Fein!" "it Friedensvorschläge«, die der Würde und Sicherheit D eutschlands entsprechen, so find wir allezeit bereit, sie zn diskutieren. Wir lehnen die Der-